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Sei ruhig, mein Liebchen, und klage nicht!
Du siehst ja, ich scheide und klage nicht!
Was sollt ich mich grämen? Du bist mir ja treu,
Drum brich mir mit Klagen das Herz nicht entzwei.
So ungefähr sang Herrn von Flankens Bursche, der brave Garde-Ulan »Niekchen«, und spuckte dazu auf die Stiefeln, welche er bürstete, und schielte nach der Gesindeköchin Hanne hinüber, welche einen wahren Mordsspektakel an dem Herd vollführte. Sie hantierte in geradezu erschrecklicher Weise mit dem eisernen Feuerhaken zwischen den Wasserkesseln und Kochtöpfen herum; und dazu ging ein machtvolles Schüttern durch ihre robuste Gestalt, und ein Schluchzen und Grunzen wurde laut, welches sich immer kläglicher erhob, je lyrischer der Niekchen sein Lied vortrug. Gesprochen wurde gar nichts, denn auf dem Henkel der riesigen Kaffeekanne, welche bereits dampfend und duftend auf dem Tisch stand, saß Amor, der Galgenstrick, und stemmte die Fäustchen in die Seiten und lachte sich halb krank über die brillante »Doublette«, welche er hier schwer krank geschossen hatte.
Dem Niekchen war der Pfeil allerdings mehr seitlich in den Magen gegangen und hatte das Herz nur so en passant etwas angekratzt, aber Hanne hatte die mörderische Waffe mitten in dem Herzen drin stecken und war bereits in das Tagebuch des Schützen unter der Rubrik »unheilbar« eingetragen.
Niekchen bürstete und sang eifrig drauf los, und Hanne schöpfte die mächtigen Kartoffelklöße aus dem Topf, füllte sie auf eine Schüssel und begoß sie mit ihren Tränen, und dann stach sie einen der backsteinartigen Knödel auf die Gabel und reichte diese, ohne das feuchte Angesicht zu wenden, dem Sänger nach rückwärts zu.
Niekchen ehrte den stummen Schmerz, pustete und kostete die Henkersmahlzeit, welche Hanne in zarter Aufmerksamkeit für ihn, den Mann von der schlesischwasserpolackischen Grenze zurechtgebraut hatte – und der Pfeil in seinem Herzen regte sich inniger denn je, er trat herzu und zog den Gegenstand seiner Neigung an dem hellblonden Heringsschwänzchen, welches wehmütig aus dem Zopfknoten am Hinterkopf niederhing, näher und näher an sich heran, bis ihre Wange an der seinen lehnte. Und er gab ihr einen zärtlichen kleinen Rippenstoß und sagte in seinem polnisch-schlesischen Deutsch: »Hanne! Is sik noch mit Klößel nix recht's – schlog ich einem Schädel ein, wonn ich werf dermit! – Muß sik aber sein so weich wie Federkissel – doß man nix nötig hat, sich Zahn raus zu beißen! Wird Hannka aber lernen eins, zwei, drei – muß Hannka kommen zu uns, hot's verstanden? – Wann sik diß Johr vorbei, kommt Franusch Niekchen los von Militär, wird er Hannka Briefel schreiben, wos is Brautbriefel.« Und er gab dem schluchzenden Hannchen noch einen schallenden Kuß und versuchte es dann noch einmal mit dem Klößel.
Amorchen aber, welcher während Manöver und Einquartierung alle Hände voll zu tun hat und oft mehr Munition verschießt, wie die gesamte Garde-Artillerie, hielt es für seine Pflicht, seine Feder weiter zu blasen und ein anderes Terrain zu rekognoszieren.
Graf Lohe stand vor Fräulein Ursula und verabschiedete sich. Obwohl er ganz genau wußte, daß es ein Verstoß gegen die strenge Sitte ist, die Hand einer Dame langer umschlossen zu halten, als es der knappe Gruß erfordert, hielt er die kleinen Fingerchen dennoch während der ganzen Dauer seiner langen Rede fest, und dabei sah er gar nicht traurig aus wie einer, der scheiden muß, sondern wie einer, der nur an das Wiedersehen denkt!
Ursula aber war so weich gestimmt, wie nie zuvor in ihrem Leben, und das ärgerte sie, und darum wollte sie ihre Rührung hinter viel Ausgelassenheit verstecken. Der arme »Herr Doktor« hatte schwer darunter zu leiden, wurde gezwickt und gezwackt, ehe er sich's versah, und außerdem in fälschlichster Weise beschuldigt: er wolle vom Grafen Lohe ein Küßchen haben! So behauptete plötzlich Fräulein Ursel und faßte den Mops mit eisernem Griff um das dicke Bäuchelchen, ihn mit energischer Nötigung dem jungen Offizier entgegenzureichen. Bei solchen Witzen war der arme Doktor jedesmal der Blamierte, Ursula quetschte ihn, und der Graf versetzte ihm einen Nasenstüber, und beide machten die Unschuld zum Opfer ihrer Abschiedssentimentalitäten.
Während sich der Doktorjo voll Indignation so schnell wie möglich auf seinen Stumpfbeinchen zurückzog, und Graf Lohe dem Hausherrn noch etliche Dankesworte stammelte, war Fräulein von Kuffstein neben ihm verschwunden.
Sie kehrte auch nicht zurück, und der junge Offizier fragte und rief vergebens nach ihr. Was sollte das heißen? Wollte sie ihm kein Lebewohl nachwinken? War es ihr ganz gleichgültig, ob sich Mark-Wolffrath aufs Pferd schwang, für ewige Seiten vielleicht von ihr zu scheiden?
Der Erbherr von Illfingen zog die Brauen zusammen und putzte den Kneifer sehr blank, um die Fenster der Schloßfront noch einmal überblicken zu können.
Niemand zu erspähen. Nur Kammerjungfer und Stubenmädchen hielten im Giebelfenster die Sacktüchlein bereit.
»Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus!« intonierte die Musik, Frau von Kuffstein trat zu freudiger Überraschung der Offiziere auf den Balkon und winkte den Abreitenden noch einen freundlichvornehmen Gruß nach. Ihr Gatte stand oben auf der Freitreppe und schwenkte eine der Madeiraflaschen vom Frühstückstisch, und der Herr Doktor saß mit griesgrämigem Gesicht daneben im Schatten, gähnte nach der Möglichkeit und dachte: das lohnte gerade das frühe Aufstehen! Von Ursula keine Spur zu entdecken.
Graf Lohe war sehr mißgestimmt, er ritt langsam als letzter aus dem Schloßhof und wandte den Kopf spähend nach rechts und links.
Und wieder ging es an der Gartenmauer vorbei, wo er zum erstenmal, voll sittlicher Entrüstung, die Einzige seines Gastgebers gesehen hatte.
Unwillkürlich hob der junge Offizier den Blick, ihn voll düstern Zorns längs der Mauer entlang zu schicken, um zu sehen, ob der kleine, treulose Wildfang vielleicht bis zur Dorfstraße, dem Rendezvous des Regiments, vorausgelaufen sei.
Da rauscht es über ihm in den Zweigen, und ehe er sich's versah, wirbelte ihm ein Regen duftiger Blüten in das Gesicht, und wie er jählings die Zügel anzog und zur Seite sah, da stand Ursula zwischen dem blühenden Jelängerjelieber und dem dunklen Lindengrün hinter der Parkmauer, reizender denn jemals anzuschauen, im weißen Kleid, mit einem Rosenkranz über dem lachenden Gesichtchen.
Und sie nickt ihm jubelnd zu, wirft Kußhände, faßt den Kranz und nimmt ihn schnell aus dem Haar, ihm denselben entgegenzubieten!
Das Blut schießt dem entzückten Garde-Ulan in das Gesicht, er kann nicht an die Mauer heranreiten, weil ein Graben sich zwischen sie und ihn drängt, aber er reißt den Säbel aus der Scheide, den wonnigsten aller Kränze aufzufangen.
Wunderlich schwer fällt er über die Klinge auf seinen Arm, aber Lohe hat nur Sinn und Augen für das reizende Bild, welches sich jetzt so ganz anders zum Abschied, als zum Empfang zeigt!
Wie sie lacht und die Arme nach ihm ausbreitet, wie anmutig und graziös sie droben in den Zweigen steht! Selbst die Kußhände, diese Zirkusmanier, nimmt er ihr nicht übel! Im Gegenteil, ihre ganze Art und Weise ist allerliebst, und Lohes Herz schwillt in dem Gedanken, daß die Hofluft keine schwere Arbeit haben wird, daß dieser Augenblick der Anfang einer großen Wandlung in Ursulas Charakter ist.
»Im Trennungeweh, im Tränenstrom
Zeigt sich der Seele Fülle,
Wie im Gewitterregen sprengt
Die Rose ihre Hülle!«
So zieht es durch seine Gedanken, und er preßt den Kranz ritterlich an das Herz und sendet der jungen Dame so lange wie möglich mit seinem parfümierten Taschentuch die graziösesten Gruße zurück.
Und als das Bild an der Gartenmauer seinem Blick entschwunden, da freut sich der Erbe von Illfingen – denn eitel sind wir!! – auf die Augen der Herren Kameraden, wenn dieselben ihn plötzlich so herrlich dekoriert sehen. Er will eine Rose aus dem Kranz ziehen und sie an die Brust stecken, das Kränzlein selber soll sich stolz und triumphierend an seinem Arm schaukeln, bis es einer der dienstbaren Geister in Empfang nehmen kann, es im Koffer zu bergen.
Just in diesem Augenblick schauen sich Bornitz und Flanken nach dem Verbleib des Kameraden um.
»Potz Million ... ein Rosenkranz! Von wem?!« Lohe lächelt wahrhaft kaiserlich und zuckt diskret die Achseln. Seine Finger zupfen an einer der Blüten.
»Was ist denn das? Die Sache sieht ja auf der Rückseite so komisch aus!« knurrt Flanken und beugt sich mit vorgestrecktem Hals näher.
»Wo, inwiefern?« Und Lohe wendet das Blütengewinde um. An einer Stelle hat sich das dichte Laub ein wenig verschoben, ein eigentümlich hellrotes Etwas schimmert daraus hervor.
»Du, das sieht ja frappant aus« – Flanken unterbricht sich mit schallendem, unbändigem Gelächter – »wie eine Schlackwurst!«
Ja, wie eine Schlackwurst. Entgeistert, gleich einem Bild von Stein, sitzt Lohe im Sattel und starrt auf die schönen, poetischen Rosen, welche – um eine Schlackwurst gewunden sind! Dann lacht er ebenfalls, aber etwas verlegen, nimmt den Kranz und wirft ihn seitlich auf den Kartoffelacker. »Kleiner Witz von Fräulein Ursula ... hat stets derartige Scherze im Kopf!« Und er besichtigt voll Sorge den Ärmel, ob er nun womöglich mit einem Fettfleck an der Uniform zum Dienst ausrücken muß.
Flanken springt ab und holt den Kranz zurück. »Bist du denn rein des Teufels, Kleiner? Diese famose Schlackwurst wegwerfen? Urschel-Purschel ist ein Patentmädel, dieser Kranz ist der erste wirklich geschmackvolle, welchem ich im Leben begegne! Ah, ein Zettel ...«
»Ein Zettel? ... zeig her!«
»Fürs Feldlager heut abend! Hahaha! Brillant, die Wurst wird abgekocht!« Und Flanken hing den Kranz mit sehr wohl gefälligem Schmunzeln über den Arm und trabte wohlgemut davon.
Lohe aber klopfte die Handschuhe ab und dachte: »Man soll nie zu früh jubeln – o Hofluft, ich fürchte, du wirst doch kein leichtes Spiel haben!«
Am Ende der Gartenmauer aber hatten zwei falkenscharfe Augen den Reitern nachgeschaut und die kleine Szene beobachtet.
Ursula stemmte die rosigen Wangen auf beide Fäuste und hielt einen Monolog: »So ein Schaf! Wirft er die Schlackwurst weg! Das kommt davon, wenn der Mensch gar keinen Begriff von etwas Selbstgeschlachtetem hat. Na, warte nur, mein Bürschchen, komme du nur erst in die Hofluft von Dassewinkel, dann wirst du deinen Gott schon erkennen lernen! Hm ... ich fürchte aber, leichtes Spiel hat sie nicht mit ihm!«
Als an dem nämlichen Abend die Biwakfeuer auf der Heide leuchteten und ein kühler Nordostwind recht unhöflich die Wolken, vor den Mond trieb, da wurde unter großem Jubel der Offiziere der Groß-Wolkwitzer Schlackwurst der Garaus gemacht, und die welken Rosenblätter in pietätvoller Huldigung für Fräulein von Kuffstein auf die von Flanken neu erfundene und höchst raffiniert gemischte Alebowle gestreut. Man ließ das Backfischchen zum öfteren hochleben, und Lohe, welcher anfänglich nur spröde an seinem Glas genippt hatte, aus Opposition gegen die Schlackwurstmalice, wurde so lange und so beharrlich von seinem riesenhaften Freund animiert, bis er schließlich auf Ursulas Wohl dem Becher jedesmal tief auf den Grund sah.
Es schien Flanken ganz augenscheinlich, daß Mark-Wolffrath Feuer gefangen hatte, und weil Flanken von Natur eine sehr weiche, teilnehmende Seele war, so füllte er dem Reserveleutnant stets die doppelte Portion Rosenblätter in das Glas und beobachtete mit wahrhaft väterlichem Interesse, wie diese Mischung von Ale und Lyrik die junge Seele begeistern, wie Lohes Auge nun die ganze Welt in Rosenschimmer erblicken werde, wenn's auch noch so dunkle, kühle Nacht ist.
Und die Augen des Grafen wurden auch tatsächlich immer größer und träumerischer und hafteten in starrem Blick an der Himmelsgegend, da Groß-Wolkwitz lag, und als die Musik in ihrer feierlich schönen Weise zum Abendgebet gerufen hatte, als es still ward um die knisternden Feuer der Mannschaft, da drückte er die Hand des Freundes, trank noch einmal aus und zog sich nach dem Zelt zurück.
Man kannte das an ihm. Der ungewohnte Dienst strengte den verwöhnten Menschen außerordentlich an und machte ihn früher, denn alle anderen Herren, zum müden, teilnahmslosen Mitglied ihres Kreises.
Heut aber schien es Flanken, als habe sich Lohe nur darum zurückgezogen, um ungestört seinen Gedanken nachhängen zu können. »Oh, daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!« dachte er mit behaglichem Schmunzeln, und doch erschien ihm der Gedanke ganz unfaßlich, daß ein großer, vernünftiger Mann sich nun solo dahinsetzt und schwärmerisch zum Himmel seufzt! Nein, dessen ist Flanken niemals fähig! Er bleibt stets der nüchterne, phlegmatische Mensch, welchen die Liebe niemals aus dem Gleichgewicht bringen wird, welcher sich niemals um der Liebe willen irgendeine Unbequemlichkeit auferlegt. Lächerlich! Wenn einem die Luft so frisch um die Brust weht, wie hier auf der nächtigen Heide, dann müßte sie doch alle weichlichen, schmachtenden Gedanken von der Brust blasen! – Allerdings gab es auch eine Art Luft ... Flanken strich langsam mit der Hand über die Stirn – »die alle Sinne benebelt und berauscht.« Er hatte einmal in den Briefen Jean Pauls, ganz aus Zufall, in einem Anfall gräßlicher Lazarettlangerweile, darüber gelesen. Eine Luft, die ein Gemisch von Sonne, Mond, Himmelsglanz und Veilchenduft sein sollte. Blödsinn! Er hatte diese Luft noch niemals kennengelernt, denn er besuchte prinzipiell keine großen Zauberfeste, weder am Hof noch in Privatkreisen. Hübsche, kleine Diners und Frühstücks waren sein Geschmack, und sein Ballsaal »Hoppegarten«. Aber jüngsthin – wie er so ganz ahnungslos in das Alt-Doberner Fest hineingeschneit war, da hatte er doch so einen kleinen Begriff davon bekommen, da hatte er am anderen Tag einen ganz närrischen, moralischen Kater. Und solange ihm noch die feinen Stäubchen dieser Luft in den Augen gesessen hatten, sah er überall die kleine Dern-Groppen. Wenn eine Libelle über die Erika schwebte, wenn ein Rehchen über die Waldschneise zog, wenn sich ein Blumenglöckchen graziös im Wind bog, immer fiel ihm das Elfenprinzeßchen Jolante mit den kleinen, wunderkleinen Händen und Füßchen ein. Er hatte an dem nächsten Morgen zum erstenmal im Leben schlecht geritten. Unsinn, jetzt lachte er darüber sein altes, behagliches Lachen. – Ganz gewiß, ihn wird die Liebe niemals ans Gängelband nehmen, aber der Mark-Wolffrath, der ist schon von Natur ein so zartbesaiteter Mensch, daß er imstande wäre, Liebeslieder zu dichten! Der ist in seiner Schwärmerei zu den größten Kindereien fähig, lernt Seiltanzen und taucht in die Charybdis, wenn es die Königin des Herzens von ihm verlangt.
Die kleine, braune Hexe hat es ihm angetan; weil die Gegensätze gar zu groß waren, verliebten sie sich aus lauter Feindseligkeit ineinander. Armer Lohe, er sitzt gewiß in schlafloser Sehnsucht und preßt jedes einzelne der übriggebliebenen Rosenblätter in seinem Portefeuille!
Flanken erhob sich kopfschüttelnd und wuchtete auf seinen schweren Reiterstiefeln nach dem Offizierszelt. Er wollte mal heimlich nachsehen, wie die Aktien stünden, und ein bißchen zur Vernunft reden.
Niekchen trollte mit einem kleinen Handkoffer an ihm vorüber.
»Na, was ist denn los, Niekchen? Was hast du da?«
»Is sik Kuffer seinigtes von Herrn Graf.«
»Was soll damit?«
»Hab ik müssen helfen bedienen Herrn Graf ... sind sik drinn Sporrn zu putzen!«
»Gut: vorüber, mein Sohn.«
Flanken lachte leise vor sich hin. Er war es schon gewohnt, daß Lohe mit seinen dienstbaren Geistern niemals ausreichte und mit Vorliebe noch den braven Niekchen um seine Person beschäftigte, In Gottes Namen! Flanken bedurfte seiner um so weniger.
Der Wind strich empfindlich kühl von dem nahen Wald herüber, raschelte in dem Stroh und blies in die grell auflodernden Wachtfeuer. Einzelne Regentropfen begannen zu fallen, und der Mond versteckte sich vollends hinter dunklem Gewölk. Das Segeltuch des Zeltes rauschte und schwankte im starken Luftzug, die Stangen knarrten, und das Fähnchen auf dem Knauf klatschte eine eifrige Melodie,
Flanken steckte vorsichtig den Kopf durch die Ritze des Türvorhangs. An einem Strick hing eine Stallaterne in der Mitte des Zeltes nieder und leuchtete ihm. Seitlich auf einer Schütte Stroh lag der Erbherr von Illfingen, ein seidenes Daunenkissen unter dem Kopf und eine prächtige, fellartige Reisedecke über die Knie geschlagen. Seine Haare waren in scharf gebrannten Wellen fest an den Kopf gelegt, sein Antlitz von dem verräterischen Glanz des Coldcreams überhaucht und die Hände sorglich mit Handschuhen bedeckt. Er schlief tief und fest den Schlaf des Gerechten.
Ein wunderliches Zucken und Arbeiten ging durch Flankens Gesicht, ähnlich einem, der sich das Niesen verkneifen will. Der Wind blies neben ihm durch den Vorhang und sauste just in diesem Augenblick so heftig über das Brachland, daß das Zelt in allen Leinewandnähten ächzte.
Lohe warf indigniert den Kopf herum, schlaftrunken seufzte er tief auf. »John ... Niekchen ... macht doch das Fenster zu – es zieht!« lispelte er, selbst im Schlaf so fein und vornehm, wie stets mit der Zunge anstoßend.
Flanken zog schleunigst den Kopf zurück und prustete laut auf vor Lachen: »Gott sei Lob und Dank, Schlackwurst und Rosenblätter liegen ihm nicht allzuschwer im Magen – noch ist Lohe nicht verloren!«
Und dann ging er langsam, gedankenvoll nach dem Feuer zurück, welches jetzt den Wasserkessel für einen kräftigen Schlummerpunsch erhitzte.
»Seltsam,« dachte er, »wat dem enen sin Ul is, is dem annern sin Nachtigall! Der kräftige Wind, welcher einem hier um die Ohren bläst und mich erquickt und erfrischt und mein Lebenselement ist, den sperrt Mark-Wolffrath entrüstet durch Segeltuch und Wandschirm von sich ab, und jene fatale Luft, die Sonne, Mond und Veilchenduft auf ihren Schwingen trägt, die mir betäubend auf alle Nerven fällt, die atmet er voll Wonne und Genuß! Und doch sind wir beide, trotzdem jeder von uns in einer Luft schwimmt, die ihm zusagt, entschieden in falschem Fahrwasser. Bei uns beiden herrscht eine gewisse Unnatur. Ich liebe gar nicht – und das ist absolut nicht in der Ordnung, und Lohe schwärmt und liebt beständig, ohne eine wahre Herzensneigung zu kennen, und das ist erst recht gegen allen Komment! Muß eben jeder versuchen, auf seine eigene Facon selig zu werden! Mag sich der Kleine in Gottes Namen sein Zelt hermetisch gegen den Herbststurm verschließen, Flanken flieht dafür das Parkett, welches glänzt und spiegelt wie ein Nixensee, und über welches mit weichem, duftendem Atem die Hofluft säuselt. Jeder nach seiner Art. Schlägt ja doch für jeden das Stündlein, wo des Schicksals kräftiger Odem über Heide und Marmorschwellen saust und die Kartenhäuser schöner Illusionen wie Spreu über den Haufen bläst.«
Flanken dehnte die Arme und atmete tief auf, der Regen stäubte ihm in das Gesicht, und der Wind suchte vergeblich nach einem Mantel, welchen er auf solch markiger Brust zausen könne – der hing daheim im Kleiderschrank und kannte die Motten besser als seinen Herrn.
Der Punsch dampfte noch im Kessel, und da die umsitzenden Herren gegen das heraufziehende Wetter in dem Zelte Schutz suchten, übernahm es Flanken allein, mit dem Reste abzurechnen. Das Haupt in die Hand gestützt, wie eine sagenhafte Reckengestalt der Vorzeit, saß er allein neben dem lohenden Feuer, dessen Flammen wild aufzuckend gegen Wind und Regen kämpften. In den Kiefern rauschte es, Wolken jagten am Himmel. Flanken trank in langem Zug und warf den leeren Becher in das Heidekraut neben den Kessel.
»Nun auf ein Roß werfen! Hinjagen durch diese Geisternacht und mit dem Schwert in der Faust Aventüre suchen!«
dachte er, »das wäre mein Glück!« Und in demselben Augenblick zog Lohe die Decke fester um sich und seufzte schlaftrunken: »Grauenvolle Nacht! Könnte ich jetzt im weichen Teppichgemach, durchduftet und durchwärmt, das Haupt an die Knie meiner vielwonnesamen Herrin schmiegen, das wäre mein Glück!«
Lachend strich der Wind vorüber. »Menschenherzen! Wetterfahnen!« spottete er, »das Glück und ich, wir spielen mit euch beiden!«