Gustav Theodor Fechner
Vorschule der Ästhetik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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XIV. Verschiedene Versuche, eine Grundform der Schönheit aufzustellen. Experimentale Ästhetik. Goldner Schnitt und Quadrat.

1) Versuche, eine Normal- oder Grundform der Schönheit aufzustellen.

Nach den, im vorigen Abschnitte angestellten, Betrachtungen gewinnt die Frage allgemeineres Interesse, welche Form- und Farbeverhältnisse überhaupt einen Vorzug der Wohlgefälligkeit vor anderen rücksichtslos auf Zweck und Bedeutung, kurz auf Assoziation, in Anspruch nehmen können, und an welchen Bedingungen der Vorzug hängt. Auch hat sich das Interesse dieser Frage, die hier bloß in Bezug auf die Form Verhältnisse verfolgt werden soll, schon hinreichend dadurch bewiesen, daß eine Untersuchung darüber von Vielen aus mehr oder weniger allgemeinen oder speziellen Gesichtspunkten angestellt worden ist, ohne freilich bisher zulänglich angegriffen worden zu sein und zulängliche Ergebnisse geliefert zu haben.

Vielmehr haben die bisher nach mehr oder weniger unzulänglichen Prinzipien und Methoden angestellten Untersuchungen zumeist nur zu einer einseitigen oder übertriebenen Bevorzugung gewisser Formen oder Formverhältnisse als allgemeiner Normalformen oder Normalverhältnisse der Wohlgefälligkeit oder Schönheit, wie des Kreises, des Quadrates, der Ellipse, der Wellenlinie, der einfachen rationalen Verhältnisse, des goldnen Schnittes geführt, denen sämtlich nur ein bedingungsweiser Vorzug oder ein Vorzug innerhalb gewisser Grenzen zuzugestehen ist, welchen es vielmehr gilt richtig abzuwägen, als ins Unbestimmte zu verallgemeinern. Vielfach aber hat man gemeint, mit solchen Formen die Schönheit sichtbarer Gegenstände so zu sagen abmachen zu können, ohne den viel wichtigeren Beitrag der Assoziation dazu sei es überhaupt oder in andern als nebensächlichen Betracht zu ziehen und bei der Untersuchung beide Faktoren recht zu scheiden, so daß, abgesehen etwa von Zeisings, wenn auch nicht einwurfsfreier, doch in gewisser Beziehung durch ihr Resultat wertvoller, Untersuchung alle jene Versuche im Grunde nur noch ein historisches Interesse haben.

Der Kreis namentlich hat seit Alters als die Linie der Vollkommenheit und hiermit Schönheit gegolten, wogegen Winkelman den Satz hat und zu begründen sucht "Die Linie der Schönheit ist elliptisch." — Hogarth hat die in einer Ebene sich windende Wellenlinie und im Raume sich windende Schlangenlinie als Linie der Schönheit und des Reizes aufgestellt, woneben er noch die auch bei Künstlern als Form der Gruppierung beliebte Pyramidalform bevorzugt. — Das Quadrat und überhaupt das Verhältnis 1 :1 ist neuerdings von Wolf in s. Beitr. z. Ästhetik der Baukunst als leichtest faßliches und hiermit ästhetisch vorteilhaftestes Dimensions- und Abteilungsverhältnis in Anspruch genommen worden, indes Andere, wie namentlich Heigelin (Lehrb. d. hohem Baukunst), Thiersch (Lehrb. d. Ästh.), Hay u. s. w. in dieser Hinsicht allgemeiner die einfachen rationalen Verhaltnisse überhaupt 1 :1, 1 :2 u. s. w., zum Teil mit Rücksicht darauf, daß diese Verhältnisse als Schwingungsverhältnisse in der Musik konsonieren, bevorzugen. Zeising macht das goldne Schnittverhältnis nicht nur als ästhetisches Normalverhältnis, sondern überhaupt als allgemeinstes Gestaltungsverhältnis der Natur und Kunst geltend, und sucht dasselbe insbesondre durch die Gliederung und Untergliederung des menschlichen Körpers wie der schönsten Architekturwerke durchzuführen. Noch einiger Ansichten, die nur der Kuriosität halber hier Erwähnung finden konnten (von Rober und Liharzek), ist in meiner Schrift "zur experimentalen Ästhetik" gedacht.

Der Begriff des von Zeising und seit Zeising so viel besprochenen goldenen Schnittes beruht darin, daß die kleinere Dimension eines Gegenstandes sich zur grösseren, also z B bei einem Rechtecke die kleinere Seite zur größeren verhält, wie die grössere zur Summe beider, oder, wenn es sich am Abteilungen eines Gegenstandes handelt, daß die kleinere Abteilung zur größeren sich verhält, wie die größere zur Summe beider oder zum Ganzen. Die kleinere Dimension oder Abteilung, welche in das Verhältnis eingeht, wird von Zeising Minor, die größere Major genannt. Untersucht man nun, welches Verhältnis der Minor zum Major haben muß, um dieser Bedingung zu entsprechen, so findet man, daß es eigentlich ein irrazionales Verhältnis wie das des Kreisumfanges zum Durchmesser ist, welches aber in roher Annäherung in ganzen Zahlen schon durch 3 5, nahe zureichend für das Augenmaß durch 5 8, in weiter steigenden Annäherungen durch 8 13, durch 13 21 u s. w dargestellt werden kann, Annäherungen, die sich beliebig dadurch steigern lassen, daß man die größere Zahl jeder vorgängigen Annäherung mit der Summe beider in Verhältnis setzt, wodurch man zu 21 34 u. s. f, kommt. Der genaue mathematische Ausdruck des goldenen Schnittverhältnisses ergibt sich durch eine quadratische Gleichung gleich , wovon das obere Vorzeichen dem Verhältnis des Major zum Minor = 1,61803 . . ., das untere dem Verhältnis des Minor zum Major = 0,61803 ... entspricht, womit die obigen Approximationen um so mehr übereinkommen, je höher sie steigen. Das goldne Schnittverhältnis hat eine ganze Reihe interessanter mathematischer Eigenschaften, deren Zusammenstellung gelegentlich in meiner Schrift: "Zur experimentalen Ästhetik" gegeben ist.

Als Fehler, welche gemeinhin (wenn auch nicht jeder von Jedem) bei den Versuchen zur Aufstellung ästhetischer Normal Verhältnisse begangen worden sind, lassen sich folgende aufzählen, die sich leicht durch spezielle Beispiele belegen lassen würden. a) Man baut zu viel auf theoretische Voransichten, denen keine hinreichende Evidenz oder bindende Kraft zukommt, bevorzugt etwa das Prinzip der Einheit vor dem der Mannigfaltigkeit oder umgekehrt, meint, Verhältnisse, die als Schwingungsverhältnisse musikalisch am wohlgefälligsten erscheinen, auch ins Gebiet der Sichtbarkeit als solche übersetzen zu können, oder glaubt selbst, in höheren philosophischen Gesichtspunkten einen Anhalt finden zu können, b) Man unterscheidet bei der erfahrungsmäßigen Untersuchung das, was auf Rechnung assoziativer Wohlgefälligkeit kommt, nicht hinreichend von dem, was der direkten zuzuschreiben. c) Man legt partikulären Bedingungen direkter Wohlgefälligkeit eine zu allgemeine und ausschließliche Bedeutung bei. d) Man berücksichtigt in der Erfahrung vorzugsweise nur die mit der Voraussetzung zutreffenden Fälle, e) Man hält sich an zu komplizierte Beispiele, als namentlich den menschlichen Körper und Bauwerke, bei welchen nicht nur die Wohlgefälligkeit der daran vorkommenden Formen und Verhältnisse assoziativ und kombinatorisch mitbestimmt ist, sondern die auch in ihren mannigfachen Dimensionen und zum Teil sehr unbestimmten Abteilungen der Willkür mehr oder weniger Spielraum geben, was man als Hauptverhältnis ansehen und wie man das Maß anlegen will. f) Man versäumt, das Experiment unter einfachst möglichen Bedingungen anzustellen, wodurch allein die Schlüsse, die sich aus Beobachtungen ziehen lassen, zu einer sicheren Entscheidung geführt werden können.

In der Tat lassen sich mit Erfolg verschiedene Wege einer experimentalen Ästhetik zur Ermittelung gesetzlicher Verhältnisse in diesem Gebiete und zur Entscheidung hierher gehöriger Fragen einschlagen, worüber meine Schrift: "Zur experimentalen Ästhetik" (Lpz. Hirzel), von der bisher erst der erste Teil erschienen ist, nähere Auskunft gibt. Hier würde ein näheres Eingehen darauf zu weit führen; doch gebe ich unter 3) wenigstens ein Beispiel der Anwendung einer der hierher gehörigen Methoden mit den daraus ziehbaren Resultaten, nachdem zuvor unter 2) einige Einwände berücksichtigt sind, welche sich gegen Untersuchungen in dieser Richtung überhaupt und gegen die Brauchbarkeit der damit zu erzielenden Resultate erheben lassen, denen zu begegnen sein möchte, um nicht dieses ganze Untersuchungsfeld von vorn herein bei Seite zu lassen.

2) Einwände, die sich gegen die Nützlichkeit experimental-ästhetischer Untersuchungen überhaupt erheben lassen, und Erledigung derselben.

Folgendes Einwände, denen hier Beachtung zu schenken:

Mögen gewisse Formen und Verhältnisse isoliert gedacht einen gewissen Vorzug der Wohlgefälligkeit vor anderen verraten, so kommen sie doch nie isoliert zur Verwendung, sondern stets mit nachbarlichen Formen und Verhältnissen sei es desselben Gegenstandes oder der Umgebung, oder mit ihnen selbst eingeschriebenen oder sie kreuzenden Formen; jede Form, jedes Verhältnis aber wird im Eindruck durch eine direkte oder assoziative Beziehung zu Formen und Verhältnissen mitbestimmt, welche mit ihm im Zusammenhange der Auffassung unterliegen, was ich (Abschn. IX Pkt. 12) die kombinatorische Mitbestimmung genannt habe, so daß, was für sich wohlgefällig ist, durch Zusammensetzung seiner Wirkung mit der von anderen Formen und Verhältnissen ungefällig oder umgekehrt erscheinen kann, oder Ein und Dasselbe je nach verschiedener Kombination gefälliger oder ungefälliger erscheinen kann, wie z. B. ein Kreis in einem Quadrate wohlgefälliger erscheint als um ein Quadrat, ein Kreis besser als eine Ellipse in ein Quadrat paßt, hingegen eine Ellipse besser als ein Kreis in ein Rechteck u. s. w. Was hilft es dann, kann man sagen, die an sich wohlgefälligsten Formen und Verhältnisse zu kennen, wenn sie sich in den Verwendungen nicht festhalten lassen, vielmehr jede neue Verwendungsweise das Resultat ändert.

Hierauf ist zu erwidern: a) daß in den meisten Verwendungen eine gewisse Form, ein gewisses Verhältnis einen dominierenden Einfluß hat, indem es die Hauptgestalt, das Hauptverhältnis eines Gegenstandes bestimmt und die Aufmerksamkeit vorwaltend vor einer gleichgültigen Umgebung und untergeordneten Nebenteilen anzieht. b) Was insbesondere den Einfluß der Umgebung betrifft, so wird bei Kunstwerken gewöhnlich durch Umrahmung und, so weit tunlich, absichtliche Herstellung einer gleichgültigen Nachbarschaft eine Isolierung künstlich bewerkstelligt, indes bei vielen anderen Gegenständen die Umgebung zufällig wechselt, was den kombinatorischen Einfluß im Ganzen kompensiert; denn indem er eben so oft in günstigem als ungünstigem Sinne wirkt, bleibt der Vorteil der direkten Wohlgefälligkeit, wie er ohne kombinatorischen Einfluß besteht, im Ganzen durchschlagend. c) Insofern der große Einfluß der Zusammenstellung einer Form mit andern Formen auf die Wohlgefälligkeit aber doch weder abzuleugnen noch überall beseitigen, vielmehr möglichst vorteilhaft zu benutzen ist, wird die Aufgabe einer Untersuchung über die Verhältnisse direkter Wohlgefälligkeit dadurch nicht aufgehoben, sondern erweitert, indem es nun auch den Einfluß dieser Zusammenstellungen zu ermitteln gilt; wie denn überhaupt nur dadurch Klarheit und Erfolg in diesen Teil der Ästhetik zu bringen ist, daß man untersucht, was jede Bedingung für sich leistet, und was aus der Kombination einer jeden mit anderen hervorgeht. Sind nun auch der Kombinationsweisen unzählige, so sind doch der Gesetze derselben nicht eben so unzählige; also hat sich die Untersuchung hauptsächlich auf deren Ermittelung zu richten. d) Der Einfluß der direkten Wohlgefälligkeit einer Form ist bei allen Wechseln assoziativer und kombinatorischer Mitbestimmung insofern als konstant anzusehen, als er selbst wenn er von solchen Mitbestimmungen an Stärke in gleichsinniger oder entgegengesetzter Richtung überboten wird, stets dabei als Hilfsgewicht oder Gegengewicht in Rücksicht kommt, wonach die direkt wohlgefälligere Form immer in Vorteil gegen die direkt ungefälligere bleibt, sei es, daß beide gleich gut oder gleich schlecht zur Umgebung passen, und die direkt minder wohlgefällige so zu sagen erst eine Schwierigkeit zu überwinden hat, um es einer direkt wohlgefälligeren durch besseres Passen doch an Wohlgefälligkeit zuvor zu tun; eine Schwierigkeit, die unter Umständen zu groß zur Überwindung sein kann. Außerdem gehen, wie schon oben berührt, die Mitrücksichten und Nebenrücksichten, welche veranlassen können, von den direkt wohlgefälligsten Formen und Verhältnissen abzuweichen, überhaupt wenn nicht in allen, doch in den meisten Fällen, ziemlich gleichwiegend nach den verschiedensten Richtungen, so daß die direkt wohlgefälligsten Formen und Verhältnisse immer ihren Wert so zu sagen als ästhetische Zentra behalten, von denen aus die durch Mitrücksichten gebotenen Abweichungen zu verfolgen sind, und zu denen nach Maßgabe zurückzukehren ist, als die Mitbestimmungen zurücktreten. Wie es nun für die Lehre vom Falle wichtig ist, den Schwerpunkt jeder Art von Körpern so wie Methoden seiner Bestimmung zu kennen, ist es für die Lehre vom Gefallen an den Formen wichtig, für jede Art derselben, welche sich als Hauptform geltend machen kann, als wie Rechtecke, Dreiecke, Ellipsen, Wellenlinien u. s. w. das ästhetische Zentrum, d. i. die am meisten direkt oder an sich gefallende Form zu kennen.

Auch durch die Bemerkung, daß Bildungszustand, Alter, Geschlecht, Individualität einen Einfluß auf die ästhetische Bevorzugung dieses oder jenes Verhältnisses haben können, wird der Kreis der Untersuchung nur erweitert, indem es gilt, diese Einflüsse mit in Rücksicht zu ziehen, und teils das durch alle Durchgreifende, teils das sich danach Modifizierende festzustellen; insofern es aber kurzen Ausspruch gilt, das was durchschnittlich für Erwachsene von mittlerem und höherem Bildungsgrade gilt, vor dem, was für das Kind und den rohen Menschen gilt, zu bevorzugen.

Nach Allem mag man den praktischen Nutzen von Untersuchungen, wie sie im Folgenden in einem Beispiel vorgeführt sind, nicht hoch anschlagen, das Gefühl des Künstlers vielmehr in jedem Falle der Anwendung der sicherste Führer bleiben; aber zur Kontrolle mancher ästhetischen Ansichten, Behauptungen, Theorien sind sie meines Erachtens von großem Vorteile; und die Kunstindustrie dürfte doch auch einigen praktischen Vorteil daraus ziehen können. Außerdem können sie in gewisser Beziehung zur Geschmacksprüfung von Individuen und zur ästhetischen Statistik dienen, wie ich in der Schrift z. exp. Ästhetik S. 605 ff. und dem "Bericht über das bei der Dresdener Holbeinausstellung ausgelegte Album" (Br. u. H. 1872) besprochen, habe, ohne hier näher darauf eingehen zu wollen.
 

3) Methoden ästhetischer Experimentaluntersuchung. Beispiel einer Ausführung der Methode der Wahl. Resultate insbesondere in Bezug auf goldnen Schnitt und Quadrat.

In mehrerwähnter Schrift zur exp. Ästh. S. 602 stelle ich drei Methoden zur Anwendung in unserem Untersuchungsfelde auf, die ich als Methode der Wahl, Methode der Herstellung und Methode der Verwendung unterscheide.

Nach der ersten läßt man viele Personen zwischen den, hinsichtlich ihrer Wohlgefälligkeit zu vergleichenden, Formen oder Formverhältnissen wählen, nach der zweiten das nach ihrem Geschmack Wohlgefälligste durch sie selbst herstellen, nach der dritten mißt man im Gebrauche vorkommende Formen oder Form Verhältnisse. Dies alles mit Vorsichten und Rücksichten zur möglichsten Vermeidung der unter 2) bezeichneten Fehler, worüber ich auf die Schrift selbst verweisen muß. Alle drei Methoden haben sich im Resultat möglichst zu kontrollieren. Hier werde ich mich beschränken, ein Beispiel der Ausführung der Methode der Wahl mit einer Kontrolle ihrer Resultate durch die Methode der Verwendung anzuführen. Zur Orientierung über die spezielle Absicht dieser Untersuchung aber ist Einiges vorauszuschicken.

Von vorn herein läßt sich als sehr allgemeines Prinzip direkter Formwohlgefälligkeit das früher besprochene der einheitlichen Verknüpfung der Mannigfaltigkeit aufstellen, indem sich demselben außer der Symmetrie auch die anderen (Abschn XIII Pkt 3) erwähnten Formen und Verhältnisse, welchen ein Vorteil direkter Wohlgefälligkeit zukommt, zwanglos unterordnen. Inzwischen läßt dies im Allgemeinen gültige Prinzip besprochenermaßen großer Unbestimmtheit im Einzelnen Raum, und vermöchte man den relativen Vorteil der Wohlgefälligkeit dieser und jener Formen danach nicht a priori vorauszusehen. Nehmen wir z. B. das Quadrat in Vergleich mit dem Rechteck. Im Quadrat ist die einheitliche Beziehung der Teile durch Gleichheit aller Seiten, aller Winkel und gleichen Symmetriebezug aller Seiten zur Mitte vollkommner durchgeführt als in jedem Rechteck, aber die Mannigfaltigkeit am geringsten. Das Prinzip läßt uns nicht entscheiden, ob im Rechteck durch die vergrößerte Mannigfaltigkeit mehr gewonnen als durch die verminderte Einheit verloren wird. Nehmen wir ein, nach dem goldnen Schnitt geformtes, Rechteck in Vergleich mit anderen Rechtecken. Das erste steht gegen die letzten dadurch in Vorteil, daß es einen höhern Einheitsbezug einschließt als diese; und es läßt sich wohl vermuten, daß es hierdurch auch einen Vorteil der Wohlgefälligkeit gewinne, da von den übrigen Wohlgefälligkeilsbedingungen des Rechteckes nichts dadurch verletzt wird; aber da höhere Einheitsbezüge schwerer faßbar sind als niedere, so fragt sich, ob dieser Vorteil erheblich oder überhaupt spürbar sei; und vollends fragt sich, ob bei Teilung einer Länge nach dem goldenen Schnitt nicht durch Verletzung des niederen aber faßlicheren Symmetriebezuges mehr verloren als gewonnen werde. Auch über diese Fragen läßt sich aus dem Prinzip der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen nicht entscheiden; und wenn man geglaubt hat, durch Philosophie darüber entscheiden zu können, so beweist sich die Unsicherheit dieses Weges dadurch, daß das auf demselben als allgemein gültig gefundene Resultat in der Erfahrung nicht eben so allgemein zutrifft.

Außerdem kann gefragt werden, ob nicht auch das Prinzip der musikalisch konsonierenden Schwingungsverhältnisse in Rücksicht komme, und einen Vorteil einfacher rationaler Verhältnisse beim Rechteck geltend macheJetzt, wo man auf Grund von Helmholtz’s Untersuchungen die Konsonanzverhältnisse in der Musik von Verhältnissen der Obertöne abhängig macht, wovon ein Analogon bei Seiten eines Rechtecks fehlt, läßt sich hieran freilich von vorn herein nicht mehr so denken, wie früher., ohne daß die Analogie allein hinreicht, ihn zu beweisen.

Durch ästhetische Experimente aber hat sich eine sichere Entscheidung dieser Fragen finden lassen, welche weder mit Wolff; noch Heigelin, noch Zeising völlig zusammentrifft. Um die Resultate vorweg zusammenzustellen, so sind es folgende, die zwar nicht alle, aber größeren Teils aus der folgends mitzuteilenden, Untersuchung hervorgehen, indes hinsichtlich der anderen auf die künftige Fortsetzung mehrerwähnter Schrift zu verweisen ist.

a) Unter allen rechteckigen Formen sind das Quadrat mit den ihm nächst stehenden Rechtecken einerseits und die sehr langen Rechtecke anderseits die ungefälligsten.

b) Das Quadrat scheint selbst von den ihm nächststehenden Rechtecken noch an Wohlgefälligkeit überboten zu werden, oder hat höchstens einen zweifelhaften Vorzug vor ihnen.

c) Die einfachen rationalen Verhältnisse, welche als Schwingungsverhältnisse den musikalischen Konsonanzen entsprechen, haben als Seitenverhältnisse des Rechtecks gar keinen Vorteil der Wohlgefälligkeit vor den, in minder kleinen Zahlen ausdrückbaren, musikalisch dissonierenden Verhältnissen.

d) Das nach dem goldnen Schnitt geformte Rechteck mit den nächststehenden Rechtecken hat in der Tat einen Vorteil der Wohlgefälligkeit vor den übrigen Rechtecken.

e) Eine geringe Abweichung irgend eines Rechtecks von der Symmetrie tut aber seiner Wohlgefälligkeit viel mehr Abbruch, als eine verhältnismäßig viel stärkere vom Verhältnis des goldnen Schnittes, und überhaupt ist der Vorteil desselben unverhältnismäßig weniger entschieden und spürbar, als der der Symmetrie.

f) In Betreff der Teilung einer horizontalen (der Verbindungslinie der Augen parallelen) Länge steht das goldne Schnittverhältnis in entschiedenem Nachteil gegen die Gleichteilung, worin wir ein Beispiel mehr von dem (Abschn. VI) bemerkten Falle haben, daß durch Aufsteigen zu einem höhern Einheitsbezuge unter Umständen der Verlust durch Verletzung des niederen nicht ausgeglichen werden kann.

g) In Betreff der Teilung einer vertikalen (oder allgemeiner auf die Verbindungslinie der Augen senkrechten) Länge, ändert sich nach Versuchen an Kreuzen zu schließen, die vorteilhafteste Teilung des Längsbalkens nach den Verhältnissen des Querbalkens; bei dem günstigsten Verhältnisse des Querbalkens zum Längsbalken aber ist nicht die Teilung nach dem goldnen Schnitt, sondern nach dem Verhältnis des kürzern zum längern Teile 1 : 2 die vorteilhafteste.

Hiernach kann ich nicht umhin, den ästhetischen Wert des goldenen Schnittes von Zeising überschätzt zu finden, womit ich doch das Interesse und Verdienst der Zeisingschen Entdeckung, daß diesem Verhältnis überhaupt ein beachtenswerter ästhetischer Wert zukommt, nicht leugne, ja ausdrücklich eine Entdeckung darin sehe. Auch will ich nicht leugnen, da meine Untersuchungen bei Weitem nicht ausgedehnt genug sind, um ein allgemein absprechendes Urteil in dieser Hinsicht zu fällen, daß unter besonderen Bedingungen, die aber erst zu ermitteln und genauer zu formulieren wären, sich ein Vorteil des goldnen Schnittes selbst als Abteilungsverhältnis geltend machen kann, namentlich wahrscheinlich dann, wenn eine nach dem goldnen Schnitt geteilte Länge sich mit einer anderen symmetrisch verbindet. Gewiß ist nur, daß der ästhetische Vorteil des goldnen Schnittes nicht so einfach hinzunehmen ist, als er uns von Zeising geboten wird.

Zur unmittelbaren Einleitung der Versuche noch folgende Betrachtung.

Gesetzt, man legte jemand ein genau rechteckiges und ein etwas windschiefes Rechteck vor, und fragte ihn, welches ihm ohne Rücksicht auf die verschiedene Anwendbarkeit beider Formen besser gefiele, so würde er keinen Augenblick anstehen, das genaue Rechteck vorzuziehen, und man auf diesem einfachsten Wege ein sichreres Resultat über den Vorteil der Symmetrie erhalten als durch Bezugsnahme auf komplizierte Anwendungen, wo die Wohlgefälligkeit durch assoziative und kombinatorische Nebenbedingungen mitbestimmt wird. Hätte nun der goldne Schnitt wirklich den ihm von Zeising zugeschriebenen großen Vorzug, hätte überhaupt ein Rechtecksverhältnis vor den anderen einen sehr entschiedenen Vorzug, so müßte sich dies bei einem entsprechend einfachen vergleichenden Experimente damit herausstellen, oder es wäre eben kein entsprechender Vorteil vorhanden. Ein zwar vorhandener doch minder entschiedener Vorteil aber müßte sich durch eine zwar nicht gleich ausnahmslose aber im Durchschnitt vieler Vergleichsfälle entschieden überwiegende Bevorzugung beweisen. Dies der allgemeine Gesichtspunkt des Versuches. Um aber demselben gleich eine gewisse Ausdehnung zu geben, wurde so verfahrenEine Versuchsreihe, wo immer nur je zwei Rechtecke (nicht aus Karton geschnitten, sondern in schwarzen Umrißlinien auf weißem Karton) mit einander verglichen werden, die ganze Reihe derselben nach gleichen Abständen der Seiten-Verhältnisse disponiert ist, und die längere Seite der Verbindungslinie der Augen eben so oft parallel als senkrecht darauf dargeboten wird, so wie eine entsprechende Versuchsreihe mit Ellipsen, wo statt der Verhältnisse der Seiten die der Achsen in Betracht kommen, habe ich zwar in Angriff genommen, bisher aber noch nicht weit geführt. — Die oben mitzuteilende Versuchsreihe ist noch nicht im bisher erschienenen ersten Teile der Schr. z. exp. Ästh. enthalten..

10 Rechtecke aus weißem Karton von genau gleichem Flächeninhalt (= einem Quadrat von 80 Millim. Seite) aber verschiedenem Seitenverhältnis, das kürzeste davon ein Quadrat mit dem Seitenverhältnis 1 : 1, das längste mit dem Verhältnis 2 : 5, dazwischen auch das goldne Schnittrechteck mit 21 : 34, wurden auf einer schwarzen Tafel ausgebreitet, und zwar in jedem neuen Versuche (mit einem neuen Subjekte) in neuer zufälliger Ordnung, kreuz und quer in verschiedenster Winkelstellung zu einander. So wurden sie im Laufe mehrerer Jahre Personen aus den verschiedensten, nur immer gebildeten, Ständen, von verschiedenstem Charakter, ohne Auswahl Solcher, denen vorweg ein guter Geschmack zuzutrauenDies aus dem dreifachen Gesichtspunkte, daß das Urteil über den Geschmack Anderer ein sehr subjektives ist, daß die Bestimmung über den durchschnittlichen Grad der Wohlgefälligkeit rücksichtslos auf Unterschiede des Geschmackes ihren eigenen Wert hat, und daß, da ein schlechter Geschmack vom guten eben so oft nach einer als der andern Richtung abweichen kann, zu hoffen ist, im Durchschnitt vieler Fälle ohne Unterscheidung des Geschmackes doch zu demselben Resultate zu kommen, als wenn man bloß Personen von gutem Geschmack zuzöge. Indem man aber nebenbei auf die Urteile der Personen, denen man einen besonders guten Geschmack zutraut, achtet, erhält man zugleich Gelegenheit zu prüfen, ob sich die so vorausgesetzte Übereinstimmung wirklich findet., etwa vom 16. Altersjahre an, wie sich solche gelegentlich zu den Versuchen darboten, vorgelegt, und die Frage gestellt, welches von den verschiedenen Rechtecken, unter möglichster Abstraktion von einer bestimmten Verwendungsweise, den wohlgefälligsten Eindruck mache, oft auch die Frage damit verbunden, welches den wenigst günstigen. Die Vorzugs- wie Verwerfungsurteile wurden summiert, für männliche und weibliche Individuen gesondert, und dabei die in folgender Tabelle gegebenen Zahlen erhalten, wobei zu bemerken, daß, wenn eine Person zwischen 2 oder 3 Rechtecken im Vorzug oder der Verwerfung schwankte, diese mit je 0,8 oder 0,33 notiert wurden, so daß doch jede Person im Ganzen nur mit 1 bei einem Versuche in Rechnung kam; daher die (zum Teil durch mehrfache Summierung entstandenen) Bruchwerte bei den Zahlen. Von männlichen Individuen sind solchergestalt im Ganzen 228, von weiblichen 119, von Verwerfungsurteilen 150 m. und 119 w. erhalten. Das quadratische Verhältnis ist durch Bezeichnung mit , und das goldene Schnittverhältnis durch Bezeichnung mit O besonders herausgehoben.

Tabelle über die Versuche mit 10 Rechtecken.

(V Seitenverhältnis, Z Zahl der Vorzugsurteile, z Zahl der Verwerfungsurteile, m. männlich, w. weiblich.)

V Z z Prozent Z
m. w. m. w. m. w.
1/1 6,25 4,0 36,67 31,5 2,74 3,36
6/5 0,5 0,33 28,8 19,5 0,22 0,27
5/4 7,0 0,0 14,5 8,5 3,07 0,00
4/3 4,5 4,0 5,0 1,0 1,97 3,36
29/20 13,33 13,5 2,0 1,0 5,85 11,35
3/2 50,91 20,5 1,0 0,0 22,33 17,22
34/21 O 78,66 42,65 0,0 0,0 34,50 35,83
23/13 49,33 20,21 1,0 1,0 21,64 16,99
2/1 14,25 11,83 3,83 2,25 6,25 9,94
5/2 3,25 2,0 57,21 30,25 1,43 1,68
Summa 228 119 150 95 100,00 100,00

Vor Diskussion der Resultate dieser Tabelle sage ich erst, wie sich die Personen bei den Versuchen verhielten.

Die meisten erklärten von vorn herein, je nach der Verwendung könne dieses oder jenes Rechteck das wohlgefälligste sein. Ich gestand dies zu, fragte aber weiter, ob sie nicht doch abgesehen von aller Rücksicht auf Zweck und Bedeutung das eine dieser Rechtecke vermöge seines anderen Seitenverhältnisses gefälliger, befriedigender, harmonischer, eleganter finden könnten, als das andere, und welches sie als die durchschnittlich wohlgefälligste Form vorziehen würdenTrotz der Vorschrift, nicht an bestimmte Verwendungen zu denken, mögen doch Gedanken an solche zum Teil unwillkührlich beim Urteil mitgespielt haben; ohne daß im Ganzen ein großer Nachtheil daraus erwachsen sein kann, weil durch alle Verwendungen hindurch der relative Vorteil der Wohlgefälligkeit der verschiedenen Verhältnisse sich seinerseits geltend macht, die Mitbestimmungen aber sich durch ihre verschiedenen Richtungen im Ganzen nahe kompensieren müssen.. Nun waren drei Fälle möglich. Entweder Alle oder die größere Mehrzahl verweigerte hiernach ein Urteil, weil kein Unterschied zu finden, oder es wurden zwar Urteile gegeben, die sich aber gleichgültig zwischen Bevorzugung und Verwerfung der verschiedenen Rechtecke zerstreuten, oder es zeigte sich nach Zusammenzählung aller Fälle, daß eine gewisse Art von Rechtecken ein so großes Übergewicht in der Zahl der Bevorzugten hatte, überhaupt eine solche Ordnung in der Reihenfolge der Bevorzugten herauskam, daß dies nicht von Zufälligkeiten abhängig gemacht werden konnte.

Der Erfolg war dieser: Nur in sehr wenigen Fällen wurde ein Urteil ganz verweigert, aber auch nur in wenigen Fällen, obwohl es deren einige gab, war das Urteil sehr entschieden und sicher. Meist fand längeres Schwanken statt; und wenn man sich schon für ein Rechteck entschieden hatte, zog man nachher manchmal bei demselben Versuch, sich korrigierend, noch ein anderes vor oder man blieb zwischen zwei, drei oder gar vier Rechtecken schwankendDie Fällung eines Vorzugsurteils wurde erleichtert, wenn man erst die ungefälligsten Rechtecke aussondern ließ.. Wurde der Versuch mit denselben Personen zu einer anderen Zeit, nachdem der Eindruck des frühern erloschen war, wiederholt, wie es einigemale geschah, so wurde statt des beim früheren Versuche vorgezogenen Rechtecks nicht selten ein anderes, dem Verhältnisse nach benachbartes, vorgezogen. Trotz dieser Unsicherheit im Einzelnen zeigt doch die obige Tabelle sehr entschiedene Resultate im Ganzen.

In der Tat wird man nicht ohne Interesse bemerken, wie vom goldnen Schnitte ab die Vorzugszahlen Z nach beiden Seiten abnehmen, die Verwerfungszahlen z nach beiden Seiten zunehmen, und zwar beides bei männlichen wie weiblichen Individuen, und daß das prozentuale Verhältnis des Z zur Gesamtzahl für O bei m. und w. fast ganz gleich ist. Auch reicht diese Tabelle hin, von den obigen Sätzen die Sätze a, b, c, d, e zu beweisen; man muß sich nur hüten, ihr mehr abgewinnen zu wollen, als sie hergeben kann. Wollte man eine Kurve der Wohlgefälligkeit nach einer solchen Tabelle entwerfen, so müßten nicht nur die Seitenverhältnisse der auf einander folgenden Rechtecke in gleichen Verhältnisabständen von einander stehen (d. i. ihre Logarithmen um gleiche arithmetische Differenzen von einander abweichen), sondern auch die Zahl der geprüften Rechtecke oberhalb und unterhalb des goldnen Schnitts einander gleich sein, was beides in obiger Tabelle nicht der Fall ist, aber bei etwaiger Wiederaufnahme dieser Versuche beobachtet zu werden verdiente. Daß es nicht bei den vorigen Versuchen geschehen, hatte den Grund, daß es mir Anfangs naher lag, zu prüfen, ob die in der Musik konsonierenden Verhältnisse den ihnen mehrfach zugeschriebenen ästhetischen Vorzug wirklich bewähren; und daß ich betreffs der Bevorzugung des goldnen Schnitts den Verdacht ausschließen wollte, sie hinge vielmehr an seiner Mittelstellung zwischen den Rechtecken bei den Versuchen als an seinem Gestaltvorzuge. Man wird aber nach den Ergebnissen der Tabelle sagen können, daß das den goldnen Schnitt (21 : 34 = 1,6195, genauer eigentlich = 1,6180) einschließende Intervall von Rechtecksverhältnissen, welches von 1,558 bis 1,692 reicht, ungefähr &frac13;(genauer 35,17p. C. als Mittel von 34,50 und 35,83 p. C.) der gesamten Vorzugsurteile vereinigt. Man muß nämlich die Zahl Z oder z, die einem Rechtecke der Tabelle beigeschrieben ist, mit auf den (logarithmisch zu bestimmenden) halben Verhältnisabstand zwischen seinen Nachbarintervallen verteilt denken.

Ungeachtet der Asymmetrie der Rechtecksreihe zu beiden Seiten des goldnen Schnittes sind doch auffälligerweise die Nachbarzahlen des goldnen Schnittes zu beiden Seiten sowohl männlicher- als weiblicherseits nahe gleich, was mir, wie ich gestehe, theoretisch noch nicht klar ist, wie es hat zu Stande kommen können. Außerdem ist interessant, daß, insoweit sich der Gang der Wohlgefälligkeitskurve aus der Tabelle voraussehen läßt, die männliche und weibliche Kurve im Gipfel bei O zusammenfallen, sich aber im weiteren Verlaufe schneiden, indem vom O ab die weiblichen Prozentzahlen erst kleiner, dann größer als die männlichen erscheinen.

Der Gang der Verwerfungsurteile stimmt durch seinen entgegengesetzten Gang wohl mit dem der Vorzugsurteile zusammen, und während Z im Maximum bei O ist, ist z hier null. Nur beim Quadrat zeigt sich eine Nichtübereinstimmung, indem die Z zwar nach dem Quadrat hin immer mehr sinken, am Quadrat selbst aber wieder etwas steigen, was dafür zu sprechen scheint, daß das Quadrat etwas wohlgefälliger als seine nächsten Nachbarn ist, wogegen die z das untere Maximum der Ungefälligkeit auf das Quadrat selbst fallen lassen.

Ich habe aber Grund, das letztre Resultat für maßgebender als das erste zu halten; denn die Bevorzugung des Quadrats seitens mancher Personen scheint nur davon abzuhängen, daß sie nach theoretischer Voransicht meinen, das Quadrat müsse das wohlgefälligste sein, weil es das regelmäßigste sei. In der Tat gaben einige Personen dies geradezu als Grund ihres Vorzuges an, ja es kam vor, daß eine Person erklärte, eigentlich müsse wohl das Quadrat als das schönste gelten, doch aber sich nicht entschließen konnte es zu bevorzugen, sondern ein anderes Rechteck wählteDer blinde Dr. v. Ehrenstein, musikalischer Komponist, dem ich , 5 :6, 2 :3, O, 13 :23, 1 :2 vorlegte, bevorzugte nach dem Tastgefühle und 13 :23 , welches letztere er für noch wohlgefälliger als l :2 erklärte, indem er es aber für dieses hielt. Offenbar spielte hier auch die theoretische Vor-Ansicht vom Werthe der musikalisch konsonirenden Verhältnisse eine Rolle.. Hiergegen war es interessant, die mannigfachen Motivierungen der Verwerfung des Quadrates zu hören, die im Laufe der Versuche zum Vorschein kamen; man erklärte es für das simpelste, das trockenste, das langweiligste, das plumpste, und eine geistreiche Dame, E. v. B., welche nicht verfehlte den (ihr wie allen Versuchssubjekten unbekannten) goldnen Schnitt zu bevorzugen, charakterisierte den Eindruck des Quadrates als den einer "hausbackenen Befriedigung".

Auch über manche andere Rechtecke wurden bei Gelegenheit der Bevorzugung oder Verwerfung charakteristische Äußerungen getan. Fräulein A. V., von sehr gutem Geschmack, nannte unter Bevorzugung von O die beiden längsten Rechtecke 2/1 und 5/2 "leichtsinnige Formen" und erklärte das kurze 6/5, indem sie es solidarisch mit jenen verwarf, für "gemein". An demselben Rechtecke wurde mehrfach getadelt, daß es fast wie ein Quadrat aussehe und doch keins sei; ja der blinde Herr v. Ehrenstein nannte es nach Anleitung des Tastgefühles eine "heuchlerische Form". Buchbinder Wellig sagte, unter schwankendem Vorzug zwischen O und 2/1 3/3, von den kürzesten Formen 1/1, 6/5, 5/4, 4/3 "sie hätten kein Verhältnis". Eine Dame zog 2/1 vor, "weil es so schön schlank sei". Der goldne Schnitt O wurde von mehreren Personen bei der Bevorzugung für das "nobelste" Verhältnis erklärt.

Im Ganzen kann ich wohl sagen, daß der goldne Schnitt vorzugsweise von solchen Personen vorgezogen wurde, denen ich auch übrigens einen guten Geschmack zutraute, nicht selten freilich auch eins oder das andere der beiden benachbarten. Ferner gehörten die Vorzugsurteile von O im Allgemeinen zu denen, wo die Person am wenigsten Unsicherheit verriet. Ja es gab Einige, die ihn mit völliger Entschiedenheit vorzogen.

Möglich aber, daß nach Maßgabe abnehmenden Bildungsgrades das Quadrat an relativer Wohlgefälligkeit steigt. Bei besonders angestellten Versuchen mit 28 Handwerkern verschiedenen Gewerbes waren die meist bevorzugten Rechtecke der goldne Schnitt mit 7 und das Quadrat mit 5 Vorzugsurteilen; nur daß auch hier theoretische Voransicht eine Rolle spielte, indem mehrere bezüglich des Quadrates sagten: "na ja das ist das regelmäßigste"; auch nahm das Quadrat unter den Verwerfungsurteilen die zweite Stelle ein, nämlich mit z = 4, indes 5/2 die erste mit z = 13.

Legt man kleinen Kindern bloß die beiden Formen O und , von gleichem Flächeninhalte, aus schön farbigem Papier, wie es Kinder lieben, vor, nicht mit der Frage, welches ihnen am besten gefalle, sondern mit der Erlaubnis, sich eines davon zu nehmen, so greifen sie tapsig nach einem oder dem andern, ohne daß es ihnen einen Unterschied zu machen scheint, und ohne daß schließlich ein erhebliches Übergewicht des Z nach einer Seite bleibt. So fand sich’s in Versuchen, die ich in zwei Kleinkinderbewahranstalten anstellen ließ, unter Beobachtung der Vorsicht, die Lage des O und rechts und links bei den verschiedenen Kindern zu wechseln, damit nicht das vorzugsweise Zugreifen mit der Rechten einen Unterschied mache, und O mit der Längsseite eben so oft der Verbindungslinie der Augen parallel als senkrecht darauf zu legen.

Unstreitig nun müssen die Wohlgefälligkeitsverhältnisse der verschiedenen Rechtecksformen sich auch in den Anwendungen geltend machen; nur daß teils Zweck, teils kombinatorische Einflüsse dabei mehrseitig abändernd wirken. In der Tat aber findet man, daß, insoweit keine Gegenwirkungen aus solchen Einflüssen entstehen, das goldne Schnittverhältnis und die nahe stehenden Rechtecke bevorzugt werden, hingegen die langen Rechtecke und das Quadrat mit den nahe stehenden Rechtecken unbeliebt sind. Dies lehrt schon der rohe Augenschein; außerdem aber habe ich viele Messungen an ganzen Klassen rechteckiger Gegenstände, wie sie im Handel und Wandel vorkommen, angestellt, welche es bestätigen, auf die ich jedoch hier nicht näher eingehe, um bloß folgende Resultate im Allgemeinen kurz zu erwähnen.

Man braucht nur die durchschnittlich vorkommenden Büchereinbände, DruckformateUnter Druckformat verstehe ich das Rechteck, was der Druck auf einer Seite eines Buches einnimmt., Schreib- und Briefpapierformate, Kassenbillets, Wunschkarten, photographischen Karten, Brieftaschen, Schiefertafeln, Schokoladen - und Bouillontafeln , Pfefferkuchen, Toilettenkästchen, Schnupftabaksdosen, Ziegelsteine u. a. anzusehen, um sogleich an den goldnen Schnitt dadurch erinnert zu werden, wenn man sich das Verhältnis desselben durch Anschauung hinreichend imprimiert hat, und bei Messung der einzelnen Exemplare aus diesen Klassen zu finden, daß sie meist nur wenig bald etwas diesseits, bald jenseits vom goldnen Schnitte abweichen.

Manche Arten von rechtwinkligen Gegenständen zwar zeigen vermöge dieser oder jener Nebenbedingung eine Abweichung in konstanter oder nahe konstanter einseitiger Richtung vom goldnen Schnitt; hierzu aber gibt es dann meist eine andre Art derselben Gegenstände, die vermöge einer anderen Nebenbedingung nach entgegengesetzter Richtung davon abweicht, so daß der goldne Schnitt als Zentrum der Abweichung dazwischen bleibt. So sind deutsche Spielkarten etwas länger, französische etwas kürzer als O, die Oktav-Druckformate gelehrter Bücher fast immer etwas länger, die von Kinderbüchern etwas kürzer als O, indes die Messung von 40 Romandruckformaten einer Leihbibliothek im Mittel fast genau den goldnen Schnitt gab. Gefaltete Briefe, wonach sich die Kuverts richten, waren, wie ich aus zahlreichen Messungen finde, noch vor etwa 50 Jahren durchschnittlich etwas kürzer, jetzt sind sie länger als O. Visitenkarten sind, weil sie sich nach der Länge des Namens zu strecken haben, durchschnittlich etwas länger, Adresskarten der Kaufleute und Fabrikanten, in denen mehrere kurze Zeilen sich über einander bauen, etwas kürzer als O . Wider Erwarten aber sind im Lichten des Rahmens gemessene Galleriebilder von verschiedenstem Inhalt, sowohl wo die Breite die Höhe als wo die Höhe die Breite übertrifft, durchschnittlich nicht unerheblich kürzer als O, wonach die Bedingungen des Inhaltes von Bildern für die Beibehaltung dieses Verhältnisses durchschnittlich nicht die vorteilhaftesten sein könnenDen Durchschnitt von Verhältnissen verstehe ich stets als Verhältnisdurchschnitt; so hergeleitet, daß ich zum arithmetischen Mittel der Logarithmen der Verhältnisse die Zahl in den Logarithmentafeln nehme. Hiermit stimmt der Zentralwert und dichteste Wert, auf den man auch reflektieren kann, nicht überall zusammen, worauf jedoch hier nicht näher einzugehen..

Die Ungefälligkeit des beweist sich in den Anwendungen allgemein damit, daß trotz des theoretischen Vorurteils, was, wie man gesehen, betreffs desselben besteht, und trotz seiner einfachen Konstruktionsweise dasselbe nur ganz ausnahmsweise angewandt wird. Auch braucht man sich jene Gegenstände, die als Belege für den Vorzug des goldnen Schnittes angeführt wurden, nur quadratisch zu denken, was durch den Zweck derselben wohl gestattet wäre, um den Eindruck der Ungefälligkeit davon zu erhalten. Zugleich scheint sich in den Anwendungen zu beweisen , daß das Quadrat in der Tat noch ungefälliger als die ihm nahe stehenden Rechtecke ist, indem man solche im Allgemeinen noch vorzieht, wo man überhaupt mit dem Verhältnisse tief herabgeht. Im Lichten rein quadratische Galleriebilder kommen zwar vor, doch äußerst selten, wogegen Portraitbilder sich im Allgemeinen quadratischen zwar nähern, doch immer etwas höher als breit sind. Das Druckformat in sog. Quart ist bei Büchern überhaupt das seltenste, ist aber nicht rein quadratisch, sondern, wie man sich überzeugen kann, immer etwas höher als breit. Was hätte gehindert, ein reines vorzuziehen, wenn ein Wohlgefälligkeitsvorteil damit zu erlangen. Bei Schachkästchen, Zuckerdosen und anderen etwas hohen Kästchen habe ich oft eine dem nahe, doch eben nur nahe Form der von oben gesehenen Fläche gefunden. Kopf- und Sitzkissen freilich findet man wohl immer rein quadratisch; aber das hängt an der Zweckrücksicht, daß nicht Material und Raum durch Überragung über den Körperteil, dem sie zur Unterlage dienen, nach einer Seite nutzlos verschwendet werden.

Wenn Wolff und Heigelin geltend machen, daß das Quadrat doch bei schönen Gebäuden im Grundriß und Aufriß in Anwendung komme, so ist zuvörderst im Allgemeinen zu bemerken, daß Architekturgegenstände wegen des dabei nicht leicht fehlenden Mitspiels von Zweckrücksichten und kombinatorischen Rücksichten überhaupt nur sehr vorsichtig zur Diskussion der reinen Wohlgefälligkeitsfrage zugezogen werden dürfen, ohne sie damit überhaupt davon ausschließen zu wollen; insbesondere aber, daß jene Fälle, auf die sich W. und H. berufen, nur sehr seltne Ausnahmen sind und als solche vielmehr gegen als für die Wohlgefälligkeit des beweisen. Gehen wir der Frage unter erforderlicher Rücksicht auf Mitbestimmungen bei Architekturgegenständen etwas näher nach; so verrät sich nach folgenden Bemerkungen die Ungefälligkeit des auch hier deutlich genug.

Unstreitig ist die den goldnen Schnitt an Länge erheblich übersteigende Form der gewöhnlichen Haus- und Stubentüren durch eine Bezugsetzung zur menschlichen Gestalt bedingt. Bei Toren palastähnlicher Gebäude, welche nicht nur zum Durchgang von Menschen, sondern zugleich als Einfahrten dienen sollen, fällt aber eine solche Beziehung weg, und würde kein Hindernis sein, sie quadratisch zu machen, wenn hierin ein Vorteil der Wohlgefälligkeit läge. Das findet man aber nie bei Palästen, sondern nur Scheunentore sind nach dem Augenschein ziemlich quadratisch, wo die Rücksicht auf Wohlgefälligkeit nicht mehr maßgebend ist; auch sagt sich jeder, daß eine solche Form eines Tores bei einem Palast nicht erträglich sein würde.

Bei Fenstern fragt sich, ob nicht ihre nahe und parallele Stellung zu einander einen kombinatorischen Einfluß auf ihr ästhetisches Verhältnis hat, und sich nicht dieses je nach ihrer Nähe zu einander ändern muß, worüber es noch ganz an Versuchen fehlt. Auch wird das Fenster im Lichten des Glases, die Fensteröffnung in der Mauer, und die Mauereinfassung des Fensters besonders zu berücksichtigen sein. Halten wir uns zunächst an die Maueröffnung, so sieht man dieselbe im Allgemeinen nicht sehr stark um den goldnen Schnitt schwankend, bei keinem Gebäude aber, was Anspruch auf architektonische Schönheit macht, den Eindruck eines Quadrates bieten, außer etwa in Souterrains oder höchsten Stockwerken, wo sie dann zugleich zur Abwechselung mit den rechteckigen Fenstern der Hauptstockwerke beitragen und selbst helfen, die dagegen untergeordnete Bedeutung der betreffenden Stockwerke zum Ausdruck zu bringen. Nur die Fensteröffnungen von Bauerhütten machen oft den Eindruck einer quadratischen Form, was damit zusammenstimmen würde, daß ein niederer Bildungsgrad dieselbe leichter bevorzugen läßt, als ein höherer.


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