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Sören stürmte in die Buchhandlung und besorgte bei Bote und Bock Ein bedeutender Musikverlag mit Hauptsitz in Berlin, der sich auch als Konzertveranstalter betätigte. eine Karte. »Ersten Platz!« sagte er mit bedeutsamer Miene. »Wissen Sie, für wen ich sie hole?«
Der Verkäufer des Geschäfts horcht hoch auf.
»Sehr wohl! Für wen, mein Herr?«
»Für den berühmtesten Mann, den Berlin zur Zeit aufzuweisen hat!« wirft sich Hallwege stolz in die Brust: »für den Aviatiker Graf Hubert v. Giöreczy!«
Das wirkt auf alle, die in dem Laden anwesend sind und Sören sonnt sich im Ruhmesglanz seines Herrn.
Ein junger Mann mit unruhig flackerndem Blick und einem fast trotzig harten Zug um den Mund tritt näher.
»Sie sind der Monteur, des Grafen, mein Herr? Ich glaube mich zu erinnern, Sie auf dem Flugplatz gesehen zu haben!«
Sören erwiderte stumm den Gruß und der Andere fährt fort: »Welch ein Billett nehmen Sie für den Grafen? Es würde mich sehr interessieren, ihn heute Abend zu sehn.«
Hallwege sieht die Karte an.
»Kleine Seitenloge rechts, Platz drei.«
»Danke bestens.«
Der Fremde nickt dem Inhaber der Buch- und Musikalienhandlung mit bedeutsamen Lächeln zu und geht.
Auch Sören bezahlt, grüßt und wendet sich zur Türe, nachdem er noch einmal auf verschiedene interessierte Fragen versichert hat, daß sein Chef ganz bestimmt noch circa 14 Tage hier bleibe und etliche Aufstiege unternehmen werde.
Langsam, mit einem Gesicht, welches die glückselige Erregung seiner Seele spiegelt, schlendert der friesische Bauernsohn die Straße hinab, welche direkt nach den Linden führt.
Das Wiedersehen mit seinem holden Traumgebilde erfüllt ihn und sein einsames Herz, welches in der Fremde an Heimweh gelitten, glüht voll schwärmerischen Entzückens einer Stunde entgegen, welche ihm nicht nur das platonisch geliebte Ideal, sondern mit ihr ein ganzes Stück Heimat nach Berlin zaubert.
Plötzlich bleibt er stehn. An seiner Seite breitet einer der ersten Blumenläden seine riesige Spiegelscheibe aus und hinter derselben duften, leuchten und blühen die köstlichsten Blumen in allen Arten und Farben.
Das Blut steigt Sören heiß in die Wangen. Er hat nun jahrelang in Großstädten gelebt und der fast freundschaftliche Verkehr mit dem Grafen hat sein empfängliches Wesen immer mehr modelliert und einen Mann aus ihm gemacht, welcher ein sehr feines Fühlen und Empfinden mit reichlich nachgeholter Bildung vereinigt.
Blumen! –
Ist es nicht Sitte, daß man Künstlerinnen Sträuße schickt? – –
Gewiß! Und es hat wohl guten Grund. Es regt die Damen an, es beschäftigt auf angenehme und erfreuliche Weise ihre Gedanken und gibt dadurch dem künstlerischen Können einen noch höheren Aufschwung. Und Grenadina muß Hervorragendes leisten und einen glänzenden Erfolg haben, das ist für Sören ebenso wichtig wie sein eigenes Wohl und Wehe. Er ist ja ein so gut gestellter Mensch! Der Graf honoriert ihn fürstlich und da er in allen Dingen sehr bescheiden ist und keine Ansprüche kennt, so konnte er schon ein tüchtiges Stück Geld zurücklegen.
Er sparte, um Zukunftsträume verwirklichen zu können, um eine Erfindung, welche das Flugzeug bedeutend verbessert, praktisch auszubauen.
Aber das ist so wie so gesichert, umsomehr, als sein mehr wie gütiger Chef ihm jedesmal einen Anteil der Preise, welche er gewinnt, in die Hand drückt.
Sören kommt sich in diesem Augenblick so reich vor wie ein Krösus.
Schnell entschlossen betritt er den Laden, schaut nicht rechts und links, sondern überfliegt mit heißem Blick die feenhaft schönen Blumenarrangements. Orchideen!
Sie sind das Kostbarste, was es zur Zeit gibt.
»Stellen Sie mir ein Bouquett zusammen«, sagte er hastig zu der Verkäuferin, »Orchideen und jene weißen Lilien dort!« Mit geschickten Händen fügt das junge Mädchen die Blüten zusammen. »Es sieht recht eigenartig aus. – Dieser Strauß würde aber sehr teuer sein, mein Herr!«
»Gleichviel« – Sören öffnet das Portemonnaie und legt gelassen einen Hundertmarkschein auf den Ladentisch.
»Ziehen Sie den Betrag ab«, sagt er kurz.
Die Verkäuferin lächelt charmant. »Sie wollen die Blumen mitnehmen, oder soll ich sie schicken, mein Herr?«
Feine Röte steigt in Sörens blasse Wangen, – daran hatte er noch nicht gedacht. Aber er besinnt sich nicht. »Schicken Sie den Strauß an Fräulein Grenadina Nirsky, Hotel Prinz Albrecht.«
»Auf welchen Namen, mein Herr?«
Die Röte vertieft sich und steigt bis an Sörens Stirn heran. Aber es ist dämmerig in dem Laden und seine Hutkrempe schattet tief.
»Keinen Namen!« sagt er kurz.
Das Fräulein sieht überrascht aus. »Vielleicht ein Motto … ein Gedicht … oder doch irgend ein Abzeichen?!«
Hallwege überlegt einen Augenblick, dann schüttelt er den Kopf und versucht seiner Verlegenheit Herr zu werden. »Der Spender dieser Blumen wird die Dame heute Abend sehen und sprechen!« sagt er kurz. »Es bedarf keiner Worte.« –
»Wie Sie wünschen, mein Herr. Soll ich das Bukett gleich schicken oder erst heute Abend?«
»Bitte sofort!«
»Schön! – Empfehle mich, mein Herr!«
Als Sören nach der Türklinke greift, zieht jemand neben ihm den Hut und grüßt. Er blickt zerstreut auf. Ah … der junge Herr aus dem Musikaliengeschäft mit dem flackernden Blick … wohl Italiener … der Monteur dankt sehr arglos und eilt auf die Straße zurück.
Die Gedanken wirbeln hinter seiner Stirn, ein Frohlocken geht durch jeden Pulsschlag. Grenadina! – sie, die Süße, Herrlichste von allen, wird seinen Blumengruß empfangen! – –
Fräulein Nirsky hat, wie stets, etliche Stunden vor dem Konzert geruht, jetzt sitzt sie in dem Salon, um noch ein Glas Rotwein mit verquirltem Eigelb zu trinken, ehe sie Toilette macht. An der Türe klopft es.
Der Kellner meldet Signore Pachelli, den Impresario.
Nach wenig Augenblicken steht er vor Grenadina und küßt galant ihre Hand. Sein unruhiger Blick fliegt durch den eleganten Raum und haftet lächelnd auf dem Strauß Orchideen und Lilien, welcher auf dem Flügel duftet.
»Einen Augenblick, mademoiselle – si je no vous dérange pas … – –«
»Durchaus nicht. – Bringen Sie Gutes?« –
»Vorzüglich. Bis auf die letzte Karte ausverkauft, – zwei weitere Abende durchaus gesichert. – Die erste Gesellschaft – alles was Namen und Geld in Berlin hat wird heute anwesend sein. Mitglieder der fürstlichen Häuser, verschiedene Botschafter mit Gattinnen, die gesamte Geldaristokratie, namhafte Künstler, die ersten Schriftsteller, Maler, Musiker – ja sogar aus den Lüften steigen die Verehrer hernieder, um Mademoiselle heute abend zu huldigen!« –
Bis jetzt hat Grenadina mehr höflich wie interessiert zugehört, bei den letzten Worten hebt sie das Köpfchen: »Aus den Lüften? was heißt das?«
»Das heißt mit Namen Monsieur le Comte de Giöreczy« lacht der Italiener mit seltsamem Forschen im Blick.
»Graf Hubert Giöreczy?« Die junge Sängerin starrt den Sprecher einen Moment mit weitoffenen Augen an.
»Sie kennen ihn bereits, Mademoiselle?« – fährt Pachelli harmlos fort. »Ich sehe seine Blumen auf dem Flügel stehn!«
»Seine Blumen?!« Grenadina schrickt empor und weist mit leicht bebender Hand nach den Orchideen und Lilien.
»Jenen Strauß schickte Graf Giöreczy? Woher wissen Sie das? Ich suche vergeblich nach einer Karte!«
Der Italiener spielt den Erschreckten und klopft sich auf den Mund. »Ah – ich fürchte indiskret gewesen zu sein … aber ich war gerade in dem Blumenladen um für Mademoiselle meinen bescheidenen Lorbeergruß zu bestellen, als der Graf, welcher ja sehr bekannt ist, diese Blumen an die Adresse von Mademoiselle schicken ließ.«
»Sie kennen den Herrn persönlich?«
»Fragen Sie lieber: wer kennt den Helden des Tages nicht? Ich freue mich sehr, ihn in den Zeitungen als im Konzert anwesend, nennen zu können, das wirkt in diesen Tagen seines neuen Erfolges mehr als Reklame, mehr wie sechs gekrönte Häupter.«
Einen Augenblick schweigt Grenadina. Dann zupft sie die Spitzen an ihrem Ärmel zurecht und fragt mit einer Stimme, welche sehr gleichgültig klingen soll und doch etwas vibriert: »Wo wird der Graf sitzen? Kennen Sie zufällig die Nummer seines Platzes?«
Der Impresario zieht den Plan des Konzertsaales aus der Tasche, breitet ihn aus und tippt mit den Fingern darauf.
»Hier, Mademoiselle … in Ihrer nächsten Nähe! Diese kleine Loge … die zweite von dem Podium. – Dritter Platz. – In der ersten sitzen Prinz und Prinzessin X und, so viel ich weiß, noch ein Minister mit Frau und Tochter, dann kommt die deutsche Gesandtschaft und im Anschluß Graf Giöreczy. – Es wird Sie auch interessieren, ihn zu sehen?«
Grenadina lächelt: »Fragen Sie lieber: wen würde nicht interessieren, ihn zu sehen,« – gibt sie scherzend zurück; aber ihr Blick ist lebhafter wie sonst und haftet noch einmal so scharf auf dem Plan, als wolle sie sich den Platz ganz genau merken.
Pachelli erhebt sich und sieht nach der Uhr. »Ich darf nicht länger stören, – Mademoiselle müssen sich in aller Ruhe ankleiden. – Küsse die Hand, – Gnädigste, – ich denke, wir haben heute einen außergewöhnlichen Erfolg.«
Grenadine steht allein.
Sie starrt auf die Blumen.
Von ihm … Von Giöreczy. – Was soll das heißen? Diese kostbaren Blüten. –
Ist er Kunstenthusiast? –
Wohl möglich. – Jedenfalls sehr aufmerksam. Mit leicht bebenden Händen faßt die junge Sängerin den Strauß und neigt das heiße Antlitz darauf nieder. Wie es duftet! Diese Lilien … wie eigenartig … –
Wie nett daß sie sein Bild aufhob. Sie muß es doch noch einmal ansehen! –
Wie schön er ist!
Aber die geneigten Mundwinkel, – sie spotten!
Auch über sie? –
Was schrieb die Mutter? – Sie sind alle Egoisten – sie lügen, wenn sie sagen: sie lieben uns!
– Auch seine Lippen? –
Nein! Zur Lüge sind sie wohl zu stolz … Aber grausam … grausam können sie wohl sein. Gleichviel! – Was geht es sie an? –
Wie viel Raum liegt zwischen dem Grafen von Giöreczy und ihr! –
Er schickte die Blumen anonym. Er will nicht als Geber gekannt sein, nur ein Zufall verriet ihn. – Aber daraus geht mit Sicherheit hervor, daß der Gruß nur ihrer Kunst und nicht ihrer Person gilt.
Grenadina hat Toilette gemacht und die Kammerfrau ist überrascht, wie viel Interesse ihre junge Gebieterin diesmal für ihren äußeren Menschen an den Tag legt. –
Es ist wohl eine gewisse Nervosität, in Berlin, der Stadt der Eleganz und des exquisiten Geschmacks, vorteilhaft aufzufallen.
Anfänglich war eine Toilette von kirschrotem Sammet mit Goldstickereien für diesen Abend bestimmt, – im letzten Moment aber änderte die junge Sängerin diesen Befehl und beauftragte Frau Hammer, die Robe bereit zu legen, welche Gerson diesen Morgen abgeliefert hatte.
Eine Symphonie in Weiß, welche der große Geschmackskünstler als geradezu mustergültig und hinreißend für ihre zarte Schönheit erklärt hatte. –
In der Tat wirkte die Erscheinung der jungen Künstlerin ganz außergewöhnlich, und Frau Hammer schmunzelte: »Das muß man der Firma lassen, sie wirkt in jedweder Konfektion raffiniert! Trotz aller dezenten Verschleierung stets einen kleinen Stich ins Pikante, – der harmlose Beschauer ahnt nicht, worin es liegt, der Feinschmecker schlürft aber den Anblick wie ein Glas feurigen Wein's, der ins Blut geht. – Die Frisur ist heute auch so eigenartig geglückt, und wenn Sie gestatten, gnädiges Fräulein, daß ich noch ein klein wenig rot auf die Lippen lege, haben wir einen Effekt, als sei ein Engel vom Himmel gestiegen!«
Grenadina wehrte lächelnd ab. »Wissen Sie genau, daß die Engel auffallend rote Lippen haben? Ich nicht, – und da heute abend ein Aviatiker zugegen sein wird, welcher … nach seinem neusten Höhenrekord zu schließen – vielleicht einen schnellen Einblick in den Himmel tat, so wollen wir solch kompetentem Kritiker keinen Anlaß zu einer spottenden Bemerkung geben!« –
Das klang wie ein Scherz und doch dachte die Sprecherin in diesem Augenblick mit einem beinah ängstlichen Empfinden an die so scharf geneigten Mundwinkel Hubert von Giöreczys!
»Ah, gnädiges Fräulein, meinen den berühmten Grafen, dessen Bild soviel in den Läden ausgestellt ist? – Wird er heute Abend kommen?«
»Signore Pachelli behauptet es.«
»Wie interessant! Den schönen Herrn möcht ich wohl einmal in Natur schauen! Habe schon gedacht, das gnädige Fräulein mal um Urlaub zu bitten, um nach den Flugplatz hinaus zu fahren, wenn wieder Aufstiege von berühmten Herrn angesetzt sind! Ausländer sind noch verschiedene hier – und der arme erste Erfinder des Aeroplans, Lilienthal, soll hier begraben sein!«
– Grenadinas Blick verschleiert sich. »Ich weiß es! – Und Zeppelin! Denken Sie noch daran, Frau Hammer, mit wie viel glühendem Interesse wir seine ersten Flüge in Süddeutschland in der Zeitung verfolgten?«
»Und ob ich es weiß! – Wie bitterlich haben Sie um dieses poesievollste aller Schicksale getrauert, als die Schreckensnachricht von ihm kam, daß sein Luftschiff aufgebrannt sei!«
»Nie zuvor hatte mich ein Mann so begeistert, wie er! Man umgab den beharrlichen, genialen Himmelsstürmer, der wahrlich mehr aufopfernden Heldenmut bewies, mit den idealsten Vorstellungen. Ich werde den Eindruck, welchen diese ersten Ruhmestage auf mich machten, nie vergessen und wenn ich mich einmal recht wohl fühle, fahren wir auch nach dem Friedhof, wo Lilienthal ruht, und ich lege ihm meine Lorbeeren und Rosen auf das Grab.«
»Das ist ein schönes Vorhaben, gnädiges Fräulein! Wahrlich, dieser erste unter den Edlen verdient es, nicht vergessen zu werden! – Aber wo sind denn die Handschuhe … und nehmen gnädiges Fräulein Taschentuch oder Fächer? Vielleicht einen Strauß? – Es sind doch heute schon verschiedene Buketts gekommen?«
– Grenadinas Köpfchen neigt sich etwas tiefer zur Brust, – wieder stieg eine feine Röte in die Wangen.
»Einen Blumenstrauß … gewiß … ich werde ja meist mit einer Blütenspende empfangen, aber es sind gewiß wieder bunte Blumen, vielleicht rote Rosen – und die würden den Gesamteindruck meiner ›Weißheit‹ stören! Die Lilien, welche auf dem Flügel stehen und die zart getönten Orchideen passen aber sehr gut; – meinen Sie nicht auch, Frau Hammer, daß ich diese nehme?«
»Natürlich! Großartiger Gedanke! Weiße Lilien zu dieser Toilette! Gerson umarmt uns vor Entzücken!! Und die kostbaren Orchideen! Solch ein Strauß muß ja schon an und für sich wirken! – Ich werde sogleich die Stiele trocknen, daß die Handschuhe nicht beschmutzt werden!«
Grenadina trat zu ihren Noten an das Instrument heran.
»Man wird eine Zugabe von mir fordern, und da doch alles, was ich vortrage, spanisch oder italienisch sein soll, der Eigenart halber, werde ich wenigstens noch ein deutsches Lied singen!«
»Sehr recht! Gnädiges Fräulein sind doch auch Deutsche, obwohl man Sie hier in Berlin gewaltsam zur Spanierin stempelt! Ebenso wie sie den Grafen Giöreczy absolut als Ungar reklamieren wollen, obwohl er doch, trotz seines ausländischen Namens und seiner ungarischen Abstammung, seit Kindesbeinen an ein Deutscher ist!«
»Ja, ja, ich las heute auch in dem Journal, er soll ein Gut in der Nähe der Lüneburger Heide besitzen –«
»Besessen haben, – es ist verkauft, als der Graf auf Reisen ging um Aviatiker zu werden.«
»Das wußte ich noch nicht. Aber es mag wohl sein, – das Fliegen soll ein kostspieliges Vergnügen repräsentieren und die hohen Preise, welche die Herrn gewinnen, verschlingen ja zum größten Teil wieder die Auslagen! – Aber ich denke, er hat sein Heideland noch nicht vergessen, und vor allen Dingen, er denkt und handelt wohl wahrhaft deutsch.«
»Selbstredend! Aber nun, gnädiges Fräulein, muß ich dringend um Ruhe bitten! Der Arzt verlangt, daß Sie eine Stunde vor dem Konzert im Sessel liegen und die Augen schließen. Hier ist alles bereit, darf ich bitten?« –
Grenadina lächelte. »Welch ein Elend, wenn die Seele größer und stärker ist, wie der Körper, sie passen schlecht zusammen.« –
Die Kammerfrau drehte die flammende Krone des elektrischen Lichtes ab und ließ nur die verschleierte Seitenlampe auf dem Schreibtisch brennen, die junge Sängerin aber schob sich den bequemen Sessel neben den Flügel, lehnte das Köpfchen zurück gegen die Orchideen und weißen Lilien, welche darauf standen und schloß die Augen wie in lächelndem Traum.
Das Konzert der Grenadina Nirsky war ein interessantes Ereignis in Berlin, denn die elegante Welt, welche ihren Aufenthalt zwischen der Riviera und Deutschlands Metropole teilt, kannte zumeist schon die junge Dame, welche mehrere Winter mit Vater und Mutter in den fashionablen Modebädern geweilt und durch ihre Eigenart sowie den Nimbus des Reichtums aufgefallen war.
Die Autos und Equipagen drängten sich vor dem Portal und Sören Hallwege, welcher zuerst beabsichtigt hatte, seinen Herrn in dem Vestibül zu erwarten, zog es vor, sich nach seinem Platz zu begeben, ehe das unausstehliche Gedränge des Parquettpublikums begann.
Er saß weit vorn, in der ersten Reihe, hatte einen tadellosen, dunklen Anzug angelegt, das Haar schlicht zurückgestrichen und perlgraue Glaceehandschuhe gekauft.
Etwas Feierliches, Erwartungsvolles lag auf seiner ganzen Erscheinung, sein Blick umfaßte das Podium, als schaue er einen Altar. So hatte er ehemals auch als Konfirmant in der kleinen Dorfkirche gesessen und mit hochklopfendem Herzen seine Einsegnung erharrt. –
Unvergeßlich ist ihm die Stunde geblieben, die weihevollste seines Lebens, und seltsam, sie hat, trotz der enormen Verschiedenheit etwas Ähnliches mit der heutigen. Hinter dem Altar hing damals ein Muttergottesbild. Blonde Haare fielen von dem Haupt der Madonna wie geschmolzenes Gold hernieder und umhüllten gleich einem Mantel das Jesuskind.
Mit blauen Augen lächelte sie und es deuchte Sören, als blicke sie ihm stracks in das Angesicht. –
»Gott ist die Liebe, – und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott!« stand mit leuchtenden Buchstaben auf der einen Seite, und auf der andern: »Die Liebe höret nimmer auf!« – Schon seit jener Zeit war das Bild eines lichten, blonden Weibes mit dem Begriff heiligster Liebe für Sören unzertrennlich geworden, und wenn er ehemals in Hamburg an seinem Mansardenfensterchen stand und hinab in das Zimmer Grenadinas schaute, wie sie am Flügel saß, im weißen Kleid und gelöstem Goldhaar und ihre Stimme wie die eines Seraphs zu ihm herüber klang, – dann zog es so feierlich durch seinen Sinn wie ehemals und er wiederholte in Gedanken: »Gott ist die Liebe – und wer in der Liebe bleibt, – der bleibt in Gott« und: »Die Liebe höret nimmer auf.«
Nun saß er, vornüber gebeugt, die Hände zwischen den Knieen verschlungen, und starrte auf die Lorbeerbäume, Palmen und Blattpflanzen, welche den Konzertflügel so wunderschön umgaben.
Sein Herz klopfte zum Zerspringen.
Noch wenige Minuten und der Traum seiner Sehnsucht wird vor ihm stehen, er wird das süße Antlitz wieder schauen und ihre Stimme hören, – diesmal so nah – so wunderbar nah, als sänge sie nur für ihn.
Er ist nicht ungeduldig, er kostet auch diese glückselige Vorfreude aus und selbst die Überzeugung: Du wartest auf sie! ist ihm ein Genuß.
Der Saal füllt sich mehr und mehr.
Geputzte, lachende, leichtlebige Menschen, welche gar nicht ahnen, auf was für einem geweihten Boden sie stehn – seiner Grenadine gegenüber! In die Loge tritt Graf Giöreczy und Sören richtet sich empor und schaut voll Bewunderung zu ihm hinüber.
Wie schön, wie vornehm, wie elegant. –
Ein leichter Seufzer.
Wenn er so aussähe! – Wenn er ein Graf von Giöreczy wäre! –
Wie würde dann wohl sein Herz in der Brust hämmern und Grenadina in dieser Stunde erwarten!! –
Tief sinkt die Gestalt des verwachsenen Mannes in sich zusammen, aber kein Zug von Bitterkeit oder Groll gegen das grausame Schicksal tritt auf das blasse Gesicht. –
Demütig und bescheiden, dankbar, daß er, der so niedrig geborene, geringe Mann, zwischen all diesen Bevorzugten des Glücks sitzen und sein blondes Ideal aus nächster Nähe schauen darf.
Er zuckt zusammen.
Zwei Herren treten auf das Podium, sehr elegant im Frack und weißer Weste.
Der Eine verneigt sich – ringsum – auch vor Sören, der das Empfinden hat, als müsse er höflich aufstehen und den Gruß erwidern. Da es niemand tut, bleibt auch er sitzen. Der Herr tritt an den Flügel und legt einen Pack Noten nieder, wählt ein Heft und stellt es, nachdem er suchend geblättert, auf das Instrument. –
Dann nimmt er vor demselben Platz und legt die langfingrigen, schlanken Hände wie prüfend auf die Tasten.
Hubert Giöreczy hat das Monocle eingeklemmt und Sören entdeckt, er nickte ihm so freundlich zu, daß dem Monteur das Blut voll stolzer Freude in die Wangen schießt.
Man hat den Grafen erkannt und alle Lorgnetten und Operngläser richten sich auf ihn.
Abermals Bewegung auf dem Podium. Die Portiere der Rücktür schlägt auseinander, zwei Herren, ebenfalls in feierlichem Anzug, treten ein und halten den gewirkten Purpurvorhang zurück.
Grenadina Nirsky erscheint.
Weiß. Leuchtend weiß. Flimmernd und glitzernd wie von hellem Morgentau überrieselt. – Sören hat das Gefühl, diese lichte Erscheinung blende ihn, wie etwas überirdisches, und doch schließt er die Augen nicht, sondern öffnet sie weit – weit … und sein Herzschlag droht ihn zu ersticken.
Grenadina! – Ja sie ist es, – seine süße, blonde Grenadina.
Welch häßlicher, ohrenzerreißender Lärm!
Sören zuckt zusammen, als schmerze ihn der donnernde Applaus, welchen die galanten Konzert-Habitué's in diesem Augenblick wohl mehr dem schönen Weib wie der Künstlerin spenden.
Bis ganz vorn an das Podium tritt die Sängerin und verneigt sich voll lächelnder Anmut.
Abermals tobt der Beifall.
Du meiner Seele! Wie unbeschreiblich schön ist sie geworden! –
Sören zittert am ganzen Körper, vor seinem Blick flirrt es wie grelle Sonne. –
Er sieht ihr Antlitz, das feine, zarte, welches nur ein klein wenig rosiger wie das schneeige Kleid schimmert und dann … dann sieht er … Ist es ein Traum? – Ist es Wahrheit …? –
Er sieht einen Strauß von Orchideen und Lilien, den hält ihre Hand und hebt ihn soeben grüßend gegen die Wange empor. Seine Blumen! Wie ein Schwindel erfaßt es ihn, – er möchte aufschreien vor Überraschung, Freude, seligen Entzückens … aber er beißt nur die Zähne zusammen und atmet so tief, tief, wie Einer, der am ersticken ist.
Grenadina trägt seine Blüten!
»Einen Strauß Lilien! Wie riesig originell!!« flüstert neben ihm eine Dame ihrer Tochter zu: »Wie das zu der ganzen Art paßt! Sehr chic! wirklich originell gedacht!!«
Sören wird es so glühend heiß, als habe man das Kompliment zu ihm gesagt.
Wie betäubt starrt er zu der Sängerin auf. –
Atemlos. – – Es ist zu viel, was in diesem Augenblick auf ihn einstürmt.
Seine Blumen! Von all den vielen wählte sie seinen Strauß. –
Sie legt ihn auch nicht auf den Flügel nieder, sondern weist das dargebotene Notenblatt zurück und behält die Lilien und Orchideen in der Rechten.
Akkorde auf dem Flügel, und dann öffnet sie lächelnd die Lippen und singt. Italienisch. – Feierlich … weich … voll süßer Wehmut – eine Kirchenarie mag es sein.
Sören hat das Programm vergeblich studiert.
Es lautete:
» Mio ben ricordati« von Händel, dann: » danza! danza!« von F. Durande. Es muß etwas sehr altes, klassisches sein. Die Jahreszahl 1684 bis 1755 ist dahintergedruckt! Ebenso das dritte Lied: » La Calandrina« von N. Jomelli, 1714 bis 1774. Die französischen Lieder, welche folgen, interessieren ihn mehr: » Mes moutons je mene en ce séjour« » Bergerettes du XVIII Siècles« und besonders das: » L'amour s'envole!« – das ist ihm bekannt. Torheit! » Il s'enovole et ne revient pas?« Die Liebe entflieht und kehrt nicht wieder? Dann war es keine Liebe! Wie kann Grenadina solch eine Lüge singen? – Die Liebe hört nimmer auf. – Aber Grenadina kennt noch keine Liebe, – wie soll sie ihr da gerecht werden? Vielleicht wird das einst noch anders.
Ist ja auch Nebensache – er lauscht in seliger Andacht. Er weiß nicht was ihm lieber ist, sie zu sehen, oder zu hören. –
Der Beifall reißt ihn aus seiner Betäubung. Er vergißt alle Scheu, – er klatscht wie ein Unsinniger und sein erst so farbloses Gesicht färbt sich höher und höher, je mehr sie singt.
Ach, daß doch ein einziges deutsches Lied darunter wäre! Welch ein Genuß müßte das erst sein! –
Endlich findet er auch einmal Zeit nach seinem Chef zu schauen.
Graf Hubert hat sich erhoben und steht seitlich an der Logenwand. –
Auch er verwendet keinen Blick von der Sängerin und in seinem edlen Antlitz drückt sich eine Erregung aus, welche ihm sonst nicht eigen ist.
Ob ihm die Künstlerin und ihre Lieder gefallen? Wohl fraglos! – Ein Gefühl stolzer Genugtuung schwellt Sörens Brust.
Der Graf wird es ihm zu Dank wissen, dass er ihm ein Billett besorgte.
Welch ein Jubel! Welch ein stetig wachsender Beifall!
Hallwege nimmt ihn persönlich, weil er seiner Grenadina gilt und seine sonst so schwermütigen Augen blitzen denselben Triumph, wie auf dem Flugplatz, wenn er seinen Gebieter inmitten einer beifallsstaunenden Menge im Apparat begrüßt.
Jetzt liegt aber noch ein anderer Ausdruck um die bebenden Lippen.
Eine schwärmerische Zärtlichkeit, ein inbrünstiges Lallen stummer Worte, welche nur seine Seele spricht. –
Und dann wieder wie ein stolzer Aufschrei höchster Genugtuung: »Seht ihr es nicht, all ihr reichen, schönen, vornehmen Männer, daß die Herrlichste von allen, welcher ihr huldigt, die Blumen des Sören Hallwege trägt?«
Meine Blumen! –
Wie viele Sträuße, Kränze und köstliche Arrangements werden zu ihr auf das Podium getragen!
Sie nimmt alle voll graziösen Dankes entgegen, legt sie auf den Flügel und behält dennoch seine Lilien in der Hand. –
Täuscht er sich? – Oder hat sie es auch erfahren, welch ein berühmter Mann drüben in der Loge sitzt? –
Ihm ist es schon zum zweitenmal, als treffe ihr Blick den Grafen Giöreczy, – scheu – flüchtig … und dennoch mit einem Ausdruck, als wolle er sagen! »Ich kenne Dich! – Ich freue mich, daß Du hier bist! Ich bewundere Dich wie alle Anderen auch!« –
Wie freut sich der Monteur im Interesse seines Herrn!
Er beobachtete, daß Hubert's Teilnahme an der lieblichen Künstlerin von Lied zu Lied zu wachsen scheint, daß sein Applaus immer auffälliger wird und von ihr bemerkt werden soll.
Sören ist sehr zufrieden.
Der Beifall des Mannes, welcher auf dieser Welt sein höchstes Ideal verkörpert, gibt diesem Abend den vollen Wert.
Hätten Tausende voll Begeisterung geklatscht und Graf Giöreczy hätte die Hände untätig und gleichgültig auf der Logenbrüstung liegen lassen, wäre Grenadinas Erfolg in seinen Augen doch nur ein halber gewesen. Aber Hubert's Wohlgefallen steht ihm auf der Stirn geschrieben und das gibt diesem unvergleichlichen Abend erst die rechte Weihe. –