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Alle stehen vor dem Schuppen versammelt und schauen in dumpfem Schweigen nach dem Himmel, an welchem die letzten Nachtwolken wie Gespenster dahin jagen. –
Das ist keine frische Brise mehr, – es ist beginnender Sturm, von der Wetterwarte kommt so eben eine zweite Warnung, und dennoch ist es grade heute von der größten Wichtigkeit, den Feind zu rekognoszieren.
Ein heimkehrender Fischkutter hat in wilder Hast den Hafen erreicht und gemeldet, daß er von einem ihm unbekannten, anscheinend schwedischen Segler ein Signal erhalten habe, daß englische Kriegsschiffe im Anzug seien.
Sie wollen nach Helgoland durchbrechen, ohne Frage.
Die Flieger mußten hinauf und Umschau halten, es geht um alles, die Richtigkeit dieser Nachricht festzustellen.
Giöreczy steht noch einen Augenblick an seinem Apparat: »Du willst Deine neue Erfindung, Deine sogenannte Sturzsicherung heute ausprobieren, Sören, wie mir soeben die Herrn Offiziere mitteilen?«
»Ich erhielt bereits die Erlaubnis, falls Herr Graf ebenfalls einverstanden sind.«
»Selbstredend.«
»Die Herrn erlaubten es mir, daß ich Herrn Graf in diesem Fall begleite. Es ist wohl auch unerläßlich, und Beobachtungsdienst riskiere ich zu übernehmen.«
»Ich weiß, – hast mich schon oft dadurch unterstützt, wenn es noch friedliche Fernflüge galt. Also los. Was zögern wir noch? Leib und Leben stehen im Dienst des Vaterlands. Ist sonst alles in Ordnung?« Giöreczy frägt es ebenso gelassen und sachlich wie sonst.
»Ich bin bereit, Herr Graf.«
Noch ein kurzes, dienstliches Gespräch, festes, inniges Händedrücken. »Kehren Sie als Retter von Helgoland heim!« –
»Das walte Gott.«
– Der Apparat steigt. Noch immer höher, als strebe er direkt der Sonne zu. Dann wendet er sich nach Westen. – Die zurückbleibenden Herrn verfolgen den meisterlichen Flug voll atemlosen Interesses.
Sie sehen das Steigen und Fallen des Aeroplans, wie schwer er gegen die immer stärker einsetzenden Böen zu kämpfen hat. Die Steuerung des kleinen Monteurs scheint gut, wenn der Apparat stabil genug ist, gibt es eine glänzende Fahrt. Hinter einer letzten Dunstwand verschwinden sie. –
Hubert und sein Begleiter wechseln kein Wort. Es ist möglich sich bei dem Knattern des Motors zu verständigen, aber immerhin schwierig.
»Mehr rechts halten.« –
»Noch höher hinauf?« –
»Schrauben Sie sich so hoch wie möglich, – hoffentlich leuchtet uns die Sonne bald zur Umschau!«
»Du siehst noch nichts?« –
»Noch nichts.« –
Die letzten Worte sind bei dem scharfen Luftzug und dem starken Geräusch des Motors kaum noch verständlich. Wie Bilder aus Erz und Stein sitzen die beiden Männer. Jede Fiber, jede Muskel ist angestrengt. Starren Blicks schauen sie hinaus. – Himmel und Meer. Weite, leuchtende Unendlichkeit. Glührote Strahlen flammen im Osten empor, wie heiße Liebesgrüße, wie sehnend ausgebreitete Arme aus jenem Reich des Lichts, wo die Liebe nimmer aufhört. – Welch wunderliches Geräusch plötzlich im Motor? – Ein Schnarren und Rollen …
Giöreczy sieht Sören an und lächelt. »Sollten dem Ikarus die Flügel lahm werden? Wenn jetzt der Motor aussetzt … was dann?« –
»Noch haben wir die Sonne nicht erreicht. Es ist wohl nichts, Herr Graf. Die Maschine arbeitet weiter.«
»Nein, es ist nichts.« –
Höher, immer höher steigt das Flugzeug über die Wolken, welche ein Sturmwind heranfegt, hinweg.
Dort liegt Dover. – Die Sonne zeigt ihnen wohl den Weg. – Immer purpurner, immer lockender in heißer Pracht glüht es im Osten, – wie ein blitzen, grell und sieghaft, gleich dem zuckenden Schwerthieb, welcher des Feindes Nacken trifft. Die Sonne! – die Sonne hebt sich siegreich über alle Friedensräuber und Schurken der Finsternis! –
»Schiffe! feindliche Schiffe! – dort sind sie!«
»Funkspruch! – schnell Sören, – Du verstehst es!« –
»Sehr wohl, – die Unsern erhalten rechtzeitig Warnung!« –
»Alles genau! – Du zählst sie? – Kriegsschiffe? – Vorwärts! Gott im Himmel sei gelobt, so war unser Aufstieg nicht vergeblich! – Telegrafiere so oft und lang Du kannst …!«
Es geschieht. –
Wie ein jauchzender Siegesschrei. – Die Sonne half! Die Sonne flammt ihnen entgegen – und droben rast der Aeroplan von brausendem Sturm erfaßt höher und höher in den Himmel hinauf.
Sören starrt mit weit offenen Augen in diese Fülle von Glanz und Licht. Hubert folgt seinem Blick. Wie ein verklärendes Leuchten zieht es über beider Angesicht. Da taucht vor Sören inmitten dieses Sonnengoldes die blonde, heilige Frau von dem Altarbild seines heimatlichen Kirchleins empor, und sie winkt ihm zu und lächelt und zu ihren Füßen glühen die Worte, die er einst so gern gelesen, welche er unwillkürlich laut nachspricht, daß die Hand Giöreczys am Steuer leise erbebte. »Gott ist die Liebe – und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott – und Gott in ihm!« – und weiter, wie ein heiliges Gelöbnis ewiger Treue! »Die Liebe ist die größte unter ihnen!« O ihr ewigen, lichten Höhen! Ihr Auen des Friedens, wo es kein Scheiden und Trennen mehr gibt! Jählings öffnet er die Lippen und wiederholt noch einmal voll lauten Jubels die selige Verkündigung, und Hubert blickt wie verklärt in den leuchtenden Himmel empor.
»Wir haben unsre Pflicht getan! wir haben nicht umsonst gelebt!« – und dann wie steigende Sehnsucht: Ja, die Liebe ist die größte unter ihnen! Sekundenlang tiefe Stille. Der Apparat arbeitet schon seit Minuten unregelmäßig, – die Piloten haben es gar wohl beobachtet, sie wissen, was es bedeutet.
»Sören, – gute, treue Seele!« –
»Lieber, lieber Herr Graf!« – Er möchte ihm die Hand reichen, – aber Hubert hält voll treuen Pflichtgefühls das Steuer umschlossen. Die Sonne zeigt den Weg, – und sie harren wacker aus auf ihrem Posten, bis zuletzt. Ein Wirbelwind! Ein Brausen, Knattern – ein schriller Klang, als ob alle Spanndrähte gellend aufschrieen … sekundenlang schwankt das Flugzeug hin und her und stürzt im nächsten Augenblick in schwindelnde Tiefen hinab. –
Drunten rollt das weite, ewige Meer, es hebt die weißen Wogen wie zärtlich grüßende Arme empor, – dann rauscht es gewaltig auf, schäumt und wogt über gähnendem Abgrund und schließt sich voll heiligen Ernstes über dem frischen Grab zweier Helden. –
In die Heimat, zu den sorgenschwer harrenden deutschen Männern trägt der geheimnisvolle Funken die letzte, so hochwichtige Beobachtung des Grafen Giöreczy. – Helgoland die Ostseeküste sind gerettet. – –
Der Sturm hat lang getobt; – dann wird es still über den Wassern. – In friedlichem Glanz liegen sie und spiegeln den Himmel. – Die Sehnsucht ist zur Ruhe gekommen, – sie hat das Glück gefunden, welches sie so lang mit blinden Augen suchte, – sie ist gestillt in seligem Vereintsein und hat ihr höchstes Ziel erreicht, – ein Paradies voll Liebe, – – und die hört nimmer auf. –
Ende