Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Mein Bilderbuch

(geschrieben 1925).

Gerne blättere ich in meinem Bilderbuch. In meinem Sammelalbum, wenn man es lieber so nennen mag. Das Sammeln ist heute die große Mode. Was wird heutzutage nicht alles von jung und alt zusammengerafft und in Kästen und Kasten und ungeschlachten Sammelalbums beerdigt: Briefmarken, Porzellan, alte Münzen, Stadtgeld, Notscheine, Ansichtskarten. Es gäbe wahrlich eine Liste, so lang wie ein Tag ohne Sonne, wenn man alles aufzählen wollte.

Ich habe einmal einen gekannt, der sich aufs Sammeln von Löwenhäuten und Elefantenzähnen verlegte, und zwar nur von solchen, die der eigenen Büchse zum Opfer gefallen waren. Man wird mir zugeben, daß das ein kühner und gefährlicher Sport war. Und doch ist er nicht kühner und gefährlicher als der, dem ich mich zur Zeit ergeben habe: Ich sammle Visa.

Nicht jedem wird das faszinierende dieses Sportes ohne weiteres einleuchten. Was ist es nur um solche Sammlung von Stempeln und Unterschriften aus aller Herren Ländern? Für den Laien ist es nur Papier und Druckerschwärze, ein Schuttabladeplatz des heiligen Sankt Bureaukratius, eine peinliche Erinnerung an böse Stunden, allenfalls.

Jedoch, wer erst einmal auf den Grund dieser Dinge gekommen ist, für den werden all die grauen Stempel lebendig, ein Zittern liegt in jeder Unterschrift, ein Kobold hüpft aus jeder Steuermarke. Sie erzählen von Drachenkämpfen mit den zuständigen Stellen, von Paragraphen, über die man stolpert, von langen, geduldigen Stunden im Vorzimmer der Konsulate, von endlosen Wanderungen durch die heißen Straßen der fremden Städte, von Ärger, Verdruß und fressender Unruhe und von fliegenden Künstlern, bei denen man sich voll Verzweiflung immer noch einmal photographieren ließ.

Ich blättere in meinem Bilderbuch und finde gleich zu Anfang eine Serie von Stempeln, auf die ich nachträglich noch einmal einen Fluch loslasse. Sie stammen aus dem Jahre 1920 und sind das Spiegelbild einer mit Hindernissen begonnenen und mit Schrecken fortgesetzten argentinischen Reise.

»Nein,« sagte der Beamte an der Grenzstation in Lindau, »da können's nit über d'Grenz'. Da san's an der falschen Einreisestelle!«

»Wenn aber da doch steht: Einreise beliebig.« »Aber ausreisen können's nur über Kufstein.«

Darauf großes Palaver, Rückkehr nach der Stadt, Umschreiben des Passes. Erneuter Vormarsch auf Bregenz bis hart an die Grenze, wo ein atemloser Reiter mich überholte.

»Sie! Bleiben's stehen! Sie san avisiert für an Geldschmuggler!«

Erneute Rückkehr nach Lindau, neues Palaver, neue Reise über die Grenze, wo der K. K. Zollbeamte den Paß von allen Seiten verwundert betrachtete.

»Ja, was ist denn jetzt wieder dös?«

Doch ich will das nicht zu Ende erzählen. Es folgte noch ein langer Roman oder, wenn man so will, eine Komödie der Irrungen, die sich fortsetzte bis in den Canale Grande in Venedig.

Immer kommen noch mehr Stempel in allen Farben und Gestalten und oftmals in einer Sprache, die die Götter verstehen mögen. Erst bei mehrmaligem Durchblättern kommt so etwas wie System in das Chaos, und dabei stößt man auf diesen Grundsatz: Je kleiner das Land, desto größer der Stempel. Der größte in meinem Bilderbuch stammt aus Cetinje.

Von den Stempeln gleiten die Gedanken zwanglos hinüber zu ihren Urhebern, und auch da ergibt sich ganz von selbst eine Klassifizierung. Die höflichsten sind die Österreicher, die anmaßendsten die Polen, die schikanösesten sitzen in den Randstaaten und die unverschämtesten in Jugoslavien. – Jugoslavien! In keinem Lande habe ich so um mein Bilderbuch gezittert wie da; sie haben dort die Gewohnheit, den Reisenden die Pässe abzunehmen und auf dem Polizeibureau aufzubewahren, wo ihre Inhaber als verdächtige Individuen einem eingehenden Verhör über Woher und Wohin und Zweck des Aufenthaltes unterworfen werden. So etwas wiederholt sich an jedem neuen Morgen; aber nicht immer trifft man dabei auf solch vollkommene Kavaliere, wie jener mazedonische Polizeileutnant war, der mit strenger Miene mein Bilderbuch auf seine Richtigkeit untersuchte. Je weiter er in der Lektüre kam, desto strenger und kritischer wurde seine Miene. Er las von hinten nach vorn, und so kam es, daß er erst zuletzt beim Anschauen der Photographie bemerkte, daß er es verkehrt in der Hand hatte wie der Struwelpeter.

So etwas sollte man eigentlich eher in Albanien vermuten; aber gerade von dort finde ich beim Blättern in meinem Buche ein klar und sauber geschriebenes Visum nebst einem Geleitschein der Polizei mit einer männlich starken Unterschrift: »Mustafa Pascha«. Armer Mustafa Pascha! Er hat inzwischen auch seine Erfahrungen über das Wetterwendische der hohen Politik gesammelt.

Und dennoch und trotz allem: Wenn ich mir den Fall recht überlege, so ist Albanien von allen anderen das unergiebigste Land für Stempeljäger. So sehr ich auch nachsuche in meinem Buche, es findet sich kein anderer Vermerk aus dem Lande der Skipetaren. Tirana, Durazzo, Elbasan haben mich alle ungeschoren gelassen, und aus guten Gründen. Es gibt nämlich dort nur wenig Polizei in unserm Sinne, und wo sie ist, da tritt sie wenig in Erscheinung. Wenn man nämlich über Land geht, so sieht man immer von Zeit zu Zeit ein großes, weißes, burgartiges Haus in freiem Felde. Dort wohnt – ein Fürst im kleinen – ein Bei oder Pascha, mit einem Sack voll Napoleons im Keller und einem Maschinengewehr auf dem Dach, extra für Polizei, Steuerkontrolleure und dergleichen Personen. Freies, fortschrittliches Albanien! Wann werden wir endlich von ihm lernen?

Was wollte ich doch noch von meinem Bilderbuch berichten? Es ist nun angefüllt mit Bildern und Stempeln bis auf die letzte Seite! Wenn es nach dem geht, was die Leute sagen, so muß ich es abliefern und um ein neues, ungestempeltes einkommen. – Soll nun alles noch einmal beginnen? Soll ich mich noch einmal photographieren, meine Identität noch einmal feststellen, meine Unbedenklichkeit noch einmal – aber zum wievielten Male? – bescheinigen lassen? Ich soll noch einmal zum Arzt laufen, damit er mir gegen teures Honoror bescheinige, daß ich frei von Ungeziefer und geistigen Krankheiten bin? Ich soll noch einmal beim Bürgermeister mit ehrlichem Gewissen den Nachweis erbringen, daß ich seit fünf Jahren nicht mehr gebettelt habe, und daß ich auch politisch nicht bolschewistisch verseucht bin.

Mir scheint, als ob meine Nerven dem nicht mehr widerstehen werden. Und doch und doch – sie werden es wohl müssen, denn der Mensch besteht heutzutage aus drei Elementen: Leib, Seele und Paß. Der Paß aber ist das größte unter ihnen.

 


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