Anselm Feuerbach
Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach
Anselm Feuerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Düsseldorf

Mit fröstelndem Unbehagen betrat ich zum erstenmal die häßlichen Räume der Düsseldorfer Akademie. Außer dem gewöhnlichen Geruch, der allen öffentlichen Anstalten eigen ist, war hier noch etwas Besonderes, Feuchtes, Moderiges, was ich mit dem Ausdruck »akademische Luft« bezeichnen möchte.

Man sagte mir, daß in der Dämmerung eine vermummte Frau, die ehemalige Jakobäa von Baden, in den schaurigen Korridoren umherwandle. Wenn es wirklich gespukt hat, so werden es sicher die Geister der schlechten Bilder gewesen sein, die dort gemalt wurden; Geister, die weder leben noch sterben können.

Durch die Kellerräume fließt die Düssel, dieses klägliche Wasser, um sich außerhalb der Akademie in den Rhein zu wälzen, welchen sie in ihrer nächsten Umgebung schwarz färbt. In stillen Abendstunden hört man deutlich auf den Gängen das unheimliche Glucksen und Schluchzen dieses unglückseligsten aller Gewässer.

An Direktor von Schadow empfohlen, wurde ich als Schüler und Famulus alsbald in seinem eigenen Atelier interniert. Er war ein lebensmüder, kranker, barscher Mann, mit feinem, scharfgeschnittenem Profil und seitwärts gesenktem Kopf. Bei guter Laune konnte Schadow von hinreißender Liebenswürdigkeit sein. Seinem durch und durch aristokratischen Wesen wird er die Direktion der Akademie zu danken gehabt haben; als Maler zählte er nicht. Er fühlte und gab sich aber als absoluter Herrscher. Auf der Akademie nannte man ihn schlechtweg »den Alten«.

Ich besuchte den Antikensaal; die übrige Zeit verbrachte ich anderthalb Jahre lang in seinem Atelier, ohne etwas zu lernen, trotz meines Fleißes. Sommer und Winter hindurch mußte ich die Pinsel waschen, so daß meine Hände gesottenen Krebsen glichen.

Mein erstes Debut in der Malerei waren zwei Reihen Orden, welche ich auf ein Bildnis des Generals von der Groeben zu malen hatte. Bei dieser Arbeit überraschte mich eines Tages mein Onkel Ludwig, der Philosoph, welcher auf einer Rheinreise begriffen war. Man nahm ihn in Düsseldorf mit Auszeichnung auf, sowohl von Seite der Künstler, als auch in dem Hause der Düsseldorfer Verwandten meiner Pflegdame, wo er zu einer Abendgesellschaft eingeladen wurde, was er wohl nur in Rücksicht auf mich annahm, und in welcher er sich sichtlich unbehaglich fühlte. Er war zerstreut, sprach wenig und das Wenige in hastig hervorgestoßener Weise, wie das so seine Art war, wenn er sich unbehaglich fühlte.

Ich gestehe, daß mich dies zum erstenmal über den Kreis, in dem ich lebte, nachdenklich machte, und nachdem ich soweit gekommen war, fing ich an, das Benehmen meines Onkels einigermaßen zu begreifen.

Andern Tages war er frisch und flink. Als er von mir ging, so eifrig und geschäftig, den linken Arm ein wenig hebend, wie ein Vogel, der auffliegen will, in der rechten Hand sorgsam sein Reisetäschchen tragend, da schaute ich ihm freudig und mit herzlicher Anhänglichkeit nach. Später fand ich in meiner Tasche einen Taler, der vorher nicht darinnen gewesen war.

Um diese Zeit wurde mir aufgetragen, eine lebensgroße Schaufel nach der Natur in ein auf der Staffelei befindliches Schadowsches Bild zu malen. Herr von Schadow schlief nebenan auf seinem Feldstuhl. Beim Erwachen sagte er heftig: »Schwerenot! Dämpfen Sie die Glanzlichter; die Schaufel ruiniert mir das ganze Bild!«

In den ersten Wochen mußte ich ein Porträt von Hasenclever, Schadows Schwiegersohn, zur Übermalung mit Malbutter einreiben. Ich butterte das Bild dergestalt ein, daß des andern Tages Augen und Haare in schwarzen Strömen herabgeflossen waren. Seit jener Zeit bin ich mit Einsalbungen vorsichtiger geworden.

Eine zu blaue Luft hinter einem heiligen Longinus brachte mir die Prophezeiung ein, daß ich für Kolorit kein Talent besitze.

Ich war in dieser akademischen Zeit grenzenlos fleißig und von einer unbehaglichen Gewissenhaftigkeit.

Briefauszüge

Düsseldorf, 14. April 1845

»Am 9. April kam ich gegen Mittag in Düsseldorf an, ward auf das freundlichste empfangen und in ein artiges kleines Zimmer geführt, das die Aussicht in ein Gärtchen hat, und in dem ich gleich heimisch war. Herr und Frau Trenelle sind sehr gut gegen mich; ich bin prächtig aufgehoben.

Noch denselben Abend wurde ich zu Direktor von Schadow gerufen, der im Kreise seiner Angehörigen und Freunde dasaß, wie ein Fürst von seinem Hofstaat umgeben. Ich machte meine Kratzfüße mit einigem Herzklopfen. Er gab mir die Hand und sah heiter aus. Ich glaube auch, daß er einen Witz machte und selbst darüber lachte. Dann wandte er sich ernsthaft um und sprach zu mir: »Aus Ihren Zeichnungen sieht man das Talent, aber Sie müssen« usw. »Es ist unumgänglich notwendig, daß Sie« usw. Er redete in ernsthaftem, langsamen Ton und sehr eindringlich, wie mir schien. Darauf wurde musiziert, und ich verabschiedete mich, sobald ich konnte.

Als mich Herr Trenelle zum erstenmal ins Atelier brachte, sagte Herr von Schadow sehr wenig, machte keine Scherze mehr und setzte mir ein Gipsstück auf. »Da, zeichne dies!« Ich tat es mit Eifer und Gewissensangst. Nachher hieß es: »Nehmen Sie Ihre Anatomie und kommen Sie.« Er voraus, läuft, ohne sich umzusehen; ich hinterdrein, durch Gänge, über Treppen mit vielen Wendungen, bis in das Atelier des Anatomielehrers, Professor Mücke: »Dieser junge Mensch hat Anatomie. Sehen Sie, ob er sich Ihrem Kurs anschließen kann.« Und damit Punktum! Herr Mücke war sehr artig. So zeichne ich in Schadows Atelier seit zwei Tagen von Morgens früh bis Abends spät. Ich habe einen ganz dämonischen Eifer.«

Einige Tage später

»Es war mir gesagt, daß ich in den Antikensaal kommen würde. Das ist nun doch nicht geschehen, sondern ich soll in Herrn von Schadows Atelier unter seiner besonderen Aufsicht bleiben. Das einzige, was ich fürchte, ist, daß ich durch Schadows Güte gar zu sehr gebunden sein werde. Doch wird sich dies wohl fügen; ein Glück muß es ja doch wohl sein, daß er sein Augenmerk so auf mich gerichtet hat, obschon ich lieber einfacher Klassenschüler geworden wäre. Ich habe die Pinsel zu waschen, die Palette zu richten, den Ankauf der Farben zu besorgen und was dergleichen mehr ist. Es nimmt wohl viele Zeit weg, aber ich tue es gern und lerne dabei. Ist doch Raffael selbst einmal Farbenreiber gewesen.«

Oktober 1845

(Auf die Rückseite eines mit Sepia gezeichneten Germanenlagers geschrieben.) »Nehmt mit diesem Auswurf meiner Idee vorlieb! Wie erbärmlich ist doch diese Zeichnung gegen das Bild, wie es in meinem Innern lebt. Der Gedanke ist mir peinlich, es nicht so machen zu können, wie ich will. Ach, wäre meine Idee verwirklicht, was sollte das nicht für ein Bild sein! Edel, schön, großartig! Aber so ist es eine kleine Zeichnung, ohne Feuer und Leben, mit erbärmlicher Ausführung. Doch wer weiß, vielleicht komme ich langsam dazu, wenn ich studiert, wenn ich Übung habe! Ich kann ja noch nichts. Raffael träumte von seinen erhabenen göttlichen Bildern und Michel Angelo; dies waren die großen unsterblichen Meister. Ich träume nichts davon, aber es lebt beständig in mir fort. Ich sehe es vor Augen, ich sehe die Figuren sich bewegen, ich könnte es zeichnen; es ist wirklich kein Traumbild, das mich umgaukelt, es steht vor mir; es lebt und webt in mir; aber wenn ich es fassen will, dann verfliegt es mit Tücke.«

Ohne Datum, wahrscheinlich im Frühjahr 1846

»Wenn ich allein bin, dann ist mir, als wisse ich, was Kunst ist, und ich bilde mir ein, man könne Künstler sein, ohne einen Strich zu tun. Da ist die Kunst etwas Wohltuendes, Beruhigendes, Inniges. – Komme ich aber zu anderen Malern oder gar auf die Akademie, dann sind plötzlich alle Ideale eingesunken. Da stehen die Professoren, denen man es am Gesicht ansieht, daß sie erfahrene Leute sind, die nie unrecht haben. Dann komme ich mir erbärmlich vor, und die Schwierigkeiten wachsen riesengroß.


Schadow verlangt immer großartige Ideen in der Komposition, und die Ausführung will er nach gewissen Regeln haben, die er mit dem Lineal anzugeben weiß. Ich habe nie gedacht, daß man Kompositionen machen kann, die einem nicht von selbst einfallen.

Zuweilen gehe ich insgeheim zu Lessing, der noch der Beste ist. Er läßt der Komposition ihren Charakter und korrigiert, was da ist. »Die Kerls sollten stärker gefesselt sein«, sagte er neulich von einer Seeräuberkomposition; das habe ich verstanden; und er lamentiert nicht über das, was nicht da ist, wie Schadow, der mich mit seiner Güte und seinem Unverstand mutloser macht als durch seinen Zorn.

Professor Sohn ist krank und mag mich nicht leiden, weil der Direktor mich verhätschelt. Was soll ich tun?«

Ohne Datum (1846)

»Sie halten mich für hochmütig und meinen, ich überschätze mein Talent; und es ist doch nur die grenzenlose Freude an der Arbeit, die mir diesen Anschein gibt. Den Rückschlag freilich, der auf die Begeisterung folgt, den kann ich besser verbergen, oder man hält mich dann für launisch. Wie viele mißlungene Versuche zerrissen, verschmiert werden, das weiß niemand. Meine Hand kann meinen Gedanken nicht nachkommen, das ist das Ganze, und ich weiß nicht, ob sie es je lernen wird.

Wenn sie nur nicht alle so alt wären! Es ist mir, als hörte ich sagen: »Man war eben jung und wollte übersprudeln, aber jetzt, jetzt haben wir das Wahre, jetzt, wo der Vulkan erloschen ist, haben wir das gediegene Silber.« – Und jetzt weiß ich, daß sie dann nur die Schlacken haben, eine versilberte Technik ohne Geist. – Siehst Du, der Gedanke ist schrecklich, daß man dazu kommen kann, die goldene, liebe Jugend wie eine Torheit zu belächeln. Diese Prosa besitzt jetzt unser großer Lessing in sich. Er malt in dem Bewußtsein: Du kannst es, Du bist der Lessing! – Jawohl, alles in Kontur und Farbe ist richtig und vollkommen; er ist ein Maler, aber seine jugendliche Seele ist fort. Und so ist es: So lange der Geist der Form nicht mächtig ist, steht er erhaben da. Später, wenn ihn die Form zu beherrschen anfängt, gibt er kleinbei. Aber noch später, wenn der Geist die Form beherrscht? Wie dann?« »Esperance! Eternamente Giòvine!«


Die Ferienreise nach der Heimat, im September 1840, trug mir, nach großen Kämpfen und Schwierigkeiten, die Befreiung von dem Dienste im Schadowschen Atelier ein, welcher mehr und mehr für mich zur Unmöglichkeit geworden war. Freilich verlor ich damit auch zugleich seine Gönnerschaft. Wie er mich früher durch Freundlichkeit und übertriebenes Lob verwöhnt hatte, so tadelte er mich jetzt in schroffer und schonungsloser Weise. Sein Stichwort war die falsche Meisterschaft, die jetzt Mode bei den jungen Helden sei, und für die er keinen Pfennig gäbe.

Schadows Urteil über meine letzte Komposition – ich glaube, es war Bacchus unter den Seeräubern – eine Idee, die mein Traum bei Tag und Nacht in Düsseldorf wie später in München war, Schadows Urteil darüber lautete also folgendermaßen: »Es sei Talent darin, aber keine Vernunft. Das Edle und Große könne er mir nicht geben, das würde hervorgebracht durch den heiligen Geist und durch noch etwas, was er nicht nennen wolle.«

Ich war nun Klassenschüler und hatte die Aufgabe, das Vorurteil der Professoren und Mitschüler gegen meine vormalige Günstlingschaft allmählich zu entkräften.

Ziemlich befreundet war ich mit Mintrop, dem vierzigjährigen Bauernkinde. Damals war seine naive Natur noch echt. Später – eine Lockspeise eleganter Salons – war er Bauer genug, um den Naiven noch fortzuspielen. Er war glatt rasiert, mit gerollten Haaren und redete Jedermann per »Ihr« an.

Ich hatte viele Freunde in Düsseldorf, meinen Heidelberger Vetter, Karl Roux, und vor allen andern den Dresdner Genremaler, Eduard Seidel, dessen ernster, tiefer Sinn mich von manchen Torheiten zurückhielt, zu welchen ich mich häufig aufgelegt fühlte, denn ich war der jüngste und übermütigste meiner Genossen, und mein erwachender toller Humor erfreute sich einer Art persönlicher strafloser Sicherheit, auf die zu sündigen ich zuweilen sehr geneigt war. Ich lebte ziemlich selbständig; meine Zunge war scharf genug zur Abwehr lästiger Annäherungen, und es gelang mir, auch einige Übung in Dämpfung meines künstlerischen Gewissens zu erwerben. Die letzten zwei Jahre hatten mich äußerlich und innerlich sehr verändert. Mangel an Verständnis auf der einen und an Respekt auf der andern Seite ließen eine Wendung der Verhältnisse sehr wünschenswert erscheinen.

Kurz vor meinem Abgang von Düsseldorf teilte ich mit dem Maler Knaus ein Atelier der Meisterschule. Ganz zuletzt erst lernte ich Alfred Rethel kennen und schloß mich an ihn an. Als ich die Akademie schon verlassen hatte, sagte er mir: »Recht haben Sie freilich gehabt, denn sehen Sie, der Alte leidet manchmal an Kongestionen, die hält er für Gedanken.«

»Jehen Sie nach Paris zu Delaroche, sonst wird nischt aus Ihnen«, dies waren Schadows letzte Worte zu mir.

Die ganze Düsseldorfer Periode hindurch war ich in Pension bei Frau Trenelle, deren Mann, er war Direktor einer Gewehrfabrik, während meines Aufenthaltes im Hause starb. Frau Trenelle war eine gute, liebe, dicke Frau, zu leichter Rührung geneigt; ich werde sie stets in freundlichem Andenken halten. Mit Ausnahme von jeweiligen versottenen Schellfischen, unmöglichen Kartoffeln und wässerigem Kaffee, war ich vortrefflich bei ihr aufgehoben, und sie ließ mich in Frieden ziehen, ohne Vorwurf, ohne Verstimmung, obschon sie vielleicht zu beiden manchmal Ursache gehabt haben mochte.

Ich erinnere mich heute eines Abends in Düsseldorf. Das Wetter war schön, die Luft warm, die Nachtigallen sangen in allen Gebüschen. Es dämmerte, und ich saß am offenen Fenster. Draußen rauschten die Pappeln; sie neigten ihre Wipfel vor dem Winde in phantastischen Tänzen, und die Wolken zogen rasch darüber hin. Dahinter breitete sich schattengrau die Ebene aus, von künstlichen Flüssen durchfurcht. In jener Stunde hielt ich Einkehr in mich selber, und ich fand, daß die Welt viel zu schön sei, um in ihr die Stirne zu runzeln.

Die Rückseite der Akademie geht nach dem Rhein. Mit welcher Sehnsucht sah ich oft auf die hämmernden, pochenden Schiffe, die der Heimat zugingen. Immer aber werde ich des unauslöschlichen Eindruckes gedenken, wenn auf der ersehnten Heimfahrt bei Emmendingen die Eisenbahn den weiten Bogen beschrieb, die ganze so geliebte Schwarzwaldkette sich aufrollte und die feine Spitze des Freiburger Münsters in der Ferne sichtbar wurde, nach öden akademischen Jahren in der sandigen Ebene des Niederrheins.


 << zurück weiter >>