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VIII.

Vierzehn Jahre sind seit dem deutsch- französischen Kriege verflossen. –

Der Himmel wölbt sich in sonnendurchstrahlter Bläue über dem nordischen Flachland, die Wiesen spiegeln seine Pracht in Milliarden von blitzenden Tautropfen wieder, und um die dunklen Tannen- und Laubwaldungen wehen die weißen Nebel, wie ein Brautschleier, welcher durch schwarze Locken gewunden ist.

Tiefe, feierliche Morgenstille über Feld und Au. Die Lerchen schwirren wie dunkle, kleine Punkte so hoch in der Luft, daß man ihre Frühlichtpsalter kaum noch vernimmt, und die Schmetterlinge wiegen sich lautlos um die wenigen Herbstblumen, welche noch nach der zweiten Heuernte ihre Kelche erschlossen. Das Wild ist in den Wald zurückgetreten, und ein Luftzug, mild und weich wie ein tiefes Aufatmen der Wonne, neigt die breiten Schilfhalme auf die Wasserfläche der Weiher nieder, welche ein behaglich fließendes Flüßchen in öfterer Wiederholung bildet.

Frisch und harzduftig weht's von den Kiefern herüber, und auf dem weichen Boden des Waldweges, durchzogen von bemoosten Wurzeln und hoch bedeckt von den Baumnadeln, verklingt der Hufschlag eines Rosses, welches seinen Reiter gemächlich die kleine Anhöhe hernieder trägt. Die Lichtstreifen fallen durch die Zweige, sie spiegeln auf dem glänzenden, rehschlanken Körper des Goldfuchse und huschen empor an der eleganten Gestalt des jungen Offiziers, welcher mehr graziös als schulgerecht im Sattel sitzt. Stern und Adler auf der Tschapka funkeln nagelneu durch die leichte Staubschicht, welche sie während des Rittes überzogen, und die Ulanka ist von tadellosem Schnitt und berechtigt zu der Annahme, daß sie überall – obwohl man's nicht sehen und würdigen kann, mit Seide gefüttert ist.

Obwohl die Biwakfeuer des Manövers in der vergangenen Nacht ihre fröhlichen Rauchfähnchen über das Stoppelfeld flattern ließen, und die meisten ,Regimenter am Morgen mit etwas übereilter Toilette zur Übung ausgerückt sind, merkt man diesem Reserveleutnant der Garde-Ulanen nicht die mindeste Vernachlässigung seines äußeren Menschen an! Der hellblonde Schnurrbart mit den keck empor gestellten Spitzchen ist so zierlich gewellt, als käme er direkt unter dem Brenneisen des Friseurs hervor, eine energische Liebkosung der Puderquaste hat das fein geschnittene Antlitz mit dichter Reismehlschicht gegen Sonnenbrand und Staub geschlitzt, und die Haarwellen legen sich kunstgerecht an die Schläfen, als gälte es einen Siegeszug über das Parkett, nicht aber über Sturzacker und Heideland zu halten.

An einem Gummiband, um den ersten Knopf geschlungen, schaukelt sich das Monokel, und an schmalem Juchtenriemen renommiert ein Krimstecher in elegantestem Etui.

In kurzem Abstand hinter dem jungen Offizier folgen ein Unteroffizier und drei Mann, welche in dem Dorf Groß- Wolkwitz für eine Schwadron Ulanen Quartier machen sollen, dieweil sich ihr Vorgesetzter in dem Schloß des Gutsherrn bekannt machen wird, für den Regiments- Stab ein angenehmes Unterkommen zu schaffen.

 

Der Hochwald hat eine kleine Kiefernschonung als Ausläufer am Hügel vorgeschoben, und als auch diese endet, säumen dickstämmige Sauerkirschbäume die Fahrstraße, welche quer durch Feld und Wiesen dem Dorf entgegenführt. Der Kirchturm mit dem blitzenden Kreuz auf der Spitze hat dem kleinen Reiterzug längst als Wegweiser zugewinkt, und sobald die Rosse auf der Chaussee etwas ausgreifen, tauchen auch bald die Ziegeldächer der stattlichen Bauernhäuser vor den Blicken der Reiter auf.

Sonnig, schmuck und wohlbehäbig liegt die Ortschaft in einem Kranz grüner Wipfel, und dicht hinter ihr dehnt sich ein imposanter Park, aus dem mehrere schiefergedeckte Türmchen malerisch emporsteigen.

Der Leutnant der Reserve, Graf zu Lohe-Illfingen, klemmt sein Stückchen Fensterglas interessiert in das Auge und mustert das Bild im ganzen und speziellen. Dann wandte er sich nach den Quartiermachern zurück und zog mit einem Lächeln, welches mehr Herablassung als Freundlichkeit ausdrückte, die Lippen über die Zähne empor.

»Ist schon Groß-Wolkwitz! Auf Wort, alle Schornsteine dampfen bereits zum Willkommen!«

Er stieß etwas mit der Zunge an und hatte die langsame, leicht gezogene Sprechweise, welche für ganz besonders fein und hocharistokratisch gilt.

Der Unteroffizier würdigte den kleinen Scherz durch dankbares Lachen, und Graf Lohe animierte seine Vollblutstute zu elegantem Trab. Er streckte das Kinn dabei weit vor und ritt englisch.

Auf der Dorfstraße ließ sich der Herr Leutnant von alt und jung bewundern, erwiderte die respektvollen Grüße mit knapper Handbewegung nach der Tschapka und parierte endlich sein Pferd vor einem Haus, dessen Dach von drei Linden beschattet wurde. »Wünsche Dorfschulzen zu sprechen!« näselte er, mit zwei Fingern den Schnurrbart streichend, und das junge Mädchen, welches auf der steinernen Bank neben der Treppe saß und Pflaumen aussteinte, erhob sich, knixte errötend und eilte davon, den hohen Gast zu melden. –

Die dienstlichen Angelegenheiten waren hier für Graf Lohe bald erledigt: er ließ seine Leute bei dem Schulzen zurück, um die Quartierbilletts auszustellen, erfragte den Weg nach dem Schloß und ritt seines Wegs fürbaß.

Es war erst sieben Uhr, eine Zeit, welche jegliche elegante Dame noch in tiefsten Träumen zu ignorieren pflegt. Der junge Offizier aber hatte erfahren,daß Schloß Wolkwitz den Vorzug genoß, mehrere Vertreterinnen des schönen Geschlechts in seinen Mauern zu beherbergen, und darum tat es ihm in tiefster Seele leid, seinen Einzug in den Schloßhof womöglich bei niedergelassenen Gardinen halten zu müssen. Ein Hoffungsschimmer blieb noch der Gedanke, daß man auf dem Land extravaganter ist als in der Stadt, und um ein paar Gläser frisch gemolkener Milch jeglichen Regeln der Residenz-Etikette ein Schnippchen schlägt.

Und in diesem einzigen Fall verzieh der Garde-Ulan solch ein plebejisches Beginnen. Eine Damen darf gar nicht früh aufstehn, das ist nicht ladylike, das ist höchstens Sitte der Kammerzofen und Nähmädchen: Eine Dame, welche nicht erst um elf Uhr ihr spitzenduftiges Negligé anlegt uno dann auf einer Chaiselongue ihre Morgenschokolade trinkt, erachtet Graf Lohe- Illfingen nicht als »voll«! Nichts ist ihm so unsympathisch, als vernachlässigte Allüren, und nichts deucht ihm unverzeihlicher, als ein Verstoß – und sei er noch so klein! – gegen Form und Eleganz.

Er selbst repräsentiert sowohl in seinem Äußern wie auch in seinem Wesen die Quintessenz aller Noblesse, oft wird er wegen seiner »Tadellosigkeit« geneckt, und ein Spitzname nennt ihn «la chevalier sans défaut et sans reproche!»

Der Dienst nötigt ihn, zu ganz unvorschriftsmäßiger Stunde in Schloß Wolkwitz seine Aufwartung zu machen, aber Graf Lohe will alles tun, was in seiner Macht steht, um solche Ungehörigkeit zu korrigieren. Er beschließt, zuvor nach den entfernter gelegenen Wirtschaftsgebäuden zu reiten, um sich mit dem Inspektor über Stallungen und Fonrage zu besprechen. Das wird eine Stunde vielleicht in Anspruch nehmen, und dann, um acht Uhr, muß er wohl oder übel im Schloß derangieren! Aber um diese Zeit sitzen die Herrschaften vielleicht schon auf der Terrasse, das erste Frühstück einzunehmen. Lohe malt sich das Bild mit allen Details aus. Der ehemalige Dragoneroffizier, Herr von Kuffstein, Besitzer von Wolkwitz, liegt im Schaukelstuhl, liest die Kreuzzeitung und führt hie und da, den kleinen Finger mit dem Wappenring etwas abspreizend, die Mokkatasse an die Lippen. Ihm zu Füßen lagert ein feudaler Rassehund, welchen die Tochter des Hauses mit schneeweißen Händchen nach einem Leckerbissen schnappen läßt. Die Tochter des Hauses! Sie heißt Ursula und ist siebzehn Jahre alt, Graf Lohe ist genau orientiert. Ihre Mutter ist eine geborene Gräfin Sasseburg, die Schwester der verstorbenen Frau von Dern- Groppen und der Baronin Büttingen, deren Gemahl kaum eine Stunde entfernt auf dem Nachbargut sitzt.

Wie mag Fräulein Ursula wohl aussehn! Schlank, graziös, hoffentlich trotz aller Landluft zart und ätherisch wie das Blättlein einer Akazienblüte. Etwas scheu und zurückhaltend wie alle Landkinder, in ihrem Wesen von der lässig vornehmen Art einer englischen Erzieherin beeinflußt. Der Garde-Ulan hatte den Kopf nachdenklich gesenkt und ritt im Schritt der hohen Mauer entgegen, über welche die Parkbäume ihre dunkellaubigen Wipfel erhoben. Er lenkte nach dem Fahrweg, welcher zu den Ökonomiegebäuden führte, ab und ritt an der Mauer entlang den roten Ziegeldächern und dem Brennereischornstein entgegen. Wie nun, wenn ein Zufall ihm schon jetzt eine oder die andere der Damen, welche vielleicht Brunnen trinken nnd Frühpromenaden machen müssen, in den Weg führt? Schon jetzt, ehe er einen Blick in des Inspektors Spiegel werfen konnte? Oder wenn ihn auch nur die Wirtschafterin, die Mamsell erblickt und durch die Kammerjungfer den Damen eine Beschreibung seines bestaubten, anläßlich des Biwaks so wenig soignierten äußern Menschen macht?

Der Gedanke war unerträglich. Graf Lohe stoppte seinen Renner und hielt eine schnelle Umschau. Er war mutterseelenallein. Kein Mensch vor oder hinter ihm auf dem Weg, seitlich auf dem Lupinenfeld niemand zu erblicken, nur ganz in der Ferne arbeiten Leute auf einem Kartoffelacker.

Der junge Offizier streifte die Zügel über den Arm, griff in die Tasche und zog ein Necessaire, aus Perlmutter und Gold gearbeitet, hervor. Er klappte den Deckel zurück und begann vor dem Spiegel, welchen derselbe aus der Innenseite faßte, seine Toilette.

Das geschliffene Glas warf das Bild eines sehr regelmäßigen, etwas blassen Gesichtes zurück, aus welchem zwei große, graublaue Augen leuchteten. Der Ausdruck der Züge war angenehm, wenngleich er leicht den Eindruck des Einstudierten und gezwungen Blasierten machte: es schien, als habe die strengste Erziehung jede Miene und jeden Nerv in eine Façon gedrillt, welche stets das rechte Maß hält, welche lächelt, verneint, bejaht und bedauert, gerade so, wie es sich für einen Grafen zu Lohe-Illfingen geziemt.

Mit dem duftenden Batisttuch stäubte er den Puder sorgsam von Stirn, Nase und Wangen, nahm die Tschapka vom Haupt und entkleidete auch sie des Staubes, und dann strich er mit zwei Bürstchen den Scheitel des Hinterkopfes zu schnurgerader Linie, lockerte die Haarwellen über Stirn und Schläfen und glättete den Schnurrbart. So weit es möglich war, klopfte er die Uniform ab, schlug klatschend mit dem zartkantigen Tuch gegen die hohen Dienststiefel, welche zu seinem tiefen Kummer die eleganten Lackschuhe verdrängen mußten, und wechselte alsdann die Militärhandschuhe mit Glacés, welche er stets zu mehreren Paaren bei sich trug.

Die ganze Art und Weise, wie Graf Lohe Toilette machte, trug das Gepräge äußerster Umständlichkeit und Finesse, und als er den Gesamteindruck seiner sterblichen Hülle nun zuguterletzt noch einmal im Spiegel prüfte, ein kleines Fleckchen auf der Wange entdeckte und besorgt aus einem Flacon ein frisches Taschentuch mit Kölnisch-Wasser befeuchtete, um damit den Schaden abzutupfen – da zuckte seine Hand unwillkürlich erschrocken zurück, denn von der Parkmauer an seiner Seite ertönte ein schallendes Gelächter, und eine Stimme rief in schauerlich derber Sprache:

»Nehmen Sie doch Spucke! Die tut's grad so gut und kost' nischt! Unten im Hof ist auch der Ententümpel, da können Sie gratis ein Vollbad nehmen!« und wieder ein jubelndes Gelächter.

Der Garde-Ulan hatte sich, zusammenschreckend, nach dem Besitzer dieser Stimme und Verbrecher solcher degoutanten Rede umgeschaut.

Über die Gartenmauer, durch ein Gewirr von Hollunderzweigen, schaute ein Jungenkopf, mit braunlockigem, arg zerzaustem Haar, und so viel man bei der abscheulichen Grimasse, welche er just schnitt, vermuten konnte, einem recht hübschen, runden, frischwangigen Gesicht.

»Wollen Sie vielleicht noch Seife? Was so'n echter, rechter, pommerscher Dreck is, der sitzt feste!« klang es abermals zu dem belauschten Reitersmann hernieder, und Graf Lohe machte ein Gesicht, wie eine Dame, wenn sie mit der Ohnmacht kämpft, und dachte naserümpfend: »Ein gräßlicher Bengel!«

Ohne zu antworten, setzte er die Tschapka wieder auf und ritt weiter.

»Kochäppel! Kochäppel! Kochäppel!« höhnte es ihm in rhythmischer Nachahmung seines kurzen Galopps nach. »Sie brüten wohl Eier aus, Männchen, daß Sie so ängstlich im Sattel sitzen?!« und abermals ein schmetterndes Gelächter.

»Schauderhaft!« dachte der Reserveoffizier und schüttelte sich förmlich vor Widerwillen gegen solche Verwahrlosung, »wenn diese Gärtnersrange, die sicherlich die frühe Stunde zum Ausplündern des herrschaftlichen Obstgartens benutzt hat, nur seine Spionage nicht im Schloß verwertet! Wäre höchst fatal, wenn die Damen durch taktlose Beschreibung von meiner Toilette unter freiem Himmel in Kenntnis gesetzt würden!«

Und der Majoratsherr von Lohe-Illfingen beschleunigte durch leichten Zungenschlag die Gangart seiner Stute und schwenkte in die Torfahrt des Gehöfts ein.

Die Hufe knatterten auf dem Pflaster, und alles, was da auf dem Hof kreucht und fleucht, stand in starrer Bewunderung über diesen schmucken Herrn Offizier, sprang diensteifrig herzu, knixte und riß respektvoll Maul und Augen auf – da war die Scharte, welche des frechen Bengels Willkommen dem blanken Schild der Eitelkeit geschlagen, vollständig wieder ausgewetzt!

 

Die Turmuhr hatte bereits die achte Stunde geschlagen, als der Reserveleutnant der Garde-Ulanen mit dem Inspektor von dem nahen Feld zurückkam, wohin er ihm, nach Weisung eines jungen Eleven und unter Führung desselben, gefolgt war.

Nach Erledigung seiner dienstlichen Besprechung ließ Graf Lohe den Goldfuchs im Stall zurück und begab sich zu Fuß durch den Park nach dem Schloß.

Da er nicht liebte, und es auch für durchaus unpassend erachtete, mit Untergebenen mehr als wie dringend notwendig zu reden, so hatte er lediglich gefragt, ob Herr von Kuffstein schon jetzt zu sprechen sei, was der Inspektor mit etwas frappiertem Lächeln bejahte. Eine vorherige Anmeldung bei den Herrschaften hatte der Graf untersagt.

So schritt er mit leise klingenden Sporen durch die köstlichen Anlagen dem Herrenhause entgegen. Eine etwas altertümliche,

gediegene Eleganz, wohin er blickte. Dunkle, hochgewölbte Lindenalleen, trefflich gehaltene Rasenflächen, auf welchen Rotbuchen, Akazien, Eichen und Edeltannen geschmackvoll schattierte Tuffs bildete. Zwischendurch ein kristallklares Wässerchen, überspannt von verschiedenartigen, kleinen Brücken, eingezwängt in kühle Grotten, oder erweitert zu an Schilf und Seerosen reichen Teichen, von welchen sich rauschende Wasserfälle zu den tiefer gelegenen Blumengärten niederstürzten.

Vor der Front des ersichtlich sehr alten Schlosses dehnen sich breite Teppichbeete, und zu beiden Seiten der Freitreppe öffnen ein paar klassische Wölfe drohend ihre Rachen.

Totenstille. Die meisten Fenster des Gebäudes stehen weit geöffnet, die Jalousie über dem Mittelbalkon ist niedergelassen, und auf den Steinschwellen der Treppe und dem Kiesweg liegen bunte Hammer, Croquetkugeln und Reifen. Aber keine Menschenseele nah und fern zu erblicken. Lohe bleibt einen Augenblick zögernd stehen; aus einem der Fenster klingen sehr stockend gespielte Fingerübungen – dann verstummen sie wieder.

Langsam steigt der junge Offizier die Stufen empor und öffnet die breite Glastür, durch welche er in eine Flurhalle blickt, zwischen deren stützenden Säulen sich eine eiserne Treppe aus den oberen Stockwerken herniederwindet.

Auch hier ist niemand zu hören und zu sehen. Der Eindringling schaut sich ratlos um, eine Klingel zu entdecken, und schreitet nach einer der Säulen, an welcher ein Löwenkopf mit einem Ring im Maule glänzt, seine Bedeutung zu erforschen.

Noch hat er denselben nicht berührt, als in der ersten Etage eine Tür knallend in das Schloß geworfen wird,

»Mine! – Jette!! zum Donnerwetter, wo steckt denn die ganze Bande!!«

Lohe starrt nach der Treppe empor, als traue er seinen Ohren nicht! Der schreckliche Junge von der Parkmauer!!

»Mi – ne! – Jet – te!!« schmettert es abermals durch die gewölbte Halle, »da lungern die Stubenbolzen haufenweise im Haus herum, und wenn man einen Troppen Wasser haben will, kann man sich heiser brüllen! – Mi – ne! Jet–te!«

Der pikfeine Resereleutnant der Garde-Ulanen fühlte einen Schauder durch alle Glieder rieseln. Der Junge war ein Kuffstein!

 

Unerhört! Solch ein Betragen wäre im Stammschloß der Lohes eine Unmöglichkeit gewesen, und hier tobte der Sohn des Hauses wie der ärgste Gassenjunge ungestraft in den Korridoren umher.

Droben hatte sich währenddessen ein wahrer Höllenlärm erhoben: »Die Klingeln gehen nicht, man kann das Ranunkelzeug nicht 'mal herbeiläuten!« wetterte die Stimme. »Meinetwegen, dann holt euch euren Kladderadatsch alleine!!«

Und klirr – klingelingeling rasselte eine blau abmalte Porzellankanne die eiserne Treppe herunter, daß die Funken stoben!

Graf Lohe-Illfingen war höchlichst alteriert nach der hohen Blattpflanzengruppe, welche sich um die Mittelsäule der Vorhalle aufbaute, zurückgewichen: die Scherben aber tanzten ihm bis vor die Füße, und just stand er im Begriff, vor so viel Ungehörigkeit wieder auf die Veranda hinauszuflüchten, als sich dicht neben der Treppe eine Tür auftat.

Ohne den jungen Offizier zu bemerken, schritt Herr von Kuffstein, denn nur er konnte es sein, mit behaglich grunzendem Lachen über die Schwelle. Ebenso dick wie Sir John, aber noch um eines Hauptes länger als dieser berühmteste aller Bonhonimisten an Heinrich IV. Hof: gleich seinem britischen Vorbild von oben bis unten von hellgelbem Nanking umspannt, hielt er beide Hände in den Hosentaschen versenkt und sah mit seinem stark geröteten Vollmondsgesicht erst auf die Trümmer des Kruges, dann nach der Treppe empor. Ein Mops, ebenso wohlgenährt wie sein Herr, war langsam nachgewatschelt und stellte sich an seiner Seite auf, um recht übellaunig ebenfalls nach oben zu glotzen.

»Aber Urschel-Purschel! Bist du denn rein des Deiwels, daß du mit der schönsten Imitation eines Delphter Pots Kegel schiebst?!« Die fette Stimme des Gutsherrn klang weder zornig noch überrascht, im Gegenteil, in ihr sowohl wie in seiner ganzen Haltung lag eine beinahe schmunzelnde Anerkennung: »Was ist denn los da oben? – he?« Der Mops nieste, weil es in der Halle kühl war, und droben über dem Geländer erschien der dunkellockige Jungenskopf ... alle guten Geister ... Graf Lohe-Illfingen hatte das Gefühl, als müsse er sich mit beiden Händen festhalten, um nicht vor Schreck und Überraschung umzufallen, dieser schimpfende, Fratzen schneidende, in den entsetzlichsten Ausdrücken redende Jungenskopf saß auf dem entzückendsten Damenfigürchen,

welches man sich denken kann! – Der Bengel war ein Mädchen!!

»Jule, geh weg, ich springe!« lachte Fräulein Ursula von Kuffstein, stuhle sich etwas kraftvoll derb auf das Geländer und schwang sich in Bogensätzen die Treppe hinab, daß die Stufen unter den naturledernen Hackenschuhchen zitterten und die weißgestickten Kleiderfalbeln aufwogten.

Der Mops wackelte feig aus dem Wege, Herr Julius von Kuffstein aber wiegte voll hoher Vaterfreude das Haupt und sagte lakonisch: »Graziös wie ein Mehlsack – ganz wie dein Herr Alter!« Gleicherzeit aber schaute er sich verwundert um; Ursula hatte nämlich mitten auf der Treppe ganz urplötzlich gestoppt, mit dem Dinger überrascht nach der Mittelsäule der Halle gedeutet und dann die Hände mit schallendem Gelächter zusammengeschlagen: »Da ist er! Da ist er!«

Graf Lohe war sprachlos, er trat einen Schritt vor und klappte mit einer Musterverneigung die Silbersporen zusammen, Herr von Kuffstein aber wuchtete ihm, beide Hände darreichend, entgegen und begrüßte ihn wie einen guten, alten Freund:

»Ah, voilà, Verehrtester! Willkommen als Schwalbe, welche hoffentlich für recht viele Kameraden Sommerquartier macht! von Kuffstein, Vater von der kleinen Göre da! Sehen's mir wohl schon an meiner stolzgeblähten Haltung an!« Und der Besitzer von Wolkwitz lachte in tiefem Baß und drückte und schüttelte die Hände des Garde-Ulans,

»Graf zu Lohe-Illfingen!« Abermals klangen die Sporen: »Bitte tausendmal um Vergebung, Herr Baron, wenn ich als Werkzeug des königlichen Dienstes bereits in so früher Stunde die Herrschaften derangieren muß –«

»Frühe Stunde? Du, Urschel-Purschel, ist's bei uns noch um acht Uhr früh morgens?«

Die junge Dame hatte beide Hände aus den Rücken gelegt und musterte ihr Gegenüber mit ihren großen, schalkhaft blitzenden Augen. »Ich wasche mich meistens schon um fünf Uhr, aber nicht mit Parfüm, sondern mit ganz gemeinem, ollem Wolkwitzer Brunnenwasser!«

»Ja, und nun sehen Sie sich 'mal die Pflanze an, Graf, sind Sie schon so einem feschen Mädel begegnet? Weil die Klingeln den Dienst versagen, klingelt sie einfach mit dem Porzellankabarett die Treppe runter! Weiß sich zu helfen, das muß man sagen!« Und Herr von Kuffstein patschte seiner Einzigen voll Bewunderung auf den Lockenkopf: »Nu mach' dich aber 'mal auf die Socken, du Strolch, und sorg' dafür, daß die Anwesenheit des Grafen bekannt wird! Wir wollen frühstücken, verstanden? Die Mama soll sich ein wenig mit der Toilette sputen, damit der schwere Kavallerist hier uns beide nicht etwa für Pik-Solos hält!«

»Geht ihr in deine Stube?«

»Na natürlich!«

»Ich habe vorhin das Kälbergatter aufgelassen, da sind die Racker unters Jungvieh geraten, und nun muß ich erst hin und wieder sortieren! Ob das bis zum Frühstück erledigt ist, ist den Kälbern ihre Sache, Kommt doch mit und helft prügeln, dann geht's schneller!«

Graf Lohe im Kälbergatter! Es überkam ihn wie ein Schwindel bei diesem Gedanken. Glücklicherweise war es dem Gutsbesitzer zu heiß zu solcher Beschäftigung.

»Dann nich!« und Fräulein von Kuffstein schwenkte auf den Hacken um, den Kälbern gegenüber allein ihren Mann zu stehen. Zuvor aber stürzte sie sich meuchlings auf den ahnungslosen Mops, faßte ihn und rollte ihn ein paarmal wie eine Nudelwalze auf dem glatten Steinboden hin und her: »Dokterjo, oller, fetter Dokterjo!« waren hierbei die rhythmischen Begleitworte,

und als der sichtlich schweratmige Vierfüßler prustend wieder auf den Beinen stand, da machte der kleine Kobold ihm mit einer Geste nach dem fremden Offizier einen feierlichen Knix: »Herr Doktor, ich habe die Ehre, Ihnen Graf Dingsda vorzustellen!« Im nächsten Moment fiel die Tür sehr geräuschvoll hinter ihr ins Schloß.

»Ein famoser Balg!« lachte der verblendete Vater. Graf Lohe aber war tief gekränkt, daß er, der eleganteste Mann der Residenz, in nichtachtender Weise als Graf »Dingsda« einem Mopse vorgestellt wurde! Wäre nicht Fräulein Ursula neben all ihrer schauderhaften Derbheit ein gar zu bildhübsches kleines Ding gewesen, würde der Majoratsherr von Illfingen sich sofort auf seinen Goldfuchs geworfen haben, dem Schloß Wolkwitz und seinen entarteten Bewohnern für ewig den Rücken zu kehren! So aber beschloß er, in Anbetracht des königlichen Dienstes, in seiner unsympathischen Lage auszuhalten und um der schönen Augen willen das schreckliche kleine Mundwerk Ursulas zu ignorieren. Zu seiner freudigsten Überraschung machte die Mutter alles wieder gut, was das Töchterchen verbrochen.

Frau von Kuffstein erschien, trotzdem sie sehr leidend war, beim Gabelfrühstück und sah in ihrer eleganten, langschleppenden Morgentoilette sehr comme il faut aus. Ihr ganzes Wesen kennzeichnete die ehemalige Hofdame, und es erschien dem Garde- Ulan schier unbegreiflich, wie diese, zarte, in jedem Wort und jeder Geste elegante Frau die Mama des verwildertsten kleinen Straßenmädchens sein konnte.

Immer leidend, seit Jahren schon der tiefsten Ruhe und Einsamkeit bedürftig, so nervös, daß die lärmende, quecksilberige Natur ihres kerngesunden kleinen Mädchens ihr bei längerem Zusammensein unerträglich wurde – das war wohl die einfache, traurige Lösung dieses Rätsels. Herr von Kuffstein aber, diese kraftvolle Mischung eines Kavallerie-Offiziers und Landjunkers,

bei viel Gutmütigkeit von einer, sich bis zur Derbheit steigernden, drastisch-humorvollen Zwanglosigkeit, konnte unmöglich andere Erziehungsresultate erzielen, als die, welche Graf Lohe einen Schauder sittlicher Entrüstung verursachten,

Ursula erschien nicht beim Frühstück, dafür aber die Erzieherin und Französin, die beide an den Anblick des leeren Stuhls in ihrer Mitte gewöhnt zu sein schienen.

Frau von Kuffstein fragte allerdings sehr erstaunt nach dem Verbleiben ihrer Tochter, ihr Gatte jedoch schob eine zusammengerollte Fleischplinse in den Mund und sagte mit vergnügtem Augenzwinkern: »Sie ist tätige Landwirtin, stör' sie nicht, Valeskachen! Sowie ich einigermaßen Kräfte gesammelt habe, unternehme ich mit unserem verehrten Gast einen Streifzug und bringe den kleinen Sackermenter ein! Sehen vielleicht ganz gern mal meine Fohlenkoppeln bei der (Gelegenheit an, lieber Graf? Hocken und Kälbergarten sind gute Freunde und getreue Nachbarn bei mir!«

Als die Frau des Hauses sich mir einem Dulderlächeln und gütig gestattetem Handkuß wieder zurückgezogen hatte, griff Herr von Kuffstein nach dem mächtigen Strohhut, welcher sein feistes Antlitz wie ein Heiligenschein umrahmte, und unternahm in Begleitung seines Gastes einen Rundgang durch Schloß und Park. »Wollen Sie uns vielleicht begleiten, Herr Doktor?« fragte er höflich, und der Mops erhob sich, streckte gähnend seine kurzen Stumpfbeinchen und watschelte mehr aus Pflichtgefühl als aus einem anderen Grunde im Schatten seines Gebieters hinter dem Herrn her.

Auf dem Mittelturm des Schlosses aber stieg die bunte Flagge empor und flatterte der Einquartierung lustig entgegen, und so still es zuvor in dem Wolkwitzer Herrenhaus gewesen, so lebhaft pulsierte jetzt das Leben in jubelnder, singender und klingender Gewißheit: »Es ziehen drei Reiter zum Tore hinein – trara!«


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