Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Ost und West in Osaka

Osaka, im September

Als das Sheffield Japans hat man diese Stadt bezeichnet. Ebenso könnte man sie ein Bochum, ein Dortmund, ein Gelsenkirchen nennen. So sehr suggeriert sie den Rhythmus unserer modernen, schnellebigen Zeit mit ihren Fabriken, Starkstromleitungen, elektrischen Schnellbahnen und der dicken Atmosphäre von Fabrikrauch, die darüber liegt. – Ja, diese Menschen können wenig mehr von uns lernen. Sie haben uns alles nachgemacht und betreiben es nun so gut wie wir, vielfach noch besser, da sie nicht gehemmt sind durch Altes, Verbrauchtes, sondern gleich das Neueste und Beste übernehmen konnten. Das alles haben wir auch vorher schon gewußt, aber man muß es erst mit eigenen Augen gesehen haben, um dieses überamerikanische Wunder einer aus dem Boden gestampften Industriewirtschaft richtig zu erfassen.

Und doch kann man nicht umhin, zu bemerken, wie diesem so ganz westlich aufgezogenen Spuk noch immer die Eierschalen seiner asiatischen Herkunft anhängen, wie die Menschen hinter der Entwicklung herhinken, und aller Fortschritt nur sprungweise vor sich geht. So haben zum Beispiel – um nur eines zu nennen – Straßenbahn, Fahrrad und natürlich auch das Auto ihren Siegeszug auch auf die japanischen Straßen ausgedehnt. Aber anscheinend hat noch niemand daran gedacht, nun auch die Straßendisziplin auf diese modernen Verkehrsmittel einzustellen. Man sagt, daß dieses Volk keine Nerven habe, und man ist geneigt, sich dieser Meinung anzuschließen, wenn man sich nur eine Stunde lang hat treiben lassen von dem verworrenen Leben heutiger japanischer Großstädte. Der Rhythmus der echten japanischen Straße ist angenehm und wohllautend. Dort aber, wo zwischen hohen Bürogebäuden das moderne Leben flutet, ist es anders. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein herrscht ein Höllenlärm, der nur für ein asiatisches Ohr noch einigermaßen erträglich ist. »Sag's laut!« ist die moderne Parole. Auf japanischen Straßen bemühen sie sich, es noch lauter zu sagen als anderswo. Wer irgendwie ein Lärminstrument besitzt, der trägt es hinaus und bläst sein Horn auf der Straße. Die Straßenbahn tutet auf einer Sirene, die schaurig genug ist, um die Toten aufzuwecken; Automobile heulen, als ob sie ein Feuer anmeldeten. Fahrräder tuten wie Automobile und rasen in einem entsprechenden Tempo. »Kling! Klang!« kommt eine buntgekleidete Prozession mit wunderlichen Inschriften auf fliegenden Fahnen, als ob sie eben den Dalai Lama begraben wollten – aber es ist nur die Reklame eines Warenhauses, über die eben ein fluchender Messengerboy mit seinem Fahrrad stolpert. Von irgendwo kommt ein helles, durchdringendes Pfeifen, wie eine Geisterstimme; aber es ist nur ein Chinese, der Nudeln verkauft, oder ein Barbier, der Kundschaft sucht.

Neue Welt auf altem Boden. Das eine kommt einem deutlich zum Bewußtsein: diese Leute sind absolut eingleisige Menschen. Sie können Dinge nur auf eine Art tun. Jede andere ist ihnen unbegreiflich, und am unbegreiflichsten ist ihnen die europäische Art zu denken. Du gehst in eine große Bank, um ein paar Dollars oder Reichsmark umzuwechseln. So etwas kommt dort tausendmal an jedem Tage vor und wird anderswo erledigt nach der Formel »zweimal zwei ist vier«. Nicht so in Japan. Zuerst putzt der Angestellte seine Brille, dann sieht er in der Tabelle nach. Dann fingert er mit fabelhafter Geschicklichkeit an einer Rechenmaschine. Denn so ist es Landessitte. Der Rechenschieber ist hier das unentbehrlichste Instrument. Der Junge trägt ihn in die Schule, der Händler hat ihn auf dem Markt, der Beamte neben sich auf dem Pult, der Kaufmann – wenn du mit ihm sprichst – zückt ihn plötzlich aus den Falten des Kimonos und macht damit die schwierigsten Kalkulationen im Handumdrehen – oder er rechnet zusammen, wieviel zwei und zwei ist. Denn so tut man's, so hat man's immer getan. Und warum ein Ding einfach tun, wenn's umständlich geht! Aber wie man's auch tut, es ist dann immer richtig, man hat es schwarz auf weiß, man kann es nach Hause tragen, es ist asiatische Methode und dennoch letzte Konsequenz einer modernen westeuropäischen Rationalisierung der Gehirne.

Ist es ein Wunder, daß solches Volk Europa überspringt und sich mit Riesenschritten amerikanisiert? Noch gibt es Genießer, die abends in den Teehäusern sitzen und sich am Blütentanz der Geishas erfreuen oder sich in Jorurideklamationen üben. Aber diese Klasse ist im Aussterben begriffen, die Teehäuser verschwinden oder stellen sich um, und wer heute beim Glanze unzähliger Laternen über die Dotombori, die Tauentzienstraße Osakas, geht, der sieht die Cafés, die Bars, die Tanzhallen, in denen die Jazzband grölt, und Tauentziengirls und Oxfordhosen und natürlich Kinos und lange Menschenschlangen, die zu Tom Mix und Charlie Chaplin pilgern.

Ja, die Welt ist überall gleich heutzutage! Auch diese können nichts mehr von uns lernen. Und wie schon gesagt: Sie sind uns westlichen Menschen sogar über, selbst auf dem Gebiete der hohen Finanz und des unbeschränkten Kapitalismus, auf dem wir bisher ein Monopol zu haben glaubten. Im Jahre 1927 hatten sie hier einen Finanzkrach, in dem Banken mit Depositen von mehr als einer Milliarde Goldmark ihre Zahlungen einstellten. Es gab Runs auf die Banken, Massendemonstrationen und ein Moratorium. Eine Jagd nach dem Dollar und eine Flucht in die Sachwerte und wachsender Bolschewismus und murrende Reden, die in Dunklen schlichen.

In der Tat: Was wollen sie uns noch nachmachen? Was können sie noch von uns lernen?

Und es sind doch nicht alles Kinos und Schornsteine in diesem »japanischen Venedig«! Da fuhr ich eben erst mit der Rikschah durch die Straße, der Kuli voran mit seinem runden Hut, wie ein übergroßer Pilz. Wir kamen durch Gassen, die nach Knoblauch dufteten, vorbei an Tempeln, um die der Weihrauchduft schwebte, an Brücken, über die die Menschenflut zog, über breite, schwarze Kanäle, in denen sich ein Lichtmeer spiegelte, Lichter von hohen Geschäftsgebäuden, von verschwiegenen Gasthäusern, von schwankenden Papierlaternen, die auf dunklen Sampans langsam stromabwärts glitten. Und über dem allen lag eine weiche, warme Luft, ein seltsames Licht, das wie ein Heiligenschein um die geschwungenen Dächer eines fernen Tempels lag.

Es gibt doch noch ein Japan von gestern!

 


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