Gustav Theodor Fechner
Vorschule der Ästhetik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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IX. Ästhetisches Assoziationsprinzip.

1) Eingang.

Unter Assoziationsprinzip verstehe ich ein Prinzip, dessen Wichtigkeit und Tragweite in der Psychologie längst bekannt und anerkannt, in der Ästhetik aber bisher im Ganzen wenig gewürdigt ist. Es wäre zu viel gesagt, daß es gar nicht darin gewürdigt sei; ja wie könnte es für die Ästhetik wichtig sein, wenn es nicht seine Wichtigkeit darin auch schon geltend gemacht hätte. In der Tat werden Leistungen des Prinzips überall anerkannt, weil sie überall auftreten, ohne freilich damit das Prinzip, woraus sie fließen, klar zu erkennen oder anzuerkennen. Man erinnert sich wohl seiner aus der Psychologie in der Ästhetik, aber vielmehr um es aus der Betrachtung des Schönen, als sich ungehörig in dieselbe einmengend, zu eliminieren, als zu seiner Erläuterung zu verwenden. Es ist wahr, die Engländer Locke, Home, Sayers, unter den Deutschen Oersted, vor Allen Lotze, haben ihm auch als ästhetischen Prinzip eine größere und gerechtere Beachtung geschenkt; aber nichts davon hat bei uns durchgeschlagen; nur die Vernachlässigung und Verwerfung davon hat bei uns durchgeschlagen. Kant hat in seiner Lehre von der sog. anhängenden Schönheit des Prinzips nur gedacht, um es in Sachen der reinen Schönheit außer Kredit zu bringen, hat seine Nachfolger darin gefunden, und nachdem man es von dieser Seite für abgetan erklärt, hat man sich auch von dieser Seite nicht weiter darum gekümmert. Schelling, Hegel und ihre Nachfolger haben es von vorn herein nicht getan; man könnte nach ihnen glauben, es existiere überhaupt nichts der Art. Was Herbart über das Prinzip sagt (s. No. 11), hat nur zur Mißachtung desselben beitragen können. Kein Wunder, wenn hiernach auch die Kunstkenner und Kunstschriftsteller, die von den Philosophen abhängen, nichts davon wissen oder wissen wollen; vollends die Künstler und Kunstlaien, die wieder von diesen abhängen. In der Tat, als ich im Jahr 1866 im Leipziger Kunstverein einen Vortrag über das Prinzip hielt, dessen wesentlichen Inhalt man im Folgenden, nur etwas erweitert, wiederfindet, erweckte er das Interesse der Laien, als würde darin etwas zugleich Problematisches und Neues, was sich aber doch hören ließe, dargeboten, machte ziemlich Fiasko bei den philosophisch geschulten Kennern, deren Gedankenkreise er zu stören drohte, und ein Abdruck davon in der Lützow-Seemann’schen Zeitschr. f. bild. Kunst (1866. 179) wurde vom Herausgeber anmerkungsweise als ein "origineller" Versuch, "eine neue Gottheit in die Ästhetik einzuführen", bezeichnet. So wenig neu und originell nun auch das Prinzip wirklich ist, so dürfte doch eine etwas eingehendere und nachdrücklichere Vertretung desselben in der Ästhetik, als ihm bisher zu Teil geworden ist, am Platze sein. Und so will ich gegenüber der seither vorherrschenden Nichtachtung und Mißachtung desselben zu zeigen suchen, daß so zu sagen die halbe Ästhetik daran hängt, nachdem übrigens schon früher Lotze sogar fast die ganze Ästhetik davon abhängig gemachtDies in sofern, als er selbst die Hauptwirkung der Musik einer allerdings sehr weiten Fassung des Principes unterordnet, bis wohin ich meinerseits seine wesentliche Tragweite nicht erstrecken möchte. (Vgl. S. 109 u. Abschn. XIII.); aber weil er kein System, sondern bloß eine Geschichte der Ästhetik und einige ästhetische Essay’sÜber den Begriff d. Schönheit und über die Bedingungen der Kunstschönheit. 1845 und 1847. Göttingen. Vandenhoeck und Ruprecht. gegeben, keine Gelegenheit gefunden oder genommen hat, das Prinzip so eingehend zu entwickeln, als hier geschehen wird.

Zwar verstehe ich eine so weit gehende Abhängigkeit nur aus gewissem Gesichtspunkte. Es kreuzen sich aber mancherlei allgemeine Gesichtspunkte in der Ästhetik, von denen sie sich halb oder mehr als halb abhängig machen ließe; und es wird nichts hindern, diesen anderwärts mit anderweiten Betrachtungen gerecht zu werden.

Unserem Gange von unten gemäß heben wir wieder mit der Erläuterung an einfachsten Beispielen an.

2) Beispiele.

Unter allen Früchten vielleicht die schönste, oder, wenn man den Ausdruck schön zu viel findet, für das Auge reizendste dürfte die Orange oder Apfelsine sein. Früher war dies sogar noch mehr als jetzt der Fall, wo sie sich auf allen öffentlichen Verkaufstischen ausgelegt, bei fast jeder Mittagstafel zum Dessert findet: denn jeder Reiz stumpft sich durch seine Häufigkeit ab. Ich erinnere mich aber wohl, welchen so zu sagen romantischen Reiz der Anblick dieser Frucht früher für mich hatte, und noch jetzt dürfte man ihr keine im Aussehen vorziehen.

Worin nun liegt das Reizende ihres Aussehens? Natürlich denkt jeder zunächst an ihre schöne reine Goldfarbe und reine Rundung. Und gewiß liegt viel hierin; vielleicht meint man sogar, daß Alles hierin liege. Ja, worin sollte es denn sonst liegen? Aber, wenn der Leser so fragte, so wäre dies ein Beweis, daß ihm unser Prinzip nicht präsent ist, oder sollte ihm noch etwas beifallen, so würde es sicher unter das Prinzip treten. Also möge man einen Moment überlegen, ob wirklich der ganze Reiz des Aussehens dieser Frucht in ihrer schönen Goldfarbe und reinen Rundung begründet ist!

Ich sage nein; denn warum gefiele uns nicht sonst eine gelb überfirnisste Holzkugel eben so gut wie die Orange, wenn wir wissen, daß sie vielmehr eine Holzkugel als eine Orange ist. Ja, trotzdem, daß die Orange eine rauhe Schale hat und Rauhigkeit im Allgemeinen minder gut gefällt als Glatte, wie sich beim Vergleich verschiedener Holzkugeln selbst beweist, und im Sinne eines früher besprochenen Principes liegt, so gefällt uns doch die rauhe Orange besser als die lackierte HolzkugelBurke in s. Abhandlung vom Schönen und Erhabenen sagt gar, freilich einseitig übertreibend: "Die Glätte scheint der Schönheit so wesentlich zu sein, daß ich mich nicht eines einzigen Dinges erinnere, das ohne dieselbe schön wäre. . . . Ein sehr beträchtlicher, und vielleicht der beträchtlichste Teil von dem Eindrucke, den die Schönheit macht, ist dieser Eigenschaft zuzuschreiben. Denn man nehme irgend einen schönen Gegenstand, und gebe ihm eine rauhe und höckrichte Oberfläche, und er wird uns nicht mehr gefallen. Dahingegen mögen ihm noch so viele von den andern Bestandteilen der Schönheit fehlen, er wird uns doch, wenn er nur diese hat, besser gefallen, als mit allen übrigen ohne dieselbe.".

Das kann nicht in einem Vorzuge der Wohlgefälligkeit der Form und Farbe an sich selber liegen; in dieser Hinsicht sind sich beide Gegenstände gleich, oder kann die Holzkugel selbst den Vorzug haben. Der Vorzug der Orange kann nur darin liegen, daß wir eben eine Orange, aber keine Holzkugel in ihr sehen, daß wir die Bedeutung der Orange an ihre Form und Farbe knüpfen. Die Bedeutung der Orange aber liegt freilich zum Teil selbst mit in Form und Farbe, doch keineswegs allein, vielmehr in der Gesamtheit dessen, was sie ist und wirkt, insbesondere in Beziehung auf uns selbst ist und wirkt. Wenn schon nun dem Sinn unmittelbar nur Form und Farbe präsent ist, so fügt die Erinnerung das Übrige; nicht einzeln, aber in einem Gesamt-Eindrucke hinzu, trägt es in den sinnlichen Eindruck hinein; bereichert ihn damit, malt ihn so zu sagen damit aus; wir mögen das kurz die geistige Farbe nennen, die zur sinnlichen hinzutritt, oder den assoziierten Eindruck, der sich mit dem eigenen oder direkten verbindet. Und darin liegt es, daß uns die Orange schöner als die gelbe Holzkugel erscheint.

In der Tat, sieht denn der, der eine Orange sieht, bloß einen runden gelben Fleck in ihr? Mit dem sinnlichen Auge, ja; geistig aber sieht er ein Ding von reizendem Geruch, erquickendem Geschmack, an einem schönen Baume, in einem schönen Lande, unter einem warmen Himmel gewachsen, in ihr; er sieht so zu sagen ganz Italien mit in ihr, das Land, wohin uns von jeher eine romantische Sehnsucht zog. Aus der Erinnerung an all das setzt sich die geistige Farbe zusammen, womit die sinnliche verschönernd lasiert ist: indes der, der eine gelbe Holzkugel sieht, eben bloß trocknes Holz hinter dem runden gelben Flecke sieht, das in der Drechslerwerkstatt gedreht und vom Lackierer angestrichen ist. Beidesfalls assoziiert sich der aus der Erinnerung resultierende Eindruck so unmittelbar an die Anschauung, verschmilzt so vollständig damit, bestimmt so wesentlich den Charakter derselben mit, als wenn er ein Bestandteil der Anschauung selbst wäre. Daher wir freilich leicht geneigt sein können, ihn mit als eine Sache derselben selbst zu rechnen, und nur durch Vergleiche, wie wir einen solchen eben anstellten, dahinter kommen können, daß er es nicht ist.

Ein anderes Beispiel:

Warum gefällt uns eine rote Wange an einem jugendlichen Gesichte so viel besser als eine blasse? Ist es die Schönheit, der Reiz des Rot an sich? Unstreitig hat das Anteil daran. Ein frisches Rot erfreut das Auge mehr als Grau oder Mißfarbe. Aber, frage ich wieder, warum gefällt uns hiernach ein gleich frisches Rot an Nase und Hand nicht ebenso gut wie an der Wange? Es mißfällt uns vielmehr. Der wohlgefällige Eindruck des Rot muß also bei der Nase und Hand durch ein mißfälliges Element überboten werden. Worin kann das liegen? Es ist nicht schwer zu finden. Die rote Wange bedeutet uns Jugend, Gesundheit, Freude, blühendes Leben; die rote Nase erinnert an Trunk und Kupferkrankheit, die rote Hand an Waschen, Scheuern, Manschen; das sind Dinge, die wir nicht haben noch treiben möchten. Wir möchten auch nicht daran erinnert sein.

Wäre umgekehrt von jeher die rote Nase und blasse Wange als Zeichen der Gesundheit und Mäßigkeit, die blasse Nase und rote Wange als Zeichen des Gegenteils erschienen, so würde auch die Richtung unseres Gefallens daran sich umkehren. Die Nordamerikanerinnen und Polinnen ziehen wirklich eine blasse Wange einer roten vor, und suchen sich nötigenfalls die blasse sogar auf Kosten ihrer Gesundheit durch Essigtrinken oder andere Mittel zu verschaffen. Meint man nun wohl, weil ihnen Blässe an sich besser gefällt als Röte? Gewiß nicht, sondern weil sie sich gewöhnt haben, in der blassen Wange das Zeichen einer feinen Konstitution, höheren Bildung und Lebensstellung, in der roten das einer bloß bäuerlichen Gesundheit zu sehen, und ersteres letzterem vorziehen. Aus gleichem Grunde erscheinen den Chinesen verkrüppelte Füße an ihren Damen wohlgefällig, die schönsten natürlichen bäuerlich plump, und geben sie ihren Götzen dicke Bäuche, weil sie gewohnt sind, die vornehmsten Würdenträger ihres Reiches mit dicken Bäuchen zu sehen, und die Vorstellung einer gewissen Erhabenheit über irdische Not und Arbeit, welche es freilich zu dicken Bäuchen nicht kommen läßt, daran knüpfen.

Ich hörte einmal eine Dame sagen, man könne die Schönheit eines menschlichen Fußes doch eigentlich nur recht beurteilen, wenn er beschuht sei. Gehörte nicht zu den Tugenden dieser Dame eine besondere Aufrichtigkeit, würde sie sich wahrscheinlich gescheut haben diesen Ausspruch zu tun, so kurios mag er den Meisten scheinen. Doch hat er etwas sehr Wahres. Wir lernen die Bedeutung des menschlichen Fußes fast nur kennen, während ihn der Schuh verbirgt, und sind nur über die Bedeutung des beschuhten Fußes recht orientiert. Nackt sehen wir ja fast nur den eigenen Fuß, der nicht immer der schönste ist, und den Fuß von Statuen, nach dem wir bei einer Statue am letzten zu sehen pflegen; also sind uns die Beziehungen des Fußes, die unser Gefallen daran mitbestimmen, beim nackten Fuße nicht eben so geläufig wie beim beschuhten; und, während zur Beurteilung der Schönheit des ersteren eine gewisse Kunsterfahrung gehört, bedarf es zur Beurteilung der Eleganz und Zierlichkeit des letzteren nur der gewöhnlichen gesellschaftlichen Erfahrung.

Eine Blinde, welche sich der Formen nur durch den Tastsinn bemächtigen konnte, wurde gefragt, weshalb ihr der Arm einer gewissen Person so wohl gefiele. Man ratet etwa: sie antwortete, weil sie den sanften Zug, die schöne Fülle, die elastische Schwellung der Formen des Armes fühle. Nichts von alle dem, sondern weil sie fühle, daß der Arm gesund, rege und leicht sei. Das konnte sie aber nicht unmittelbar fühlen, sondern nur an das Gefühlte assoziieren. Nun glaube ich nicht, daß der direkte Eindruck, in dem man den alleinigen Grund des Wohlgefallens sehen möchte, ohne Anteil daran war; aber man sieht doch, daß der assoziierte Eindruck ihr noch lebendiger zum Bewußtsein kam. Bei uns Sehenden ist es umgekehrt. Wir meinen einem schönen Arme seine Schönheit gleichsam abzusehen , ohne zu ahnen, daß wir das Meiste davon hineinsehen.

Nicht minder als durch das Gebiet des Sichtbaren und Tastbaren greift das Prinzip durch alle übrigen Sinnesgebiete durch, wozu folgende Einschaltung eine Auswahl weiterer Beispiele bietet.

Eine Frau, die ihren Mann sehr liebte, sagte zu ihm: wie freue ich mich, daß du einen so hübschen Namen hast. Der Name war nicht sehr hübsch, aber sie liebte den Mann, darum gefiel ihr der Name. Ich selbst erinnere mich, daß mir als Kind der Name Kunigunde sehr wohlgefiel, bis ich ein Mädchen von fatalem Aussehen und Charakter mit diesem Namen kennen lernte, alsbald ward mir der Name fatal; und da mir seitdem keine besonders liebenswürdige Kunigunde begegnet ist, so ist der Eindruck geblieben.

Das Froschgeschrei ist an sich nicht anmutig, und im Konzertsaale, wo es uns wesentlich um den eigenen oder direkten Eindruck der Musik zu tun ist, möchte man also auch kein Froschkonzert und keine quakende Sängerin hören. In der freien Natur aber gefällt uns das Froschgeschrei teils als Ausdruck des Wohlbehagens der Frösche, teils als Attribut des Frühlings. Sollte es Schmerz der Tiere ausdrücken oder im November statt im Mai gehört werden, so wäre es unausstehlich. Der Nachtigallengesang und der Ton der Alpenglocken gehören mit zu den Konzertstimrnen der freien Natur, die zwar nicht so wie das Froschgeschrei bloß, doch mit durch Assoziation uns weit über ihre eigene oder direkte Leistung ansprechen.

Früher hatte auch der Klang des Posthorns durch die Erinnerung an das Reisen, die er erweckte, einen Reiz, der mit seiner direkten musikalischen Wirkung in keinem Verhältnisse stand, wie ich mich noch sehr wohl aus meiner Jugendzeit erinnere. Jetzt ist sein Reiz so ziemlich auf seine geringe musikalische Wirkung herabgesunken, wenn nicht darunter gesunken, da man jetzt lieber mit Eisenbahnen reist. Die Post scheint uns jetzt eine Schnecke, indes sie uns früher Flügel in die Weite zu leihen schien.

Ein gebildeter Ökonom sagte mir, daß es ihm ein eigentümlich angenehmes Gefühl erwecke, in einen Viehstall zu treten und den Geruch des Mistes, wenn er eben aufgeräumt oder aufgerührt sei, zu verspüren, indem der Eindruck der Fruchtbarkeit, die durch den Dünger erzeugt werde, dadurch besonders lebhaft in ihm erweckt werde.

Der Braten in der Küche, das noch warme frische Brot, der frisch gebrannte Kaffee, Maronen auf den heißen Ofen gelegt, verbreiten einen Geruch, der den Meisten angenehm erscheint. Hier kann man fragen, ob diese Annehmlichkeit vielmehr an der Eigentümlichkeit des Geruches selbst oder des Genusses, dessen Vorstellung durch den Geruch erweckt wird, hängt; und ich gestehe, darüber bei mir selbst nicht ins Klare haben kommen zu können; so wenig scheidet sich hierbei das direkte und assoziierte Moment des Eindruckes.

In Persien kennt man den Gebrauch von Messer und Gabel nicht, und wenn ein Perser in ein Reisgericht greift, erkennt er gleich an dem Gefühl, ob der Reis schmackhaft zubereitet sei oder nicht. Dies geht so weit, daß ein persischer Schah gegen einen europäischen Gesandten äußerte, "er begriffe nicht, wie man in Europa sich der Messer und Gabeln bedienen könne, da doch der Geschmack schon bei den Fingern beginne." Aber nur assoziativ kann er dabei beginnen. Und so gut wie ein Schah fügt sich ein Hund dem Assoziationsprinzip. Burdach erzählt irgendwo: ein Hund, der so verwöhnt war, daß er trocknes Brot nicht fressen wollte, habe es doch getan, als vor seinen Augen ein trockner Teller damit abgewischt worden, indem er die sonst gewöhnlich mit dem Brote abgewischte Bratenbrühe mit zu schmecken geglaubt.

Aber, so höre ich mir von Oben herab zurufen: wozu dieser ganze Aufwand von Beispie-len? was ist damit für die Ästhetik gewonnen, und überhaupt zu gewinnen? Die Orange, die Wange, die Nase, die Hand, der Fuß u. s. w. sind unselbständige Teile der Natur und des Menschenkörpers; eine Ästhetik aber, die sich nicht niedrig halten will, geht vor Allem auf das Ganze und zieht die Teile bloß als solche in Betracht.

Wohl, so fassen wir die Bedeutung des Prinzipes weiterhin auch für die Schönheit einer ganzen Landschaft, der ganzen Menschengestalt, eines ganzen Kunstwerkes in das Auge, und wir werden sie nicht geringer als für die Teile, sondern in demselben Verhältnis erweitert und gesteigert wiederfinden, als das Ganze die Teile übersteigt. Es läßt sich nur das Prinzip am einfachsten an den einfachsten Beispielen erläutern, und wir können auf unserem Wege von Unten nicht in der Richtung gehen, die für den Weg von Oben als der allein mögliche erscheint. Vorbehaltlich also, künftig höher aufzusteigen, fassen wir erst auf Grund der bisherigen Beispiele die Hauptgesichtspunkte des Prinzips wie folgt zusammen.

3) Aufstellung des Prinzips.

Jedes Ding, mit dem wir umgehen, ist für uns geistig charakterisiert durch eine Resultante von Erinnerung an Alles, was wir je bezüglich dieses Dinges und selbst verwandter Dinge äußerlich und innerlich erfahren, gehört, gelesen, gedacht, gelernt haben. Diese Resultante von Erinnerungen knüpft sich eben so unmittelbar an den Anblick des Dinges, wie die Vorstellung desselben an das Wort, womit es bezeichnet wird. Ja Form und Farbe des Dinges sind so zu sagen nichts als sichtbare Worte, welche uns die ganze Bedeutung des Dinges unwillkürlich vergegenwärtigen; wir müssen freilich diese sichtbare Sprache eben so gut erst gelernt haben, um sie zu verstehen, wie die Sprache der Worte. Wir sehen einen Tisch, im Grunde nur einen viereckigen Fleck, aber in dem viereckigen Flecke Alles, wozu ein Tisch gebraucht wird: das macht den viereckigen Fleck erst zu einem Tische. Wir sehen ein Haus, aber in dem Hause alles mit, wozu ein Haus dient, was in einem Hause vorgeht; das macht erst den Fleck zu einem Hause. Wir sehen es nicht mit dem sinnlichen, aber mit einem geistigen Auge. Wir erinnern uns dabei nicht alles dessen einzeln, was zu dem Eindrucke beiträgt; wie wäre das möglich, wenn Alles zugleich Anspruch macht, in’s Bewußtsein zu treten. Vielmehr, indem es das will, verschmilzt es zu dem einheitlichen gefühlsmäßigen Eindrucke, den wir die geistige Farbe nannten, ein Ausdruck, der in mehr als einer Hinsicht sehr bezeichnend ist. Mischen wir noch so viel verschiedenartige Farben zusammen, so macht das Gemisch doch immer wieder nur den einigen Eindruck einer Farbe, die sich aber nach den Farbebestandteilen ändert, und, auf einen kompakten Farbengrund lasierend aufgetragen, abermals mit ihm einen einigen Eindruck gibt, der sich nach der Zusammensetzung von beiden richtet. So resultiert aus allen verschiedenartigen Erinnerungen, die sich an den Anblick eines Dinges knüpfen, doch immer nur ein einiger Eindruck, der aber nach der Zusammensetzung aus verschiedenen Erinnerungs-Ingredienzien verschieden ausfällt und mit dem direkten Eindruck des Anblicks auch wieder zu einem einigen Eindrucke verschmilzt. Nun kann selbst bei fast gleichem sinnlichen Eindrucke doch ein ganz verschiedener Totaleindruck durch die Ausmalung mit verschiedener geistiger Farbe entstehen, wobei ein kleiner sinnlicher Unterschied nur nötig ist die verschiedene Anknüpfung zu vermitteln. Eine Orange, gelbe Holzkugel, Messingkugel, Goldkugel, der Mond, alles für den Sinn nur runde, gelbe, nicht sehr verschieden aussehende Flecke, und doch wie verschieden der Eindruck, den sie machen. Vor der Goldkugel stehen wir mit einer Art kalifornischer Hochachtung, ganze Paläste, Kutsch’ und Pferde, Bediente in Livree, schöne Reisen scheinen sich daraus zu entwickeln; die Holzkugel scheint nur zum Kollern da; und welch’ hohe Idealität steckt in dem Monde! Zur Unterscheidung dieser Dinge führen nun eben teils die kleinen Verschiedenheiten, die wir an ihnen bemerken, teils die verschiedenen Umstände, unter denen sie auftreten. Eine Orange kann man nicht am Himmel und den Mond nicht auf einem Verkaufstische suchen. Fehlt es an solchen Unterscheidungszeichen, so fehlt es auch am verschiedenen ästhetischen Eindruck, und kann Unechtes den wohlgefälligen Eindruck des Echten machen, der aber gleich schwindet, wenn wir von der Unechtheit Kenntnis erlangen.

Nach Maßgabe nun, als uns das gefällt oder mißfällt, woran wir uns bei einer Sache erinnern, trägt auch die Erinnerung ein Moment des Gefallens oder Mißfallens zum ästhetischen Eindrucke der Sache bei, was mit anderen Momenten der Erinnerung und dem direkten Eindrucke der Sache in Einstimmung oder Konflikt treten kann, woraus die mannigfachsten ästhetischen Verhältnisse fließen, auf die wir schon mehrfach früher Gelegenheit gefunden haben und noch ferner finden werden einzugehen. Die stärksten und häufigsten Einwirkungen, die wir von einer Sache, in Verbindung mit einer Sache und vergleichsweise mit einer Sache erfahren, hinterlassen natürlich auch Erinnerungen, die am wirksamsten in den assoziierten Eindruck eingreifen.

Erinnerungen, einzeln genommen, bleiben freilich immer verhältnismäßig schwach gegen das, an was sie erinnern; aber indem viele Erinnerungen mit einem direkten Eindrucke zusammentreffen, sich darauf summieren, komponieren, kann der assoziierte Eindruck sehr stark und inhaltsvoll werden. An was Alles erinnert nicht die Orange und wie interessant ist das, woran sie erinnert, gegen ihre bloße Form und Farbe. Werden Erfahrungen sehr oft in demselben Sinne gemacht, so kann der assoziierte Eindruck, der sich daraus im Geiste sammelt, den direkten sogar endlich weit überwachsen, wogegen in Fällen, wo die Erfahrungen sehr unbestimmt und nicht selten gegensätzlich wechseln, der assoziierte Eindruck unbestimmt und schwach bleibt, indem das Gegensätzliche darin sich abschwächt oder hebt, wo dann der direkte Faktor als das Hauptbestimmende des Eindruckes übrig bleibt.

Wie weit jenes Übergewicht des assoziierten über den direkten Eindruck unter Umständen gehen kann, mag uns ein alltägliches Beispiel lehren. Hält man einen Finger in doppelte Entfernung vor die Augen, so meint man, ihn noch genau eben so groß zu sehen; und doch ist sein Bild in den Augen nur halb so groß und kann er einem frisch operierten Blindgebornen nur halb so groß erscheinen. Das aus unserer ganzen Lebenserfahrung fließende Wissen, daß er in jeder Entfernung gleich groß bleibt, übertäubt die sinnliche Erscheinung seiner Ungleichheit so ganz, daß wir ihn selbst mit den Augen in jeder Entfernung gleich zu sehen glauben. Übersteigen jedoch die Entfernungen unseren geläufigen Erfahrungskreis, so erscheinen uns die Gegenstände wirklich nach Maßgabe der Entfernung verkleinert, so Sonne und Mond in der Höhe und die Gegenstände von hohen Bergen herab. Ist es hiernach zu verwundern, wenn wir auch die aus frühem Erfahrungen resultierende Wohlgefälligkeit vieler Dinge für Sache ihrer sinnlichen Erscheinung halten, die vielmehr Sache unsrer geistigen Zutat ist.

So viel nach Vorigem auf den assoziierten Eindruck zu geben ist, muß man sich doch hüten, zu viel auf ihn zu geben, wozu man leicht verführt sein könnte, nachdem man einmal seine Wichtigkeit erkannt hat. Denken wir uns an der Orange statt der schönen goldgelben eine graue unscheinbare Farbe, statt der reinen Rundung eine schiefe krüpplige Form, so werden alle angeknüpften Erinnerungen sie nicht schön, nicht wohlgefällig erscheinen lassen; der direkte Eindruck hat auch sein Recht, und wir werden ihm dieses künftig ausdrücklich wahren. Aber deshalb darf man auch wieder nicht zu wenig auf den assoziierten Eindruck geben. Der Vergleich der Orange mit der Holzkugel, der roten Wange mit der roten Nase verwehrt es. Weder der direkte noch der assoziierte Eindruck leisten daran viel für sich; aber sie leisten viel im Zusammenhange, geben nach dem Hilfsprinzip ein größeres als bloß additionelles Produkt des Wohlgefallens, und dieser Erfolg des Hilfsprinzips wiederholt sich überall, wo direkter und assoziierter Eindruck gleichsinnig zusammentreffen, daher sich auch der Anlaß oft wiederholen wird darauf zurückzukommen.

4) Assoziation durch Ähnlichkeit.

Da Ähnliches, Verwandtes wechselseits an einander erinnert, so überträgt sich der assoziierte Eindruck dadurch leicht vom Einen auf das Andre; und wenn uns ein Gegenstand ganz neu entgegentritt, hängt sogar der ganze assoziierte Eindruck von solcher Übertragung ab, indes bei Gegenständen, mit deren eigener Bedeutung wir durch das Leben sehr vertraut sind, der Einfluß der übertragenen Assoziationen gegen den der eigens anhaftenden sehr zurücktritt. Auch können von verschiedenen Seiten her übertragene Assoziationen sich in der Hauptsache aufheben oder stören, und dadurch den eigens anhaftenden das Feld lassen.

Als nach Leipzig zum erstenmale ein Lama kam, sah jeder dasselbe mit Wohlgefallen an, ungeachtet niemand vorher ein solches Tier lebend gesehen hatte. Warum? Weil seine Füße an alles Schlanke, Leichte, Rege, seine Augen an alles Sanfte, Fromme, sein Haar an alles Ordentliche, Reinliche, Reichliche, Warme erinnerten.

Die gelbe Holzkugel aber überträgt deshalb nicht ihren Eindruck der Trockenheit, mechanischen Entstehung u. s. w. auf die Orange, weil wir mit deren anders beschaffener Natur durch das Leben vertraut genug sind, außerdem alle runde gelbe Körper Anspruch machen, ihre Assoziationen auf die Orange mit zu übertragen, die doch von dieser oder jener Seite her gar nicht mit denen der Holzkugel übereinstimmen.

Anstatt einseitigen Übergewichts aber kann sich auch ein Streit der eigenen und übertragenen Assoziationen im Eindrucke geltend machen, in welchem der Sieg schwankend bleibt. Nehmen wir z. B. eine künstliche Blume. Die Ähnlichkeit mit der wirklichen Blume läßt sie als ein Lebendiges erscheinen und alle Assoziationen der wirklichen Blume möchten sich darauf übertragen; aber das assoziative Gefühl, daß sie doch vielmehr künstlich gemacht sei, läßt jene Assoziationen nicht recht zur Geltung kommen, ohne sie ganz bannen zu können. Das gibt einen Streit, den jeder empfindet, auch wenn er ihn sich nicht klärt. In gewisser Weise freuen wir uns der Künstlichkeit, wie jeder wohlgelungenen Nachahmung, um so mehr, als etwas Wohlgefälliges dadurch nachgeahmt wird, in gewisser Weise aber wird das Wohlgefallen, was wir an einer natürlichen Blume haben würden, dadurch verkürzt, daß wir uns die künstliche doch nicht mit den wirklichen Vorzügen der natürlichen vorstellen können.

5) Ergänzende Assoziation.

Die Assoziation kann nicht bloß ausmalen, sondern auch ganze Stücke ergänzend zufügen, und hieran hängt es viel öfter als an Verhältnissen des direkten Eindruckes, daß uns etwas zusammen oder nicht zusammenzupassen scheint.

Es sei in einem Bilderbuche die Figur eines Tieres, z. B. Hundes, halb verdeckt gegeben, so daß nur Kopf oder Körper sichtbar ist, so wird die assoziierende Vorstellung zum Kopf des Hundes dessen Körper, oder zum Körper dessen Kopf ergänzend fügen, mit mehr oder weniger Bestimmtheit, je nachdem man die betreffende Hunderasse mehr oder weniger aus Erfahrung oder anderen Abbildungen kennt; nur daß die assoziative Ergänzung den direkt sichtbaren Teil doch niemals in Bestimmtheit erreichen wird. Werde nun der verdeckte Teil aufgedeckt, so wird er uns zu dem vorher erblickten und dieser zu jenem zu passen oder nicht zu passen scheinen, je nachdem er unserer Assoziationsvorstellung in den Grenzen der Bestimmtheit, die sie nun eben hat, entspricht oder widerspricht, und hieraus nach dem Prinzip der Einstimmigkeit ein Gefühl der Befriedigung oder Nichtbefriedigung hervorgehen können, das unter Umständen eine erhebliche Stärke zu erreichen vermag. Was sich nun aber hier zwischen zwei Teilen zeigt, von denen der eine von vorn herein offen vorliegt, der zweite nachträglich hierzu der Anschauung geöffnet wird, tritt auch ein, wenn beide von vorn herein offen vorliegen. Jeder macht assoziationsweise gewisse Forderungen an den anderen, je nach deren Erfüllung oder Nichterfüllung wir das Gefühl der Einstimmung oder des Widerspruches haben, und es gehört wesentlich zu jedem schönen Werke, daß sich nirgends ein solcher Widerstreit geltend mache, d. h. jeder Teil die durch die Totalität der übrigen erweckten assoziativen Forderungen befriedige, indes es gegenteils zum guten Geschmacke gehört, so gebildet zu sein, um nur assoziative Forderungen zu machen, die es auch wirklich recht ist zu machen.

Jeder Baustil fordert aus allgemeinen ästhetischen und struktiven Rücksichten eine gewisse innere Konsequenz, und es kann ein Teil dadurch, daß er aus dieser Konsequenz heraustritt, das Mißfallen des Kenners verdienen; aber selbst ohne Kenntnis der Forderungen dieser Konsequenz und selbst ohne wirkliche Verletzung einer solchen wird jeder Teil, der sich aus einem Baustil in einen anderen verirrt, worin er nicht heimisch ist, ohne Weiteres mißfallen, indem den assoziativen Forderungen, die der Gesamtstil des Gebäudes an jeden seiner Teile geltend macht, dadurch widersprochen wird. Auch hat man Recht dergleichen zu verwerfen, selbst wenn es an sich nicht verwerflich wäre; denn ist die assoziative Forderung einmal durch eine sehr allgemeine Tatsache begründet, so hat man dieser Tatsache auch Rechnung zu tragen.

Warum aber, so kann man fragen, mißfällt uns nun doch eine Sphinx, ein Centaur, ein Engel mit Flügeln nicht, lauter Kompositionen, in denen Teile zusammengefügt sind, die in der Natur nicht zusammen vorkommen, also sich auch nicht auf Grund unserer Erfahrungen in unserer Vorstellung assoziativ fordern können. Aber, was die Natur niemals zusammengefügt hat, hat die Kunst so oft getan, daß es uns endlich auch zusammenpassend erscheint, obwohl eben nur in der Kunst, indes es uns in der Natur Grauen erwecken würde. Und gar leicht kommt doch die assoziative Forderung der Natur mit der der Kunst bei solchen Darstellungen in Konflikt. So geistreich die Illustrationen von Reinecke Fuchs mit halb menschlich halb tierisch aussehenden und sich behabenden Figuren sein mögen, und so sehr sie uns aus anderen Gesichtspunkten gefallen mögen, es bleibt doch etwas Störendes dabei.

Fragt man aber weiter: wie konnte überhaupt die Kunst darauf kommen, Zwittergestalten zu bilden, deren Anblick von vorn herein beleidigen mußte, so ist die Antwort die: niemals wäre sie daraufgekommen, wenn sie von vorn herein im Dienste der Schönheit gestanden, der man sie jetzt als leibeigene Sklavin dienstbar gemacht; statt dessen hat sie von vorn herein im Dienste der Religion gestanden, und deren anfangs ungefüge und ungeheuerliche Ideen nicht anders als in entsprechend ungefügen und ungeheuerlichen Bildungen auszudrücken gewußt. Nun sind wir längst über diese Ideen hinaus, immer noch aber scheint uns der Kopf zum Körper der Sphinx zu passen, so fest hat die Gewohnheit beide assoziativ verschmolzen.

6) Zeitliche Assoziation. Verstandes- und Gefühlsurteile.

Wenn zwei Personen ein Gebäude ansehen, dessen Dach auf zu schwachen Stützen ruht, so kann es sich treffen, daß dem Einen sein Verstand, dem Anderen sein Gefühl sagt, daß sie brechen werden, und Beide danach dasselbe mißfällige Urteil über diese Bauweise aussprechen. Der Unterschied zwischen beiden Urteilenden aber ist der, daß jener sich der Erfahrungen oder Regeln über die Tragkraft der Säulen, welche sein Urteil vermitteln, bewußt ist, dieser nicht. Doch wird man wohl zugeben, daß es auch diesem nicht angeboren sei, einer Säule anzusehen, ob sie Tragkraft genug für ihre Last hat, daß also dieses schnelle Absehen doch ein Resultat früherer Erfahrungen ist, was sich beim Anblick des Bauwerks unmittelbar geltend macht. — Wenn jemand ein Kind sich so weit nach Vorn überbeugen sieht, daß dessen Schwerpunkt nicht mehr unterstützt ist, so springt er schnell zu, weil ihm ein reflexionsloses Gefühl sofort sagt, daß das Kind fallen wird. Auch hier wird man wohl zugeben, daß eine stille Vermittlung durch frühere Erfahrungen zu Grunde liegt, wenn man in Betracht zieht, daß ja das Kind selbst — und früher war man doch auch ein Kind — noch nicht einmal das Gefühl hat, wie es seinen eigenen Schwerpunkt legen muß, um aufrecht stehen zu bleiben. Erst durch Übung kommt es dahinter. Also ist das, was wir hierbei Gefühl nennen, in der Tat nur Sache einer, durch frühere Erfahrungen vermittelten, schnellen Assoziation, wodurch sich die Vorstellung des zu erwartenden Zerbrechens der Säule an die Vorstellung der zu großen Dünne, die Vorstellung des zu erwartenden Falles an die Vorstellung des gegenwärtigen Vornüberbeugens knüpft. Die einzelnen Erfahrungen sind aus unserm Gedächtnis geschwunden, ihr Resultat im assoziativen Gefühl ist geblieben.

Also nicht bloß räumliche auch zeitliche Zusammenhänge können sich in der Vorstellung wiederspiegeln und dadurch unwillkürliche Erwartungen der Zukunft entstehen, die in der Ästhetik insofern eine Rolle spielen, als der Lust- oder Unlustgehalt der Folge dadurch gleich in den Eindruck der Ursache übertragen werden kann.

Insofern man allgemein einen Unterschied zwischen Verstandes- und Gefühlsurteilen danach macht, daß man sich bei erstem der Gründe des Urteils bewußt ist, bei letzteren nicht, sieht man aus Vorigem, wie Gefühlsurteile überhaupt durch Assoziation vermittelt werden können. Dabei aber kann es verschiedene Grade der Klarheit geben. Allgemeingesprochen mißfallen uns zu dünne Säulen. Der Eine aber weiß nicht einmal, aus welchem Gesichtspunkte sie ihm mißfallen, es assoziieren sich einfach an den Anblick mißfällige Momente, und ohne daß er diese Momente zu scheiden und zu klären vermag, kann er ihr Resultat in einem Verwerfungsurteile aussprechen; der Andere weiß, sie mißfallen ihm deshalb, weil sie Zerbrechen drohen, der Dritte weiß auch, weshalb sie Zerbrechen drohen. Bei dem Ersten tritt der Verstand ganz gegen das Gefühl zurück, bei dem Dritten ist das Gefühl für den Verstand so zu sagen ganz durchsichtig.

Bietet uns die Erfahrung oft Umstände, die nicht wesentlich zu einander gehören, doch oft mit einander in Verbindung dar — an die Stelle der Erfahrung aber kann auch wohl öftere und eindringliche Belehrung treten — so entsteht eine falsche Assoziation und hiermit ein falsches Gefühl; es knüpft sich dadurch im Geiste zusammen, was in der Natur der Dinge nicht verknüpft ist, und legen wir danach gefühlsweise den Dingen Bedeutungen bei, die sie nicht haben, wonach uns etwas gefallen kann, was mißfallen sollte, und mißfallen, was gefallen sollte.

7) Assoziativer Charakter einfacher Farben, Formen, Lagen.

Nicht bloß ganzen konkreten Gegenständen, auch sinnlichen Eigenschaften, anschaulichen Verhältnissen, als wie Farben, Formen, Lagen, kommt mit dem direkten Eindrucke ein assoziativer zu, der von der Gesamtheit der Gegenstände, an denen die Eigenschaft, das Verhältnis sich findet, abhängt und von da auf andere Gegenstände übertragbar ist. Trägt nun auch dieser Eindruck nicht überall an sich einen ästhetischen Charakter, so kann er doch andersher stammende ästhetische Eindrücke charakteristisch mitbestimmen, und verdient daher in der Ästhetik mit betrachtet zu werden.

Wo nun, wie häufig, dieselbe Eigenschaft an Gegenständen verschiedenster Art, in verschiedensten Beziehungen, vorkommt; kann dieser Eindruck keine gleiche Bestimmtheit und Kraft haben, als der Eindruck konkreter Gegenstände, deren Vorkommen und Wirken an bestimmte Verhältnisse gebunden ist; wohl aber kann er durch besondere Verhältnisse und in besonderen Modifikationen solche erlangen.

Inzwischen bedarf der assoziative Eindruck selbst derjenigen Farben, Formen und Lagen, bei welchen derselbe am deutlichsten hervortritt, im Allgemeinen der Unterstützung sei es durch einen gleichsinnigen direkten Eindruck, sei es andere assoziative Momente, soll er sehr entschieden werden, und vermag seinerseits nur eine Unterstützung in diesem Sinne zu leisten, ohne aber gegen einen entschiedenen Widerspruch von anderer Seite her seinen Charakter durchsetzen zu können.

Es gibt gelbe Dinge, die uns angenehm sind, wie der Wein, und solche, die uns zuwider sind, wie die gelbe Sucht; es gibt solche von hoher Bedeutung und großem Werte, wie die Sonne, der Mond, die Krone, das Gold, und solche von gemeiner Bedeutung, wie eine sandige Ebene, ein Stoppelfeld, Stroh, welkes Laub, Lehm. Wir begegnen dem Gelb an Kleidern, am Schwefel, an der Zitrone, am Kanarienvogel, überhaupt an den verschiedensten Gegenstän-den, in den verschiedensten Verwendungen; wie soll daraus ein sehr entschiedener assoziativer Charakter des Gelb im Allgemeinen hervorgehen, da entgegengesetzte Einflüsse sich neutralisieren. Also scheint nur der direkte Eindruck des Gelb in Betracht zu kommen. Aber das ändert sich, wenn wir zu bestimmten Modifikationen des Gelb übergehen und hiernach die Beispiele sondern. An einem Teile derselben, der sandigen Ebene, dem Stoppelfelde, dem Stroh, dem welken Laube, dem Lehm begegnet uns in großer Ausdehnung, in häufiger Wiederholung, ein fahles, mattes, kraftloses Gelb immer mit dem Eindrucke, daß wir gemeine irdische Dinge von niedriger uns wenig interessierender oder selbst wenig zusagender Bedeutung vor uns haben; an einem andern Teile, der Sonne, dem Monde, den Sternen, der Krone, dem Golde ein glanzvolles Gelb immer mit dem Eindrucke, daß wir Juwelen des Himmels oder Macht und Reichtum bedeutende Kostbarkeiten der Erde vor uns haben.

Nun sprechen fahle matte kraftlose Farben überhaupt das Auge schon direkt wenig an, indes glänzende helle an sich erfreulich für das Auge sind; assoziativer und direkter Nachteil wie Vorteil stimmen also beidesfalls zusammen. Da uns aber das gemeine fahle Gelb mit dem Nachteile seiner Bedeutung viel öfter und in viel größerer Ausdehnung begegnet als das glanzvolle Gelb mit dem Vorteile seiner Bedeutung, so wird es hieran wenigstens mit hängen, daß uns das Gelb allgemeingesprochen in einem gewissen Nachtheil gegen andere Farben, für die Entsprechendes nicht gilt, erscheint,Vielleicht steht es auch in einigem direkten Nachtheil gegen andere Farben, doch mag ich dies nicht sicher entscheiden.so daß wir es selbst vorziehen, wie C. Hermann sinnreich bemerkt,Grundriß d. allg. Ästh. 79. — Man wird in dieser Schrift und in der "Ästhetischen Farbenlehre" des Verf. überhaupt manche interessierende und anregende Bemerkung über den ästhetischen Farbeneindruck finden; wenn ich auch denselben nicht überall beistimmen möchte. den gelben Wein blank oder weiß, das gelbe Gold rot zu nennen, um bei diesen von uns geschätzten Gegenständen die unwillkommene Assoziation zu vermeiden. Aus demselben Grunde wird man nicht gern von einer gelben Sonne, gelben Sternen, sondern nur von einer goldnen Sonne, goldnen Sternen sprechen.

Vom Grün kann man im Allgemeinen sagen, daß es uns ein gewisses Naturgefühl erweckt, well die Natur im Ganzen und Großen grün ist; indes am Eindruck eines gesättigten Rot unstreitig die Erinnerung an Blut und Glut, an dem des Rosa die Erinnerung an die Rose vorzugsweisen Anteil hat, weil diese Farben an diesen Gegenständen uns nicht nur besonders häufig, sondern auch mit besonderm Anspruche an unsere Aufmerksamkeit entgegentreten.

Eine grüne Zimmerwand, ein grüner Papierbogen erwecken uns freilich, selbst wenn sie ganz die Farbe des Grases oder Laubes tragen, kein Naturgefühl, denn die Umstände, unter denen wir das Grün hier beobachten, stehen in zu starkem Widerspruch mit der Erinnerung an die freie Natur; doch wird man immer noch sagen können, daß eine grüne Zimmerwand verhältnismäßig mehr den Eindruck der Naturumgebung macht, als eine rote, gelbe oder blaue, und dieser Eindruck steigert sich, wenn auch der Fußboden mit grünen Teppichen belegt, die Tische grün behangen sind, weil wir uns dann unter ähnlichen direkten Verhältnissen befinden, als in der Umgebung von Wald- und Wiesengrün, womit die Erinnerung daran kraftvoll entsteht. Ein in solcher Weise eingerichtetes Zimmer meiner eigenen Wohnung wird von meinen Bekannten scherzweise die grüne Schweiz genannt.

So denkt auch Niemand hei der roten Wange eines jungen Mädchens an Mord und Brand; der Eindruck des Rot ist hier durch eine zu allgemeine Erfahrung für diese Art des Vorkommens gesichert; wenn wir hingegen eine rote Feder am Hut eines kräftigen Mannes sehen, die an dieser Stelle eben so gut weiß oder blau sein könnte, so werden wir geneigt sein, ihm vielmehr einen wilden als sanften Sinn beizulegen. Und so wird überhaupt der assoziative Charakter der Farben sich nach den mitbestimmenden Umständen ändern können. Es ist in dieser Beziehung mit den Farben wie mit mehrdeutigen Worten. Ihre assoziative Bedeutung muß aus dem Zusammenhange erhellenAuch dies ist schon triftig von C. Hermann bemerkt.. Nur sind die Farben allgemeingesprochen vieldeutiger als die Worte.

Das Blau begegnet uns in sehr großer Ausdehnung am Himmel, am Meer und an Seen, wenn eine heitere Ruhe in der Natur liegt; und es ist kein Grund, daß sich der assoziative Erfolg davon nicht im Eindrucke des Blau mit geltend machen sollte. Aber auch direkt findet sich das Auge in einer sanften Weise durch das Blau beschäftigt, und man wird hier wie überall, wo direkter und assoziativer Eindruck in gleichem Sinne gehen, nicht wohl sicher scheiden können, was auf Rechnung der einen und anderen Ursache kommt.

Worauf überhaupt die Austeilung der Farben in der Natur beruht, wissen wir nicht, wenn schon sich naturphilosophisch darüber spekulieren läßt. Für die Verwendung derselben Seitens der Menschen hingegen lassen sich mancherlei Motive finden, auf die hier einzugehen nicht der Ort ist; nur daß der einmal auf eine oder die andere Weise erlangte assoziative Charakter dann für die fernere Verwendung mitbestimmend ist, indem er nicht minder als der Charakter des direkten Eindrucks beiträgt, eine Verwendung passend oder unpassend erscheinen zu lassen, je nachdem er zum Charakter der Verwendung selbst stimmt oder nicht stimmt. Durch häufige Verwendung aus diesem Gesichtspunkte aber wird der assoziative Charakter nur immer mehr gefestigt und gesteigert.

Hiernach kann man die grüne Farbe der Gartenstühle und Gartentische nur passend finden, insofern als sie den Eindruck der Naturumgebung verstärkt, da sie assoziationsweise selbst an das Naturgrün erinnert und hindert, daß von anderen Farben her andere assoziative Eindrücke sich geltend machen, vorausgesetzt, daß man wirklich den Eindruck einer völligen Versenkung in die Naturumgebung, so zu sagen eines Aufgehens darin, zu erzeugen sucht. Aber man kann es umgekehrt vorziehen, vielmehr den Eindruck einer gegensätzlichen Ergänzung der Naturumgebung durch die Anstalten eines geselligen Verkehrs vorwalten zu lassen, dann wird man Weiß dem Grün vorzuziehen haben.

Die Rhapsodisten, welche die Ilias absangen, kleideten sich rot zur Erinnerung an Schlachten und Blutvergießen, wovon die Ilias hauptsächlich handelt, die aber, welche die Odyssee absangen, meergrün, um an die Reisen des Ulysses zur See zu erinnern.Winkelmann, Vers. üb. d. Allegorie. S. 101. Die rote Mütze paßt dem Jakobiner, die rote Fahne dem Kommunarden nicht bloß deshalb, weil Rot aufregender als jede andere Farbe ist, sondern auch, weil sie an Blut und Brand erinnert. Und wer möchte einem Räuber oder gar dem Mephistopheles, den man in der höllischen Glut selbst wohnend denkt, ein wasserblaues Kleid, was an den reinen Himmel erinnert, geben. Schwarz und Blutrot oder einfach Feuerrot sind da die passendsten Farben. Nun aber, nachdem diese Farben so oft wirklich passend dazu gefunden worden sind, haben wir auch einen rinaldinischen oder mephistophelischen Eindruck von solcher Kleidung, und werden keinen idyllischen Schäfer darunter suchen.

Ähnliche Betrachtungen als auf die Farben lassen sich auf Weiß und Schwarz anwenden; aber lassen wir das jetzt. Betreffs der Formen will ich mich begnügen, den Gegensatz des Konvexen und Konkaven, und Betreffs der Lagen den des Horizontalen und Vertikalen in Betracht zu nehmen.

Tritt eine konvexe Wölbung dem Auge gerade gegenüber und wird vom Umfange nach dem Gipfel der Wölbung als zum Ruhepunkte des Auges verfolgt, so muß sich das Auge auf einen immer näheren Punkt einrichten; hingegen immer ferneren, wenn es eine konkave Wölbung ist. Erstenfalls scheint uns der Blick vom Konvexen zurückgedrängt, zweitenfalls in das Konkave hineingezogen zu werden, ohne daß ein direkter Anlaß dazu da ist; denn das Auge bewegt sich dabei nicht wirklich nach hinten und vorn, ja muß sich zum Sehen eines näheren Punktes mehr wölben, zum Sehen eines entfernteren mehr abflachen, insofern also dem Konvexen vielmehr selbst konvex entgegenkommen als vor ihm zurückweichen. und entsprechend, nur umgekehrt beim Konkaven. Nun aber sehen wir das Konvexe überall nur zurückdrängen, abwehren, ausschließen, das Konkave in sich aufnehmen, empfangen; und so trägt sich ein assoziatives Gefühl davon nicht nur auf jeden neu erblickten konvexen und konkaven Gegenstand über, sondern pflanzt sich sogar dem Blicke selbst ein. In der Tat der Buckel wölbt sich dem Schlage entgegen, den er von sich wehren möchte, die Brust des Stolzen wölbt sich Allem entgegen, was sie von sich halten will, die Faust ballt sich dem Feinde entgegen, ihn zu scheuchen und zurückzuschlagen; die Pferde stellen sich in einen Kreis, den Wolf abzuwehren, die Brücke wölbt sich über dem Strome, um den darüber Gehenden von ihm abzuwehren, die Bombenkugel rollt vom Gewölbe des Domes herab, der Regen rinnt vom konvexen Regenschirme nieder. Hiergegen kann eine hohlgemachte Hand, ein Hohlgefäß, ein Sack nichts wollen, als etwas in sich aufnehmen; die hohle Blume nimmt den Sonnenstrahl und Tautropfen in sich auf; eine Grube kann nichts von sich abwehren wollen, man fällt hinein, wenn nicht ein Geländer mit seiner Konvexität darum es wehrt; wer durch eine geöffnete Tür in den Hohlraum eines Hauses sieht, findet darin eine Einladung hineinzugehen, und wenn er nichts als dessen Höhlung um sich sieht, so ist er darin; so lange bloß dessen Konvexität ihm zugewandt ist, ist er draußen, ist er ausgeschlossen von dem Hause. Aus tausend Erfahrungen dieser Art sammelt sich der Eindruck des Konvexen und Konkaven, und kann, je nachdem er zur jeweiligen Foderung des Ausschlusses oder in sich Aufnehmens, die von andersher erweckt ist, stimmt, einen wohlgefälligen oder mißfälligen Charakter tragen. Der Blick in den hohen Himmel oder ein hohes Kirchengewölbe hinauf trägt den ersten Charakter, die Seele fühlt sich so zu sagen mit dem Blicke mit hinaufgezogen. Dächte man sich den Himmel oder die Decke in entgegengesetzter Richtung gewölbt, so würde der Eindruck vielmehr ein niederdrückender sein, es sein, als wenn sie den Menschen in den Boden drücken wollten. Hiernach macht es auch keine gute Wirkung, wenn man bei Volksfestlichkeiten manchmal Blumengirlanden von einem Hause zum gegenüberstehenden Hause quer über die Straße gezogen und bauchig nach Unten gegen die Köpfe der darunter hingehenden herabhängen sieht; wogegen es nicht minder schlecht aussehen würde, wenn die halbkreisförmigen Blumenfestons, die bei solchen Gelegenheiten unter den Fenstern angebracht zu werden pflegen, vielmehr konkav gegen die Straße als gegen die Fenster waren, weil man sie nicht in Beziehung zu den Leuten auf der Straße sondern zu den Fenstern und den sich daraus herauslehnenden denkt. Wenn eine Stuhllehne sich nach vorn wölbt, unserem Rücken den Rücken zukehren will, so ist dies nicht bloß unzweckmäßig, sondern sieht auch schlecht aus, wogegen eine schwache Konkavität nach vorn uns als Einladung sich hineinzulegen behagt. Ein Schild hingegen möchte man gar nicht anders als konvex auf der den Feinden zuzukehrenden Seite sehen, indem man ihm seine abwehrende Eigenschaft gleich ansehen will.

Zwar Polsterstühle, Sopha’s, Ruhekissen erscheinen um so einladender, uns in sie hineinzuversenken, je schwellender, also konvexer sie sind. Aber hier wird der assoziative Charakter des Konvexen, der sich aus den meisten Fällen sammelt und mithin auf die meisten Falle wieder Anwendung findet, durch den ausnahmsweisen Charakter weicher elastischer Körper überboten, denen wir eine Konkavität nicht ansehen, aber selbst eindrücken; nachdem wiederholte Erfahrung uns gelehrt hat, daß wir um so bequemer in dieser Konkavität ruhen, aus einer je größeren Konvexität sie erwachsen ist.

Die horizontale Lage und den vertikalen Stand anlangend, so ist es uns an sich geläufiger, und fällt uns leichter, eine horizontale Linie mit den Augen hin- und hergehend als eine vertikale auf- und absteigend zu verfolgen, und schon das neugeborene Kind wird sich lieber umsehen als auf- und niederblicken. Also nimmt das Vertikale schon beim direkten Eindrucke mehr Kraft in Anspruch als das Horizontale, und der Charakter des assoziativen Eindruckes stimmt hiermit ganz zusammen. In der Tat die horizontale Lage begegnet uns beim schlafenden und toten Menschen, dem liegenden Baumstamm und der umgestürzten Säule, dem ruhigen Wasserspiegel, der Ebene, über die sich’s leicht geht. Überhaupt alles, was ruhen will, legt sich, und nur auf das Horizontale legt man sich; wogegen der Mensch, der Baum, die Säule, die aufrecht stehen, sich noch gegen die Schwere zu wehren, ihr Gleichgewicht, gegen dieselbe zu verteidigen haben; die Welle braucht Kraft sich zu erheben und es braucht Kraft einen Berg zu ersteigen. All das wirkt mit dem direkten Eindrucke dahin zusammen, der horizontalen Erstreckung den verhältnismäßigen Eindruck der Ruhe, der vertikalen Erhebung den Eindruck kraftvollen Strebens zu erteilen. An Säulen trägt demgemäß die Cannelierung sehr wesentlich bei, den Eindruck des Aufstrebens zu unterstützen, er wiederholt sich an jeder Riefe, wogegen es absurd erscheinen würde, sie mit horizontalen Ringen oder Riefen zu umge-ben, indes sie auf horizontalen Polstern ruhen dürfen. Womit ich zwar nicht sage, daß dies das einzige Motiv der Cannelierung sei; es kommt aber der direkten Wohlgefälligkeit, die in der einheitlichen Beziehung der Cannelüren unter sich und mit den ins Auge fallenden Grenzlinien der Säule liegt, zu Hilfe. Eine Landschaft, in welcher viele horizontale Linien z. B. in den Gebirgszügen, den Flußufern, den Absätzen der verschiedenen Vor- und Hintergründe gegen einander, breiten niedrigen Gebäuden u. s. w. vorkommen, erscheint uns in einem ruhigeren Charakter, als eine solche, welche in ihren Felsspitzen, einzeln ragenden Bäumen, hohen Häusern und Türmen viele vertikale Linien darbietet.

Burke bemerkt einmal: "Ausdehnung begreift Länge, Höhe und Tiefe unter sich. Unter diesen tut die Länge die kleinste Wirkung. Hundert Ellen auf ebenem Boden werden bei Weitem nicht so viel Eindruck machen, als ein hundert Ellen hoher Turm, Fels oder Berg. Ich glaube ferner, daß die Höhe weniger groß scheint als die Tiefe, und daß wir stärker gerührt werden, wenn wir in einen Abgrund hinab; als wenn wir an einer gleich großen Höhe hinauf sehen."

Warum das Alles? — Bei der horizontalen Ausdehnung haben wir an keine Schwierigkeit der Ersteigung wie bei der vertikalen Höhe, und bei dem Hinaufsehen an einer vertikalen Höhe an kein Schrecknis des Schwindels und Fallens wie beim Hinabsehen in die vertikale Tiefe zu denken.

8) Der Mensch als Zentrum vonAssoziationen.

Insofern die Natur an bestimmte Gemütsstimmungen und Erregungen so wie intellektuelle und moralische Eigenschaften des Menschen gewisse, immer in derselben oder ähnlichen Weise wiederkehrende, körperliche Ausdrucksweisen in Ton, Miene, Gebärden, Stellung, Bewegung geknüpft hat, und der Mensch mit sich und seines Gleichen nicht nur am meisten verkehrt, sondern auch das größte Interesse an diesem Verkehre hat, liegt es in der Natur der Sache, daß assoziative Erinnerungen an solche Ausdrucksweisen eine wichtige Rolle im gesamten Assoziationsgebiete spielen müssen. Jede Form, jeder Ton, jede Bewegung, jede Stellung also, die irgendwie den natürlichen Ausdruck einer menschlichen Stimmung, Leidenschaft, intellektuellen und moralischen Eigenschaft oder Äußerung sei es wiedergibt oder nur daran erinnert, wird selbst, wo sie uns im Unbelebten begegnet; durch diese Erinnerung ihrem Eindrucke nach wesentlich mitbestimmt werden. So wird das Umstürzen wie der feste Stand eines Baumes im Winde, das Eilen der Wolken u. s. w., unstreitig im Eindruck durch Erinnerungen an das Menschliche assoziativ mitbestimmt sein, und manche klagende Naturlaute ihren Eindruck hauptsächlich solcher Erinnerung verdanken.

In sehr anziehender Darstellung hat Lotze diesen Gesichtspunkt in s. Abh. über den Begriff der Schönheit S. 13 etc., ähnlich im Mikrokosmus (1. Aufl. II. 192) und an mehreren Stellen seiner Geschichte geltend gemacht. Ich versage mir nicht, Folgendes daraus anzuführen. "Die Gewalt der [in uns] herrschenden Strebungen trifft nicht allein den Ablauf der Vorstellungen und Gefühle; sie zeigt sich auch durch angeborene Notwendigkeit in äußeren leiblichen Bewegungen, die eine Brücke von dem geistigen Werte des Gedankens zu der sinnlichen Darstellung schlagen. Zwar auch ohne dies würden einfache, strenge Zeichnungen im Raume, an sich bedeutungslos, durch den wohltuenden Wechsel der Anspannung und Ruhe, den sie dem umlaufenden Auge gewähren, die ersten Spuren einer noch spielenden Schönheit verraten; aber wer einmal seine eigene Stimme vom Schmerz gebrochen fand und die bebende Anspannung der Glieder im unterdrückten Zorne fühlte, für den ist das sinnlich Anschaubare redend geworden, und was er selbst äußerlich kund zu geben genötigt war, wird er unter jeder ähnlichen fremdher dargebotenen Erscheinung wieder vermuten. Man darf glauben, daß auf solchen Erfahrungen am meisten unsere Beurteilung schöner räumlicher Umrisse beruht. Wenn es immer vergeblich gewesen ist, für die Schönheit eines solchen Umrisses eine wissenschaftlich berechenbare Bedingung zu finden, so rührt es daher, weil er nicht durch sich selbst, sondern durch Erinnerungen wirkt. Wer einmal eine teure Gestalt unter dem Gewicht des Grams in wehmütiger Ermattung sich beugen und sinken sah, dem wird der Umriß solches Neigens und Beugens, dem innerem Auge vorschwebend, die Ausdeutung unendlicher räumlicher Gestalten vorausbestimmen, und er wird sich fruchtlos besinnen, wie so einfache Züge der Zeichnung so innerliche Gefühle in ihm anregen konnten. In den Verschlingungen der Klänge findet jeder sein Gemüt wieder und überschaut seine Bewegungen. Schwerlich geschähe dies, triebe nicht eine Vorherbestimmung unserer leiblichen Einrichtung uns an, durch Laute unseren Gefühlen einen an sich unnützen äußeren Ausdruck zu geben. Mit den Klängen und ihrem Wechsel verknüpft sich so die Erinnerung an Übergänge in Größe und Art der Strebungen und Gefühle, durch die getrieben wir dieselben Laute bilden würden. Ja selbst das Andenken an das Maß und die Anspannung leiblicher Tätigkeit in der Hervorbringung der Töne lehrt uns in diesen selbst und in ihrer Höhe und Tiefe eine Andeutung größerer oder geringerer Kraft, mutigeren oder nachlassenderen Strebens zu suchen. Die räumlichen Verhältnisse der Baukunst, ihre strebenden Pfeiler und die breitgelagerten Lasten über ihnen würden uns nur halbverständlich sein, wenn wir nicht selbst eine bewegende Kraft besäßen, und in der Erinnerung an gefühlte Lasten und Widerstände auch die Größe, den Wert und das schlummernde Selbstgefühl jener Kräfte zu schätzen wüßten, die sich in dem gegenseitigen Tragen und Getragenwerden des Bauwerkes aussprechen. So bildet also das leibliche Leben, mit Notwendigkeit Inneres durch äußere Bestimmungen auszudrücken treibend, einen Übergang zum Verständnis sinnlicher Gestalten und Umrisse, und selbst das Sittliche, zunächst ein Gleichgewicht der Strebungen, dann eine bestimmte Weise des Ablaufes innerer Ereignisse bedingend, wird zuletzt in jenen sinnlichen Bildern Verwandtes und Ähnliches auffinden können."

Gemeinhin zwar macht man sich nicht klar, wie sehr die Abspiegelung unseres eigenen Wesens und Tuns in der objektiven Welt zum Eindruck, den sie auf uns macht, beiträgt. Die Poesie aber hilft hier gewissermaßen nach, indem sie die Assoziationen, von denen der Eindruck abhängt, zum Ausspruche bringt. So sieht Maria die Wolken ziehn, nicht wie der Meteorolog eine gleichgültige Dunstmasse vom Winde getrieben sieht, sondern wie ein Mensch den andern wandern, schiffen sieht, und wie sie selber fortziehen möchte. Ja die Poesie findet einen Hauptvorteil darin, das natürliche Objekt, Verhältnis, Geschehen geradezu in ein menschliches zu übersetzen, um den assoziativen Eindruck davon in kürzestem Wege möglichst kraftig zu wecken. Daß man den Mond zwischen den Wolken durch sieht, ist hiernach nicht so poetisch wirksam, als daß er selbst aus den Wolken hervorsieht; daß die Welle ein leises wechselndes Geräusch macht, nicht so wirksam, als daß sie lispelt. Der schwarze Abgrund begnügt sich im Gedichte nicht, müßig vor uns zu klaffen, sondern gähnt uns entgegen. "Es kommen die neckenden Lüfte", "schaurig rühren sich die Bäume", "der Morgen tut einen roten Schein", u. s. w. u. s. w.

Dennoch würde man zu weit gehen, wozu man nach Vorigem wieder leicht verführt sein könnte, das ästhetische Assoziationprinzip ganz auf diese Ursprungs- und Wirkungsweise desselben zu beschränken. Schon deshalb ist es nicht möglich, weil das Prinzip überhaupt nicht bloß auf Ähnlichkeiten beschränkt ist, vielmehr räumlicher, zeitlicher und Kausalzusammenhang eine gleich wichtige Rolle dabei spielen. Also können ästhetisch sehr wirksame Assoziationen auch durch Erinnerungen an objektive Bedingungen der Lust und Unlust zu Stande kommen, die wesentlich nichts in der Form gemein haben mit instinktiven oder willkürlichen Äußerungen von Lust und Unlust durch unseren eigenen Körper, mithin nicht durch Erinnerung daran wirken.

So liegt der assoziative Reiz des Anblickes der Orange sicher nicht in einer Ähnlichkeit ihrer Erscheinung mit irgendwelcher äußeren Ausdrucksweise eigener Stimmungen, sondern darin, daß die Orange ein objektives Zentrum von ursächlichen Bedingungen der Lust für uns ist, und der Anblick derselben einen Erinnerungsnachklang dieser Lust mitführt, was doch etwas ganz Andres ist. Wer möchte den Beitrag, den das Froschgequak zu unserer Frühlingsstimmung geben kann, darauf schreiben, daß wir selber sie durch Gequak ausdrücken möchten; ist es aber nicht unsere eigene Ausdrucksweise der Stimmung, so kann es auch nicht die Erinnerung daran sein, wodurch solche wieder erweckt wird, denn die Stimme überhaupt herauslassen kann noch ganz entgegengesetzten Stimmungen entsprechen; vielmehr daß wir objektiv das Froschgeschrei mit dem Frühling in konstanter Verbindung finden, gibt ihm seinen assoziativen Wert. Und so wird ja auch nicht zu behaupten sein, daß ein Schwert, eine Krone, ein Brautkranz ihren ästhetischen Charakter einer Erinnerung an einen schwertförmigen, kronenförmigen, kranzförmigen Ausdruck der Gewalt, Macht, Liebe durch Formen oder Bewegungsweisen unseres eigenen Körpers verdanken.

So manches Plätzchen vor einem Hause, etwa mit einer Linde, darunter einer Bank und einem Tische, spricht uns gemütlich an, warum? Weil wir uns behaglich da sitzend denken können, nicht aber, weil Baum, Bank und Tisch selber sich wie behaglich sitzend ausnähmen.

Sollte aber doch, was ich nicht geneigt bin zuzugeben, ein fundamentales Entsprechen zwischen unseren eigenen Formen und den Formen der Außenwelt, die uns gefallen, bestehen, so würde es nicht nötig sein, das Gefallen daran erst auf assoziative Erinnerung an unsere eigenen Formen zu schieben; so würden uns vielmehr z. B. Symmetrie und goldner Schnitt deshalb gefallen können, weil wir angeborenerweise darauf eingerichtet sind, nur gefällig zu finden, was unseren eigenen Formen entspricht, so zu sagen direkt in dieselben hineinpaßt, ohne daß wir erst der Erinnerung an unsere Formen dazu bedürfen.

9) Analyse assoziierter Eindrücke. Bemerkungen über das schöpferische Vermögen der Phantasie.

Habe ich früher Gewicht darauf gelegt, daß im ästhetischen Totaleindrucke sich dessen verschiedene Elemente nicht scheiden, so muß doch die Ästhetik, um klare Rechenschaft von seinem Zustandekommen zu geben, solche scheiden, muß fragen: was ist Sache des eigenen oder direkten Eindruckes, was hängt an den Assoziationen, und was tragen diese oder jene dazu bei. Erschöpfend zwar kann eine solche Analyse niemals sein, weil im Allgemeinen unzählige Erinnerungen zu jedem assoziierten Eindrucke beitragen, ja streng genommen zu jedem der gesamte Erinnerungsnachklang unseres Lebens, nur mit einem anderen Gewichte seiner verschiedenen Momente. Schlagen wir einen Punkt eines gespannten Gewebes irgendwo an — unser gesamter Vorstellungszusammenhang aber ist einem solchen Gewebe vergleichbar, — so zittert das ganze Gewebe, nur die Punkte am stärksten, die dem angeschlagenen Punkte zunächst liegen und durch die stärksten und gespanntesten Fäden damit zusammenhängen. Jede Anschauung aber schlägt sogar mehr als einen Punkt unseres geistigen Gewebes zugleich an. Doch kann man sich, unter Anerkennung dieses Zusammenwirkens unseres ganzen geistigen Besitztums zu jedem Eindruck, die Aufgabe stellen, die Hauptmomente zu finden, die vorwiegend den Eindruck bestimmen, ja den Eindruck in dieser Hinsicht recht eigentlich studieren.

Um so mehr aber hat die Ästhetik Anlaß, auf die Komposition des Totaleindruckes aus seinen Elementen einzugehen, als einheitliche Eindrücke sich überhaupt nicht beschreiben, aber doch nach ihrer Zusammensetzung aus verschiedenen Komponenten charakterisieren lassen, wozu sich der Anlaß oft genug bietet. Wer will den Eindruck, den eine Orange, eine Goldkugel, eine Holzkugel macht, beschreiben? Dagegen läßt sich derselbe wohl durch die Vorstellungen, die sich dazu verschmolzen haben, charakterisieren.

Nicht bloß aber durch die, die sich darin verschmolzen haben, sondern auch durch die, die wieder daraus hervortreten können, was einen neuen, wichtigen Gesichtspunkt darbietet. In der Tat können alle Vorstellungen, die zum geistigen Eindrucke beigetragen haben, auch unter Umständen wieder daraus hervortreten; es bedarf nur besonderer äußerer oder innerer Anlässe dazu. Das begründet die Möglichkeit, sich nach gewonnenem Totaleindruck eingehend nach verschiedenen, doch unter sich zusammenhängenden Richtungen mit dem Gegenstande zu beschäftigen, was einen zweiten Hauptteil der ästhetischen Wirkung der Gegenstände bildet, die ja nicht bloß in ihrem einheitlichen Totaleindrucke ruht. Dieser ist so zu sagen nur das Samenkorn, aus dem eine ähnliche Pflanze sich zu entfalten vermag, als die, aus der es entstand. Zugleich ist jene Resultante von Erinnerungen der Quell, aus dem die Phantasie schöpft; und da neuerdings so häufig die ganze Schönheit durch Bezugnahme auf die Phantasie erklärt wird, so sollte hierin eine Aufforderung liegen, diesen Quell genauerzu untersuchen, als ich finde, daß es seither geschehen ist.

Nach der gewöhnlichen Betrachtungsweise sollte man meinen, daß der Phantasie ein unbeschränktes Vermögen zustehe, aus eigener Machtvollkommenheit dies und das an den Anblick eines Gegenstandes zu knüpfen. Näher zugesehen aber ist der assoziierte Eindruck der vorgegebene Stoff, den sie dazu wohl auswirken, den sie aber nicht schaffen kann, und der Kreis assoziativer Momente der Spielraum, in dem sie sich nur bewegen kann. Nun steht ihr zwar bei dem unbestimmten Auslaufen und der allseitigen Verkettung dieser Momente die Freiheit der verschiedensten Richtungen und der verschiedensten Weite des Auslaufens, so wie auch neuer Kombinationen der assoziierten Momente zu, immer aber werden die Elemente, welche im assoziierten Eindrucke vorwiegen, die stärkste bestimmende und richtende Kraft dabei äußern. Man wird bei der Orange leichter an Italien oder Sizilien als an Lappland oder Sibirien, bei der Goldkugel leichter an Reichtum als an Armut denken; ja zu Gedanken jener Art im Anblicke dieser Gegenstände unmittelbar gar keinen Anlaß finden, was nicht hindert, daß im weitern Auslaufen vom Zentrum der Assoziation durch irgendwelche Vermittelungsglieder dazu gelangt werde.

Anstatt eines äußern Ansatzpunktes kann die Phantasie einen Innern Anlaß zu ihren Schöpfungen haben; aber der Quell, aus dem sie schöpft, bleibt überall derselbe. Es ist überall der ins Unbewußtsein gesunkene, darin verschmolzene, Nachklang dessen, was je im Bewußtsein war, und durch diese oder jene, äußere oder innere, Anlässe, in dieser oder jener Kombination, wieder ins Bewußtsein treten kann. Jeder assoziierte Eindruck ist eine, durch einen äußern Anlaß ins Bewußtsein gerufene, schon fertige besondere Kombination, welche von der Phantasie nach Gesetzen und Motiven, die wir hier nicht zu verfolgen haben, ins Einzelne ausgesponnen und zum Ansatz eines weiteren Fortgespinnstes gemacht werden kann. Man hat hiernach Recht, den Quell, aus dem die Phantasie schöpft, im Unbewußtsein zu suchen, nur nicht in einem Ur-Unbewußtsein, vielmehr ist es ein Quell, der sich erst aus dem Bewußtsein füllen mußte und nur durch bewußte Tätigkeit wieder ausgeschöpft werden kann. Im Schlafe bilden sich weder assoziierte Eindrücke, noch bildet sich überhaupt etwas von dem Stoffe, mit dem die Phantasie schaltet und aus dem sie webt.Wenn Hartmann wenigstens die Einheit genialer Konzeptionen der Phantasie aus einem Ur-Unbewußtsein ableiten will, so sieht man keinen Grund dazu, da sie, wie die ganze Einheit des Bewußtseins, aus der sie stammt, doch nur eine Sache des Bewußtseins selbst ist. Natürlich wird Alles überhaupt, was der Mensch in Unterordnung unter die allgemeine Einheit des Bewußtseins einheitlich gefaßt und gedacht hat, auch seinen einheitlich verknüpften Rest im Unbewußtsein lassen, der sich ins Bewußtsein zurückgehoben mit neuen Bewußtseinsmomenten zu neuen einheitiichen Schöpfungen fügen kann, ohne daß man dem Bewußtsein dabei mit einer Einheit aus dem Ur-Unbewußtsein zu Hilfe zu kommen braucht.

10) Allmälige Ausbildung des assoziierten Eindrucks.

Die geistige Farbe, um uns dieses Ausdruckes wieder zu erinnern, welche die Gegenstände für den Menschen annehmen, kann sich natürlich erst im Laufe des Lebens nach Maßgabe des Verkehrs damit entwickeln. Je jünger und roher der Mensch ist, und je weniger überhaupt noch der geistige Pinsel in ihm gewirkt hat, desto mehr überwiegt der direkte Eindruck der Dinge. Je älter und erfahrener der Mensch wird, je mehr er die Dinge nach der Gesamtheit ihrer Beziehungen und Wirkungen hat kennen lernen, desto mehr fängt der geistige Eindruck davon an zu überwiegen .

Ein Erwachsener, der das stürmische Meer zum erstenmale sieht, wird doch die Erhabenheit des Schauspieles ganz anders fühlen, als ein Kind, was überhaupt zum erstenmale sieht, weil jener den neuen Gesichtseindruck nach alten deuten kann, dieses nicht. Letztres fühlt nichts als ein Wallen und Wogen auf der Farbentafel seines Auges, worüber es sich nur blöde wundern kann; daß Gewalt, Gefahr, Angst, Schiffbruch daran hängt, kann es nicht wissen, wie jener; und wenn bei jenem der Eindruck sich durch ein Schiff, was eben vom tobenden Meere verschlungen wird, gipfelt, so wird bei diesem der Eindruck davon selbst vom Eindrucke des Meeres verschlungen.

Einem Blindgebornen, der so eben glücklich operiert ist, wird die Orange keinen anderen Eindruck machen als die gelbe Holzkugel, die rote Hand und Nase gleich wohlgefällig erscheinen als die rote Wange, wenn die Röte nur gleich rein und lebhaft ist; eine kaleidoskopische Figur aber wird er schöner als das schönste Gemälde, wahrscheinlich auch schöner als das schönste Gesicht finden; obwohl man fragen kann, ob nicht Instinkt etwas von der Assoziation ersetzen kann, worüber künftig (Abschn. XII).

Man drückt das Vorige wohl so aus, daß wir die Formen erst verstehen lernen müssen, um den rechten Eindruck davon zu erhalten, und warum es nicht so ausdrücken; nur muß man dies Verstehenlernen selbst recht verstehen, was nicht der Fall ist, wenn man meint, wie Viele zu meinen scheinen, daß die Gegenstände ihre Bedeutung dem Betrachtenden durch sich selbst verraten, wofern er sich nur in die Betrachtung recht vertieft. Vielmehr, wie schon gesagt, will die Bedeutung der Formen so gut erlernt sein als die der Worte, und wird uns nur auf demselben Wege geläufig; das ist der Weg der Assoziation. Ist aber die Grundbedeutung der Worte und Formen, so wie ihrer täglich wiederkehrenden Verkettungsweisen erst geläufig, so kann man freilich auch lange Sätze und ganze Kunstwerke danach verstehen und deuten.

Insofern sich den verschiedenen Menschen, Völkern und Zeiten die Dinge unter verschiedenen Verhältnissen darbieten, nimmt auch der assoziierte Eindruck für sie einen verschiedenen Charakter an, worin einer der hauptsächlichsten Gründe ihrer Geschmacksverschiedenheiten liegt. Hierauf wird später zurückzukommen sein.

11) Das Prinzip in höherer Verwendung.

Das Vorige enthält die allgemeinsten, größtenteils schon an den einfachsten Beispielen erläuterbaren, Gesichtspunkte des Prinzips. Dieselben aber bleiben gültig, wenn wir uns nun zu höheren und damit zusammengesetzteren Beispielen aus Natur und Kunst erheben; nur treten damit auch Verhältnisse dessen, was sich zusammensetzt, ins Spiel.

So wie sich ein Gegenstand vor uns ausbreitet, dessen Teile von einander unterscheidbar sind, sondern sich damit auch deren assoziative Bedeutungen, Eindrücke, und treten in Verhältnisse gegen einander, Beziehungen zu einander, die sich wieder zu einem einheitlichen Resultate fügen, darin abschließen können, ohne daß die Unterscheidung der einzelnen Beiträge darin untergeht. Was läßt sich nicht in der Anschauung eines Menschen unterscheiden, Augen, Mund, der ganze Kopf, Brust, Bauch, Gliedmaßen, jeder Teil hat für sich seine assoziative Bedeutung, macht seinen demgemäß verschiedenen Eindruck; aber auch der ganze Mensch hat solche und macht solchen, worin die Bedeutung und der Eindruck der einzelnen Teile nicht untergeht, sondern worein er eingeht um sich in einem Gesamteindruck abzuschließen, aus dem die einzelnen Momente wieder hervortreten können.

So gut nun die direkten Eindrücke nicht nur selbst wohlgefällig oder mißfällig sein, sondern auch in wohlgefällige und mißfällige Beziehungen zu einander treten können, gilt es von den assoziierten und den sich daraus auslösenden Einzelvorstellungen; und da die direkten Eindrücke mindestens so lange wir uns im Gebiete der Sichtbarkeit halten, arm und niedrig gegen die assoziierten bleiben, so läßt sich daraus schon ganz im Allgemeinen übersehen, wie viel die Kunst von ihrem Reichtum und ihrer Höhe der Assoziationzu verdanken hat.

Zu einer etwas eingehenderen Besprechung in dieser Hinsicht mag uns im folgenden Abschnitte der landschaftliche Eindruck von verhältnismäßig noch geringer Höhe ein Beispiel bieten. Auf die Architektur werden wir aus gleichem Gesichtspunkte in späteren Abschnitten (XV. XVI) zu sprechen kommen. Als schönstes sichtbares Werk der Schöpfung überhaupt aber gilt uns die menschliche Gestalt. Die höchsten Werke der bildenden Kunst haben sie zum Gegenstande oder wesentlichen Elemente. Nun liegt unstreitig in dem Flusse der Formen und der zweiseitigen Symmetrie, vielleicht (vorbehaltlich noch näherer Erwägung) den einfachen Proportionen, wie Manche wollen, oder gewissen rhythmischen Verhältnissen, wie Andre wollen, oder dem goldnen Schnitt, wie Zeising will, auch wohl in etwas Instinktivem Viel, was uns schon bei der einzelnen Gestalt, abgesehen von aller angeknüpften Bedeutung, gefallen kann; wozu beim ganzen Gemälde noch die Verhältnisse der Gruppierung und Farbengebung treten, in denen sich wohl auch etwas von harmonischen und disharmonischen Beziehungen an sich geltend machen kann. Aber alles das ist doch nur die niedere Unterlage für den sich anknüpfenden Ausdruck der Tauglichkeit der Menschengestalt zu den Geschäften und Freuden des Lebens, und den noch höheren Ausdruck der Seele und der Seelenbewegungen, was Alles wir schon in der einzelnen Gestalt finden können, endlich für die allgemeineren und höheren menschlichen, ja über das Menschliche hinausreichenden Beziehungen, die wir im ganzen Gemälde finden können. Alles das aber tragen wir erst in die gesehenen Formen- und Farbenzusammenstellungen hinein, nach Erfahrungen über die Bedeutung derselben, die wir gemacht haben; alles das ist Sache des assoziierten, nicht des direkten Eindruckes.

Im Reiche des Sichtbaren kommt überhaupt kein ästhetischer Eindruck von einiger Erheblichkeit nach Höhe und Stärke zugleich ohne Assoziation zu Stande. Das Erheblichste, wozu es dieses Reich abgesehen davon bringt, ist die kaleidoskopische Figur und das Feuerwerk. Nur das Hilfsprinzip verleiht dem direkten Eindruck in Zusammensetzung mit dem assoziierten mehrfach auch in diesem Gebiete größere Bedeutung. Kehrt man das schönste Gemälde um, so bleiben die inneren Verhältnisse desselben, von welchen der direkte Eindruck abhängt, noch dieselben, aber das Gefallen daran hört auf, weil die Assoziationen, welche dem Bilde erst die höhere Bedeutung geben, nur an der aufrechten Lage haften; es wäre denn, daß man vermöchte, die aufrechte Lage in der Vorstellung aus der umgekehrten zurückzukonstruieren. So bunt ein Bild dem sinnlichen Auge erscheinen mag, in ganz anderer Weise bunt erscheint es durch seine Assoziationen; hierin findet der Geist erst den höheren Reiz, und ist die einheitliche Verknüpfung des Ganzen zu suchen und zu finden.

Auch die Poesie gipfelt im assoziativen Faktor, denn der Sinn des Gedichtes ist nur angeknüpft an die Worte; und Versmaß, Rhythmus, Reim gewinnen erhebliche Bedeutung nur nach Maßgabe als sie hierein eingehn, was nicht hindert, daß sie doch nach dem Hilfsprinzipe viel zur Stärke des ästhetischen Eindruckes beitragen.

Aber man würde irren, eine gleich überwiegende Bedeutung des assoziativen Faktors in allen Künsten wiederfinden zu wollen. Vielmehr steht die Musik in dieser Hinsicht den bildenden Künsten wie der Poesie gegenüber, indem in ihr vielmehr der direkte Faktor die Hauptrolle der assoziative nur eine Nebenrolle spielt wie näher in Abschnitt XIII zu besprechen; es ist eben nur sehr viel, nicht Alles auf den assoziativen Faktor zu legen.

Im Streben, einheitliche Prinzipien aufzustellen, hat man mehrfach den Haupteindruck des Gemäldes in demselben Sinne von dem direkt auffaßbaren so zu sagen musikalischen Eindrucke seiner Formen und Farben abhängig machen wollen, als den der Musik selbst von der Beziehung zwischen Tönen und zwischen Tonverbindungen; aber die Malerei ist in dieser Beziehung verwandter mit der Poesie als Musik, obschon nicht in jeder Beziehung vergleichbar, worauf in Abschnitt XI mit einigen Betrachtungen zu kommen. Umgekehrt hat man auch den Haupteindruck der Musik auf Assoziation zurückführen wollen aber hiermit das Unterscheidende der Musik von Malerei nur von entgegengesetzter Seite aufgehoben.

An sich freilich ist das Streben, gerecht alle Künste so zu sagen unter einen Hut zu bringen; aber man verfehlt den Einheitspunkt, wenn man ihn da sucht, wo vielmehr das Unterscheidende liegt. Alle schönen Künste haben das gemein, sinnliche Mittel so zu kombinieren, daß daraus mehr als bloß sinnliche Lust erwächst. Hier liegt der Einheitspunkt. Dieser Erfolg aber kann eben so vorwiegend durch Beziehungen zwischen direkten Eindrücken als zwischen assoziierten Eindrücken und daraus sich auslösenden Vorstellungen erzielt werden; darin liegt einer der unterscheidenden Gesichtspunkte verschiedener Künste, auf den man freilich nicht kommen kann, wenn man die assoziierten Eindrücke selbst nicht klar von den direkten unterscheidet.

Wenn es Ästhetiker gibt, welche dem assoziativen Faktor einen wesentlichen Anteil an der Schönheit überhaupt absprechen und behaupten, daß seine Wirkung von der Wirkung eines Gegenstandes abzuziehen sei, um dessen Schönheit rein zu haben, so ist dies nur eine doktrinäre Trennung, von welcher die lebendige Wirkung der Schönheit und der lebendige Begriffsgebrauch nichts weiß. Sie verwechseln die Unterscheidbarkeit beider Faktoren der Schönheit mit einem von der Schönheit zu machenden Abzuge, und lassen von der ganzen Schönheit sichtbarer Gegenstände so zu sagen nur das Gerippe übrig, indem die Bekleidung desselben mit lebendigem Fleisch nur durch die Assoziationen geschieht. In der Tat, was von der sixtinischen Madonna nach Abzug aller Assoziation noch übrig bleibt, ist eine kunterbunte Farbentafel, der es jedes Teppichmuster an Wohlgefälligkeit zuvor tut; denn in diesem hat man doch noch den direkten Reiz der Farbenharmonie und Symmetrie, der in jenem Bilde geopfert ist, um der Anknüpfung erhabener Vorstellungen und einheitlicher Verknüpfung derselben Raum zu geben. Will man nun dies nicht zur Schönheit des Bildes rechnen, so macht man sich einen Begriff von Schönheit, der wohl in irgend einem System, nur nicht im Leben zu brauchen ist, und hiermit das System selbst unbrauchbar für das Leben macht.

Unstreitig zwar ist Manches von Assoziationen als unwesentlich zur Schönheit sichtbarer Gegenstände wirklich abzusondern; aber das sind nur Assoziationen, die zu zufällig sind, um mit zu zahlen; Alles davon absondern heißt die Schönheit selbst mit absondern.

Freilich hat man einen wesentlichen Beitrag der Assoziation zur Schönheit gerade aus dem Gesichtspunkte in Abrede stellen wollen, daß es danach überhaupt von zufälligen, bei verschiedenen Menschen sich sehr verschieden gestaltenden, ja bei demselben Menschen wechselnden Umständen abhängen würde, ob etwas für schön oder nicht schön zu erklären. Allein die wichtigsten Assoziationen werden dem Menschen durch die allgemeine Natur der menschlichen, irdischen und kosmischen Verhältnisse auch allgemein aufgedrungen, wonach z. B. niemand den Ausdruck der Gebrechlichkeit mit dem der Kraft und Gesundheit, niemand den Ausdruck der Güte oder geistigen Begabtheit mit dem der Bösartigkeit oder Dummheit verwechseln kann; und was die nach Individualität, Zeit, Ort wechselnden Assoziationen anlangt, welche an der verschiedenen Entwickelung des Geschmackes verschiedener Individuen, Völker, Zeiten Anteil haben, so sind sie nur wesentlich bestimmend für die Tatsache, aber nicht für die Berechtigung des Geschmackes, und der Begriff der wahren Schönheit in dem früher (Abschn. II) angegebenen Sinne hat ihnen nicht weiter zu folgen, als jene individuellen Verschiedenheiten selbst berechtigt sind, was sie doch bis zu gewissen Grenzen wirklich sind, und damit verschiedenen Modulationen der Schönheit Raum geben; indem nur das als wahrhaft, als objektiv schön zu gelten hat, woran unmittelbares Wohlgefallen zu haben, mit Rücksicht auf alle Folgen und Zusammenhänge gedeihlich im Ganzen ist; und daran ist die Beteiligung der Assoziationen nicht ausgeschlossen.

Wie Eingangs bemerkt, trägt hauptsächlich Kant die Schuld der verbreiteten Ansicht, daß der assoziative Faktor nur eine unwesentliche Zutat zum Eindrucke der reinen oder nach Kants Ausdruck "freien" Schönheit sei, für welche Zutat er den Ausdruck "anhängende" Schönheit hat; dieser aber schreibt er keine eigentliche ästhetische Bedeutung zu. Mißt er nun auch dem an ein Natur- oder Kunstwerk angeknüpften Sinne einen Wert aus anderem Gesichtspunkte bei, so verfehlt er doch eben damit einen Hauptgesichtspunkt der Schönheit, daß er das, was der angeknüpfte Sinn dazu beiträgt, von ihr wesentlich ausschließt.

Herbart (ges. Werke II. S. 106) geht nicht so weit als Kant, indem er die Wirkung der von ihm sog. Apperzeption (Aufnahme eines Eindruckes in den bisherigen Vorstellungsnexus und Anregung desselben dadurch), die von Assoziation nicht trennbar ist, bei der Würdigung eines Kunstwerkes nur in so weit bei Seite zu lassen gebietet, "als sie nicht wesentlich die Auffassung bedingt" ohne doch deutlich zu machen, was er als "wesentlich" rechnet. Aus der Weise, wie er einige Beispiele erläutert, geht jedenfalls hervor, daß er, anstatt einen Hauptfaktor ästhetischen Eindrucks von Kunstwerken im assoziativen Momente zu suchen, nur ein nicht ganz entbehrliches, doch möglichst zurückzuweisendes Hilfselement darin sucht, und das Hauptgewicht auf den direkten Faktor (die sog. Perzeption) legt. Nun liegt freilich in der Musik das Hauptgewicht wirklich auf dem direkten Faktor, wie weiterhin zu besprechen, Herbart aber vermengt Beispiele aus der bildenden Kunst, wo es vielmehr auf dem assoziativen liegt, und aus der Musik hierbei in einer Weise, welche zeigt, daß ihm der große Unterschied, der in dieser Hinsicht zwischen beiden Künsten bestellt, ganz entgangen ist. Übrigens hat schon Lotze (Gesch. d. Ae. 229) Herbart gegenüber der Unterschätzung des assoziativen Momentes gewehrt.

Der häufigste Grund, die Bedeutung der Assoziationen für die Schönheit sichtbarer Gegenstande herabzusetzen, ist immer der, daß man zum Eindruck ihrer Form selbst rechnet, was durch Assoziationen erst hinzukommt; sonst wäre überhaupt nicht möglich, ihre Wichtigkeit so zu verkennen, wie es geschieht. Das hängt an der Kraft, mit welcher sich der direkte Eindruck durch Ursprünglichkeit, Klarheit und Bestimmtheit geltend macht, und der ganz allmäligen, nur immer fester und inniger, zuletzt unverbrüchlich werdenden Verschmel-zung des assoziativen damit.

So sagt Vischer in s. kritischen Gängen (S. 137), und ähnlicher Auffassung bin ich auch sonst begegnet: "Eigentlich soll im Schönen die Erscheinung, die Form nicht bedeuten, sie soll nichts wollen, als sich selbst aussprechen. Ein Löwe bedeutet nicht die Großmut; er ist eben ein Löwe, und der Inhalt seiner Formen einfach die bildende Naturkraft in dieser Art der Gestaltung, mit diesen äußeren und inneren Eigenschaften."

Aber Form und Kraft sind an sich ganz verschiedene Dinge; eine Form kann wohl daran erinnern, daß sie durch eine Kraft erzeugt ist, indem wir ähnliche Formen dadurch erzeugt gesehen, nicht aber an sich selbst die Kraft zum Inhalt haben; sie bedeutet also in der Tat nur assoziativ die Kraft, und zwar beim Löwen nicht nur die, welche ihn gebildet hat, sondern auch, und noch viel mehr, die er selbst auszuüben vermag, nach entsprechenden Erfahrungen. In der Tat gehören vorgängige Erfahrungen zu beiderlei Deutung; die Form vermag sich nicht durch sich selbst in diesem Sinne auszudeuten; man glaubt vielmehr nur herauszusehen, was man hineinsieht.

Unstreitig zwar kann etwas vom kräftigen Eindrucke der Löwengestalt, auch daran hängen, daß man selbst mehr lebendige Kraft braucht, den eckigen Umriß eines Löwen, als den rundlichen eines Schweines mit den Augen zu ziehen, wozu es keiner Erinnerung bedarf; aber hinge die Hauptsache an diesem direkten Eindrucke, so müßte uns die eben so eckige Kuh eben so kräftig, und willkührlich gezogene eckige Linien noch kräftiger als Löwenkraft erscheinen. Also mag die direkte Wirkung der Löwengestalt zwar nicht gleichgültig für den Eindruck der Kräftigkeit sein, aber würde ohne die mächtigere assoziative Hilfe keinen der Rede werten Effekt haben.

Daß ein Löwe nicht die Großmut bedeutet, ist zuzugeben. Es fehlt an Erfahrungen, welche uns an ähnliche Gestalten haben Großmut knüpfen lassen, also kann uns auch die Löwengestalt solche nicht assoziativ bedeuten.

12) Einige allgemeinere Betrachtungen.

Wenn das Wohlgefallen an den Dingen wesentlich mit auf der Erinnerung an Wohlgefälliges beruht, so ist an sich selbstverständlich. daß es auch an sich Wohlgefälliges geben muß, mithin die Assoziation den direkten Quellen gegenüber nur als ein sekundärer Quell des Wohlgefallens gelten kann. Hier aber galt es nicht, diese direkten Quellen aufzusuchen, sondern eben nur; zu zeigen, daß unter den verschiedenen Quellen des Wohlgefallens überhaupt die sekundäre der Assoziation eine der wichtigsten Rollen spielt, indem sie Zuflüsse aus allen Quellen, die ursprünglicher als sie selbst sind, in sich aufnimmt.

Jeder direkte wie assoziative Eindruck hängt zugleich ab von der Beschaffenheit des Gegenstandes, der den Eindruck macht, und der innern (physisch-psychischen) Einrichtung des Individuum, auf welches der Eindruck gemacht wird, kurz von einem objektiven und subjektiven Faktor. Direkt aber ist der Eindruck eines Gegenstandes, insofern er subjektiverseits von der angeborenen oder nur durch Aufmerksamkeit und Übung im Verkehr mit Gegenständen gleicher Art entwickelten und verfeinerten inneren Einrichtung abhängt, assoziativ, insofern er von einer Einrichtung abhängt, die dadurch entstanden ist, daß sich der Gegenstand wiederholt in Verbindung und Beziehung mit gegebenen Gegenständen anderer Art dargeboten hat.

Außer von direkten und assoziativen Eindrücken kann man von kombinatorischen sprechen; sie lassen sich aber immer in direkte und assoziative auflösen, sind ihnen also nicht eigentlich koordiniert. Jedes Haus macht schon für sich einen direkten Eindruck durch seine Form und Farbe; einen assoziativen, sofern es uns als Wohnplatz für Menschen erscheint; einen kombinatorischen nach den Verhältnissen zu seiner Umgebung; dieser ist aber direkt, sofern die gegenwärtige Form und Farbe des Hauses in Beziehung zu der gegenwärtigen der Umgebung tritt, assoziativ, insofern die assoziativen Vorstellungen von der Bewohnbarkeit des Hauses durch assoziative Vorstellungen, welche die Umgebung erweckt, Einfluß erleiden.

Der Unterschied zwischen direkten und assoziierten Eindrücken ist nicht mit dem Unterschiede zwischen niederen und höheren Eindrücken als zusammenfallend anzusehen, da sich vielmehr die direkten Eindrücke selbst in niedere und höhere unterscheiden, und mindestens im Gebiete der Musik zu großer Höhe ansteigen können, wogegen mancher assoziierte Eindruck sehr niedrig bleiben kann, wie in jenem Beispiele ( s. o. ), wo sich an das Betasten einer Speise die lebhafte Empfindung ihres Wohlgeschmackes, oder an ein bestimmtes Wort die Vorstellung einer einfachen Sache knüpft.

Um Klarheit über die Beschaffenheit und Entstehungsweise ästhetischer Eindrücke zu gewinnen, ist nun vor Allem wichtig, den Unterschied zwischen dem direkten und assoziativen Faktor derselben überhaupt zu machen; und schon mehrfach ist bemerkt, daß dies nicht leicht geschieht, wie es geschehen sollte. In der Regel wird die Leistung beider Faktoren mehr oder weniger zusammengeworfen und namentlich die des assoziativen Faktors sehr gewöhnlich in die des direkten mit eingerechnet, von anderer Seite aber auch wohl die Wirkung des direkten als in der des assoziativen mit aufgehend oder dagegen verschwindend oder darauf zurückführbar angesehen; denn so wenig geläufig auch der heutigen Ästhetik das Assoziationsprinzip ist, so geläufig ist es ihr doch von dessen Erfolgen zu sprechen.

Beides aber hat nicht nur tiefgreifende Unklarheiten und schiefe Auffassungen zur Folge, sondern hat auch zwei einseitigen Grundansichten über das Zustandekommen der Schönheit den Ursprung gegeben, insofern dabei ein alleiniges oder übertriebenes Gewicht auf den einen oder anderen Faktor gelegt wird.

In einseitiger Berücksichtigung oder untriftiger Überhebung des direkten Faktors nämlich kann man sich denken, daß an sich wohlgefällige Form- und Farbeverhältnisse, d. h. solche, welche rücksichtslos auf angeknüpfte Bedeutung, Zweckvorstellung, überhaupt ohne Mitwirkung der Assoziation gefallen, den Eindruck ihrer Wohlgefälligkeit auf die Gegenstände, an denen sie vorkommen, übertragen, sie so zu sagen mit ihrer eigenen Schönheit belehnen und dadurch schön machen; zweitens aber kann man, in einseitiger Berücksichtigung oder untriftiger Überhebung des assoziativen Faktors, sich auch denken, daß umgekehrt die Schönheit, die wir den Formen und Verhältnissen mancher Gegenstände beilegen, darin liegt, daß der Wert einer uns zusagenden Bedeutung, eines uns gefallenden Zweckes, der Erfüllung einer begrifflichen oder ideellen Foderung, die wir an die Gegenstände stellen, sich auf die äußerlichen Formen und Verhältnisse derselben im Anschauen derselben assoziationsweise überträgt, und sie hiermit als Ausdruck dieser Bedeutung, als Zeichen dieser Erfüllung schön erscheinen läßt.

Von beiden Ansichten macht sich in der Tat in ästhetischen und Kunst-Betrachtungen bald die eine bald die andere mit relativem Übergewichte geltend, obwohl sie nicht leicht mit voller Konsequenz einander gegenübertreten, da keine der anderen gegenüber eine reine Durchführung gestattet. Daher schwankt man meist vielmehr unsicher zwischen beiden oder verwirrt sich zwischen beiden, ohne es zu einer Klarheit über ihr Verhältnis zu bringen.

Nachdem wir nun im Bisherigen versucht haben, dem assoziativen Faktor sein Recht zu geben, wollen wir in einem spätem Abschnitte (XIII) auch dem direkten gerecht zu werden suchen, zuvor aber einige Thema’s, welche mit dem assoziativen Faktor in näherer Beziehung stehen, behandeln.


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