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Mit schwierigen philosophischen und theologischen Vorbegriffen, worin die Ästhetik von Oben ihre Begründung sucht, haben wir erklärtermaßen weder anzufangen noch wird uns die Folge darauf führen; was wir aber von Erklärungen in unserm Sinne für die Folge brauchen, wird auch die Folge bringen. Inzwischen gibt es manche Begriffe oder Worte zur Bezeichnung von Begriffen, ohne deren Gebrauch man in Besprechung ästhetischer Verhältnisse überhaupt keinen Schritt tun und den Begriff der Ästhetik selbst nicht klar stellen kann, worüber es doch gut sein wird, einige Erklärungen vorauszuschicken, da die Gebrauchsweise dieser Begriffe weder im Leben noch in der Wissenschaft ganz fest steht. Nun gilt es jedenfalls anzugeben, wie wir unserseits sie brauchen wollen. Der enge Zusammenhang aber, in welchem die ästhetischen Grundbegriffe mit den praktischen und darunter ethischen stehen, wird von selbst darauf führen, mit Erklärungen über die ersten solche über die letzten zu verbinden, und bis, zu gewissen Grenzen auf die Beziehung der Ethik zur Ästhetik selbst einzugehen.
Wir sagen überhaupt, daß uns etwas gefällt oder mißfällt, je nachdem es, unserer Betrachtung oder Vorstellung dargeboten, derselben einen lustvollen oder unlustvollen Charakter erteilt. Die Lust, die wir unmittelbar am Wohlgeschmack einer Speise empfinden, das Lustgefühl der Kraft und Gesundheit ist noch nicht das Gefallen daran, wohl aber die Lust der Vorstellung, daß wir etwas Angenehmes schmecken, geschmeckt haben oder schmecken werden, wie der Vorstellung, daß wir gesund und bei guten Kräften sind. In diesen Fällen ist die Lust der gegenständlichen Vorstellung von inneren Zuständen, welche den Begriff des Gefallens bestimmt; — und jedenfalls gestattet der Sprachgebrauch, den Begriff des Gefallens auch hierauf anzuwenden — in andern Fällen kann die gegenständliche Vorstellung, woran die Lust des Gefallens hängt, unmittelbar durch äußere Wirklichkeit selbst erweckt werden, so bei dem Gefallen an einem Gemälde, einer Musik.
Hiernach hängt der Begriff des Gefallens und Mißfallens wesentlich vom Lust- und Unlustbegriffe ab, und die Untersuchung der Bedingungen des Gefallens und Mißfallens fällt teils unmittelbar mit solchen der Lust und Unlust zusammen, teils führt sie auf solche zurück.
Herbart (Lehrb. z. Einl. in d. Philos. § 82, ges. W. I. 122) überhebt sich einer Erklärung der Begriffe des Gefallens und Mißfallens dadurch, daß er ihnen eine ursprüngliche Evidenz beimißt, was mir nicht triftig scheint, sofern jene Begriffe noch eine Rückführung auf andre Begriffe gestatten, denen erst eine solche Evidenz beizulegen ist. Dabei schließt er innere Zustände von dem Gebiete dessen, worauf der Begriff des Gefallens anwendbar ist, aus, indem er sich u.a. in dieser Hinsicht äußert: "Der Sprachgebrauch wird verwirrt, wenn jemand sagt: der Geruch der Hyazinthe gefällt mir besser als der Geruch der Lilie. Denn bei dem Ausdrucke es gefällt wird etwas das da gefallt, als etwas bestimmt vor Augen zustellendes vorausgesetzt. Niemand aber kann den Geruch einer Blume, der eine Empfindung in ihm ist, Andern mitteilen noch darauf als auf ein Objekt der Betrachtung hinweisen." — Hiermit aber scheint mir der Sprachgebrauch statt geklärt vielmehr nur motiv- und wirkungslos eingeschränkt zu werden. Unstreitig liegt in dem Lustcharakter, welcher der Betrachtung eines Innern Zustandes wie eines äußeren Objektes beiwohnen kann, etwas Gemeinsames, was eine gemeinsame Bezeichnung fordert, und da der Sprachgebrauch den Ausdruck Gefallen dafür eingeführt hat, liegt kein Grund vor, ihn auf die eine Seite zu beschränken. Auch wird Herbart nicht hindern können, daß man nach wie vor nicht nur Gefallen am Geruche einer Blume, Geschmacke einer Speise, sondern auch am Ersehen in irgend welcher lustvollen Vorstellung finde.
Lust und Unlust selbst, rein und abstrakt von allen Nebenbestimmungen gefaßt, sind einfache, nicht weiter analysierbare Bestimmungen unserer Seele, die aber nicht so abstrakt in Wirklichkeit vorkommen, wie sie nach dem uns zukommenden Vermögen der Abstraktion gefaßt werden können, sondern nur als Mitbestimmungen oder Resultanten, wenn man will Funktionen, anderer Seelenbestimmungen, denen sie einen Charakter erteilen und wodurch sie einen Charakter empfangen. Je nach Art ihrer Mitbestimmungen oder ursächlichen Momente unterscheidet man dann verschiedene Arten der Lust und Unlust. Die Lust am Wohlgeschmack einer Speise ist insofern eine andere, als an einem angenehmen Geruch, die Lust bei Betrachtung eines schönen Gemäldes eine andere, als bei Anhören einer schönen Musik, die Lust des Gefühles sich geliebt zu wissen, eine andere, als sich geehrt zu wissen, die Lust an irgend einer aktiven Beschäftigung eine andere als an irgend einem rezeptiven Eindrucke. An sich bleibt Lust Lust, wie Gold Gold bleibt; sie kann aber wie das Gold in verschiedenste Verbindungen eingehen und aus verschiedensten Verbindungen begrifflich ausgeschieden werden.
In der Tat. wäre es nicht so — hier und da aber hat man bestritten, daß es ein überall mit sich identisches Wesen der Lust gebe, — woher das Bedürfnis einer gemeinsamen Bezeichnung dafür in allen jenen Fällen, wenn nichts Identisches dabei zu bezeichnen wäre. Ja halte man nur die vorigen und beliebige andere Fälle des Vorkommens der Lust den eben so oft vorkommenden Fällen der Unlust gegenüber, so wird man bei allen Unterschieden, die auf jeder Seite für sich bestehen, doch empfinden, daß jede Seite der anderen gegenüber etwas Gemeinsames behält, was wir nun eben als Lust und Unlust daraus abstrahieren und einander gegenüberstellen können.
Mit der Einfachheit und Reinheit, in welcher man den Lustbegriff faßt, hängt die Weite seiner Verwendbarkeit zusammen. Es ist mit ihm in dieser Hinsicht wie mit einem reinen Destillate. Alles, was das Destillat von vorn herein mitnimmt, beschränkt seine Verwendbarkeit, obschon es nur in seinen Verwendungen genießbar und brauchbar wird. Also destilliere man auch so zu sagen den Lustbegriff zum Behelfe seiner allgemeinsten Verwendbarkeit von vorn herein rein ab aus Allem, worein er eingeht, fasse ihn allgemein und rein, los von jeder spezialen, jeder Nebenbeziehung nach Ursache, Folgen, Art, Höhe, Starke, Güte. Unterscheidungen, Besonderungen desselben werden sich von selbst finden nach Maßgabe, als auf seine Mitbestimmungen und Beziehungen eingegangen wird, hiermit auf konkrete Arten oder Fälle der Lust oder Unlust die Rede kommt.
Was Lust und Unlust in reiner Fassung an sich selbst sind, läßt sich überhaupt durch keine Beschreibung, sondern nur durch innere Aufzeigung derselben klar machen. Fühle sie, so weißt du es; mehr läßt sich zu ihrer letzten Klarstellung nicht sagen; das hängt an ihrer einfachen Natur. Hingegen läßt sich viel von den Ursachen, Folgen, Beziehungen derselben sagen und wohl auch Erklärungen derselben danach geben, die doch ihre letzte Klarheit immer nur durch inneres Aufzeigen dessen, was wir unmittelbar als Lust und Unlust aus allen konkreten Vorkommnissen derselben identisch herausfühlen, erhalten. Daß aber ein solch’ Aufzeigen derselben in etwas innerlich Klarem oder in vorigem Wege leicht klar zu Machenden möglich ist, gibt auch allen Begriffen, die sich von ihnen abhängig machen lassen, einen klaren Kern.
Wir nennen Lust und Unlust und hiermit das Gefallen und Mißfallen, worein sie ein-gehen, um so höher geartet oder legen ihnen einen um so höhern Charakter bei, in einem je höheren geistigen Gebiete sie Platz greifen, oder an je höhere Verknüpfungen, Beziehungen, Verhältnisse sie sich knüpfen; am niedrigsten die, die sich an einfache sinnliche Eindrücke knüpft. So ist die Lust und hiermit das Gefallen an einem harmonischen Akkorde höher geartet als an einem einfachen reinen Tone, an einem musikalischen Satze höher als an einem einfachen Akkorde, an der einheitlichen Zusammenstimmung eines ganzen Musikstückes höher als an einem einfachen Satze.
Im gemeinen Leben verwechselt man leicht Höhe mit Stärke der Lust, ist geneigt, Lust bloß in niederem Sinne mit der Nebenbestimmung einer gewissen Stärke oder Lebhaftigkeit zu fassen, und bloß konkrete Arten der Lust, wie sie sich im Leben nun eben darbieten, vor Augen zu haben. Doch ist höhere Lust im obigen Sinne nicht immer die stärkere oder größere; denn es kann jemand größere Lust an einem einfachen sinnlichen Genusse als an einer richtigen Erkenntnis haben; es ist aber auch die Freude an einer richtigen Erkenntnis so gut Lust als die Lust am sinnlichsten Genusse, und das schwächste Gefühl der Befriedigung oder des Behagens noch so gut unter den Lustbegriff zu bringen als das stärkste, will man anders einen gemeinsamen Begriff für das Gemeinsame in all’ dem haben, den man doch braucht. Und wenn im gemeinen Leben das Bedürfnis über konkrete Fassungen der Lust und Unlust hinauszugehen, nicht groß ist, so kann man sich doch demselben selbst hier nicht ganz entziehen; um so weniger hat sich ihm die Wissenschaft entziehen können, wonach der Lustbegriff in der Psychologie unbedenklich in jener vollen Weite und Allgemeinheit gebraucht wird, welche an seiner Abstrahierbarkeit in reinster Fassung hängt, und welcher sich mit der niedersten Lust auch die höchstgeartete unterordnet, weil es solcher Fassung zur Stellung allgemeinster Gesichtspunkte bedarf, bis wohin das Bedürfnis des gemeinen Lebens nicht reicht.
Manche haben, um den beschränkenden Nebenbedeutungen zu entgehen, welche der gemeine Gebrauch des Wortes Lust leicht mitführt, für den allgemeineren Gebrauch andere Worte, als wie Wohl, Wohlgefühl, Glück, Glückseligkeit vorgeschlagen oder vorgezogen. Das ändert in der Sache nichts; nur fügen sich diese Worte der sprachlichen Verwendung nicht gleich gut als Lust, und können ohne ausdrückliche Erklärung eben so wenig oder im Grunde viel weniger zur Bezeichnung des allgemeinst verwendbaren Begriffes dienen. Dies hindert nicht, sie da, wo sich’s sprachlich schickt, dafür oder in Abhängigkeit davon zu gebrauchen, wie oft genug von uns geschehen wird, da sie jedenfalls in Abhängigkeit vom Lustbegriffe stehen.
Daß man vorzugsweise geneigt ist, Lust in niedrem Sinne zu verwenden, macht sich z. B. in Worten wie lüstig, Lustbarkeit, Lüsternheit, Lüste, Wollust geltend. In dieser Neigung liegt allerdings ein nicht zu verkennender und nicht zu unterschätzender Übelstand für den Gebrauch des Wortes Lust in jenem weitesten Sinne, der mit der niedersten die Lust von höchstem Charakter unter sich faßt, da sich ihm leicht unwillkürlich die engere und niedere Bedeutung unterschiebt. Böte nur die Sprache in ihrem Vorrat ein genügendes Ersatzmittel dafür dar. Nun aber widerstrebt der Ausdruck Lust doch nicht geradezu jener weitesten Fassung, und kann man selbst im gewöhnlichen Leben wohl noch von einer Lust an göttlichen Dingen, einer Lust an Erforschung der Wahrheit, am Wohltun u. s. w. sprechen; aber wie sollte man von einem Wohlgefühl oder einer Glückseligkeit daran sprechen. Diese sprachliche Unbequemlichkeit beim Gebrauche irgendwelcher Ersatzmittel für den Ausdruck Lust und der in der Psychologie schon akzeptierte Gebrauch desselben in größter Weite läßt mich auch in der Ästhetik denselben im Ganzen vor andern Ausdrücken vorziehen, ohne doch damit deren Gebrauch überall auszuschließen.
Insofern nach Vorigem aus allen noch so verschiedenen Arten der Lust wie Unlust etwas Identisches als Lust oder Unlust abstrahierbar ist, läßt sich voraussetzen, daß auch in allen verschiedenartigen Ursachen der Lust wie Unlust etwas Identisches als letzter allgemeiner wesentlicher Grund der Lust wie Unlust enthalten ist; aber sei es, daß wir es auf physischer, psychischer oder psychophysischer Seite suchen, ist es bis jetzt noch nicht gefunden, oder wenigstens kein klarer Ausdruck dafür gefunden, obwohl man verschiedene dafür versucht hat (als wie Harmonie, innere Wesensförderung), die doch mehr das Gesuchte als das Gefundene bezeichnen. Herbart sucht tiefer zu gehen; ich muß es aber seiner Schule überlassen, der ich nicht angehöre, sich damit zu befriedigen. Von einer psychophysischen Hypothese, die ich selbst aufgestelltIn den "Ideen zur Schöpfungsgeschichte" und für sehr möglich halte, halte ich doch hier nicht nötig zu sprechen, da es sich hier nicht um Psychophysik handeln wird. Natürlich kann der letzte Grund der Lust, welches er auch sei, nur in uns gesucht werden, und was von Außen solche in uns wecken soll, kann es nur insofern, als es diesen inneren Grund ins Spiel setzt.
Kennten wir aber auch diesen allgemeinsten letzten inneren Grund, so wäre damit doch nicht erspart, den besonderen inneren und äußeren Ursachen der Lust und Unlust nachzugehen, Gesetze ihrer Entstehung unter besonderen Verhältnissen aufzusuchen; wie man von der Wärme zwar weiß, daß sie überall auf raschen Schwingungen der Körperteilchen beruht, aber mit dieser Kenntnis noch kein Schwefelhölzchen anzünden und keine Dampfmaschine heizen kann.
Beides, Lust und Unlust, faßt man unter dem Namen Gefühle zusammen. Insofern jedoch dieser Name sonst auf mancherlei Seelenzustände oder Seelenbestimmungen angewandt wird, welche nicht auf klare Vorstellungen oder Begriffe zu bringen, ohne Rücksicht ob Lust oder Unlust dabei ins Spiel kommt, kann man Lust und Unlust zur bestimmteren Unterscheidung ästhetische Gefühle nennen.
Allgemein gesprochen strebt der Mensch nach Glück, sei es, daß man Lust oder Lustbedingungen unter Glück versteht; zieht daher auch allgemein gesprochen die Lust der Unlust, die größere der kleineren Lust, die kleinere Unlust der größeren Unlust vor, und überträgt dies auf die Bedingungen der Lust und Unlust; indem er mehr oder weniger mit der Gegenwart auch die Folgen bedenkt. Bei dem großen Interesse, welches hiernach der Lust und Unlustertrag der Dinge und Verhältnisse für ihn hat, findet er aber auch Anlaß, Begriffe und Ausdrücke in Bezug darauf zu bilden.
Nun gibt es manche Begriffe und mithin Ausdrücke, welche auf die Dinge und Verhältnisse nach Maßgabe bezogen werden, als sie einen gegenwärtigen oder unmittelbaren Lust oder Unlustertrag gewähren, so nach der Lustseite angenehm, anmutig, ansprechend, lieblich, reizend, niedlich, hübsch, schön u. s. w., denen eben so viele nach der Unlustseite entsprechen. Beide fassen wir als ästhetische Kategorien zusammen und unterscheiden sie als positive und negative. Andere gibt es, welche sich auf den Lust- und Unlustertrag der Dinge und Verhältnisse mit Rücksicht auf den Zusammenhang und die Folgen derselben beziehen, sofern diese ihrerseits einen lustvollen oder unlustvollen Charakter tragen können, die Rücksicht auf den gegenwärtigen Ertrag dabei nicht ausgeschlossen, sonach der Lustseite: vorteilhaft, nützlich, zweckmäßig, gedeihlich, heilsam, segensreich, wertvoll, gut u. s. w., denen als positiven wiederum nicht minder viele negative nach der Unlustseite entsprechen. Beide fassen wir als praktische Kategorien zusammen, sofern sie vorzugsweise für die Richtung unseres Handelns von Belang sind.
Von vorn herein, ohne schon die vorigen Bestimmungen über die beiderlei Hauptkategorien vor Augen zu haben, könnte man etwas Rätselhaftes in ihrem Verhältnisse finden. Gewiß erscheinen nach vorgreiflicher Ansicht die positiven ästhetischen Kategorien verwandter mit den positiven als mit den negativen praktischen, entsprechend bei Vertauschung von positiv und negativ. Man wird angenehm und schön vielmehr mit nützlich und gut, als mit schädlich und schlimm auf dieselbe Seile legen wollen, und doch kann etwas Angenehmes sehr schlimm, etwas Unangenehmes sehr gut sein. Wie reimt sich das? Sehr einfach, wenn man auf die obigen Bestimmungen zurückgeht. Der gegenwärtige Lustertrag kann ja von einem größeren Unlustertrag, der gegenwärtige Unlustertrag von einem größeren Lustertrag in Folgen überboten werden. Die gemeinsame Beziehung der beiderlei Kategorien zu Lust und Unlust verrät sich zwar schon von vorn herein dadurch, daß beide einen entsprechenderen Gegensatz des Positiven und Negativen darbieten, als der Lust und Unlust selbst zukommt; sie klärt sich aber vollends durch obige Bestimmungen. Also haben wir wohl Grund, dieser Begriffsbestim-mung aus allgemeinstem Gesichtspunkte zu vertrauen.
Unstreitig lassen sich die praktischen Kategorien, statt durch Beziehung auf Lust und Unlust, auch durch Beziehung auf unsere bewußten Antriebe und Gegenantriebe, oder, was auch vorkommt, doch auf dasselbe herauskommt, durch Bezug auf einen, über die Tragweite des gewöhnlichen Sprachgebrauches ausgedehnten, Begriff der Liebe erklären, als Angestrebtes und Anstrebenswertes, Liebe weckendes und Liebe verdienendes fassen. Nach der psychologischen Grundbeziehung zwischen Lust und Unlust einerseits, bewußten Antrieben und Gegenantrieben andrerseits, worüber unter 4) noch einige Worte, treten aber beide Erklärungen sachlich in einander hinein, und werden immer eine Übersetzung in einander gestatten, wonach man untriftigerweise durch die eine die andere ausgeschlossen hält. Unsrerseits in der grundlegenden Erklärung die Beziehung der praktischen Kategorien auf Lust und Unlust vor der Beziehung auf Streben und Gegenstreben zu bevorzugen, lag aber ein doppelter Grund vor. Einmal galt es, die Beziehung dieser Kategorien zu den ästhetischen Kategorien unmittelbar klar herauszustellen, was nur durch einen gemeinsamen Mittelbegriff geschehen konnte, also nur durch Lust und Unlust, sofern diese schon den Kern der ästhetischen Kategorien bildeten. Zweitens aber scheint mir, daß das allgemeine Sprach- und Begriffsbewußtsein in der Tat die praktischen Kategorien in direkterer Beziehung zu Lust und Unlust, als zu Streben und Gegenstreben faßt. Denn man findet etwas nicht vorteilhaft, gut, sofern man danach strebt oder streben soll, sondern man strebt danach oder soll danach streben, weil man es vorteilhaft, gut findet; damit das aber nicht auf einen identischen Satz hinauslaufe, muß man vorteilhaft, gut durch einen andern Begriff als Streben bestimmt denken; und es ist nur Sache einer klaren Analyse, den Lustbegriff in unserem Sinne darin zu erkennen. Wenn ich daher mit Obigem zugegeben habe, daß sich die praktischen Kategorien eben sowohl nach ihrer Beziehung zu Streben und Gegenstreben als zu Lust und Unlust erklären lassen, so gilt dies doch nur, so lange als man diese Kategorien für sich betrachtet; nicht aber kann ich zugeben, daß ein Begriffssystem, was man mit Hilfe der ersten Erklärungsweise konstruiert, dem allgemeinen Verständnis gleich leicht zugänglich und gleich frei von versteckten oder offenen Zirkelerklärungen herzustellen ist, als das, was auf der letzteren Erklärungsweise fußt.
Unter den ästhetischen Kategorien tritt der Begriff schön, unter den praktischen der Begriff gut je nach weiterer oder engerer Fassung entweder als der allgemeinste, d. i. die anderen mit unter sich fassende, oder als der oberste, d. i. in einer bevorzugten Bedeutung vor den anderen verstandene, auf, jedenfalls als der Hauptbegriff. Wir haben es hier wesentlich nur mit dem ersten zu tun, ohne doch die Beziehung des zweiten dazu ganz beiseite lassen zu können.
Den Begriff des Schönen als Hauptbegriff der Ästhetik zu fassen, entspricht der allgemeinen Übereinstimmung; von Manchen wird sogar diese Lehre schlechthin als Lehre vom Schönen erklärt. Das Schöne selbst aber wird verschiedentlich nach seinem Ursprunge (aus Gott, Phantasie, Begeisterung), seinem Wesen (sinnliche Erscheinung der Idee, Vollkommenheit der sinnlichen Erscheinung, Einheit in Mannigfaltigkeit u. s. w. u. s. w.) oder seiner Leistung (in Wohlgefallen, Lust) erklärt. Unserseits sind wir nicht nur durch das Prinzip, begrifflich überall von Erläuterung des Sprachgebrauches auszugehen, an den Ausgang von letzter Erklärungsweise gebunden, sondern auch durch die Konsequenz unserer allgemeinen Bestimmungen über die ästhetischen Kategorien, die doch ihrerseits nur in allgemeinerer Weise auf solche Erläuterung zurückkommen.
Hiernach heißt schon im weitesten Sinne, der zugleich der gemeinste ist, Alles, woran sich die Eigenschaft findet, unmittelbar, nicht erst durch Überlegung oder durch seine Folgen, Gefallen zu erwecken, insbesondre, falls es diese Eigenschaft nicht in zu geringem Grade und falls es sie verhältnismäßig rein besitzt, indes wir bei geringerem oder nur verhältnismäßigem Grade Ausdrücke wie angenehm (oft mit sinnlicher Nebenbedeutung), ansprechend, hübsch vorziehen, und diese oder jene Schattierungen des Gefallenden durch diese oder jene andere Ausdrücke, wie anmutig, niedlich, erhaben, prächtig u. s. w. bezeichnen. In jenem weitesten Sinne kann etwas so gut schön schmecken als schön aussehen, gibt es so gut schöne Seelen als schöne Körper, schöne Ideen als schöne Statuen. Der Sprachgebrauch duldet in der Tat nicht nur das Alles, sondern es ist auch gut, daß er es duldet, denn wir halten sonst für das Alles keine gemeinsame Bezeichnung, die wir doch brauchen. Im engeren Sinne der Ästhetik und Kunstbetrachtung aber heißt schön etwas nur, wiefern es geeignet ist, höhere als bloß sinnliche Lust doch unmittelbar aus Sinnlichem schöpfen zu lassen, was sei es durch Auffassung innerer Beziehungen des Sinnlichen oder durch Vorstellungsassoziation an das Sinnliche möglich ist, worauf näher einzugehen sich Anlaß genug bieten wird. Auch in diesem engeren Sinne aber wird der Ausdruck schön um so lieber von einem Gegenstande gebraucht, je voller und reiner sein Lusteindruck ist, und werden Schattierungen desselben durch besondere ästhetische Kategorien gedeckt, in deren Erörterung die Lehrbücher der Ästhetik eine ihrer Hauptaufgaben zu suchen pflegen. Wenn aber Manche den Ausdruck schön im engeren Sinne bloß auf Kunstwerke (als Schöpfungen des Geistes) angewandt wissen wollen, so ist dies eine willkürliche Beschränkung, welche der allgemeine gebildete Sprachgebrauch nicht teilt, und wogegen die Schönheit eines lebendigen Menschen wie einer Landschaft sich füglich wehren darf. Das hindert nicht, Unterschiede zwischen Naturschönem und Kunstschönem anzuerkennen; aber dazu hat man eben beide Worte, um beides zu unterscheiden. Gewiß ist nur, daß der Begriff der Schönheit im engeren Sinne sich öfter durch das Kunstschöne als Naturschöne erfüllt findet, was näher zu betrachten andershin gehört.
Jedoch man hat noch von einem Begriff des Schönen in einem engsten Sinne zu sprechen. Mit den vorigen Bestimmungen kommen wir nicht über die Subjektivität des Schönen heraus; der Eine kann danach noch schön finden, was der Andere von dessen Gebiete ausschließt. Nun aber soll nicht Alles gefallen, was gefällt, es gibt nicht bloß Gesetze, nach denen sich Gefallen und Mißfallen tatsächlich richten, von denen künftig zu reden sein wird, sondern auch Forderungsgesetze des Gefallens und Mißfallens, darauf bezügliche Regeln des guten Geschmackes, und davon abhängige Regeln der Erziehung des Geschmackes, die mit erstem Gesetzen nicht in Widerspruch stehen, vielmehr solche nur in rechter Richtung zu verwerten haben. Zur Begriffsbestimmung des Schönen in einem engsten Sinne, des wahrhaft Schönen, des echten Schönen, was nicht bloß aus höherem Gesichtspunkte gefällt, sondern auch Recht hat zu gefallen, hat man auch den Wert der Lust, die in das Gefallen mit eingeht, zuzuziehen, wonach der Begriff des echten Schönen einer wesentlichen Mitbestimmung durch den Begriff des Guten unterliegt, wovon der des Wertes in später zu betrachtender Weise abhängt. Kurz wird man sagen können: im Begriffe des Schönen im engsten Sinne kreuzen sich die Allgemeinbegriffe des Schönen und Guten, indes sie sonst über einander hinausgreifen. Immer bleibt dem Begriff des Schönen auch in dieser engsten Fassung anders als dem Begriff des Guten an sich wesentlich, unmittelbar Gefallen und hiermit Lust wecken zu können; aber nicht jedes Gefallen, jede Lust ist mit Rücksicht auf die Folgen und Zusammenhange gleichwertig, hiermit gleich gut. Dies wird in dem späteren Abschnitte über den Geschmack eingehender besprochen.
Hiernach hindert nichts, das wahre Schöne, was also wert ist Gefallen zu wecken, in höchster Instanz aus Gott abzuleiten, von dem ja zuletzt Alles abzuleiten sein wird und in dem sich schließlich Alles abzuschließen und zu gipfeln hat, dasselbe mit wertvollsten höchsten Ideen in Beziehung zu setzen, als Ausdruck derselben im Irdischen, Sinnlichen zu erklären; nur können wir nach unserem Gange von Unten nicht mit solchen Erklärungen anfangen, und müssen uns doch des Wortes schön der Kürze halber vom Anfange herein bedienen, um damit auf eine Leistung hinzuweisen, auf die jeder auch außerhalb der Ästhetik und Kunstlehre gewohnt ist, sich dadurch gewiesen zu finden.
Ein einfaches Merkmal, was die Dinge schön im weitesten oder engsten Sinne macht, gibt es überhaupt nicht, hingegen viele Versuche, das Wesen oder den Kern der Schönheit aus diesem oder jenem Gesichtspunkte durch eine einfache Phrase treffend zu bezeichnen. Die Systeme der Ästhetik von Oben pflegen von einem solchen Versuche auszugehen, überbieten, bestreiten sich darin und kommen damit nicht zu Ende. Die Ästhetik von Unten hat dafür nach dem, was früher über ihren Charakter gesagt ist, von vorn herein nur Erklärungen zur Erläuterung des Sprachgebrauches, um sich über die Gesetze klar aussprechen zu können, nach denen etwas gefällt und gefallen soll, und die Anspruch machen, bei jedweder Begriffsbestimmung des Schönen überhaupt richtig zu bleiben.
Gewiß ist, daß, in welcher Weite immer der lebendige Sprach- und Begriffsgebrauch den Begriff der Schönheit fassen mag, er nicht auf Ursprung und wesentliche Beschaffenheit, sondern Leistung des Schönen in Lust Bezug nimmt; und es ist erläuternd, den Begriff der Schönheit in dieser Beziehung mit dem der Heilsamkeit zusammenzustellen. Auch dieser hat sich nur in Beziehung auf eine gewisse Leistung der Mittel gebildet und ist klar und sachgemäß nur in Beziehung auf diese festzustellen, welche darin besteht, den Menschen gesund zu machen. Wollte man den Begriff der Heilsamkeit der Mittel in Bezug auf eine gewisse allgemeine Eigenschaft oder Herkunft der Mittel stellen, und die Heilkunde hiervon abhängig machen, so wäre dies eben so untriftig, als wenn man den Begriff der Schönheit entsprechend festzustellen und die Ästhetik hiervon abhängig zu machen sucht. Nach Feststellung des Begriffes der Heilsamkeit in Bezug auf die von den Mitteln zu vollziehende Leistung ist vielmehr die Frage, wodurch die Dinge heilsam werden, nur noch eine Frage der Gesetze der Heilsamkeit, welche es unmöglich ist, gleich im Begriffe zu beantworten; und so ist nach Feststellung des Begriffes der Schönheit in Bezug auf die vom Schönen zu vollziehende Leistung die Frage, wodurch die Dinge schön werden, nur noch eine Frage der Gesetze der Schönheit oder des Gefallens, welche es eben so unmöglich ist, gleich im Begriffe zulänglich zu beantworten; da eben so wenig eine allgemeine Eigenschaft, welche die Dinge lustgebend macht, als eine solche, welche sie heilsam macht, bekannt ist; und erst dann, wenn es gelungen sein sollte, den Grund dieser Leistung des Schönen eben so klar und einfach als die Leistung selbst zu bezeichnen, würde sich eine fundamentale Erklärung des Schönen darauf gründen lassen.
Dennoch haben, in Verkennung der Unmöglichkeit hiervon, die seither an die Spitze der Ästhetik gestellten Erklärungen des Schönen vorzugsweise sich an die Bezugnahme auf Ursprung oder Wesen gehalten; und sind eben damit für eine erfolgreiche Entwicklung der Ästhetik unbefriedigend geblieben. Nicht, daß nicht alle Ästhetiker die Leistung des Schönen für den, der es als Schönes zu erkennen vermag, in höherer Lust zugestanden oder selbst gefordert hätten, vielmehr, daß alle, bei übrigens statt findender Abweichung, hierin übereinstimmen, beweist selbst, daß diese Leistung wesentlich für den Begriff des Schönen ist, nur daß man gemeint hat, daran in der Begriffsbestimmung des Schönen nicht genug zu haben und sie durch eine solche zu ersetzen gesucht hat, welche statt der Aussage der Leistung gleich die Bedingung oder das Prinzip derselben einschließt, die Leistung in Lust aber als eine für die Begriffsbestimmung gar nicht wesentliche nur beiläufig oder sekundär berücksichtigt hat. Alle solche Erklärungen aber schaden, indem sie das nicht geben, was sich zur Klärung des allgemeinen Sprach- und Begriffsgebrauches so wie als Angriffspunkt und Einleitung der sachlichen Untersuchung wirklich geben läßt, dafür aber scheinbar das geben, was durch keine allgemeine Erklärung in einem einfachen Satze zu geben ist, hiermit vom richtigen Wege seiner Erforschung ablenken.
Nun gibt es freilich auch Ästhetiker, wie Kant, Bouterweck, Fries u. a., welche in der Bestimmung des Schönen von der Leistung desselben in Lust oder der Eigenschaft desselben zu gefallen, ausgehen, aber anstatt von da den Weg zur Untersuchung der Gesetze des Gefallens und Mißfallens zu nehmen, bei Formalbestimmungen über das Wesen des Gefallens am Schönen stehen bleiben, oder in die Wege, den Ursprung oder Grund der Eigenschaft des Gefallens gleich in der Begriffsbestimmung zulänglich feststellen zu wollen, zurückschlagen.
Doch wenden wir uns vom Hauptbegriffe der ästhetischen zu dem der praktischen Kategorien, um seiner Unterschieds- wie Verwandtschaftsbeziehungen dazu deutlich zu gewahren.
Der Begriff des Guten wird wie der des Schönen nach Ursprung, Wesen oder Leistung erklärt. Und wiederum sind wir unserseits an die Beziehung zur Leistung gebunden, nicht minder, um uns dem geläufigsten Begriffsgebrauche anzuschließen, als zur Festhaltung der Beziehung zum Schönen, wie sie im allgemeinen Verhältnis der ästhetischen und praktischen Kategorien begründet liegt. Hiernach heißt uns gut im weitesten Sinne, der zugleich der gemeinste ist, Alles, insofern es mit Rücksicht auf einen in Betracht gezogenen oder unbestimmt gelassenen Kreis der Zusammenhänge und Folgen voraussetzliche Bedingung von mehr Lust als Unlust, oder ein Mittel, mehr Unlust zu verhüten, zu tilgen als zu schaffen ist, wonach man eben sowohl von gutem Wetter, einer guten Ernte, als von einem guten Menschen, einer guten Staatseinrichtung sprechen kann; — hingegen gut im engeren Sinne der Ethik und Religion, sofern der so gefaßte Begriff auf Gesinnung, Handlung, Dichten und Trachten vernünftiger Wesen, in höchster Instanz des göttlichen Wesens, bezogen wird; wonach ein Mensch nur gut zu nennen ist, insofern er aus einer Gesinnung heraus und im Sinne von Regeln handelt, wodurch voraussetzlich vielmehr das Glück als Unglück, hiermit vielmehr Lust als Unlust in der Welt gefördert wird, auch Gott nur gut heißt, insofern man voraussetzt, daß er Veranstaltungen zum Heile der Menschheit, d. i. ihrer Glückseligkeit aus höchsten und letzten Gesichtspunkten getroffen habe, ja selbst das Unheil in diesem Sinne wende.Freilich gerät man mit der Weise, wie theologischerseits versucht wird, die Allmacht und Güte Gottes, beide zugleich, mit dem Dasein des Übels in der Welt zu vereinbaren, in unlösliche Antinomieen. Meinerseits glaube ich , daß das Übel in der Welt weder durch den Willen noch durch Zulassung Gottes, sondern durch eine metaphysische Notwendigkeit der Existenz besteht, daß aber eben so notwendig und in Zusammenhang damit eine Tendenz in der Welt besteht, dasselbe immer mehr zu heben, zu bessern, zu versöhnen, und daß über aller einzelnen menschlichen bewußten Tendenz in dieser Richtung die allgemeinere höhere ins Unendliche reichende göttliche besteht, worin nun eben die Güte Gottes beruht; was weiter auszuführen und näher zu begründen doch hier nicht der Ort ist, da sich’s hier nicht handelt, die Sache der Güte nachzuweisen, sondern ihren Begriff dem der Schönheit gegenüber zu erläutern. Gibt es einen Gott und eine Güte Gottes, so wird sie jedenfalls nur wie oben zu verstehen sein, soll sie überhaupt verstanden werden.
Vorteilhaft, nützlich, zweckmässig und andere praktische Kategorien ordnen sich dem weitesten Begriffe des Guten mit der Bestimmung unter, nur mit Rücksicht auf einen mehr oder weniger bestimmten und beschränkten Kreis von Zusammenhängen und Folgen, und vielmehr in Bezug auf äußere Dinge und Verhältnisse, als auf solche angewandt zu werden, welche in den Kreis des Guten im engeren Sinne, des ethisch oder sittlich Guten fallen, wogegen für besondere Bestimmtheiten des letzteren die ethischen Kategorien, als wie ehrlich, rechtlich, treu, gewissenhaft, wohltätig, großmütig, edel u. s. w., kurz alle Tugendbezeichnungen gelten.
Wenn das sittlich und göttlich Gute unter eine gemeinsame Kategorie mit so vielem andern Guten gebracht, hiermit dieser ganzen Gemeinsamkeit nur untergeordnet erscheint, so benimmt diese begriffliche Unterordnung seiner sachlichen Höbe nichts; da eine höchste Stufe sachlich immer die höchste bleibt, trotz dem, daß sie begrifflich mit niederen Stufen unter einen gemeinsamen Begriff tritt; ja ohne das könnte sie den Rang einer höchsten gar nicht einnehmen.
Will man das ethisch Gute als das erklären, was in der Gesinnung und dem Willen des Menschen dem göttlichen Willen gemäß ist, so widerspricht diese Erklärung der obigen sachlich nicht, kann aber nur in der Religion am Platze sein. Immer wird man danach noch zu fragen haben: was ist denn im Sinne des göttlichen Willens? und selbst wenn man diese Frage durch die 10 Gebote und das Wort der Bibel: "liebe Gott über Alles und deinen Nächsten wie dich selbst", von Oben herab im Wesentlichen beantwortet hält, nach einem verknüpfenden Gesichtspunkte dieser Gebote und klaren Auslegung letzten Wortes fragen können, wozu das Prinzip des Guten noch andersher bestimmt sein muß.
Güte einer Sache begründet nicht notwendig Schönheit derselben, kann aber insofern dazu beitragen, als sich der Lustertrag der Zusammenhänge und Folgen, worauf die Güte der Sache beruht, durch geläufig gewordene Vorstellungsassoziation auf den unmittelbaren Eindruck der Sache überträgt, ein Quell der Wohlgefälligkeit, der später (unter IX) ausführlich besprochen wird. Umgekehrt bedarf es zwar nicht der Schönheit zur Güte, doch kann Schönheit, wenn sie vorhanden ist, helfen, Güte zu begründen, sofern der unmittelbare Lustertrag doch mit zum gesamten Lustertrage gehört, auf den der Begriff des Guten geht, nur diesen nicht allein bestimmt und gegen einen überwiegenden Unlustertrag der Folgen nicht durchschlägt. Dazu wirkt eine schöne Form des Guten als Reiz, dasselbe anzustreben. Auch das Häßlichste aber kann gut gefunden werden, wie eine schlecht schmeckende und schlecht aussehende Medizin unter Voraussetzung, daß der unmittelbare Unlustertrag derselben durch Beseitigung größerer Unlustfolgen überwogen werde.
Insofern nach Vorigem sowohl Schön als Gut in sehr verschiedener Weite gebraucht werden können, wird für uns die Regel des Gebrauches die sein, daß wir sie nach Maßgabe weiter oder enger fassen, als der Kreis der Betrachtung sich erweitert oder verengert, also sie so lange im weitsten Sinne fassen, als nicht beschränkende Bestimmungen von selbst sich geltend machen oder ausdrücklich geltend gemacht werden.
Daß aber die weitesten Begriffsbestimmungen von Schön und Gut, wie sie oben aufgestellt worden, wirklich nichts Andres als die Explikation des weitestgreifenden lebendigen Sprach- und Begriffsgebrauches sind, mag noch durch folgende Bemerkungen erläutert und bekräftigt werden.
Der gemeine Mann gebraucht von allen ästhetischen Kategorien überhaupt nur den Begriff schön, indem er in seinem wenig entwickelten Begriffssystem kein Bedürfnis fühlt, sich auf feinere Unterscheidungen des unmittelbar Gefallenden einzulassen; also vertritt ihm schön in seiner weitsten Fassung alle übrigen ästhetischen Kategorien. In der Tat hört man ihn nie sagen: das ist angenehm, wohlgefällig, anmutig, zierlich, niedlich; er sagt überall nur: das ist schön.
Aber auch die Gebildeteren, denen feinere Unterscheidungen geläufig sind, bedienen sich in so vielen Fällen, wo es sich nicht ausdrücklich um Geltendmachung solcher Unterscheidungen handelt, gern des Ausdrucks schön in größter Weite, sagen demnach unbedenklich: das schmeckt schön, riecht schön, sprechen von einem schönen Tone, schönen Wetter, einer schönen Idee, einem schönen Beweise, was alles nicht zu der, von der Ästhetik höheren Stils eingehaltenen, engeren Begriffsfassung der Schönheit paßt, nach welcher weder das bloß sinnlich Wohlgefällige, noch das ganz ins innere geistige Gebiet Fallende unter den Begriff schön subsumiert wird.
Ganz entsprechend aber als mit Schön verhält es sich in diesen Beziehungen mit Gut. Die Ausdrücke nützlich, vorteilhaft, zweckmäßig, wertvoll, heilsam werden vom gemeinen Manne nicht gehört, er hat für alle praktischen Kategorien nur denselben Ausdruck gut wie für alle ästhetischen den Ausdruck schön; und etwa Segen für eine große Fülle des Guten; die allgemeinste Bedeutung ist beidesfalls zugleich die gemeinste. Der gebildete Sprach- und Begriffsgebrauch hat eben so die Unterscheidung der praktischen wie ästhetischen Kategorien, kann sich aber auch oft eben so wenig der weitesten Fassung des Begriffes Gut entziehen als des Begriffes Schön, weil eine allgemeine Bezeichnung des Lustgebenden unter Mitrücksicht auf Zusammenhänge und Folgen oft eben so nötig, als die Unterscheidung der Unterbegriffe und Nuancen dabei ohne Interesse ist.
Entsprechendes als vom Verhältnis der Hauptkategorien Schön und Gut zu den untergeordneten Kategorien, läßt sich vom Verhältnis beider Hauptkategorien zu einander sagen. Sie werden im täglichen Leben ganz im oben bezeichneten Sinne unterschieden.
So sagt man im täglichen Verkehr zu einem Andern: "es ist schön, daß du kommst", wenn man der unmittelbaren Lust, die das Kommen des Andern erweckt, einen Ausdruck geben will; "es ist gut, daß du kommst", wenn man an Folgen seines Kommens im Sinne der Lust oder zur Verhütung der Unlust denkt. — Man spricht von schönem Wetter oder gutem Wetter, je nachdem man den unmittelbar erfreulichen Eindruck desselben oder die erfreulichen Folgen, die es verspricht, bezeichnen will. — Von demselben Gemälde sagt der Eine vielleicht, es ist ein schönes, der Andre, es ist ein gutes Gemälde. Sie wollen der Sache nach wohl dasselbe ausdrücken, aber der Eine faßt das Gemälde hierbei, wie es wirklich durch seine Gegenwart Lust bringt, der Andre faßt es auf als solche Eigenschaften besitzend, daß es unter den erforderlichen Umständen Lust bringen kann, ohne in seinem Ausdrucke etwas von der gegenwärtigen Lustwirkung des Gemäldes anzudeuten. — Man nennt ein Haus schön gebaut, wenn es in solchen Verhältnissen gebaut, so verziert ist, daß es unmittelbar Lust durch seinen Anblick gewährt. Doch könnte ein solches Haus so gebaut sein, daß es über kurz oder lang über unseren Köpfen zusammenstürzte oder beim Gebrauche Unbequemlichkeiten nach sich zöge, die größer wären als die Lust, die uns sein Anblick jetzt gewährt. Dann würden wir es doch nicht gut gebaut heißen können; auch schön aber würden wir es nicht finden, wenn sich seine schlechte Bauweise im unmittelbaren Eindruck so geltend machte, um die Unlust der Folgen assoziationsweise darauf zu übertragen. — Ich hörte jemand sagen: "wenn man den Weinstock ringelt, so werden die Trauben früher reif und größer." "Das ist freilich recht schön," erwiderte ein Andrer; "aber ich halte es doch nicht für gut; er wird von dieser unnatürlichen Behandlung leiden und man im Ganzen mehr dabei verlieren als gewinnen." Mit dem Ausdrucke schön bezog er sich hierbei auf den unmittelbaren Lustgewinn, mit dem Ausdruck gut auf den gesamten Gewinn mit Einschluss der Folgen. — Wenn eine Sache, die uns längere Zeit Schwierigkeiten gemacht hat, endlich in rechter Weise zu Stande gekommen, oder ein Übel, was uns längere Zeit geplagt hat, endlich gehoben ist, wird man trotz des unmittelbaren Gefallens, was man hieran hat, doch nicht sagen: "nun ist’s schön", sondern "nun ist’s gut"; sofern uns der Zusammenhang des Erfolges mit dem Ablauf der gehobenen und für die Folge beseitigten Schwierigkeiten oder Übelstände noch lebhafter vor Augen tritt, als der jetzige erfreuliche Erfolg selbst.
Da bei der Güte die unmittelbaren Lustwirkungen, wo solche vorhanden sind, immer auch mit in Betracht kommen, so werden sie natürlich allein in Betracht kommen, wo sie allein vorhanden sind, oder wo kein bestimmter Anlaß ist, außer ihnen vielmehr an Folgen im Sinne der Lust oder Unlust zu denken. Und so braucht man in solchen Fällen gut und schön gleichbedeutend, sagt demnach eben so oft: das schmeckt gut, riecht gut, als, das schmeckt schön, riecht schön; das nimmt sich gut aus, als das nimmt sich schön aus.
Anderseits kann man gemäß schon oben gemachter Bemerkung eine Einrichtung oder Handlung, die man mit Rücksicht auf ihre voraussetzlichen Folgen gut nennt, auch schön finden, insofern man sie sich im Zusammenhange mit ihren Folgen so vorführt, daß die Vorstellung davon einen unmittelbaren Lusteindruck macht. Man muß nur, um begriffliche Klarheit zu behalten, immer ins Auge fassen, aus welchem Gesichtspunkte man ein- und dasselbe bald schön, bald gut nennt, und wird die angegebene Unterscheidung beider Begriffe dann immer bestätigt finden.
Mit dem Begriffe der Güte steht in engster Beziehung der Begriff des Wertes. Kurz kann man unter Wert den Maßstab der Güte verstehen. Als solcher ist er zugleich ein Maßstab des Lustertrages, den wir an die Dinge, Handlungen, Verhältnisse anlegenBeim Tauschwerte oder Preise kommt die Schwierigkeit der Beschaffung als Faktor in Mitrechnung., mit Bücksicht, daß verhütete oder gehobene Unlust gleich gilt mit erzeugter Lust. Mit andern Worten: wir messen den Dingen und Verhältnissen einen Wert bei, nach Maßgabe als sie zum menschlichen Glücke beitragen oder Unglück verhüten, tilgen.
Daß wir den Lustertrag nicht mathematisch abschätzen könnenEin eigentlich mathematisches (unstreitig nur psychophysisch mögliches) Maß der Intensität der Lust und Unlust dürfte sich erst im Zusammenhange mit einer Erkenntnis der allgemeinen Grundursache von Lust und Unlust finden lassen. Bis dahin kann es sich nur um Schätzung von Mehr oder Weniger handeln., ändert nichts im Begriff des Wertes; wir können den Wert der Dinge eben auch nicht mathematisch abschätzen, beide Schätzungsmängel, will man sie dafür halten, gehen sich nicht nur parallel, sondern laufen auf dasselbe hinaus. Doch können wir teils nach verständiger Erwägung, teils nach einem aus den gesamten Erfahrungen und Belehrungen resultierenden Gefühle, welches im Allgemeinen viel bestimmender und oft viel sichrer als jene ist, die Schätzung eines Mehr oder Weniger des Wertes in gewissen Grenzen der Sicherheit wohl bewirken, und müssen uns daran genügen lassen, insofern wir die Sicherheit nicht weiter zu treiben vermögen. Täglich, stündlich aber übt sich der Mensch, Alles, was ihm begegnet, auf seinen verhältnismäßigen Beitrag zur Vermehrung, Erhaltung oder Verminderung des menschlichen Glückes, kurz auf seinen Lust- und Unlustertrag anzusehen. Ohne daß er es weiß, rechnen sich in seinem Gefühle Lust- und Unlustresultate für ein Ganzes von Erfolgen heraus, so daß er zu Wertbestimmungen der Dinge kommt, er weiß selbst nicht wie, und oft ohne daß der Verstand etwas dazu getan zu haben scheint; obschon derselbe weder überall müßig dabei ist noch sein soll. Inzwischen reichen die Mittel, die dem Einzelnen für Gewinnung richtiger Wertbestimmungen zu Gebote stehen, nicht weit, und so fußt er in der Hauptsache auf Wertbestimmungen, die sich durch die Erfahrungen und Überlegungen einer Gesamtheit im Laufe der Geschichte festgestellt haben; wozu er doch selbst etwas beitragen kann, um sie fester zu stellen oder abzuändern.
Ob man den Wertbegriff auf die Bedingungen der Lust oder auf die Lust selbst beziehen will, ist sachlich gleichgültig, wenn man die Bedingungen doch nur nach Maßgabe ihres Lustertrages schätzt. Der Wert oder Unwert einer Lust aber, wonach sie verdient angestrebt zu werden oder nicht, ist gemäß dem allgemeinen Prinzip der Güte nicht bloß nach ihrer eigenen Größe zu bemessen, sondern auch nach der Größe der Lust oder Unlust, als deren Quell sie angesehen werden kann. Wir sagen insofern, daß eine Lust Quell von Lust oder Unlust sei, als ihr Dasein an Bedingungen hängt, oder mit solchen zusammenhängt, welche Lust oder Unlust zur Folge haben, wie z. B. die Lust am Wohltun mit Antrieben zusammenhängt, welche geeignet sind, die Lust in der Welt zu mehren, die Lust an der Grausamkeit mit Antrieben, welche geeignet sind, sie zu mindern; die Lust an einem mäßigen Genusse mit einer solchen Erhaltung des Menschen, welche ihn fähig macht, auch künftig Lust zu genießen und zu schaffen, die Lust an einem unmäßigen Genusse mit einer solchen Störung der Gesundheit, daß dadurch um so größere Unlust herbeigeführt wird. Als schlecht, mithin von negativem Werte, ist hiernach überhaupt eine Lust zu erklären, insofern die Voraussetzung besteht, daß sie nach den Bedingungen, an denen sie haftet, nach dem Zusammenhange, in den sie eintritt, größere Unlust in Folgen erzeugt oder größere Lust am Zustandekommen hindert, als sie selbst beträgt, welche Folgen aber, falls wirklich Wert im allgemeinsten Sinne verstanden werden soll, nicht bloß auf den eigenen Lustzustand der betreffenden Menschen, sondern den gesamten Lustzustand der Menschheit zu beziehen sind. Hiernach kann Unlust sogar einen höheren Wert als Lust erhalten, wenn sie sich durch größere Lustfolgen zu überbieten oder größere Unlustfolgen zu hindern vermag. Und mag, wie zugestanden, eine genaue Schätzung hiervon nicht möglich sein, so ist doch die Schätzung des Wertes prinzipiell auf diesen Gesichtspunkt zu stellen, weil jede andere Schätzung mit mindestens gleich unmöglicher Genauigkeit größerer Unklarheit unterliegen wird.
Die Lust des Bösen und die Lust am Bösen haben hiernach überhaupt bei gleicher Größe nicht gleichen Wert als die des Guten und als die Lust am Guten, sofern jene Lust nach der Natur des Bösen und Guten selbst mit überwiegenden Unlustfolgen, diese mit überwiegenden Lustfolgen zusammenhängt. Der glückliche Zustand des Bösen erhält ihn in seinen bösen Neigungen und stärkt sein böses Vermögen und erhält und stärkt damit einen Quell allgemeiner Unlust. Hiergegen gewinnt die Strafe des Bösen, göttliche und menschliche, obwohl direkt Unlust bereitend, Wert nicht nach dem leeren Prinzip einer Retaliation oder dogmatischen Prinzip einer Sühne, wobei eine Frage nach dem Warum noch immer rückwärts bleibt, sondern sofern sie den Bösen bessert, abhält, abschreckt, kurz dem Übel als Quell der Unlust steuert; und je mehr sie von diesen Bedingungen vereinigt, desto größeren Wert wird sie haben.Ich meine, erst wenn man den Wert der Strafe aus obigem Gesichtspunkte wird fassen lernen, wird man über die noch jetzt herrschenden Einseitigkeiten in der Auffassung ihres Prinzips hinauskommen.
Auch höhere Lust (Lust von höherem Charakter) hat nur insofern größeren Wert als niedere, als sie zugleich Quell von mehr Lust ist. Die Lust des Kindes an seinem unschuldigen Spiele, die Lust des fleißigen Arbeiters an seinem einfachen Mahle aber, obwohl niedriger, ist doch wertvoller, als die Lust an einer schlechten Intrige oder einem unsittlichen Romane.
Im Allgemeinen folgt die Weite des Wertbegriffes der verschiedenen Weite, in der sich der Begriff des Guten fassen läßt, und umgekehrt, wonach der Wert oft nur nach einem beschränkten Kreise von Zusammenhängen und Folgen, wie man ihn gerade vor Augen hat, einschließlich des unmittelbaren Lustertrages bemessen wird. Faßt man aber Lust und Unlust nicht bloß in niederem gemeinen Sinne, schätzt man die Lust- und Unlustbedingungen nicht bloß nach ihrem voraussetzlichen Ertrage in einzelner egoistischer momentaner Lust und Unlust, sondern nach dem vorauszusetzenden Ertrag im Ganzen für das Ganze, so wird man hierdurch den wahren und vollen Wert dieser Bedingungen aus höchstem allgemeinsten Gesichtspunkte haben. Eine absolute Schätzung des wahren Wertes der Dinge und Verhältnisse ist freilich ein Ideal; doch läßt sich einfach sagen, daß Tugend wahrhaft wertvoller als Laster ist, und überhaupt lassen sich relative Urteile in dieser Hinsicht leichter fällen als absolute.
Dem Angenehmen und dem Schönen engeren Sinnes können wir unter Umständen größeren Wert beilegen, als dem, was nur nach seinen Folgen nützlich ist, einmal, weil die unmittelbare Lustwirkung des Angenehmen und Schönen die gesamte Lustwirkung des Nützlichen, die seinem Begriffe nach nur mit beschränkter Tragweite in Betracht kommt, überbieten kann, zweitens, weil der Begriff des Schönen im engsten Sinne, des echten Schönen, eine Mitrücksicht auf die Lust in Folgen als Nebenbestimmung mit einschließt. Das echte Schöne kann durch Anregungen, die es in gutem Sinne gewährt, mehr nützen, als was bloß nützlich ist oder heißt. Hingegen dünkt den Menschen das Gute im engeren und höheren Sinne, das moralisch- und göttlich Gute unter Allem das zu sein, was den höchsten Wert verleiht und hat, weil darin die allgemeinsten und festesten Bedingungen der Erhaltung eines gedeihlichen Zustandes der Menschheit überhaupt liegen. Ohne verstandesmäßige Überlegung fühlen die Menschen in der Gesinnung und Handlungsweise des moralischen Menschen die Sicherstellung in dieser Beziehung, so weit sie vom menschlichen Willen und Tun abhängt, heraus, und so im Unmoralischen das Gegenteil.
Wir sehen z. B. jemand, der witzig, geistreich, gewandt im Betragen, gescheit, schön ist; wer möchte nicht wie dieser Mensch sein, wer beneidet ihn nicht um alle die Lust, die er mühelos um sich ausstreut und einstreicht. Aber nun heißt es: er ist ein schlechter Mensch, liederlich, hart gegen die Seinigen, unredlich; und er ist verloren in unsrer Meinung und Achtung; selbst indem er uns unterhält, bewirtet, beschleicht uns ein unheimliches Gefühl. Wir fühlen wohl, daß alle Lust, die sein Witz, sein Geist, sein gewandtes Betragen ihm und Andern unmittelbar einträgt, nicht so viel wiegen, als die Unlust, die seine Liederlichkeit durch ihre Folgen ihm selbst bringen wird, als die traurigen Stunden, die er seiner Frau und seinen Hausgenossen macht, als das Unglück, das er durch seine Unredlichkeit über Andre bringt. Alle jene Lust erscheint uns nur noch wie der weiße Schaum über einem dunklen Pfuhl von Unlust. Wir sagen uns das freilich nicht im Einzelnen: aber unser durch unzählige Erfahrungen und Belehrungen erzogenes Gefühl hat die Macht, Alles was der Verstand einzeln sagen könnte, in eine Resultante zu vereinigen.
Stellen wir nun jenem gegenüber den trocknen, gesetzten, ja pedantischen, Mann von unscheinbarem Äußern, der Niemand gut zu unterhalten weiß, der aber seine Pflicht tut, sein Amt in Ordnung verwaltet, nach Kräften das Gemeinwesen und nützliche Anstalten fördert, mit seiner Frau in Frieden lebt und seine Kinder gut erzieht, der zwar nicht durch geistige Mittel, die ihm nicht zu Gebote stehen, aber durch materielle so viel er kann zu Anderer Vergnügen beiträgt, so möchten wir freilich nicht gern auch so trocken und pedantisch sein, wie er; aber bei der Wertsvergleichung desselben mit dem Vorigen werden wir keinen Augenblick anstehen, ihn über den Vorigen zu setzen, wir werden ihn, wie wir uns ausdrücken, höher achten als jenen; achten aber ist ja nichts, als den Wert schätzen ; — indem wir wohl fühlen, wie viel mehr Lust doch im Ganzen aus seiner Handlungsweise fließt, als aus der des Vorigen.
Doch schätzen wir Eigenschaften an einem Menschen nicht bloß, sofern sie sich unter den Begriff des Moralischen bringen lassen; vielmehr Alles, was von einem Menschen ausgehend eine Fülle von Lust höheren Charakters in die Welt bringt, wird von der Welt hoch gehalten; nur weiß das richtige Gefühl das höhere noch über das hohe zu stellen. Wie hoch wird doch Goethe geschätzt, ungeachtet er moralisch nicht größer war, als so viele unbedeutende Geister. Wie hoch steht eine Sängerin im Werte, wenn sie schön ist und schön singt, auch wenn man von der Moral derselben nichts weiß. Und selbst, wenn man weiß, daß sie etwas leichtsinnig ist, verzeiht man ihr Manches um ihrer Schönheit und ihres schönen Gesanges willen, und möchte doch lieber dieses leichtsinnige, nur nicht schlechte, Wesen sein, als eine sog. moralische dumme Gans. Warum? weil jene ein lebendiger Springquell von Lust, und diese eine dürre Lache ist. Der Maßstab der Lust greift durch Alles durch. Aber wenn dieselbe Sängerin, die uns durch ihren Gesang und ihre Anmut hinreißt, zugleich züchtig und nobel in ihrem Wesen erscheint, wie unsäglich höher stellen wir sie dann doch zugleich als die leichtsinnige, die sich wegwirft, und als die dumme Gans. Wir fühlen, daß die Welt hierbei im Ganzen unendlich mehr an Lust gewinnt als durch einzelne Liederlichkeiten der einen, und den guten dummen Willen der andern.
Das Gewissen, welches den Menschen seiner eigenen Güte versichert, gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit über Alles hinaus, was auch zunächst aus seinen Handlungen hervorgehen mag, und ist das wertvollste Gefühl zugleich nach seiner unmittelbaren Beschaffenheit, wie nach seinen Folgen. Im Gefühle weder der eigenen Schönheit noch der Schönheit von etwas Anderm liegt etwas Ähnliches. Was wir jetzt davon haben, haben wir; das Übrige bleibt dahingestellt, es sei denn, daß ein Charakter der Güte sich zugleich mit auspräge.
Sollten Manche sich gegen den eudämonistischen Grundzug, der durch das ganze vorige Begriffssystem durchgeht, und notwendig mit einem ethischen System von entsprechendem Charakter zusammenhängt, sträuben, so mögen sie überlegen, ob sie nicht mit ihrem anderen Begriffssystem nur auf minder klarem Wege sachlich zu denselben ethischen Folgerungen kommen, und ihre Abneigung gegen die Einführung des Lustbegriffes in die praktischen und hiermit ethischen Kategorien nicht bloß an einer zu niederen und überhaupt beschränkten Fassung dieses Begriffes hängt, die man trotz entgegenstehender Forderung immer geneigt bleibt, aus dem gemeinen Leben in die Wissenschaft zu übertragen, wonach er dann freilich ethisch unzulässigen Folgerungen Raum gibt. Jedenfalls führt das vorige Begriffssystem solche nicht in der Ästhetik mit; und da es sich folgends wesentlich um diese, nicht um Ethik handeln wird, so kann ich Umgang davon nehmen, dasselbe System auch für Ethik eingehend zu rechtfertigen; doch wird man einige Erörterungen in dieser Richtung noch am Schlusse dieses Abschnittes (unter 4) finden. Ganz bei Seite zu lassen war jedenfalls die Besprechung der praktischen Kategorien deshalb hier nicht, weil sie, wenn schon nicht den obersten Gesichtspunkt für die Ästhetik stellend, doch in der vorhin kurz berührten und künftig (unter IX) näher auszuführenden Weise sich in ästhetische Kategorien umsetzen und dadurch in die Ästhetik eingreifend werden können, auch der Begriff des Guten in die engste Fassung des Schönen unmittelbar mitbestimmend eingeht.
Lotze, dessen Ansichten den eudämonistischen Grundzug mit den unseren teilenEntscheidende Aussprüche in dieser Hinsicht s. u. a. in Mikrokosm. II. 304., gibt doch den dabei einschlagenden Begriffen Lust, Schön, Gut, Wert, eine ganz andere Stellung zu einander, als hier geschehen, macht namentlich das Schöne erst vom sittlich Guten abhängig, statt beide in gemeinsamer Abhängigkeit vom Lustbegriffe zu betrachten, wie wir getan, indem er für schön dasjenige erklärtAbh. üb. d. Begr. d. Sch. 15 oder Gesch. 97., in dessen Erscheinung sich der Rhythmus (das Gefüge des Ablaufs) und die Verhältnisformen spiegeln, worin das sittlich Gute sich in uns und über uns hinaus in der göttlichen Welt-Ordnung und Führung ausprägt und bewegt. In dem Lustertrage der äußeren Dinge und Verhältnisse, wodurch deren wohlgefälliger Eindruck bedingt wird, sieht er so zu sagen nur den Stempel einer "eigenen Vortrefflichkeit" derselben, welche darin ruht, daß sie von jenem Rhythmus, jenen Verhältnisformen etwas an sich haben, in uns wiederspiegeln, ohne daß sie deshalb den eigentlichen Gehalt des sittlich Guten in sich zu tragen brauchen.Gesch. 100. 232. 234. 265. 286. 293. 487. Nur diesem, dem sittlich Guten selbst aber mißt er einen fundamentalen, allem Andern bloß einen davon abgeleiteten, Wert bei. Den Begriff dieses Guten, als des schlechthin Wertvollen, an den wir uns hiermit schließlich gewiesen finden, knüpft er an den Lustbegriff in höchster Potenz (den der Seligkeit) durch folgende Erklärung (Mikrok. III. 608)Gibt es, wie wohl vorauszusetzen, noch eine andere bestimmte Erklärung hierüber bei Lotze, so ist doch solche meinem Suchen entgangen. : "Gut an sich ist die genossene Seligkeit; die Güter, die wir so nennen, sind Mittel zu diesem Gut, aber nicht selbst das Gut, ehe sie in ihren Genuß verwandelt sind; gut aber ist nur die lebendige Liebe, welche die Seligkeit Anderer will." Auf die Ausführung hiervon läßt sich hier nicht eingehen.
Dies gibt nun jedenfalls ein ganz anderes Begriffssystem als das unsere, ohne daß deshalb ein sachlicher Widerspruch zwischen beiden besteht. Ich glaube aber doch, daß das unsere mehr im Sinne der geläufigen Gebrauchsweise der Begriffe ist als das von Lotze, welches überhaupt mehr im Sinne einer Ethik und Ästhetik von Oben als von Unten ist, indes Lotze anderweit sich mit Erfolg in letzter Richtung bewegt.
Es gibt einen Begriff von häufiger Verwendung für die Folge, der sich von einer Seite mehr nach der ästhetischen, von anderer mehr nach der praktischen Seite hinbiegt. Vieles, was wir weder hübsch noch schön nennen möchten, können wir doch interessant finden. Unstreitig wird man geneigt sein, diese Kategorie vielmehr zu den positiven als negativen zu rechnen; doch kann uns selbst etwas Häßliches interessieren; wie stimmt das? — Die Antwort ist die: daß wir etwas interessant finden, will nichts Anderes sagen, als daß es uns aus diesem oder jenem Gedichtspunkte gefällt, uns damit zu beschäftigen, ohne daß es uns deshalb wie das Hübsche oder Schöne im Ganzen zu gefallen braucht. Vielmehr kann es nach Umständen nur diese oder jene gefallende Eigenschaft sein, an die sich das Interesse knüpft; und selbst der Reiz der Neuheit kann eine Sache interessant machen, so lange sie uns neu ist, so die häßliche Pastrana. Aber auch der Nutzen oder Schaden, den eine Sache aus irgend einem Gesichtspunkte leistet oder verspricht, kann unser Interesse auf sich ziehen; und in Redensarten wie: daß jemand sein Interesse im Auge hat, fällt sogar der Begriff des Interesse mit dem des Nutzens oder Vorteils selbst zusammen.
Mit den Begriffen des Schönen und Guten wird überall der Begriff des Wahren zu einer Art Trinität zusammengefaßt. Gehen wir hier nur in möglichster Kürze auf seine Stellung zu jenen Begriffen ein.
Schlechthin, absolut, objektiv wahr ist eine Vorstellung, welche widerspruchslos mit jeder anderen wirklichen oder möglicherweise zu fassenden selbst widerspruchslosen Vorstellung besteht, oder dem Gesamtkreise widerspruchslos mit einander bestehender Vorstellungen angehört; gewiß heißt sie im Bewußtsein der Erfüllung der Bedingungen der Wahrheit. Nach Maßgabe aber als dieser Begriff des schlechthin Wahren und Gewissen Beschränkungen erleidet oder nur bedingterweise gefasst wird, etwa bloß auf gewisse Vorstellungsgebiete oder vorstellende Wesen angewandt, oder die Bedingungen der Wahrheit oder Gewißheit nur mehr oder weniger unvollständig erfüllt gedacht werden, treten für die absoluten Kategorien der Wahrheit und Gewißheit mehr oder weniger relativ gültige ein, die mit den absoluten als theoretische zusammengefaßt werden können, als da sind: innerlich wahr, äußerlich wahr, subjektiv gewiß, richtig, genau, treffend, überzeugend, zuverlässig, zweifellos, glaublich, wahrscheinlich u. s. w. von positivem Charakter, denen nicht minder viele von negativem Charakter entsprechen.
Zunächst nun vermißt man in diesen Bestimmungen eine Beziehung des Wahren zum Schönen und Guten; aber wenn eine solche nicht unmittelbar im Begriffe zum Vorschein kommt, so tritt sie dafür als fundamentale im Faktischen auf; und vermöchten wir das Schöne und Gute in Bezug auf den uns unbekannten letzten allgemeinen Grund der Lust zu definieren, so möchte sich auch hierin die begriffliche Beziehung zum Wahren finden. In der Tat knüpft sich nicht nur ein eingeborenes Lustgefühl unmittelbar an die Erkenntnis der Wahrheit und das Finden von Wahrheiten, was in der Wissenschaft als Triebkraft wirkt und in der Kunst als Frucht der Erfüllung einer wichtigen Forderung erscheint, sondern es können auch nur wahre Erkenntnisse zu guten praktischen Folgen fuhren, so daß sich selbst umgekehrt nach einem sehr allgemeinen Prinzip die Wahrheit einer Erkenntnis aus ihrer Güte folgern läßt; worauf jedoch hier nicht näher einzugehen.Vergl. darüber die "drei Motive u. Gr. des Gl." S. 120.
Das Gute ist nach Allem wie der ernste Mann und Ordner des ganzen Haushaltes, der Gegenwart und Zukunft, Nahes und Fernes in Eins bedenkt, und den Vorteil nach allen Beziehungen zu wahren sucht; das Schöne dessen blühende Gattin, welche die Gegenwart besorgt, mit Rücksicht auf den Willen des Mannes, das Angenehme das Kind, was sich am sinnlichen Genusse und Spiele des Einzelnen erfreut; das Nützliche der Diener, welcher der Herrschaft Handleistungen tut und nur Brot erhält nach Maßgabe als er solches verdient. Das Wahre endlich tritt als Prediger und Lehrer den Gliedern der Familie hinzu, als Prediger im Glauben, als Lehrer im Wissen; es leiht dem Guten das Auge, fuhrt dem Nützlichen die Hand und hält dem Schönen einen Spiegel vor.
Es wird noch gelten, den bisher bloß beiläufig in Gebrauch gezogenen Begriff des Ästhetischen und der Ästhetik als Lehre vom Ästhetischen etwas näher zu erläutern und hiermit zugleich das Gebiet, innerhalb dessen sich die Betrachtungen dieser Schrift halten werden, bestimmter zu begrenzen.
Nach der Etymologie und ursprünglichen Erklärung seitens Baumgarten (von dem die Ästhetik als Wissenschaft datiert), und Kant würde Ästhetisch auf das sinnlich Wahrnehmbare oder Formen der sinnlichen Wahrnehmung überhaupt ohne Rücksicht auf Wohlgefälligkeit und Mißfälligkeit gehen, und hiernach Ästhetik eine Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung (oder deren Formen) überhaupt bedeutenSo noch bei Kant in seiner transzendentalen Ästhetik, indes er später, in seiner Kritik der Urteilskraft, welche die eigentliche Grundlegung seiner Ästhetik enthält, ästhetisch und Ästhetik vielmehr im jetzt üblichen Sinne verwendet, was zur jetzigen Gebrauchsweise dieser Begriffe wohl selbst hauptsachlich beigetragen hat., eine Begriffserklärung, welcher noch manche Spätere gefolgt sind, ohne daß ihr doch je die Ausführung der Ästhetik gefolgt ist. In der Tat, wie weit müßte die Ästhetik nach gewisser Seite greifen und wie eng sich nach anderer Seite zusammenziehen, sollte sie diese Begriffsbestimmung erfüllen und nicht überschreiten. Die ganzen Verhältnisse der sinnlichen Wahrnehmung mit der kaum davon abtrennbaren Beziehung derselben zu physiologischen und physikalischen Verhältnissen würde in sie gehören, von Goethe’s Faust und der sixtinischen Madonna aber nichts, als was den Sinn rührt, der ästhetischen Betrachtung zu unterziehen sein. So weit nach einer und so eng nach der anderen Seite hat man doch Ästhetik nie gefaßt und ist sie auch nicht einmal von Baumgarten selbst gefaßt worden, vielmehr von ihm dadurch, daß er das Schöne als das Vollkommene der sinnlichen Wahrnehmung zum Hauptgegenstande der Betrachtung erhebt und Gesichtspunkte zuzieht, die über die Verhältnisse rein sinnlicher Wahrnehmung hinausgreifen, in die jetzt hergebrachte Fassung der Ästhetik übergeleitet worden. Wonach man behaupten kann, daß von vorn herein wie noch heute sich in der Gebrauchsweise des Begriffes Ästhetisch, so wie in der Ausführung, wenn auch nicht überall in der Definition der Lehre, der Bezug zu Gefallen und Mißfallen wesentlich geltend gemacht hat.
Also versteht man jetzt unter ästhetisch überhaupt, was sich auf Verhältnisse unmittelbaren Gefallens und Mißfallens an dem bezieht, was durch die Sinne in uns eintritt, ohne aber bloß die rein sinnliche Seite davon im Auge zu haben, da vielmehr Verhältnisse des Sinnlichen, wie in der Musik, und Assoziationsvorstellungen, die unmittelbar mit dem Sinnlichen verschmelzen, wie mit den Worten in der Poesie und den Formen in den bildenden Künsten, endlich Verhältnisse dieser Vorstellungen, in so weit sich an alles das Gefallen oder Mißfallen knüpft, mit in das Bereich des Ästhetischen gezogen werden. Ja nach einem engeren Gebrauche des Ästhetischen schließt man sogar das, was bloß seiner sinnlichen oder wenig darüber hinausreichenden Wirkung nach Gefallen oder Mißfallen zu wecken vermag, vom Begriff des Ästhetischen aus, um nur das aus höheren Gesichtspunkten, nach höheren Beziehungen unmittelbar Gefallende und Mißfallende darunter zu begreifen. So betrachtet man z. B. den wohlgefälligen Eindruck, den ein reiner voller Ton, eine tiefe gesättigte Farbe, der Wohlgeruch einer Blume, der Wohlgeschmack einer Speise ohne alle Vorstellungsanknüpfung zu erwecken vermag, als nichts Ästhetisches, ja läßt wohl selbst den Eindruck eines einfachen Akkordes, so wie der kaleidoskopischen Figur, als noch zu niedrig, nicht als solches gelten, und nimmt die Betrachtung von alle dem nur etwa unter der Bezeichnung als Angenehmes, vielmehr zum ausdrücklichen Ausschluß vom Begriffe des eigentlich Ästhetischen als zur Einordnung darunter, in die Ästhetik auf.
Nun muß man zugestehen, daß diese Beschränkung des Ästhetischen nicht nur dem üblichen Gebrauch im Leben, sondern auch dem im Ganzen vorwiegenden wissenschaftlichen Gebrauche entspricht, und von letzter Seite wird sogar oft mit Nachdruck auf dieser Beschränkung bestanden. Doch hat sich nicht jede wissenschaftliche Behandlung der Ästhetik daran gekehrt, und bei etwas allgemeiner Fassung derselben ist überhaupt unmöglich, dabei stehen zu bleiben, aus dem doppelten Grunde, daß es genug Gesichtspunkte gibt, welche gemeinsam über niederes und höheres Gefallen übergreifen, und daß beides sich (nach Abschn. V) zu einem größeren und höheren Produkte einheitlich verbinden kann. Fügen wir uns also auch im Folgenden dem engeren Gebrauche nur nach Maßgabe als der Kreis der Betrachtung sich entsprechend verengert, ohne uns prinzipiell darauf zu beschränken; was übrigens weder den Sinn hat, den Gebrauch des gewöhnlichen Lebens reformieren, noch Andern den engeren Gebrauch für einen von vorn herein enger gefaßten Kreis der Betrachtung wehren zu wollen.
Freilich wird Ästhetik auch heute noch nicht überall ausdrücklich in Bezug auf Gefallen und Mißfallen, Lust und Unlust erklärt; insofern man sie nämlich als eine Lehre vom Schönen erklärt, den Begriff des Schönen aber von anderen Begriffen, als wie Idee, Vollkommenheit u. s. w. abhängig macht, wovon oben in Kürze gesprochen. Da sie sich aber doch faktisch in jeder Ausführung, die sie bisher gefunden hat, wesentlichst oder in bevorzugter Weise mit den Gegenständen nach den Seiten, wodurch sie geeignet sind, Gefallen oder Mißfallen zu wecken, beschäftigt, und jene Begriffe selbst, die in den Ausgangserklärungen eine Rolle spielen, in dieser Richtung ihre hauptsächlichste Verwendung finden, so scheint es in der Tat am besten, den Gesichtspunkt davon gleich als Hauptgesichtspunkt der Ästhetik in die Definition derselben aufzunehmen, um hiermit die Richtung ihrer Aufgabe von vorn herein klar zu bezeichnen. Und wenn das nicht im vorherrschenden Sinne der Ästhetik von Oben ist, so suche ich nach schon früher gemachter Bemerkung eben darin, daß sie mit ihren Ausgangserklärungen den Nagel von vorn herein nicht auf den Kopf trifft, den Grund, daß er dann eine mehr oder weniger schiefe Richtung nimmt, d. h. man eben auch nicht damit erfährt, worauf es zum Gefallen und Mißfallen an den Dingen eigentlich ankommt, sondern nur, wiefern sich etwas den an die Spitze gestellten ideellen Gesichtspunkten unterordnet, wofür der Begriff des Gefallens und Mißfallens nur ein beiläufiger ist.
Aus gewissem Gesichtspunkte würde es allerdings erwünscht sein, den Ausdruck ästhetisch in einer anderen Wendung gebrauchen zu können, als er durch die Beziehung zu Gefallen und Mißfallen angenommen hat, wenn nur nicht diese Beziehung im herrschenden Sprach- und Begriffsgebrauche schon zu fest stände und zum Ersatz ein anderer Ausdruck zu Gebote stände. Jeder Gegenstand, mit dem wir verkehren, hat durch diesen Verkehr selbst eine über seinen sinnlichen Eindruck hinausreichende Bedeutung für uns angenommen, die sich mit jenem Eindrucke zugleich geltend macht, wie in unserm 9. Abschnitt eingehend besprochen wird. So sehen wir in einer Krone nicht bloß einen gelben Streif mit einigen Erhabenheiten, sondern zugleich ein Ding, was bestimmt ist, das Haupt eines Königs zu decken. Unstreitig nun kann man wünschen, solche Eindrücke, die sich aus einer sinnlichen und einer daran assoziierten Bedeutung zusammensetzen, mit einem bestimmten Worte zu bezeichnen; es gibt aber keins dafür, wenn man nicht ästhetisch dafür brauchen will; womit aber die Beziehung zu Wohlgefälligkeit und Mißfälligkeit als wesentlich wegfiele; denn es finden sich unter solchen Eindrücken genug gleichgültige; die wohlgefälligen und mißfälligen bilden bloß eine besondre Abteilung davon, und könnten dann allerdings auch als von vorzugsweisem Interesse in einer besonderen Abteilung einer auf vorigen Allgemeinbegriff gestützten Ästhetik behandelt werden.
Wesentlich ist dies die Auffassung des Ästhetischen und der Ästhetik, welche C. Hermann in seinem Grundriß d. allg. Ästhetik 1857 (Fr. Fleischer) und seiner ästhetischen Farbenlehre 1876 (M. Schäfer) vertritt; und ich wüßte nicht, was sich prinzipiell gegen die Aufstellung einer solchen Lehre einwenden ließe, von welcher unsere Ästhetik in gewisser Hinsicht nur jene besondere Abteilung bilden würde, insofern man rein direkte Eindrücke ohne assoziierte Bedeutung nicht statuieren will. Indes fußt Hermann nur auf dem Resultat des Assoziationsprinzips, ohne auf die Entwickelung des Prinzips selbst einzugehen, und befolgt im Ganzen mehr den Gang von Oben als von Unten, so daß unser Zusammentreffen mit ihm nur ein partielles bleibt. Auch muß eine Lehre, welche wie unsere den Gesichtspunkt des Gefallens und Mißfallens oben an stellt und assoziierte Bedeutungen nur nach ihrer Beteiligung am Gefallen und Mißfallen in Betracht zieht, notwendig eine etwas andere Wendung nehmen, als eine solche, welche den Gesichtspunkt der Mitbestimmung sinnlicher Eindrücke durch eine Bedeutung oben an stellt und Wohlgefälligkeit und Mißfälligkeit nur in untergeordneter Weise in Betracht zieht.
Unstreitig ließe sich unter Festhaltung der Beziehung zu Lust und Unlust noch an eine große Verallgemeinerung des Begriffes ästhetisch denken, daß man nämlich rücksichtslos, ob die Eindrücke aus der Außenwelt stammen und unmittelbar geschehen, unter ästhetisch überhaupt verstände, was sich auf Verhältnisse der Lust und Unlust bezieht, unter Ästhetik überhaupt eine Lehre, welche die gesamten Lust- und Unlustverhältnisse der Welt, innere wie äußere, nach ihren begrifflichen und gesetzlichen Beziehungen, Verkettungen, Entstehungsweisen und Eingriffsweisen verfolgt. Und da sich jedenfalls ein Begriff in solcherweise fassen und die Idee einer so umfassenden Lehre von Lust und Unlust aufstellen läßt, so kann auch ein wissenschaftliches Bedürfnis entstehen, jene Ausdrücke in diesem weitesten Sinne zu verwenden, sollten sich keine anderen dafür finden lassen. Indessen ist der Ausdruck ästhetisch nie in solcher Weile gebraucht, für die allgemeine Lehre aber meines Wissens schon der Ausdruck Hedonik vorgeschlagen worden.Hauptzüge einer solchen Lehre, ohne den Gebrauch des Wortes Hedonik dafür, kann man in Hartsens "Grundzügen der Wissenschaft des Glücks. Halle. Pfeffer. 1869" und seinen "Anfängen der Lebensweisheit. Lpz. Thomas 1874" finden , Schriftchen, mit deren reinem Gange von Unten und eudämonistischer Tendenz ich mich in voller Übereinstimmung finde. Um eine so allgemeine Lehre aber wird es hier jedenfalls nicht zu tun sein, und so werden wir uns des Ausdrucks ästhetisch in solcher größten Weite nur etwa dann bedienen, wenn ausnahmsweise der begriffliche Zusammenhang dazu führt und ihn von selbst verständlich macht.
Unter manchen Weisen, das menschliche Innere einzuteilen, gibt es zwei, die durch einander greifen, kurz als Einteilung nach Seiten und nach Stufen zu unterscheiden. Nach erster gibt es eine Seite des Empfindens und Vorstellens mit dem, was daraus in Erinnerungen, Begriffen u. s. w. erwächst, eine Seite des Triebes und Willens und eine Seite des Fühlens von Lust und Unlust, welche in erster Seite wurzelnd oder als Mitbestimmung darein eingehend, in letzter Antriebe setzend und vermittelnd zwischen beiden inne steht. Nach zweiter Eintei-lungsweise unterscheidet sich eine niedere sinnliche und höhere geistige Stufe, die man noch weiter gliedern oder durch Zwischenstufen vermitteln kann. Die Ästhetik nach unsrer Fassung nun bezieht sich auf die Seite der Lust und Unlust, sofern solche unmittelbar an von Außen erweckten Vorstellungen und Empfindungen hängt, greift aber durch das niedere und höhere Gebiet zugleich durch, insofern die höheren Bezüge dieser Empfindungen und Vorstellungen nach ihrem Lust- und Unlustgehalt mit in ihr Bereich fallen.
Herbart nimmt die Ethik in die Ästhetik mit auf, und wenn man letztere zu einer allgemeinen Hedonik erheben will, was jedoch von Herbart nicht geschehen ist, wird erstere aus eudämonistischem Gesichtspunkte mit darunter gehören. Hiervon abgesehen aber wird es meines Erachtens immer vorzuziehen sein, Ästhetik und Ethik nach den oben aufgestellten Gesichtspunkten des Schönen und Guten zu trennen, als aus dem von Herbart ins Auge gefassten Gesichtspunkte zusammenzuschlagen, was nicht hindert, dieser wie andrer Verknüpfungspunkte zwischen beiden gewahr zu werden. Es ist wahr, das sittlich Gute, rein von Nebenvorstellungen gefaßt, erweckt ein unmittelbares Wohlgefallen, und dasselbe ist Sache des Schönen. Aber abgesehen, daß das sittlich Gute eine rein innerliche Sache ist, was das Schöne im engeren Sinne nicht ist, heißt uns das Gute nicht insofern gut, als es recht betrachtet ein unmittelbares Wohlgefallen erweckt; das ist Nebensache, ist ihm so zu sagen äußerlich; sondern als es, gleichgültig wie es einem Betrachtenden erscheine, in dem (unter 2) angegebenen Sinne Quell von gedeihlichen Folgen ist. Hieraus und nicht aus dem Gesichtspunkte des unmittelbaren Wohlgefallens daran sind die sittlichen Gesetze und Forderungen unter Rücksicht auf die erfahrungsmäßige Natur der Menschen und Dinge abzuleiten. Dabei wird man freilich u. a. auch Herbarts ethische Musterbegriffe wiederfinden, doch keinen Anlaß finden, die Entwicklungen in den Rahmen derselben einzuschließen, und in ihre Erörterung aus Herbarts Grundgesichtspunkten einzugehen.
Gibt es einen die ganze Welt beherrschenden und verknüpfenden bewußten Geist, kurz einen Gott über der Welt, von dem unser und aller endliche bewußte Geist sei es ausgeflossen oder noch ein untergeordnetes Teilwesen ist, und will man wagen, auf Grund der Verallgemei-nerung und Steigerung der fundamentalen Bestimmungen unsres Geistes an die des göttlichen Geistes zu denken — einen anderen Anhalt der Vorstellung davon und Grund des Schlusses darauf haben wir aber nicht — so würde man auch an eine Seite der Lust und Unlust in ihm und daran zu denken haben, was ihm in seiner Welt gefällt und mißfällt. Auch spricht man ja schon hiervon, weil man einen Anthropomorphismus, den man im Grunde verwirft, doch nicht zu entbehren weiß. Machte man aber Ernst mit jener Verallgemeinerung und Steigerung auf Grund dessen, daß der endliche Geist als Ausgeburt des göttlichen diesem wohl in Umfassung und Höhe aber nicht im Grundwesen ungleich sein kann; und verfolgte man nach Aufsteigen von Unten die Seite der Lust und Unlust von ihrer obersten Staffel im göttlichen Geiste rückwärts in Zusammenhang mit den eben so erklimmten höchsten Ideen des Guten und Wahren, so würde man eine Ästhetik von Oben erhalten, in welcher das Schöne in der Beziehung zum Göttlichen, die man ihm so gern zuschreibt, wirklich klar verfolgbar aufträte. Nun aber nicht einmal der Gesichtspunkt einer solchen Begründungsweise der Ästhetik von Oben zugestanden oder klar gestellt ist, bleibt alle Rede von einer Begründung des Schönen in Gott eine wohlklingende Phrase.
Unsere Bezugsetzung der ästhetischen zu den ethischen Kategorien und folgweis der Ästhetik zur Ethik ist aus einem eudämonistischen (Glück, Lust als Ziel setzenden) Gesichtspunkte geschehen, und ich wüßte nicht, wie sie zugleich klarer und sachgemäßer geschehen könnte. Das Vorurteil gegen die Unterordnung der Ethik unter einen eudämonistischen Gesichtspunkt überhaupt ist aber so verbreitet und seitens Mancher so stark, daß es der Eingänglichkeit des ganzen obigen Begriffssystems leicht im Wege stehen könnte; weshalb ich hier anhangsweise durch Klarstellung einiger, nicht überall klar gefaßten, Punkte noch etwas zugleich zur Erläuterung und Unterstützung dieses Gesichtspunktes, wie er unserseits gefaßt wird, beizutragen suche.
Zu großem Teile freilich hängt jenes Vorurteil nur daran, daß man den, mit Recht verworfenen, subjektiven (egoistischen) Eudämonismus und den objektiven (universalen), um den es sich hier allein handelt, nicht recht scheidet, zum Teil auch daran, daß man den Angelpunkt des ganzen eudämonistischen Systems, den Lustbegriff, zu niedrig und eng faßt; aber es tragen auch psychologische Unklarheiten dazu bei. Hiergegen zunächst Folgendes.
Unsere Vorstellung von einem vorzunehmenden (respektiv zu unterlassenden) Tun kann mit dem Charakter der Lust oder Unlust behaftet sein, und jeder bewußte Antrieb und Gegenantrieb zu einem Tun ist hierdurch bestimmt und gerichtet, um so entschiedenere je bewußter er ist; daher man bewußte Antriebe und Gegenantriebe zu einem Tun geradezu Lust und Unlust dazu nennt. Kann das Gewissen uns dahin bringen, etwas gegen unsere Lust, das heißt trotzdem zu tun, daß die Vorstellung des vorzunehmenden Tuns von irgendwelcher Seite mit Unlust behaftet ist, so ist es doch nur, sofern die Vorstellung des Unterlassens des Tuns von Gewissensseite mit noch mehr Unlust behaftet ist; und ähnliche Konflikte kommen unzählige sonst vor.
In sehr vielen Fällen nun hängt die Lust und Unlust, welche die bewußten Antriebe und Gegenantriebe zu unserm Tun bestimmt, von der Vorstellung der Lust und Unlust ab, welche aus diesem Tun für uns hervorgehen wird; doch ist diese Lust und Unlust, welche nur ein Objekt unserer Vorstellung ist, von der Lust und Unlust, welche ein Gefühlsmoment derselben selbst ist, wohl zu unterscheiden, was nicht immer klar geschieht. Können wir uns doch eine Lust, die wir nicht zu erreichen vermögen, mit dem Gefühl der Unlust, und eine Unlust, der wir zu entgehen hoffen, mit dem der Lust vorstellen. Fundamental, d. i. notwendig und unmittelbar, aber ist es immer nur das Gefühlsmoment der Lust und Unlust, was den Antrieb und Gegenantrieb zum Tun bestimmt, und dieses Gefühlsmoment der Vorstellung kann zwar durch den vorgestellten Lust- oder Unlusterfolg des Tuns bestimmt sein, aber auch andersher und sogar in Gegensatz dagegen mitbestimmt oder auch allein bestimmt sein. So kann es uns instinktiv angebornerweise widerstreben, etwas zu tun oder zu lassen, ohne daß wir an Lust- oder Unlustfolgen dabei denken; faktisch spielt eine, aus erfahrener Lust und Unlust gesammelte psychologische Nachwirkung auch ohne Rückerinnerung an diese Erfahrungen und Wiedervorspiegelung derselben eine wichtige Rolle in Bestimmung unserer gegenwärtigen Antriebe; und mächtig, vielleicht auch aus instinktivem Grunde, greift das Beispiel ein: wir lieben unter sonst gleichen Umständen zu tun, was wir Andere tun sehen. In vorigen Bestimmungsmomenten unserer Antriebe liegen zugleich Erziehungsmittel derselben. Wie viel in manchen Antrieben, als namentlich denen des Gewissens, angeboren oder anerzogen sein mag, kann streitig sein; überall hat Erziehung jedenfalls daran mitgewirkt.
Gegen die psychologische Triftigkeit der vorigen Bestimmungen dürfte sich nichts einwenden lassen. Nun ruht das hier vertretene eudämonistische Prinzip in nichts Anderem, als daß es dasselbe, was eines Jeden bewußte Antriebe notwendig ihrer Richtung nach bestimmt, auch als Ziel dieser Antriebe in Beziehung auf das Ganze vor Augen stellt, und die Erziehung der Antriebe Aller auf möglichste Erfüllung dieses Zieles zu richten gebietet. Dies unter Geltendmachung der Solidarität, in welcher sich das Wohl des Einzelnen mit dem des Ganzen um so mehr zeigt, je vollständiger das Prinzip erfüllt, und je weiter es in seinen Konsequenzen verfolgt wird.
So wenig hiernach die Bevorzugung des eignen Wohles vor dem Wohle Anderer im Sinne des Prinzips liegt, so wenig die Opferung des eignen Wohles für das von Anderen. Denn das eigne Wohl bildet selbst einen Bestandteil des allgemeinen Wohles, und so darf und soll jeder, um nicht das Wohl des Ganzen zu verkürzen, das eigne Wohl nach Maßgabe anstreben, als Anderen nicht mehr Nachteil als ihm selbst Vorteil daraus erwächst. Es kann aber jeder nach gewisser Beziehung sogar besser für sich sorgen, als Andere für sich sorgen lassen, nach anderen umgekehrt besser für Andere sorgen, als diese für sich sorgen können. Nun hat das Recht mit Rücksicht auf historische nationale und noch speziellere Verhältnisse, die Ethik aus darüber hinaus gehenden allgemeineren Gesichtspunkten, Rechte und Pflichten in dieser Hinsicht abzuwägen und Gesetze aufzustellen, welche, indem sie das Urteil des Einzelnen beherrschen und binden, das Handeln Aller in der Richtung auf das Beste in Zusammenhang erhalten. Schon in der Gemeinsamkeit der Befolgung eines Gesetzes aber liegt etwas Gutes; denn besser, wenn alle einem gegebenen Kreise Angehörigen ein dafür bestehendes Gesetz, wäre es auch nicht das beste, nur daß es nicht das schlechteste sei, gemeinsam und stetig befolgen, als wenn Jeder ohne Gesetz nach seiner eigenen Ansicht vom Besten handelt.
Nun ist nicht zu leugnen, daß die Antriebe des Menschen von vorn herein vielmehr auf das eigene und nächste Wohl als das des Ganzen und den fern liegenden Rückgewinn des eigenen Wohles aus dem Ganzen gehen, also nicht im Sinne des vorigen Prinzips bestimmt sind. Um sie aber in diesem Sinne zu erziehen, stehen dieselben, nur eben im Sinne des Prinzips zu richtenden, Mittel zu Gebote, die überall und von jeher in Gebrauch gewesen sind, wo von Erziehung die Rede, Beispiel, Lob, Tadel, Lohn, Strafe, Verweisung auf Zorn und Gefallen Gottes, Drohung und Verheißung über das Diesseits hinaus; wozu die erweckte Einsicht in die Natur, die Forderungen und Folgerungen des Prinzips zu treten hat. Das höchste Ziel dieser Erziehung aber wird nicht das, von einem unpraktischen doktrinären Rigorismus vorgeschriebene sein, was auf dem Papiere aufstellbar aber nicht in der Natur des Menschen erfüllbar ist, daß der Mensch aus seinen Motiven die Rücksicht auf den eigenen Vorteil ganz verbannt, sondern daß er die Rücksicht auf sein eigenes Wohl von der Rücksicht auf das Wohl des Ganzen gar nicht scheide, weder im unmittelbaren Gefühl noch im Hinblick auf die Folgen. Dazu aber gehört von erster Seite, daß er im Gefühle der Liebe gegen seinen Nächsten sein eigenes Glück mit darin finde, für das Glück Anderer zu wirken, und darüber hinaus das höhere Gefühl der Befriedigung des Gewissens empfinde, einer Befriedigung, die sich im Gefühle, auch Gott damit zu befriedigen, zu einem, jedes andere an Kraft und Höhe übersteigenden, Motiv steigern läßt. Von zweiter Seite gehört dazu der erfahrungsmäßige Hinblick, daß schon hier auf den Menschen die guten und schlimmen Folgen seines Handelns um so sicherer zurückschlagen, je länger sie laufen, ergänzt durch den Glauben, daß das Prinzip dieser Vergeltung aus dem Diesseits ins Jenseits hinüberreicht und sich da vollende. Dazu gilt es dann freilich auch, den Glauben an Gott und Jenseits im rechten Sinne zu wecken und zu kräftigen; zu den Prinzipien des rechten Glaubens selbst aber ist zu rechnen, daß er die Menschen zugleich am meisten befriedige und am besten führe.
In der Tat ist es ein leerer Wahn, daß man ohne Zuziehung religiöser Motive, sei es das Volk, sei es Menschen von höherer Bildung, sei es sich selbst im Sinne des Prinzips, recht und voll erziehen kann; es bleibt ohne das ein ungedeckter Rest, nach höchsten und letzten Beziehungen, den man mit allem Predigen von Humanität nicht decken kann; oder was hätte man je damit Erhebliches geleistet. Soll also das Prinzip praktische Geltung gewinnen, so wird es nur im Zusammenhange damit sein können, daß die, alle anderen überragenden, schließlich allein durchschlagenden, religiösen Motive die weltbewegende Kraft wiedergewinnen, in deren Schwächung der Mißbrauch der Vernunft mit Dogmen, die ihr widersprechen, gewetteifert hat.
Was mir überhaupt prinzipiell in diesen Beziehungen zu gelten scheint, habe ich näher teils in dem Schriftchen "Über das höchste Gut" (worüber Diskussionen mit Ulrici in Fichte’s philos. Zeitschr. 1848. S. 163.) und "Die drei Motive und Gründe des Glaubens" besprochen.