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Fort Vermillion (Alberta), 8. Oktober 1929.
Das große Regenwetter, von dem ich Ihnen im letzten Briefe schrieb, ist vorübergegangen wie alle Regenwetter, und die Natur hat sich dafür erkenntlich gezeigt mit göttlich schönem Wetter, das wir nun schon seit zehn Tagen haben und das ich ausnutzte mit einer fünfhundert Kilometer langen Kanufahrt flußabwärts bis hierher nach diesem wahrhaft weltvergessenen Ort, wo mein Auftauchen kein kleines Ereignis war. Menschen sind hierzulande eine Seltenheit, dafür gibt es viele Elche und Bären, aber abgesehen von den bei solchen Reisen unentbehrlichen Strapazen war doch alles ungefähr wie ein fortgesetztes Picknick bei dem schönen Wetter.
Von hier geht es zunächst etwa hundert englische Meilen über Land nach dem Hay River und diesen Fluß abwärts zum Großen Sklavensee, wo ich programmäßig gegen Ende des Monats ankommen muß, doch kann man das nicht ganz bestimmt sagen, denn hier ist man unendlich weit von Eisenbahnen, Autos, Dampfschiffen. Es geht alles per Kanu und Packpferd, und jedermann ist erhaben über den Begriff der Zeit.
Wenn ich Glück habe, komme ich noch vor dem allgemeinen Zufrieren am Großen Sklavensee an und kann per Boot nach Fort Resolution fahren, von wo der Rückweg nicht allzuweit ist. Ist das nicht der Fall, so muß ich den ganzen Weg zurück bis zur Eisenbahn bei Fort MacMurray mit Hundeschlitten machen, und das wird ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Wundern Sie sich deshalb nicht, wenn Sie eine Weile keine Nachricht bekommen. Dies ist die letzte Post, die per Fluß geschickt werden kann. Telegramme kann man auch nicht schicken, denn die meisten Hudson-Bay-Posten haben bloß Empfangsstationen. Der erste Sender ist Fort Smith, von wo ich, falls es zu lange dauert, ein Radio schicken werde, denn Sie wissen ja, wie besorgt meine Mutter gleich wird, wenn einmal eine Weile keine Nachricht kommt. Auf alle Fälle ist es hier ein glorreich wildes Land, wo man im Scheine des Nordlichts manches Abenteuer erleben kann.
Fort Vermillion (Alberta), 8. Oktober 1929.
Liebe Mutter!
Nun sitze ich hier im Schein des Nordlichts in einem Orte, wo die Welt wirklich mit Brettern zugenagelt ist, und noch ein Stückchen dahinter. Denn das Gewerbe eines wandernden Zeitungsschreibers bringt einen manchmal in seltsame Erdenwinkel. Aber schön ist es hier! So warm und sonnig wie nur je ein Oktobertag bei uns zu Hause. Indianer, Bären und Elche gibt es auch, sodaß ich wieder allerlei Interessantes erleben konnte, aus dem sich schöne Artikel machen lassen, die ich aber erst nach der Rückkehr in Edmonton schreiben werde, denn hier ist es nicht am besten bestellt mit den Schreibgelegenheiten.
Von hier mache ich mich so langsam auf den Rückweg, denn der Winter steht vor der Tür, und ich möchte zurück sein, ehe alle Flüsse ganz zufrieren.
Seit meiner Abreise habe ich keine Post mehr bekommen, und ich wundere mich, wie zuhause alles aussieht. Noch mehr wundere ich mich darüber, daß es, wenn ich es eben nachrechne, erst sieben Wochen her sind, seit ich von Hamburg abfuhr. So viel habe ich seither erlebt, so fern scheint einem das alles, hier in diesem Lederstrumpflande!
Das neue Buch ist inzwischen wohl schon vom Stapel gelaufen in die unsichere See der Launen des bücherkaufenden Publikums. Was es für Geschäfte machen wird? Ich habe eigentlich gute Hoffnungen. Jedenfalls habe ich mein Teil daran getan und sage mir nun mit Shakespeares Jago: »Unheil, du bist im Zuge, nimm welchen Lauf du willst!«
Doch nun muß ich schließen, denn in einer halben Stunde geht das Schiff mit der Post den Fluß hinauf, und das wird für eine Weile die letzte Gelegenheit sein. Mit vielen Grüßen
Dein