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Vom 15. Januar 1857
»Ich bin in den Abendstunden in Dantes vita nuova vertieft. Ich sehe, daß die Herzen des dreizehnten Jahrhunderts ebenso ängstlich geklopft haben wie die unsrigen, daß geistiges Schwanken und Schwärmen den jungen Dichter zu untergraben drohte, und daß der Mann, welcher die göttliche Komödie schreiben konnte, viel Leiden an Leib und Seele erfahren mußte.
Es stehen mir zwei Bilder vor der Seele. »Das zweite Begegnen im neuen Leben« und »Francesca von Rimini« in der göttlichen Komödie.
Ich lebe in größter Einfachheit; meine Bedürfnisse sind geringer als gering. Ich bin wohl und fleißig; ich male kleine Bilder und Skizzen und gebe sie in eine Kunstausstellung, um sie zu verkaufen. Es ist darunter eine Skizze, die mir recht aus der Seele gewachsen ist, eine Amazonenschlacht bei untergehender Sonne, mit vielen Figuren, feurig und lebendig.
Ein Atelier habe ich noch nicht und kann es nicht halten; ich arbeite in meinem kleinen Zimmer. Wie es mir dabei zumute ist, kannst Du Dir denken. Ist es ein Traum, daß ich den Hafis, den Aretino, die Versuchung und die Tizianische Assunta gemalt habe?«
15. Mai 1857
»In Frascati gewesen. Schöner glücklicher Tag! Dunkle Laubgänge, wandelnde verschleierte Frauen; auf der Fahrt das blitzende Meer, die weite, weiche, dämmernde Kampagna! Schöne Gedanken ziehen wie Musik durch die Seele.«
Einige Tage später
»Dante im Garten wandelnd, sprechend mit edlen, schönen Frauen. Die jüngste Tochter Beatrice an seine Schulter gelehnt. Es wird wie ein Andante von Mozart sein. Ich stehe ahnungsvoll an dem Wendepunkt meines Lebens. Wird es kein Traum sein, daß jetzt meine Zeit kommt?
Die Skizze ist kürzlich entstanden. Den Kopf von Dante ganz erfüllt, sah ich wandelnde Frauen im Garten. Durch meine Seele geht ein sanfter Zug, Bild auf Bild. – Plötzlich tritt eines hervor, dann verschleiern sich die andern und weichen zurück.«
12. März 1857
»Ich will diesmal etwas ausführlicher schreiben, und ihr könnt daraus erfahren, daß meine Zukunft mir groß und unverrückt vor der Seele steht; denn die abgeschmacktesten Widerwärtigkeiten, bei denen man sich vor die Stirne schlagen und fragen muß: ist es denn möglich? haben mich keinen Augenblick irre machen können.
Das Jahr in Venedig war wie ein glühender Traum unbestimmter Sehnsucht, hochfliegender Pläne, enthusiastischer Hoffnungen. In dieser Stimmung griff ich, anstatt eine kleine Idee auszubilden, nach dem Höchsten und Schwersten, dessen ich nicht mächtig war; Italien war mir noch ein dämmerndes Paradies. Du kannst Dir denken, was ich meine: die unglückliche Poesie. Damals war es, als Rahl, nachdem er meine Sachen angesehen hatte, von einem mysteriös musikalischen Geiste sprach.
In Florenz schlug mich das Schicksal nieder. Ihr wußtet es nicht. Ich wurde krank, der Arzt wollte mich nach Deutschland schicken; ich ging nach Livorno, um mich für Rom einzuschiffen. Unter welchen Umständen ich hierher kam, will ich des Näheren nicht berühren. Ihr dürft glauben, daß ich die Feuerprobe bestanden habe.
Die römische Ausstellung ist eröffnet. Es ist keiner da, den ich nicht aus dem Sattel heben könnte; aber ich darf nur ein kleines Köpfchen hingeben, weil es das einzige ist, bei dem ich Mittel hatte, Natur zu nehmen. Alles andere, darunter drei Madonnen, mußte als Fragment auf meinem Zimmer bleiben. Wie lange wird es noch dauern, daß ich mit Tränen des Zorns und der Pein an den Ateliers meiner Bekannten vorübergehen muß? Ich habe Schritte nach außen getan, will aber vor der Hand schweigen, um nicht Hoffnungen zu erwecken, die nur aufsteigen, um zu verschwinden.
Könnte ich es machen wie der Hofmaler G., so würde es vielleicht besser gehen. Wenn er in der Patsche sitzt, schreibt er an seinen fürstlichen Gönner: »er müsse sich in die Tiber stürzen«. Wäre ich an seiner Stelle, ich würde lieber meine Bilder hineinwerfen.«
Vom 12. Juni 1857
»Audaces fortuna juvat«, zu deutsch: »Der Karren beginnt sich loszuschälen«.
Warum ich heute schon wieder schreibe? Weil ich nicht einsehe, warum Du, die bisher alle Not und Qual mit mir getragen, nun nicht auch meine Freude teilen sollst. Denke Dir, ich soll den Dante groß malen für den Herrn von Landsberg, von dem Du weißt, daß er Konzerte gibt für die vornehmen Fremden. Das Bild soll die Rückwand seines Hauptsalons füllen, wo sich die Musici befinden, und es soll von oben beleuchtet und alles so eingerichtet werden, wie man es sich nur wünschen kann. Geld bekomme ich wenig dafür. Aber was tut das? Wenn er mit meinem Bilde spekuliert, so habe ich doch den Vorteil davon.
Ein Freund hat die Sache mit Klugheit vermittelt. Ich habe jetzt Zukunft, ja, ich habe Zukunft! Und den Dante groß malen dürfen, ist wie ein glückseliger Traum.«
Ende des Jahres 1857, ohne Datum
»Indem ich aufblicke, sehe ich den Kranz meiner Bilder um mich herstehen. Dies alles in fünf Monaten – und unter welchen Umständen! –
Links im Rahmen das beinahe vollendete Kinderständchen; sechs lebensgroße Putten, die ihre Instrumente stimmen, um ein schlafendes Kind zu erwecken; dann kommt das Bildnis eines Freundes, des Bildhauers Begas, Violoncello spielend, dann eine Italienerin, fein ausgeführt, in schwarzem Schleier, dann der fertige Dante, mein Liebling und Schmerzenskind, das nach allerlei häßlichen Kämpfen wieder mein Eigen geworden ist. Näheres später. Des weiteren eine Landschaftsstudie, ein antiker Flötenbläser mit einer ruhenden Nymphe am Meere, ferner das Porträt eines lieben Freundes und Zimmernachbars, des Kupferstechers Julius Allgeyer, endlich abermals ein Porträt des schönsten Kindes in Rom, der kleinen Giacinta Neri, in einer grünen Laube, mit Federhütchen, ganze Figur. Dies alles ist die Frucht meines schönen Ateliers und kommt im Februar zur Ausstellung.
Die unglückliche Affäre mit Landsberg schadet mir mehr, als ich sagen mag. Er hält die Fremden ab, in mein Atelier zu kommen.
Eins ist erobert, Rom. Du weißt das und fühlst es mit mir; das eine aber ist alles. Bei dem Namen Rom hört alles Träumen auf, und die Selbsterkenntnis fängt an. Die alte Zauberin weist jeglichem Menschen seinen Platz an. Mein hiesiger Aufenthalt ist eine Entwicklungsgeschichte und voll – voll Poesie.«
Februar 1858
»Mein Dante ist ausgestellt. Die Italiener haben ihn mit Enthusiasmus aufgenommen, Ein armer Dichter hat ihn in Sonetten besungen. Wäre ich nicht ebenso arm, ich hätte ihn dafür belohnt.
Mein nächstes Bild wird ein dramatisches sein. Wenn mir ist, als könnte ich das Warten nicht mehr aushalten, dann kommen mir solche verklärte Stoffe von oben – Iphigenie!«
Januar 1859
»Der Winter ist traurig. Die Gedanken schlafen; Iphigenie, die mich eine lange Zeit wach erhalten, ist verschleiert. Zwei Kindergruppen zappeln in meinem Kopfe und kommen nicht heraus. Kein freundlicher Klang von außen, der mich ermutigen könnte; alles ist stumm, und meine Jugend verzehrt sich. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich ausdrücken soll, um mich verständlich zu machen. So kommen und gehen die Monate. Es ist nicht recht, daß unsere Zeit die aufblühenden Blumen so wenig achtet. Sie zerpflücken und zertreten, das versteht sie meisterlich.
Sie sagen, meine Kunst sei nicht in Rapport mit der Zeit, mit dem Leben. Wie kann ich es ändern, wenn mir das Leben nur Qualen und Demütigungen bietet? Wenn es meiner Jugend die Helligkeit und Freudigkeit nimmt? Ein ganzes Füllhorn schöner Gaben ist bereit auszuströmen, wenn jemand sich die Mühe nehmen wollte, nur die Hand hinzuhalten.«