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Durch Vermittlung des Direktors des Österreichischen Museums in Wien, Herrn Hofrat v. Eitelberger, ward ich als Professor der Spezialschule für Historienmalerei an die Akademie nach Wien berufen und folgte diesem Rufe mit Beginn des Sommers 1873.
Der Abschied von Rom wurde mir schwer, und doch war mir die Veränderung nicht unerwünscht. Das stete Wandern von Rom nach Heidelberg und von Heidelberg nach Rom und das Hin- und Herschicken meiner unverkauften Bilder auf Kunstausstellungen erschien mir allgemach eintönig und langweilig. So hieß ich die neue Wendung, wenn auch mit geteilten Empfindungen, doch willkommen. Rom war mir dabei nicht verloren, denn ich hielt mein dortiges Atelier noch für zwei Jahre fest. Es war angefüllt mit Bildern, Skizzen, Zeichnungen – ein kleines Museum – und der Gedanke an diese Kunstheimat erleichterte mir den Übergang in die noch unbekannte Welt.
Ich trat die Wiener Stellung mit einem ernsten Zeichen an. Das Menetekel ward mir mit feurigen Buchstaben in die Seele geschrieben durch den Tod meiner lieben Schwester am 9. März 1873.
Wenige Monate darauf traf ich in Wien ein mit viel gutem Willen, wenig Erwartungen, ohne Vorurteil und bereit, die Dinge zu nehmen, wie sie sich geben wollten. Es war dies leichter gedacht als getan, und ich gestehe, daß es mir heute schwer wird, über jene Zeit Rechenschaft abzulegen. Mein bisheriger Plan, nur über künstlerische Dinge zu schreiben, wird dabei etwas beeinträchtigt werden, weil damals die Berufsinteressen und das gewöhnliche Tagesleben sich öfter und schärfer kreuzten, als dies in meinen früheren Verhältnissen der Fall war.
Die großartige und geräuschvolle Umgebung, die mich an Paris erinnerte, gefiel mir nicht übel und drückte mich nicht im mindesten. Ich fand mich leicht zurecht; auch der Tumult der beginnenden Weltausstellung schien mir nicht verwirrend. Ich besorgte alles Nötige ohne Hilfe allein, so wie ich es gewohnt war. Mein Einzug war sehr still, sehr bescheiden, man hatte nicht Zeit, sich um mich zu bekümmern; das war mir recht. Das damalige historische gräßliche Wetter focht mich nicht an.
Ich besuchte das Belvedere und die Katharina Cornaro, von deren Ausstellung im Künstlerhaus ich durch Riesenaffichen an den Mauern schon beim Einfahren unterrichtet wurde. Für mich persönlich waren die Schülerarbeiten an der Akademie das wichtigste, weil sie das Maß meiner eigenen Wirksamkeit bedingten.
Da das akademische Semester schon ziemlich vorgerückt war, hatte ich sehr bald Gelegenheit, der sogenannten Schulausstellung beizuwohnen, die überaus dürftig und kläglich ausgefallen war, so daß meine Hoffnungen fast bis auf Null herabsanken. Von den zahlreichen Schüleranmeldungen nahm ich acht bis zehn an, um mit dieser Zahl die Schule zu eröffnen. Da die Räume der alten Akademie für die gehörige Anzahl von Schülerateliers nicht ausreichten, so wurden die fehlenden mietweise in entlegenen Stadtteilen beschafft. Es war dies eine Einrichtung, welche mich zu stundenlangen Kreuz- und Querfahrten verurteilte; schlimm genug für den kommenden Winter.
Je bescheidener die Erwartungen waren, mit welchen ich den Unterricht begann, desto überraschender gestaltete sich alsbald der Erfolg. Ich fand wirkliche Talente in meiner Schule und kann mir den plötzlichen Aufschwung derselben nur daraus erklären, daß meine Schüler in mir einen Lehrer fanden, welcher, wenn auch selbst nicht mehr jung, doch jugendlich zu fühlen verstand und durch sein eigenes Beispiel im Schaffen den Schülern vorausging. Von Professorenwürde hatte ich freilich keine Spur an mir, allein, wenn dies ein Mangel war, so wurde er ersetzt durch das warme Interesse, welches ich selbst sofort empfand, und das durch die Achtung und Anhänglichkeit, durch den Lerneifer meiner Schüler reichlich erwidert ward.
Wenn dies hätte so fortgehen dürfen, so würden wir im goldenen Zeitalter gelebt haben. Ich kann mit aller Wahrheit sagen, daß die Liebe und Ergebenheit, deren ich mich in meiner Schule zu erfreuen hatte, der einzige ungetrübte Lichtpunkt in meinem Wiener Leben gewesen ist. Ich hatte bis dahin keine Ahnung von der Möglichkeit eines solchen Verhältnisses in unserer Zeit. Die Schule war sogar das einzige, vor dem ich stets eine gewisse Scheu empfand. Ich glaubte nicht entfernt daran, Lehrtalent zu besitzen; und nun wandten sich die Dinge so, daß meine Korrekturstunden mir die reinste Befriedigung gewährten, ja mich glücklich machten. Es ging mir alles leicht aus dem Kopfe und von der Hand, als wenn ein längst Vorhandenes, in mir selbst bisher Gebundenes plötzlich gelöst und frei geworden wäre. Meine Schüler waren mir wie jüngere Brüder; das Band einer gemeinsamen Genossenschaft machte sich in kürzester Zeit fühlbar.
Es war hier etwas im Entstehen begriffen, das zu dem schönsten, edelsten, fruchtreichsten hatte heranreifen können, was das Kunstleben überhaupt hervorzubringen imstande ist, wenn man uns Zeit gelassen hätte.
Die Begeisterung der jungen Leute, ihre wachsenden Fortschritte, die sich in den folgenden Schulausstellungen zeigten, und infolgedessen die freundliche Anerkennung von Seiten des Ministeriums erweckten mir vielleicht Gegner, oder diese waren schon früher vorhanden gewesen; genug, ehe ich mich dessen versah, stand ich einer feindlichen Phalanx gegenüber, von der ich bis jetzt nicht die geringste Ahnung hatte.
Die Ausstellung meiner großen Bilder, »Amazonenschlacht« und »zweites Gastmahl«, von welcher ich törichterweise einen günstigen Erfolg hoffte, sollte mich aus dem Traume erwecken. Es brach ein Sturm über mich los, der mich wenigstens über die Bedeutung der Bilder beruhigen konnte. Ich setzte mich nicht zu Tische ohne Spott- und Hohnkritiken, ohne Karikaturen – leider waren sie immer schlecht – neben meinem Kuvert zu finden, und ich legte mich nicht zu Bette, ohne von den Dachtraufen meine Niederlage erzählen zu hören.
Eigentlich hatte die Geschichte auch ihre komischen Seiten, und ich trug die Verunglimpfung, welche hauptsächlich die Amazonenschlacht traf, mit leidlichem Humor, um so mehr, als Ministerium und Schule sich nicht beeinflussen ließen.
»Das ist so bei uns in Wien«, sagte man mir zum Troste, und ich ließ es mir gesagt sein. Als später die beiden Werke in Berlin bei Sachse ausgestellt und mit Schweigen empfangen und verabschiedet wurden, war mir dies empfindlicher.
Die indessen von dem Ministerium angebahnten Verhandlungen über die Bestellung der Plafondgemälde für den glyptischen Saal der neuen Akademie nahmen lange Zeit in Anspruch und verursachten mir bei ihrem endlichen Abschluß durch das unbegreifliche Verfahren einer Wiener Finanzbehörde sehr peinliche Schwierigkeiten, bei welchen ich mich, wie es scheint, so ungeschickt benahm, daß man mir nachträglich das Schlimmste erzeigte, was man einem ehrlichen Menschen zufügen kann, indem man mich für geisteskrank ausgab.
Es liegt in diesem Vorgang ein verhülltes Etwas, dem näher zu treten ich kein Verlangen hege. Da ich weder zu wenig noch zu viel sagen möchte und die Berührung mir überdies Schmerz verursacht, so schweige ich gerne da, wo nicht mehr zu helfen ist.Eine unerklärliche Steuerforderung.
Körperlich war ich allerdings angegriffen und insofern reizbarer und aufgeregter, als es für meine Stellung heilsam war. So etwas pflegt indes leidenschaftlichen, künstlerisch begabten Naturen zuweilen zu begegnen, auch ohne Verrücktheit, es müßte sonst ein guter Teil unserer Kunstelite ins Irrenhaus gehören.
Man denke sich: Nahezu siebenzehn Jahre in Rom, dem ruhigen, stillen, für ideale Schöpfungen fruchtreichsten Boden der Welt, in Einsamkeit und unumschränkter Freiheit, ferne vom Tagestreiben des modernen Lebens, den Kopf erfüllt von Götterbildern und poetischen Kombinationen – und nun plötzlich in die bunteste und bewegteste der modernen Weltstädte gestürzt – nicht als harmloser genußfähiger Zuschauer, sondern als pflichtmäßig betrauter Berufsmann in einer absonderlich schwierigen Stellung, fremd, unerfahren, mit einem ungeduldigen, leicht verletzlichen Naturell begabt!
Ich hatte viel zu lernen und viel zu vergessen, war des guten Rates bedürftig und leider ohne Neigung, denselben einzuholen oder zu befolgen. Ich kannte die Deutschen, Nord- und Südländer, die Italiener und Franzosen, aber das Wiener Leben war mir fremd; doch erschien es mir heiter, anregend, ich fand – oder ich glaubte Freunde zu finden; die Schule blühte. – Es hätte alles gut werden können, wenn nicht kleinliche, häßliche Kämpfe mir den Boden geraubt hätten, ehe ich festen Fuß fassen konnte.
Man sagte mir: »Sie sind nicht en vogue, es ist ihre eigene Schuld«.
»Um in Wien Glück zu machen, muß man ein Wiener werden«.
»Eines können sie« (die Wiener nämlich), sagte mir ein angestellter Herr, als ich ihm einiges über meine neuesten Erfahrungen mitteilte, »trätzen könnens«.
Das Hervorheben des Temperamentes ist im allgemeinen bei den Österreichern auffällig. Was mich betrifft, so hatte ich Ursache, die Gemütlichkeit der Wiener zuweilen etwas ungemütlich zu finden.
Scherz bei Seite. Ich habe vollständig begriffen, daß ein Lessing oder Goethe in Österreich unmöglich gewesen wäre; selbst dem bescheidenen Grillparzer hat man den Lorbeer erst auf das Grab gelegt. Aber Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, die waren doch möglich?
Es ist in Wahrheit eine Fülle von Kunsttalent hier vorhanden, auch für die bildende Kunst; nur daß diese letztere leicht in Nebendingen stecken bleibt. Stoffe, Möbel, künstliche Lichteffekte werden vorwiegend als Hauptsachen behandelt. Für den Menschen, wie ihn Raphael und Michelangelo empfunden haben, ist kein Verständnis vorhanden.
Man glaubt in Wien Kunststil zu haben, weil man verschiedenen Stilen die Pforte öffnet, und doch krankt man an gewissen altmodischen Traditionen, die weniger der Sache als einem eingewurzelten Personenkultus angehören. Es existiert neben der Überschätzung mancher noch lebenden Koryphäen eine veraltete Konventionskunst, die sich in ihrer Unnatur von Geschlecht zu Geschlecht forterbt, ohne durch die Verbreitung weniger intensiv zu werden. Sie ist zurzeit vorzugsweise in Wien heimisch, und wie es eine »Gräcomanie« gibt, so möchte ich sie die Rahlomanie nennen. Sie nimmt neben dem Makartismus verhältnismäßig einen kleinen Raum ein und ist doch, wie ich leider aus Erfahrung weiß, ziemlich einflußreich.
Eine ernste, auf große Anschauung im historischen Fach gegründete Richtung ist nicht vorhanden, und ich darf nicht zweifeln, daß ich in solchem Sinne nach Wien berufen wurde. Mein erzwungener Abgang ist mir um so schmerzlicher, da ich aus Erfahrung weiß, wie sehr die dortige Künstlerjugend, bei unleugbarer Begabung, gerade einer solch strengen, gesetzmäßigen Anleitung zugänglich ist. Ich hatte gehofft, allmählich in meinen Beruf hineinzuwachsen und das zu leisten, was man von mir erwartete. Es sollte nicht sein; das Verhängnis war in Sicht!
Bis zum Schluß des Winters 1875 war ich beschäftigt, meine Bilder, Amazonen und zweites Gastmahl, für die Ausstellung in München vorzubereiten; desgleichen malte ich die erste Skizze zum Titanensturz und brachte die vordere Gruppe der Deckenbilder, Prometheus, Venus, Gäa und Uranos auf einen ziemlichen Grad der Vollendung.
Es geschah dies gegen den Frühling mit zu großer Anstrengung; denn ich erkrankte während der Arbeit und verließ Wien erst, als ich fühlte, daß der fernere Kampf gegen mein Übel fruchtlos sei. Einen Tag später vielleicht, und ich hätte meinen Einzug in das Wiener Hospital gehalten. Es hatte sich Gelenkrheumatismus und eine schleichende Lungenentzündung zugleich ausgebildet, und ich erreichte die Heimat als todkranker Mann.
Die letzten Tage und Nächte und die sechzehnstündige Reise werde ich nie vergessen.
Und nun genug! Wer Wien kennt und mich kennt, der mag zwischen den Zeilen lesen, was ich mit oder ohne Absicht übergangen habe.
Mir selbst aber ist es bei diesem Abschluß ein Bedürfnis, meinen wenigen treuen Freunden in Wien zu danken und meine Schüler zu grüßen. Ob diese Worte ihnen je zu Gesicht kommen werden, kann ich natürlich nicht wissen.