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Vierzehntes Kapitel.

Nach dem Konzert hatte Grenadina noch ein paar Verwandte und Freunde bei sich empfangen, aber sie sah so angegriffen aus und hustete auch verschiedentlich, daß die Gäste sich nach kurzer Begrüßung wieder verabschiedeten und Frau Hammer darauf drang, daß ihre junge Gebieterin das Bett aufsuchte.

Die Ruhe und Wärme schienen sehr gut getan zu haben, denn obwohl sie auch ein paarmal in der Nacht gehustet hatte, fühlte sie sich andern Morgens wieder ganz frisch und wohl, war sogar lebhafter und angeregter wie sonst, und besprach mit Frau Hammer voll besondern Interesses die Wahl ihres Teekleides, welches sie heute dem Grafen Giöreczy zu Ehren anlegen wollte.

»Himmelblau liebt er nicht!« erklärte die Kammerfrau wichtig. »Entsinnen sie sich noch, gnädiges Fräulein, wie er Ihren Abendmantel damals kopfschüttelnd betrachtete? – Diese blassen, ausdruckslosen Farben sind naiv, und naiv und dumm ist für mich derselbe Begriff!! – also ja keine dumme Farbe! – das erdbeerfarbene Kleid mit der breiten Goldstickerei wird sein Geschmack sein, – das lege ich für gnädiges Fräulein zurecht!« –

»Gut, liebe Hammer! und da ich nachmittags viel ruhen möchte, gebe ich Ihnen Urlaub, diesen Tag zu benutzen und die nötigen Einkäufe zu besorgen! Sehen Sie sich Berlin, das erzgepanzerte an, und wenn Ihre Kusine Zeit hat, Sie zu begleiten, binden Sie sich an keine Stunde; nur um acht Uhr zum Abendbrot seien Sie hier. Wenn der Graf sich verabschiedet hat, möchte ich mir noch das Haar von Ihnen champonieren lassen und dann frühzeitig zu Bett gehn.« –

So hatte Grenadina noch vor dem Gabelfrühstück, aus Rücksicht für ihre Getreue, das fraisefarbene Crêpe de chine-Kleid angelegt und die Kammerfrau war alsbald gegangen.

Fräulein Nirsky frühstückte allein in ihrem Salon und der Kellner, welcher die Teller wechselte, räusperte sich ein paarmal sehr auffällig. – Als er nicht angeredet ward, verbeugte er sich sehr bescheiden, aber doch recht ostensibel.

»Verzeihen, gnädiges Fräulein – gestern Abend hatte der bekannte Aviatiker Graf Giöreczy Blumen geschickt, – – das gnädige Fräulein kennen den Herrn?« –

Grenadina hob aufs höchste betroffen das Köpfchen. – »Allerdings … inwiefern …«

»Ach, da wird gnädiges Fräulein gewiß eine Nachricht aus Johannisthal interessieren – –«

»Aus Johannisthal!?« »Sehr wohl! Der Herr Graf ist heute Morgen mit seinem Passagier abgestürzt …«

Ein leiser, bebender Aufschrei. Grenadina springt empor und hebt wie in entsetzter Abwehr die Hände. – »Barmherziger Gott … ist er … ist er …«

Leichenblässe deckt ihr Antlitz, sie greift wankend nach der Sessellehne.

»Nein, gnädiges Fräulein! es ist nichts schlimmes passiert!« – versichert der Kellner, selber erschrocken über die Wirkung seiner Neuigkeit. »Die beiden Herren sind schwer verletzt – aber sie sollen noch leben!«

»Das Telefonbuch! – fragen Sie den Direktor, wohin ich antelefonieren muß, um alles Nähere zu erfahren!« – klingt es wie herzzerreißende Angst von ihren Lippen. –

»Das ist schon geschehen, gnädiges Fräulein! Hier im Hause wohnt ein Herr, der sich auch sehr für die Aviatiker interessiert, der hat schon bei der Fabrik angeklingelt, – aber die geben ganz verworrene Auskunft; – die Leute im Büro scheinen selber nichts zu wissen oder sie sollen nichts aussagen!« –

Grenadina richtet sich mit jähem Ruck empor. Ihre Augen bekommen etwas starres, – sie spricht kurz und schnell: »Ein Auto! – besorgen Sie sofort ein Auto! Ich werde selber hinausfahren!« –

»Befehl, gnädiges Fräulein – in zwei Minuten ist es bereit!« –

Wie sie Mantel und Hut an sich gerissen, weiß Grenadina selber nicht, – mit zitternden Händen, ganz verstört in namenloser Angst wirft sie den Pelz um und eilt auf den Korridor nach dem Lift. –

Wie kalt ist es, wie kalt …

Eisige Luft fegt schneidend daher, – Grenadina merkt und beachtet sie nicht. –

»Fahren Sie so schnell Sie können! jede Minute ist kostbar!« – ruft sie dem Chauffeur mit einer Stimme zu, die im Schluchzen zu ersticken scheint.

Wie lang die Fahrt – wie lang! –

Der Wagen schließt schlecht, die Karosserie scheint schon alt, es zieht durch die Fenster und die junge Sängerin wickelt sich fester in den Mantel – sie friert, – sie friert so sehr – aber was liegt daran?

Todesangst um ihr höchstes, liebstes und bestes Glück schüttelt sie.

Lebt er? – Ist er tot? kommt sie zu spät?

Verzweifelt preßt sie die Lippen zusammen, um nicht laut aufzuschreien.

Eine furchtbare, entsetzliche Stunde – eine Stunde, welche ihr klar macht, wie tief innig, wie über alles sie Hubert Giöreczy liebt.

Johannisthal! – Dort der Flugplatz – die Hangars – in der Luft ein Knattern und Dröhnen – es scheint ein Aeroplan tief unten zu kreisen. –

Gleicherzeit ein lauter Knall.

Das Auto stoppt seine Schnelligkeit ab und der Chauffeur beugt sich mit ärgerlichem Gesicht zurück, nach dem Rad zu sehen.

Er hält, springt ab und besieht den Reifen.

Dann öffnet er die Wagentüre.

»So eene Jemeinheit! So een ausjesuchtet Pech! Knallt mich hundert Schritte vor's Ziel noch een Reifen weg un ick kann mir det Vergniejen leisten und montieren! Ja, ja Freileinchen, det kommt, wenn man so een ollet herrschaftliches Auto for nei kooft un die lumpigten Pneus noch abfahren will! Na da jedulden Se sich man eene janze Weile! Oder wenn Se eilig sin, jehen Se woll die paar Schritteken bis zu die Restauration zu Fuße! Da sehen sie ihr schon liejen! Immer jrade aus!!«

Grenadina hatte erschrocken zugehört.

Die Luft wehte scharf und schneidend durch die offene Türe, – aber was half es! Sie hatte keine – Ruhe, vielleicht eine halbe Stunde noch hier zu warten und sich in unaussprechlicher Angst zu verzehren.

Was soll das bißchen Kälte ihr schaden? Sie ist ja doch im Süden kerngesund geworden!

Schnell entschlossen bezahlt sie, steigt aus und eilt der Restauration entgegen.

Wie entsetzlich ungewohnt, – wie furchtbar kalt und windig! In der Eile vergaß sie, feste Schnürstiefel anzuziehen und in den kleinen, ausgeschnittenen Lackschuhchen geht es sich wie auf Eis! –

Es ist nicht weit, aber Grenadina hat trotz ihrer namenlosen Aufregung das Gefühl, als müsse sie, die kein nordisches Klima mehr kennt, in dieser Luft erfrieren.

Was liegt daran! Wenn sie nur erst Nachricht hat, wie es um Hubert steht!! –

Zitternd vor Kälte tritt sie in die Restauration. Der große Raum ist fast leer, – nur dort an einem Tisch sitzen zwei Marineoffiziere und neben ihnen …

Die junge Sängerin stößt einen leisen Schrei aus. »Graf Giöreczy!!« –

Hubert springt auf, starrt die um diese Zeit ungewohnte Erscheinung einer Dame betroffen an und dann fliegt sein Stuhl zurück, er stürmt ihr entgegen.

»Fräulein Nirsky … träume ich … ist es ein schöner Wahn? Sie? – Sie selber?« Er hat ihr die Hand entgegengestreckt, er will die ihre an die Lippen ziehen, aber mit bebenden Fingern umklammert sie seine Rechte.

Glut und Blässe wechseln auf ihrem Antlitz, welches die Aufregung beinah entstellt.

»Sie leben, Graf? – Sie leben?!« – ringt es sich halb erstickt von ihren Lippen – und sie starrt ihn an, als könne sie diese selige Tatsache gar nicht fassen – »Sie leben!« –

Er erschrickt. »Allmächtiger! ist etwa die falsche Nachricht von meinem Absturz auch zu Ihnen gedrungen? – Soeben wollte ich zu Ihnen fahren –«

Sie nickt mit einem Schauder des Entsetzens, sie bebt am ganzen Körper.

»Es war eine Verwechslung des ausländischen Namen – Gottlob ist auch meinem Collegen, einem östreichischen Offizier, kein ernstlicher Schaden gescheh'n! Ein Armbruch – kleine Quetschungen, das ist alles!« –

Er tritt näher an sie heran: »Und da kamen Sie persönlich hierher, nach mir zu fragen?« flüstert er mit heißem Blick unaussprechlicher Freude.

Sie lächelt unter Thränen: »Ich hatte mich so sehr erschrocken – und kurz vor Johannisthal hatte das Auto einen Radbruch.«

Sie legt die Hand über die Augen und greift schwindelnd nach einem Stuhl –: »Hier ist es so warm … draußen so kalt …«

Hubert erschrickt: »Sie waren unvorsichtig! Bitte trinken Sie sofort einen Cognak, – ich verabschiede mich von den Herrn – oder … wenn Ihr Auto einen Unfall hatte, bitte ich Sie, mit uns nach Berlin zurückzufahren! Die Herrn steigen Friedrichstraße aus, – und ich begleite Sie, mit gütiger Erlaubnis sogleich in Ihr Hotel – es ist mir so sehr lieb, eine Stunde vor dem Fünfuhrtee bei Ihnen zu sein!«

Hastig schiebt er ihr einen Stuhl zu, stürmt an das Büffet, – den Thee und Cognak zu bestellen und wechselt ein paar schnelle Worte mit den Offizieren. –

Nach zehn Minuten sitzen sie alle in einer von Giöreczy bestellten Autodroschke und fahren nach Berlin zurück.

Grenadina hat sich in ihren Mantel gewickelt und hustet sehr stark, Hubert bittet sie, nicht zu sprechen.

Die Herrn erledigen eine geschäftliche Angelegenheit und besprechen mit dem Grafen die wichtige Notwendigkeit, den neuen Hydroplan in Kiel auszuprobieren.

Giöreczy interessiert sich auf das lebhafteste dafür und versichert, daß er bestimmt kommen werde, sich darauf einzufliegen.

»Es müßte in den nächsten fünf Tagen geschehn, da B. den Apparat für Wilhelmshaven verladen lassen muß!«

»Ich kann jederzeit die Probe machen.« –

»Würden Sie schon morgen reisen können?«

Hubert überlegt einen Augenblick.

»Wenn es sein muß – ja!«

»Großartig! wirklich famos von Ihnen Graf!«

»Ich telegraphiere dann sofort an die Kommission –: oder telefoniere an!« –

»Noch besser! – Also bestimmt morgen Abend in Kiel auf Wiedersehn!« –

Die Herrn verabschieden sich alsbald in der Friedrichstraße und nach wenig Minuten halten Grenadina und ihr Begleiter vor dem Hotel.

Sie haben nicht mehr gesprochen, nur einmal hat Hubert seine Hand auf die ihre gelegt.

»Ohne Handschuhe! – Sie scheinen furchtbar zu frieren?!« –

Sie versucht zu lachen: »Es ging ja so schnell!«

Nun stehen sie in dem Salon der jungen Sängerin.

Grenadina hat den Mantel abgeworfen, von dem fraisefarbenen Seidenstoff hebt sich ihr Antlitz voll wächserner Blässe ab.

Ihre weit offenen Augen haben noch immer den starren Blick.

Sie schaut in Huberts Gesicht. »Sie leben! Sie leben!« klingt es abermals von ihren Lippen, diesmal wie ein Aufatmen nach Todesangst.

Er faßt ihre Hände, die kalten, bebenden, er neigt sich nah – ganz nah zu ihr. –

»Grenadina – haben Sie sich um mich gesorgt?« –

Sie errötet nicht, sie blickt nur urverwandt zu ihm empor, wie ein verträumtes Kind, welches Wachen und Schlafen noch nicht zu unterscheiden vermag.

»Ja! es kam so plötzlich, – ich hatte mich so sehr erschrocken … ich wußte nicht, ob Jemand zur Stelle war, welcher für Sie sorgte!« und dann atmet sie tief auf, lächelt wie eine Erwachende und weicht von ihm zurück. An der Türe hat es geklopft.

Der Kellner steht auf der Schwelle. Sein erster neugierig forschender Blick trifft den gestürzt gesagten Aviatiker, dann verbeugt er sich mit einer geradezu tragischen Miene.

»Der Herr Direktor läßt sehr um Entschuldigung bitten, gnädiges Fräulein, aber wir haben leider einen kleinen Defekt an der Warmwasserheizung gehabt, welche die nächsten Stunden nicht gut funktionieren dürfte! – Wenn es den Herrschaften zu kühl in dem Salon ist – der Wind steht leider auf die Fenster! – so darf ich wohl einen Petroleumofen hereinstellen lassen?«

Die junge Sängerin wehrt entsetzt ab.

»Um alles nicht! Die Luft wird schrecklich dadurch, – ich ertrage den Geruch nicht! – Es kommt mir übrigens sehr schön warm vor – wie denken Sie, Herr Graf?«

Hubert reibt sich behaglich die Hände: »Ich bin in dieser Beziehung durchaus nicht maßgebend, denn gegen Kälte und Hitze bin ich vollständig unempfindlich. – Aber –« er macht ein besorgtes Gesicht und blickt nachdenklich über ihr duftiges Kleid, dessen Passe nur ein feiner Schleierstoff ist.

»Sie kommen soeben aus der Kälte herein, darum deucht Ihnen das Zimmer wärmer, als wie es vielleicht ist! Sie sind sehr leicht gekleidet … und alles in allem, Sie haben während der Fahrt sehr gefroren, damit müssen wir rechnen!«

Grenadina lächelt und schüttelt das Köpfchen.

»Bringen Sie sogleich recht heißen Tee …«

– »Ein Grog wäre wohl besser?!« –

»Wenn Sie glauben, Graf, trinken wir ihn als Arzenei! – Also bitte, Kellner, bringen Sie sogleich alles nötige für den Teetisch, wie es bestellt ist, und außerdem einen nicht allzustarken Grog!« –

Hubert lacht: »Wenn ich auch einen bekomme, kann er etwas trockener sein! Sie verstehen, Kellner, weniger Wasser und mehr Alkohol! Die Mischung ist mir gewohnter!« –

»Sehr wohl Herr Graf, werde sofort besorgen!« –

Grenadina rückt geschäftig den kleinen Kessel über die Spiritusflamme, stellt die Zigarren bereit und plaudert während dessen voll plötzlicher Befangenheit über andere Dinge.

– »Bitte erzählen Sie nichts von dem Sturz Ihres Herrn Kollegen!« wehrt sie ängstlich ab, als Hubert noch einmal auf die fatale Verwechslung der ähnlich klingenden Namen zurück kommen will: »Es regt mich sehr auf, – ich bin selten nervös, aber heute fühle auch ich, daß ich recht schlechte Nerven habe! Es war mir nicht möglich, auf dem Flugplatz nach dem Apparat empor zu schauen, welcher grade über Johannisthal kreiste!« –

»Wäre es nicht sehr zweckmäßig, Fräulein Grenadina, wenn Sie sich eine kleine Weile zurückziehen und sich ausruhen wollten?« –

Sie starrt ihn ganz erschrocken an: »Wo ich so glücklich bin, daß ich Sie lebend vor mir sehe, wo Sie morgen schon – nach Kiel weiter reisen wollen – –«

Er steht neben ihr und blickt sie mit demselben heißen Blick an, wie vorhin in Johannisthal, als er sich freute, daß sie kam. –

»Ich will nicht, – ich muß es, man hat es mir zur Ehrensache gemacht, und gerade ich als – Träger eines bekannten Namens, der ich so lange nur für mich geflogen, muß zeigen, daß ich ein guter Patriot geblieben bin! Es ist nur für wenige Tage, – dann kehre ich zurück, – wenn Sie mir das Recht geben, zu Ihnen, Grenadina!«

Nun steigt alles Blut purpurheiß in ihre Wangen.

Sie antwortet nicht, sondern wendet sich zu dem Teetisch. Der Kellner ist eingetreten und ordnet ihn, – Fräulein Nirsky schenkt die Tassen ein.

»Hier der Grog, Herr Graf, – darf ich bitten, gnädiges Fräulein, hier der ihre!« –

»Ah, vortrefflich! Lassen Sie uns auf ›Gut Heil!‹ anstoßen, mein gnädiges Fräulein!« lächelt der Aviatiker mit strahlendem Blick sein Glas gegen das der jungen Sängerin neigend.

Grenadina blickte nicht auf. »Glück auf und gut Heil!« wiederholte sie leise. »Möchten alle guten Engel Sie in Zukunft behüten!«

»Möchten wir beide das Ziel unserer Sehnsucht erreichen!« gibt er ebenso mit gedämpfter Stimme zurück, und sekundenlang ruht Blick in Blick. –

Der Graf trinkt in kräftigem Zug, Grenadina schrickt von dem Glas zurück und setzt es schnell nieder. »Das ist ja furchtbar stark –! Nein, da ist mir mein gewohnter Tee lieber!«

Der Kellner kann sich beim besten Willen nichts mehr in dem Salon zu schaffen machen, er geht, und Hubert sitzt seiner liebreizenden Wirtin in behaglichem Sessel gegenüber und fühlt wie selige, heiße Lebensfreude, das Bewußtsein noch zu leben um lieben zu können, sein Herz erglühen läßt.

Das Zündholz flammt auf, die duftende »Grenadina« zwischen seinen Lippen fängt Feuer und zarte, blaue Wölkchen ringeln sich, wie süße Zukunftsträume in die Blüten empor, welche aus den Vasen hernieder nicken.

Ein kurzes Plaudern, – ein langes Schauen in die Augen.

Röter und röter färbt sich das erst so bleiche Gesicht der jungen Sängerin.

Sie greift nach ihrer Arbeitstasche, – aber mit jäher Bewegung hält Giöreczy ihre Hand fest. »Seien Sie heute nicht fleißig, Grenadina!« bittet er mit weichem Klang in der Stimme. – »Diese Stunde gehört mir! – Schon einmal stand Gottes Engel neben mir und erhielt mir, dem Todgesagten, Leben und Gesundheit –! Solch ein Geschenk ist wohl schön, aber noch viel zu arm und klein in der Hand dieser reichsten aller Göttinnen!« – Der Sprecher neigt sich näher, – er hält die kleine Hand fester, er greift auch nach der anderen. »Grenadina – wissen Sie nicht, wie wir im Frühling von der Sehnsucht sprachen, die in jedem Menschenherzen schlummert, die Sehnsucht nach dem wahren Glück? Ich suchte es im stolzen Erobern einer noch unbezwungenen Welt, – Sie auf den Höhen der Kunst. – Ich glaube wir sind beide blind gewesen, und der heutige Tag hat uns sehend gemacht. – Grenadina, ich lernte einsehen, daß es eine noch gewaltigere Sehnsucht gibt, welche in Wahrheit zur Sonne trägt, die Liebe! die Liebe! – sie einzig und allein –!« – Sein Arm umschlingt sie voll heißer Leidenschaft. – »Ruhm, – Ehre, Kunst und Erfolg sind schön« – flüstert er. »Aber die Liebe ist die größte unter ihnen!«

Ihr Köpfchen sinkt an seine Brust, wie verklärt leuchten die Blauaugen zu ihm auf.

»Ja, die Liebe ist die größte unter ihnen!« lächelt sie – »denn sie allein hört niemals auf.«

Wie heiß seine Lippen auf den ihren brennen, wie unersättlich er sie küßt! –

Worte sind zu arm für so viel Glück, es gipfelt in dem Kuß, baut sich in ungezählten Küssen höher und höher, bis in den Himmel hinauf! –

Die Blumen duften, – die Zeit verrinnt – und die »Grenadina« welche sich zuvor zwischen den Lippen zu heißer Glut entflammte, ist herabgebrannt. –

Es wird so kalt in dem Zimmer, so kalt.

Grenadina hat ein paarmal heimlich gefröstelt.

Sie fühlt, daß ihre Wangen glühen und ihr Körper in Kälte erschauert.

Aber sie achtet es nicht. – Ihre Seele jauchzt in jungem, bräutlichem Glück, welches sie voll süßer Schwärmerei der Welt entrückt.

»Geh' noch nicht – bleib bei mir! – Du mußt ja morgen reisen!« fleht sie – und von ihren Lippen klingt es wie im Traum: –

»mit meinem Lieb so ganz allein –

und könnte keiner uns belauschen!«

Wie könnte er sich trennen! –

Es wird kälter und immer kälter in dem Salon, ein Windstoß braust gegen die Fenster, man fühlt die Zugluft bis mitten in das Zimmer hinein.

Grenadina schmiegt sich fester in seine Arme, ihr Blick taucht in den Seinen, als wolle sie sich für eine lange Zeit der Trennung an dem Geliebten satt schauen. Und seine Küsse flammen heißer und heißer auf ihren Wangen.

Täuscht er sich? – Die erst so purpurnen, erblassen, wie dunkle Schatten senkt es sich um die großen, überirdisch glänzenden Augen.

Eine unaussprechliche Liebe leuchtet ihm daraus entgegen.

»Nun glaube und begreife ich es, wie gern meine Schwestern aus Havanna an den Küssen des Geliebten sterben!« flüsterte sie.

»Auch mir ist es, als löste sich meine Seele im Kuß, als wüchsen ihr lichte Schwingen, welche sie emportragen in den Himmel eines Gottes, welcher selbst die Liebe ist! – Solch ein Tod ist Seligkeit, küsse mich, Du Herrlichster von Allen, küsse mich!« –

Und er küßt sie! – Erst lachend, leidenschaftlich, heiß und stürmisch, – und dann – als er sieht, wie blaß sie wird, wie schwer sie plötzlich in seinen Armen liegt, – neigt er die Lippen in langem, zärtlichen Abschied, weich und lind, und sagt leise: »Nun geh zur Ruhe, Liebling! Ein kurzer Schlaf, – ein süßer Traum – eine kleine, ganz kleine Trennung – und dann bist Du mein für alle Ewigkeit!« –


Ein Mondstrahl fällt durch das Fenster des leeren Salons, – er gleitet über die duftenden Blumen, über den kleinen Teetisch, – über die Zigarrenschale.

Der letzte Funke der »Grenadina« ist erloschen.

Ein kleines Häuflein Asche fällt über den goldenen Ring, welchen die Havanna getragen. –

Weiße Lilien neigen sich tief darüber. –

Am nächsten Morgen bringt Sören Hallwege einen Brief und Strauß köstlicher roter Rosen, von Myrten und Orangen diskret durchflochten, zu Fräulein Nirsky.

Er bittet den Kellner, noch auszurichten, daß Graf Giöreczy bereits in aller Frühe mit dem Schnellzug nicht nach Kiel sondern nach Wilhelmshaven weiter gefahren und abgereist sei und daß er, sein Monteur noch mit dem Verpacken etlicher Ersatzteile beschäftigt gewesen sei, aber in zwei Stunden nachfolgen werde. Der Kellner zuckt unschlüssig die Achseln.

»Wollen Sie es der Kammerfrau nicht selber ausrichten? Sie möchte Ihnen schnell wohl gern eine Mitteilung machen. Das gnädige Fräulein ist nämlich heute Nacht sehr krank geworden.«

Sören verfärbt sich: »Barmherziger Gott! Was fehlt ihr?«

Wieder das fatale Achselzucken. »Hohes Fieber. Am besten, Sie fragen selbst.«

Und Sören fragte. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er Frau Hammer an, welche soeben Depeschen an die Angehörigen der jungen Herrin aufgesetzt hat. – Sie ist so eilig, kann keinen Augenblick abkommen. Natürlich furchtbare Erkältung! Sie hat es ja gleich gesagt. Gestern Abend plötzlich heftiger Schüttelfrost, dann ein Fieber, welches noch ununterbrochen steigt. »Bitte fragen Sie telephonisch heute Abend an, – ich habe keine Zeit mehr!« – –

Ein Tag ist vergangen.

Sören steht vor Graf Giöreczy in Wilhelmshaven. »Hast Du Antwort von ihr? Brief mitgebracht?« ruft er ihm voll seliger Hast entgegen, dann weicht er zurück und blickt erschrocken in das fahle, fast entstellte Gesicht seines Getreuen.

»Herr Graf – ich bringe böse Nachricht. Fräulein Grenadina ist schwer erkrankt – habe eben antelephoniert, – eine schlimme Lungenentzündung.« –

Hubert taumelt zurück. Er starrt den Sprecher, welcher an seinen Worten gewürgt, als müßte er daran ersticken, wie geistesabwesend an. Grenadina … Allbarmherziger Gott – eine Lungenentzündung – wo sie schon so zart und anfällig ist?« – Alles Blut weicht aus seinen Wangen, – er sinkt schwer in den Sessel nieder. Tiefes, dumpfes Schweigen. – An der Türe klopft es. Stimmen werden laut – ein paar Herren der Kommission. –

Giöreczy streift mit der Hand über die Stirn.

»Gott wird uns nicht verlassen, Sören! Sie muß wieder gesund werden. Jetzt dürfen wir nicht denken und sorgen, – die Arbeit wartet.« Er reißt sich zusammen und geht den Herren entgegen.

»Telephoniere so oft wie möglich an!« ruft er Sören noch zu, ehe er sich den Herren anschließt.

Bewegte Tage. – Ein aufregender Probeflug in feindliches Gebiet, welcher alle Nerven anspannt. Von früh bis spät ist Giöreczy in Anspruch genommen und wenn Sören ihm alle zwei Stunden Nachricht aus Berlin bringt, erschrickt er vor dem Aussehen des sonst so blühend frischen Mannes.

Voll Verzweiflung krampft er die Hände zusammen: »Bete, Sören! Hilf mir, sie dem Himmel abringen!« stöhnt er.

Es ist ein kalter Morgen.

Die See geht hoch, der Wind frischt auf, am Startplatz schüttelt man die Köpfe.

»Heut ists unmöglich, – die Wetternachrichten lauten auf bedenklich, – der Flug muß verschoben werden, so wichtig er auch sein mag!«

»Haben Sie schon Nachricht zu Giöreczy geschickt?«

»Ich telephonierte die ungünstigen Prognosen an, – bekam aber Antwort, daß der Graf auf alle Fälle herauskommen wolle!« –

»Gut, warten wir! Vielleicht klärt es noch auf!«

»Heute nicht, selbst wenn die Sonne durchkommt, haben wir Böen auf See!« –

– – Giöreczy steht in Hut und Mantel bereit, mit Sören das Auto zu besteigen, welches ihn zum Start bringen soll. Beide sehen übernächtigt und tief ernst aus. Die Nachrichten gestern Abend lauteten schlecht, sehr schlecht. –

Ein schwerer Schritt auf der Treppe.

Der Depeschenbote.

Hubert stößt einen dumpfen, röchelnden Schrei aus und wehrt voll leidenschaftlicher Qual das dargebotene Telegramm ab.

Sören Hallwege richtet sich ruhig auf, greift danach und blickt fragend auf seinen Chef. Eine kurze, verzweifelte Geste.

Sören öffnet. Er ist leichenblaß bis in die Lippen hinein. Sein Blick starrt auf das Papier, wie ein Keuchen erschüttert es seine Brust.

»Tot?!« –

Sören nickt: »Tot.« –

»Ja, es ist Zeit!« sagt er kurz.

Und dann eine dumpfe, bange Stille. Tot.

Hubert ist vor dem Tisch zusammengebrochen und hat das Antlitz auf die gefalteten Hände gedrückt, seine kraftvolle Gestalt schüttert und sinkt in sich zusammen, als habe ein Blitzstrahl sie gefällt. – Dieser Augenblick zeigt ihm erst, wie lieb er sie gehabt. –

»Herr Graf! – Es ist Zeit, wir müssen fliegen!« klingt eine wunderlich fremde Stimme neben ihm. Da richtet er sich jäh empor und blickt sekundenlang fest und durchdringend in das verfallene Gesicht Hallweges.

»Was willst du noch, Sören?« –

Einen Augenblick schauen sich Beide an. Dann reicht ihm Hubert die Hand. Ein fester, fast schmerzender Druck.

»Du hattest sie auch lieb, Sören?« –

»Sehr lieb, Herr Graf.«

»Du hast ihr weiße Lilien geschickt?«

Woher weiß er das? – Sören wundert sich nicht und fragt nicht. Er nickt langsam, wie im Traum.

»Ich danke dir in ihrem Namen, Sören, sie war meine Braut!«

Da geht ein Leuchten und Glänzen durch die treuen Augen des verwachsenen Mannes.

»Sie ist Ihre Braut, Herr Graf. – Die Liebe höret nimmer auf.«

»Du hast recht, Sören, die Liebe höret nimmer auf. Vielleicht schon bald, auch unser heutiger Flug geht auf Leben und Tod.«



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