Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine interessante Stadt

Skutari (Albanien), im September.

Wer eine Balkanreise unternimmt, der muß sich auf manchen Strauß gefaßt machen mit den verschiedenen Grenzbehörden. Schon in unseren Regionen ist der Umgang mit solchen Organen nicht immer erfreulich. Dort aber wird er zuweilen zum Martyrium, das sich ewig erneut, da man bei der Vielgestaltigkeit der Landkarte unter Umständen an jedem neuen Tage an einer neuen Grenze stehen kann. In mancher Hinsicht ist das Reisen hier unten ein fortgesetztes Erschrecken von Grenze zu Grenze. Ehe du's gedacht, stehst du vor einem komitatschihaft aufgemachten Grenzwächter, der an dich herantritt mit der schicksalsschweren Frage: »Haben Sie nichts zu verzollen?« Aber was soll es groß zu verzollen geben, wenn man seine sieben Sachen in einem Rucksack mit sich führt? Dafür halten sie sich schadlos am Paß. Aufmerksam untersuchen sie das Ding von innen und außen und betrachten die Schrift mit Andacht, als ob sie lesen könnten. Dann erst fragen sie dich vorsichtig, was eigentlich darinnen steht. Manche seltsame Frage bekommt man da zu hören, aber wenige nur so seltsam wie jene, die vor einigen Tagen der jugoslawische Grenzwächter am Skutarisee an mich richtete. Dieser unglaubliche Mensch erkundigte sich, ob ich Gold und Silber mit mir führe!

Es bedurfte meiner ganzen Überredungskunst, um ihn davon zu überzeugen, daß das nicht der Fall war, und es war mir, als ob er mir noch immer zweifelnd nachschaute, als der Dampfer die Trossen loswarf und langsam davonfuhr nach dem Lande Albanien.

Mit der Schiffahrt auf dem Skutarisee ist es nicht weit her. Eine kümmerliche Entschuldigung von einem Heckraddampfer nach dem Muster von anno dazumal versieht den Verkehr zwischen den verschiedenen »Häfen«. Warum er überhaupt fährt, ist nicht recht ersichtlich. Allzu dringend ist das Bedürfnis jedenfalls nicht. Von Virzepar bis Skutari – der weitaus längsten Fahrstrecke – war ich der einzige Passagier, der die Daseinsberechtigung dieser Dampferlinie dokumentierte. Am meisten an diesem Schiff interessierte mich der Mann am Ruder; ein äußerst malerischer Mensch mit nackten Füßen, ausgefransten Hosen und talergroßen Löchern in den Ellenbogen seines grün verschossenen Rocks. Mit seinen Pflichten nahm er es sehr leicht. Über Kompaßstriche war er erhaben. Solange der Kahn nicht in entgegengesetzter Richtung fuhr, lag er ihm immer noch nah genug am Kurse. Ging die Reise zu sehr nach Steuerbord, so legte er das Ruder hart über nach Backbord, und umgekehrt. Dazwischen rauchte er Zigaretten, trank mehrere Tassen Kaffee, spielte eine Partie Karten und redete mit Händen und Füßen mit seinen Schiffskameraden. Unter solch kundiger und gewissenhafter Führung kamen wir in interessantem Zickzackkurse bei sinkender Nacht zuletzt doch noch in Skutari im Lande Albanien an.

Es war ein Abend, den ich so schnell nicht vergessen werde. Die Sonne sank eben hinter den Bergen Montenegros, die tintenschwarz unter dem roten Himmel standen. Das schwindende Tageslicht lag wie feiner Goldstaub über der weiten Wasserfläche, und im Osten lag die ferne, seltsame Stadt mit ihren schlanken Minaretten und dahinter die mächtigen albanischen Berge in feurigem Alpenglühen. Langsam fuhren wir vorüber an den Ruinen einer großen Fabrik und den Überresten einer stattlichen Eisenbrücke, die von den Österreichern in Kriegszeiten erbaut und von diesen beim Rückzug wieder gesprengt wurde, ohne daß bisher irgend jemand es der Mühe wert gefunden hätte, den Schaden wieder auszubessern.

Beim Dunkelwerden macht der Dampfer fest an der Landungsstelle der alten Türkenstadt, wo sogleich die unvermeidliche Polizei in Erscheinung tritt. Wieder bekommt man es zu tun mit dem alten Schrecken. Albanische Visa gibt es nicht, aus dem einfachen Grunde, da dieses glückliche Land keine Konsulate und Gesandtschaften im Ausland, zum wenigsten nicht in Deutschland, unterhält. Dafür holen sie es an Ort und Stelle nach und knöpfen einem gleich bei der Ankunft sechsundzwanzig Silberkronen = zehn Goldmark ab.

Nachdem auch diese Formalität erledigt ist, geht es mit einer baufälligen Kutsche, die fast noch schlechter Kurs hält als das vorhergehende Dampfschiff, über Stock und Stein landeinwärts, Skutari entgegen. Eine Weile sieht man nichts als Staub und Steine. Dann kommt der Türkenfriedhof, ganz überwuchert von verwilderten Lilien. Dann kommt man vorbei an einer mächtigen Ruine, die einmal eine Türkenkaserne war. Dann kommen noch mehr Ruinen. Dann geht es durch enge Gassen, die nach Zwiebeln und Knoblauch und allen Gerüchen des Orients duften, über lärmende Plätze, wo im unsicheren Lichte der Petroleumlaternen die Türken vor ihren Bazaren hocken. Mit einem Ruck hält der Wagen vor einer Ruine, die aussieht wie eine ausgebrannte Kaserne. Da sind wir im Hotel.

Im Jahre 1914, in der Zeit, da der Prinz Wied in Durazzo landete und man Berge und Wunder hoffte von der Zukunft des Landes, wurde auch dieses Hotel erbaut, als ein Etablissement ersten Ranges, mit allen Schikanen der Neuzeit. Dann kam der große Krieg und die Enttäuschung. Jahr um Jahr verschwand das Material auf unerklärliche Weise, und was noch übriggeblieben war, das verwandte die österreichische Besatzung für ihre Zwecke. Nun steht es da als eine schöne Fassade, hinter der die Ratten und Mäuse ihr Unwesen treiben, so recht ein Sinnbild der Geschichte Skutaris in diesen Tagen. Wohin man blickt, sieht man kaum vollendete Häuser, die schon wieder Ruinen sind.

Diese Stadt ist hinter anderen um Jahrhunderte zurück. Es gibt keine Eisenbahn, keine Straßenpflasterung, kein elektrisches Licht, keine Wasserleitung, keine Zeitung, außer einem zweimal in der Woche erscheinenden winzigen Blättchen in albanischer Sprache – ja, diese Stadt von 35 000 Einwohnern hat noch nicht einmal ein Kino! Besonders schlimm bestellt ist es um das Nachtleben in Skutari. Sobald die Sonne vollends untergetaucht ist in der blauen Fläche des großen Sees, eilt alles nach Hause wie eine Herde von nachtblinden Hühnern. Mit einem Schlage wird es still in den Bazaren und den Kaffeehäusern. Da und dort schlürft noch einer nach Hause auf leisen Pantoffeln, da und dort schimmert noch das unsichere Licht einer trüben Petroleumlaterne. Bald wird es ganz still, und ägyptische Finsternis herrscht in den Straßen für den Rest der langen Nacht. Beim ersten Morgengrauen aber, wenn der Muezzin sein eintöniges Lied von der Rampe des Minarets erschallen läßt, da wird es plötzlich lebendig von trippelnden Füßen und klappernden Pantoffeln. Es erhebt sich ein lautes Geschrei, das kein Ende nimmt bis in die sinkende Nacht.

Ja, dieses ist die interessanteste Stadt Europas! Darum wird sie auch nie von Touristen besucht. Der große Strom der Vergnügungsreisenden verebbt in Ragusa und wirft nur einige gelegentliche Ausläufer bis nach Cetinje. Nach Skutari kommt keiner. Wer würde denn nach Albanien gehen? Es ist das Weltende, und es gibt dort nicht einmal einen Bädeker. Und doch fängt es gerade hier erst an, interessant zu werden. Mit einem Sprung ist man mitten im Orient mit seinen Türken, Bazaren, Moscheen, Minaretten und all den anderen Dingen, von denen man in den Märchen lesen kann.

Zumal in der alten Türkenstadt ist es herrlich. Orientalisch, beschaulich, erhaben über den Wechsel der Zeit, verdämmert sie ihre Tage, nicht anders, wie sie es schon zu Lebzeiten des Propheten getan haben mochte. Winklige Gassen, schmutzige Buden, schreiende Esel, schlürfende Pantoffeln und Klang und Farbe, wohin man blickt. Hier weiß man noch wenig von Fabrikwaren. Das Handwerk steht noch in hohem Ansehen. Es klopft und hämmert allenthalben. Die Luft ist erfüllt von dem Singen der Sägen und dem Klingen der Hämmer auf den Eisen. Wie bei uns in Zeiten des Mittelalters, ist hier jedem Handwerk seine besondere Straße angewiesen. Man kommt durch Schneider-, Schuster- und Bäckergassen, die wirklich auch noch solche sind. Aber auch Handwerker, die bei uns längst schon zermalmt wurden unter dem Räderwerk der Fabriken, wie Nagelschmiede, Feilenhauer, Handschuhmacher, gehen hier weiter ihrem Geschäft nach, als ob sich nichts geändert, hätte im Wandel der Zeiten. Eine besondere Stelle nimmt in dieser kleinen Welt die Zunft der Gold- und Silberschmiede ein. Sie stehen in hohem Ansehen, und das mit Recht. Ihre Arbeiten gehören zu dem Feinsten und präzisesten, was diese Kunst überhaupt aufzuweisen hat. Auch in der Gold- und Silberstickerei wird hier Erstaunliches geleistet, wobei man sich nur immer wieder wundern muß, wie die Leute zu solchem Reichtum kommen, und wer so etwas zu kaufen vermag in solchem Milieu. Da sitzt irgendwo in einer finsteren Bude ein kleines Kerlchen mit Riesenpantoffeln, das ausschaut wie der kleine Muck im Märchen. Trüb und traurig schaut er vor sich hin, als ob er einen um ein Almosen bitten wollte. Und auf einmal nimmt er von der Wand ein Kleid aus schwerem Damast, in dem Gold genug verstickt ist für hundert Taler. – Wie er dazu kommt? Und wer es kaufen mag? Oh, frage nicht. Du bist im Orient.

Denn wisse: Hier sind alle reich. Auch die Bettler sind es. Wer keine Bedürfnisse hat, ist immer reich.

Und fast hätte ich's vergessen. Ja, der Tabak! Tabak ist das große Wort in Albanien. Er liegt sozusagen hier auf der Straße. Er baut sich zu Bergen in den Schaufenstern, überall schwebt sein Geruch in der Luft so süß und mild, daß er selbst die Nase eines passionierten Nichtrauchers wie mich zu berauschen vermöchte. Keine Steuer, kein Monopol gibt es auf Tabak. Wo immer man in einen Bazar, in einen Kaufladen geht, da wird einem zunächst eine Zigarette angeboten und dann immer noch eine, wenn diese zu Ende ist. Derweilen redet man übers Wetter und die schlechten Zeiten. – Aber wer würde dann kaufen?

Ja, dieses ist das Paradies der Tabakraucher!

Wo alles merkwürdig ist in dieser interessanten Stadt, muß es auch seltsam bestellt sein um die Geldverhältnisse. Dieses glückliche Land hat nämlich gar keine Valuta. Es hat auch keine Banken. Es geht hier alles in klingender Münze, Gold und Silber, von dem Unmengen im Lande aufgestapelt sind. Die Gewohnheit hat hier eine Art Doppelwährung herausgebildet mit dem Napoléon (gleich 20 französische Franken) als Goldbasis. Im Kleinverkehr zirkuliert die Silberkrone. Ein ganzer Kongreß von Silbermünzen hat sich hier allmählich aus aller Herren Ländern zusammengefunden. Man sieht die deutsche Silbermark, englische Schillinge und französische Frankstücke. Daneben österreichische und montenegrinische Kronen, serbische Dinare, griechische Drachmen und die bulgarische Leva in schönster Eintracht. Papier – und sei es der allmächtige Dollar – hat keinen Kurswert im Verkehr mit dem albanischen Bauer. In ganz Europa ist er der einzige Kluge gewesen, der sich in diesen traurigen Nachkriegszeiten nicht hineinlegen ließ durch das Hexeneinmaleins von Metall- und Papiergeld. Wobei man wieder einmal sehen kann, daß die Wilden zuweilen nicht nur bessere, sondern auch klügere Menschen sind als wir selber.

 


 << zurück weiter >>