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XIII.

Nach dem Mittagessen in der Groß-Wolkwitzer Speisehalle hatte Herr von Kuffstein nach seinem riesigen Strohhut gegriffen und mit einem kleinen Nasenstüber seine Einzige aufgefordert: »Du, Fröschchen, ich habe den Jagdwagen anspannen lassen, fährste mit zur Dreschmaschine auf das Vorwerk hinaus?«

»Ja, natürlich! Soll ich auch die Flinte mitnehmen?«

»Kannste machen; vielleicht begegnen wir einem Volk Rebhühner, dann magste mal in die Luft niesen und dem Herrn Oberst ein kleines Frühstück runterholen!«

Und Ursula hatte fröhlich »Eins, zwei, drei, an der Bank vorbei!« gepfiffen und war die Treppe hinaufgepoltert, sich kriegsmäßig auszurüsten. Die anderen Herrschaften zogen sich in ihre Zimmer zurück, und nur Graf Lohe hatte um die Erlaubnis gebeten, noch ein paar Augenblicke der Frau Baronin auf dem Balkon Gesellschaft leisten zu dürfen.

Frau von Kuffstein gestattete es in ihrer so liebenswürdigen und vornehm gediegenen Weise und hatte aufrichtige Freude daran, mit dem jungen Offizier über die schönen, lang vergangenen Zeiten zu plaudern, da es ihr zur Gewohnheit geworden war, zu sagen: »Wir am Hof – oder wir im Palais – – !«

»Es ist seltsam, wie das Schicksal oft die grellsten Gegensätze zusammenwürfelt!« fuhr sie mit traurigem Lächeln fort, »man nannte mich als Hofdame mit dem scherzenden Beinamen ›Ric-à-ric‹, weil ich es sehr genau nahm mit allen Formen und peinlich streng auf jede Etikette hielt! Und gerade ich bin die Gattin eines Mannes geworden, welcher nichts weniger wie Rigorist ist, und die Mutter eines kleinen Bubenmädels, welches jeglicher guten Form und Sitte Hohn spricht! Gestern nacht habe ich Julius so sehr gebeten, zurückzufahren, und den lieben Bösewicht mit energischer Strafpredigt heimzuholen, aber er behauptete, viel zu müde zu sein, und sagte: »Laß sie nur die Suppe, die sie sich eingebrockt hat, auslöffeln! Morgen früh werde ich ihr mal feste auf die Perücke steigen!« Und wie tat er's? Er hatte eine Girlande um ihre Tür hängen lassen, mit einem Kranz in der Mitte, darinnen auf weißem Papier mit dicken Rotstiftstrichen zu lesen war: »Du Strolch!« Natürlich lagen sich Vater und Tochter in den Armen und belachten gegenseitig ihre Witze!

»Gnädige Frau sind zu leidend, um Fräulein Ursula mehr in Ihrer Umgebung zu beschäftigen?«

»Ich bin seit Jahren von einem nervösen Kopfschmerz geplagt, welcher mich zu einer willenlosen und apathischen Frau macht. Ursula würde verzweifeln, wenn ihre Lebhaftigkeit in die Fesseln einer Krankenstube geschlagen werden sollte, und wenn ich mit viel Aufopferung und Qual auch wirklich den Meißel anlegen wollte, so würde das Beispiel meines Mannes gleich dem Keulenschlag wieder zerstören, was ich mit saurer Mühe erreicht. Ich habe das oft erfahren und mich schließlich resigniert in Unabänderliches gefügt.«

Graf Lohe strich sein blondes Bärtchen und sah einen Moment auf die Spitze seines Lackstiefels nieder. »Warum entschlossen sich gnädigste Frau nicht dazu, Fräulein Tochter in Pension zu schicken?«

Frau von Kuffstein machte eine kleine Geste mit der Hand. »Wo denken Sie hin! Mein Mann hätte Haus und Hof im Stich gelassen und sich sofort in allernächster Nachbarschaft der Pension einlogiert. Den Wirrwarr, welchen er alsdann angerichtet hätte, möchte ich selbst meinen bittersten Feinden nicht wünschen! Die meisten Gouvernanten kündigten mir, weil es unmöglich sei, bei beständigen Gegenbefehlen meines Mannes eine Kindererziehung zu leiten. Nun, und jetzt ist ja die Zeit der Lehrerinnen um, und ich weiß mir keinen Rat mehr, wie das Versäumte in Ursulas Erziehung nachzuholen sein könnte.«

»Fräulein Ursula ist die liebenswerteste und reizendste junge Dame, welcher ich je im Leben begegnete, und wenn die kleinen Schlacken des Übermuts und der oft verletzenden Form von dem Golde abgeschmolzen würden, so gäbe es in der Tat kein begehrenswerteres Wesen, wie just sie. Gnädige Frau werden diese Äußerung gewiß anmaßend finden –«

»Nicht im mindesten, mein lieber Graf! Wer es gut mit Ursula meint, muß ihr Wesen tadeln!«

»Das würde ich niemals wagen, Frau Baronin, aber ich habe in aufrichtigem Interesse darüber nachgedacht, wie wohl das lieblichste aller Wunder vollbracht werden könnte! Und da kam mir eine Idee –«

»Sprechen Sie aus! Ich bitte Sie inständigst darum!«

»Fräulein Ursula bedarf keiner Erziehung nach Regeln oder wörtliche Belehrung, sondern eines viel einfacheren, meiner Ansicht nach unfehlbaren Mittels: Einen Winter lang Hofluft atmen! Einen einzigen Winter lang die strenge Schule des Parketts durchmachen, sich an den Dornen und Nesseln, welche darauf wuchern, so lange Hände und Füße brennen, bis sie gelernt haben, sich nach der Vorschrift zu bewegen! Ich bin überzeugt, meine gnädige Frau, daß diese Kur die Epidermis von all ihren kleinen Unebenheiten säubern würde, ohne bis in das echt natürliche, lebensfrohe Mark und Fleisch einzudringen!«

» Mon Dieu, bester Graf! Ursula am Hof! Der Gedanke verursacht mir Nervenschütteln! Wie könnten wir es jemals wagen, einen so unerzogenen kleinen Tunichtgut unter die Augen der Höchsten zu stellen!«

Der Erbherr von Illfingen drehte mechanisch den Stiel des goldenen Mokkalöffelchens, welches auf seiner Kaffeetasse lag: »Ich bin fest überzeugt, meine gnädigste Frau, daß diese höchsten Augen selber niemals eine Ungehörigkeit an Fräulein Ursula sehen werden, dazu sind die Säle des Palastes erstens zu überfüllt, und zweitens wird gerade das Spießrutenlaufen durch diese Menschenflut der jungen Seele am besten und am verblüffendsten zeigen, welch ein unbedeutendes Tröpfchen sie in solchem Meer gewichtiger Persönlichkeiten ist!«

»Die Palastdame der Königin-Mutter, Gräfin Ferdinand Antigna, ist meine älteste und vertrauteste Freundin am Hofe; ich müßte Ursula jedenfalls unter deren Schutz stellen. Dadurch würde jedoch ein intimerer Verkehr im Schloß unerläßlich

werden, und ich fürchte, daß die arme Renée sich üblen Dank für ihre Güte erwerben möchte!«

»Gräfin Antigna?« Lohe rief es fast jubelnd: »Das ist ja charmant, meine gnädigste Frau! Keine passendere Pflegemama könnte für Ihr Fräulein Tochter gefunden werden, keine festere und sicherere Hand das Steuer ihres Lebensschiffleins lenken! Um so besser, wenn Fräulein Ursula Gelegenheit hat, in den engeren Hofkreis zu treten! Kein entzückenderes und aneifernderes Vorbild kann ihr gezeigt werden, als Prinzessin Cordelia, dieser Inbegriff aller geistvollen Zartheit, Liebenswürdigkeit und Anmut! Ich bin der festen Überzeugung, daß sich Königliche Hoheit aufs wärmste für den kleinen Übermut aus Groß-Wolkwitz interessieren wird, daß ein einziger mißbilligender Blick der Prinzessin mehr Erfolg hat, als alle Ermahnungen und Strafpredigten, welche Fräulein Ursula je erhielt!«

»Eine einzige Taktlosigkeit meiner Tochter würde den Verkehr mit ihr sofort abbrechen!« seufzte Frau von Kuffstein und verschlang die weißen Hände wie in trostloser Überzeugung.

»Ich habe die Prinzessin mit so viel huldvoller Nachsicht im Kreise junger Damen verkehren sehen, daß ich diese Befürchtung nicht im mindesten teile. Außerdem –« Graf Lohe senkte in lächelnder Bescheidenheil den hübschen Kopf, »glaube ich ein klein wenig Einfluß in den betreffenden Gesellschaftskreisen zu haben und gebe gnädigster Frau das feste Versprechen, die Wege nach Kräften für Fräulein Tochter ebnen zu wollen! Es wird alles vortrefflich gehen, und ein paar Zeilen Ihrer Hand an Gräfin Antigna genügen, unserem Plan das Fundament zu bauen!«

Frau von Kuffstein nagte einen Moment ratlos an der schmalen, blaßfarbenen Lippe, dann hob sie plötzlich entschlossen den Kopf, reichte dem jungen Offizier herzlich die Hand und lächelte: »Ich danke Ihnen, verehrtester Graf! Ich bin bereit, das Komplott mit Ihnen zu schmieden, und werde noch heute an Renée schreiben!«

Graf Lohe neigte sich voll aufrichtiger Freude und küßte in seiner bekannten graziösen Weise die dargereichte Rechte der Baronin.

 

Währenddessen war der leichte Jagdwagen mit dem Gutsherrn von Groß-Wolkwitz und seinem Töchterchen durch die sonnige Herbstlandschaft gerollt. Ein Stückchen ging es durch den duftenden Kiefernwald, dann wieder quer durch Feld und Sturzacker über rotleuchtende Heide und große, vom Forst begrenzte Hutungen, an dem murmelnden Silberband der Kinsbach entlang. Ursula hatte die Füßchen auf den gegenüberliegenden Wagensitz gestreckt, den runden Jungenhut von gelbem Stroh mit braunem Band weit in den Nacken zurückgeschoben und paffte mit Hilfe einer Zigarette ungeheure Dampfwolken in die Luft, in allem ganz genau wie der Herr Vater. Die Unterhaltung wurde mehr behaglich als eifrig geführt, oft durch eine landwirtschaftliche Betrachtung unterbrochen.

»Na sag' mal, Fröschchen, es ist wohl ganz nett, so ein bißchen Einquartierung zu haben?«

»Hm! – Namentlich heute morgen, wie wir dem Gefecht zusahen! Donner ja! Da hätte ich gleich mittun mögen!«

»Gezappelt haste auch genug. Und dann unser Frühstückskorb! Wie das ganze einige Deutschland unseren Wagen stürmte und in den malerischsten Positionen die Portweinflaschen am Halse kriegte! ... Haha ... weißte, Urschel-Purschel, was ich da beobachtet habe?«

Die junge Dame entzündete just ein Schwefelhölzchen. »Na, was denn?«

»Dem Lohe haste mindestens dreimal so oft eingeschenkt und mit ihm angestoßen, wie mit den anderen!« Herr von Kuffstein machte ein ganz verschmitztes Gesicht und kniff sein »Nestsolo« in das Ohrläppchen.

 

Ursula dehnte lachend die Arme. »Weil er der Allernettste von allen ist!«

»Daß du die Motten kriegst!! ... Willst'n heiraten?«

Das Backfischchen hüllte mit aufgeblasenen Backen das Haupt des Vaters so dicht in Zigarrendampf, daß sein rundes, rotes Gesicht aussah wie der liebe, gute Mond, wenn er so stille durch die Abendwolken hingeht. »Ja!«

»Nu in Gottes Namen, mir soll's recht sein. Aber acht Jahre wird noch gewartet.«

»Ich will dir mal was sagen, Julchen!« Ursula rückte näher und lehnte sich vertraulich an den Arm des alten Herrn. »So ein Wort im Vertrauen. Wie der Mensch jetzt ist, kann ich ihn absolut noch nicht brauchen! Weißt du ... ich finde ihn so hübsch, so nett und lieb ... daß ich ihm gleich um den Hals fallen möchte, ihn mal feste abzuknutschen! Aber eins gefällt mir gar nicht an ihm, er ist ein solcher Zierbengel und tut so furchtbar zimperlich, daß mir manchmal ganz elend wird! Das müssen wir ihm erst noch abgewöhnen, nicht wahr Julchen?«

»Na natürlich, mein Schlingelchen! Siehste, das hatte ich doch auch gleich weg, daß der Kerl zu affig für uns war! Aber sonst ein ganz famoser Junge; wenn er erst glücklich das Glacéleder von dem Leibe runter hat, kann er ganz vernünftig sein! Hm, abgewöhnen! ... So 'ne Marotte sitzt meist höllisch feste. Aber warte! Ich wüßte schon ein Mittel, wie man dem Mosjö etwas auf die Pelle rücken könnte; der müßte man so ein Jahr lang Hofluft atmen, verstehste, Urschel-Purschel, solch 'ne Hofluft meine ich, die hier bei uns über den Ökonomiehof weht! So eine echte, rechte Hofluft, die so frisch und kräftig über alles daher kommt und in ihrer ganzen, schönen Natürlichkeit die Menschenseele anbläst, die könnte noch einen ganzen Kerl aus ihm machen! Die würde ihn bald von den Faxen und dem feinen Schnickschnack kuriert haben! Mal feste arbeiten, mit Menschen verkehren, an deren Stammbaum höchstens Erdäppel wachsen, und eine Kirmeß statt Hofball, das würde das Richtige für den feinen Junker sein!«

»Und kannst du ihn dann mal so ein bißchen kurz nehmen, ja?« jubelte Ursula mit dunkelrotem Kopf.

Herr von Kuffstein schaute mit nachdenklichem Grinsen geradeaus. »Referendar oder Assessor ist er im gewöhnlichen Leben ... ja, ja! ... Oh, ich wüßte schon, wie man's anfangen könnte ... habe an betreffender Stelle, wo man's erwirken müßte, ein paar Freunde sitzen! ... Haha ... was meinste Urschel-Purschel, wenn der Herr Graf plötzlich ein Amtsrichter- oder Landratpöstchen in irgend solch gottvergessenem Heckennest bekäm, wo sich die Hasen und Füchse ›gute Nacht!‹ sagen!«

»Famos! Famos! Hier in Dassewinkel! Papa, er muß nach Dassewinkel!«

Ursula faßte ihren Vater an beiden Armen und schüttelte ihn vor Entzücken dergestalt, daß die Uhrkette mit den dicken Berlockes ein ungestümes Ballett auf seinem Magen tanzten.

»Wird gemacht, wird gemacht!« lachte Herr von Kuffstein. »Bist mit im Komplott, Fröschchen, dem feinen Gräfchen eine Arznei einzurühren! Haha, er soll Mores gelehrt kriegen, und wenn ihm unsere Hofluft alle Flausen hinter den gebrannten Löckchen weggefegt hat, dann ... na Urschel-Purschel, wie schon gesagt, ich hab' absolut nichts dagegen!«

Da nahm das Backfischchen in wortloser Rührung und Anerkennung den Sprecher bei beiden Ohren, zog sein massives Haupt näher heran und gab ihm einen mächtigen Kuß mitten auf die kurze, rote Stumpfnase drauf. – –

Als Graf Lohe sich bei der Gemahlin seines Gastgebers verabschiedet hatte, gedachte er, als formen- und sittenstrenger Mann einen Quittungsbesuch in Alt-Dobern zu machen. Das eine seiner Pferde war heut noch nicht bewegt worden, und da der junge Offizier seinen Wagen dem Regimentskommandeur zu einer Visite auf einem der Nachbargüter überlassen hatte, beschloß er, wenn auch nicht allzugern, nach dem Büttingenschen Schloß hinüberzureiten.

Er machte erst eine Zeitlang sorgfältig Toilette, wartete, bis die Sonne etwas tiefer stand, und ritt alsdann, genau über den Weg orientiert, langsam fürbaß.

Im Walde war es köstlich still und kühl. Der weiche, tief ausgefahrene Sandweg lenkte nach dein Felde zu, und Lohe sah, wie in geringer Entfernung von ihm ein altes Holzweiblein eine Karre voll Reisig mühsam vor sich herschob. Durch das lichterwerdende Buschwerk konnte er auch die naheliegenden Felder überblicken, und überrascht zog er die Zügel an, als er plötzlich Fräulein Ursula mutterseelenallein auf einem Kartoffelacker heranschreiten sah.

Sie hatte einen grauen Kattunstaubmantel über das weiße Kleid gezogen, die Flinte auf dem Rücken und beide Hände in die Taschen des dust-cloak versenkt. Ein gefleckter Jagdhund ging an einem Strick, dessen Schlinge sie über den Arm gestreift, mit gesenkter Nase zur Seite. Das Holzweib hatte den Wald verlassen, sie blieb keuchend stehen und erblickte, als sie den Kopf hob, die Tochter ihres Gutsherrn. Ein jäher Schreck schien sie zu lähmen, die Hände ängstlich erhoben, stand sie und starrte der jungen Dame entgegen. Lohe ritt so dicht heran wie möglich und blieb alsdann hinter Knicksbüschen versteckt, halten, um zu beobachten, warum wohl Ursula eine so gefürchtete Erscheinung sei.

Kaum hatte das Backfischchen die Alte entdeckt, als es mit martialischen Schritten durch das Kartoffelkraut herzu gestiefelt kam.

Das Gesichtchen legte sich in zornige Falten, just als wolle es mit den weißen Zähnchen zubeißen, und dazu stemmte Ursula die Hände in beide Seiten und schrie mit Löwenstimme: »Zum Schock Bombenelement noch eins, erwische ich dich schon wieder beim Mausen, du alter Racker? He? Wo haste das Holz her?«

Das Weib fuhr mit kläglichem Gebettele auf die junge Dame los und streichelte und patschte ihr mit den braunen Knochenhänden die Wangen. »Ach lieb's, lieb's gnädig's Fräuleinchen,

ach sei Sie gut, sei Sie gut, ich hon's ja nur aus ganz miserabelter Elendigkeit gedohn!«

»Zum Donnerwetter, bleib mir mit deinen Froschlöffeln aus dem Gesichte raus! Was nützt all das Lamentieren! Ins Loch kommste, du Deiwelsbraten, denn Strafe zahlen nützt bei solch einem Ranunkelzeug, wie euch, doch nichts!«

Die alte hob den zerlumpten Sack, welcher ihr als Schürze diente, jammervoll weinend vor die Augen. »Ach jo, jo, gnädiges Fräuleinchen, das is jo schuld dran, daß ich wedder zu Holze bin! Da hot mich der Forstläufer verklagt gehobt, un' ich armes, altes Tier hon noch meine letzten fünf Spargroschen als Straf zahlen müssen ... ach du mein lieb's Herrgottchen ... und hon hungern müssen und friern ... und weil ich nicht mal mehr hob Feier machen kunnt, Kartoffeln zu kochen, da bin ich hergegangen, un nu verklagt's mich wedder ... ach wonn ich doch erst doht wäre ... ich armes, altes Tier!«

Und die Alte schluchzte herzzerreißend. In Ursulas Gesicht arbeitete es ganz wunderlich. Sie wandte sich zur Seite, griff in die Tasche und zog ihr Geldbeutelchen.

»Da, du Heulliese! Fünfzig Pfennig haste zahlen müssen? Da, hier haste 'ne Mark, Aber das bitte ich mir aus, daß du's nicht weiter sagst, sonst könnte ich noch der ganzen Bagage, die Holz stiehlt, die Strafe bezahlen! Verstanden? Und nun hock die Karre wieder auf und mach dich aus dem Staube! Wenn dich jemand sieht, sag', ich hätte dir das Reisig geschenkt!«

»Ach lieb's, lieb's Engelchen...«

»Bleibste mit den Pfoten weg!« Ursula rettete sich durch eine schnelle Wendung vor den stürmischen Liebkosungen der Alten und suchte ihre Rührung hinter möglichst viel Grobheit zu verbergen.

»Aus dem Weg da! Fahre mal deinen Huckepack gefälligst beiseite, wenn ich hier durch will!«

Das Weib hielt in seinen! Schwall von Danksagungen inne: »Jo, jo, mein Lämmchen, mein Schatzkindchen, glich schaff' ich's weiter!« Und sie bückte sich und faßte die Karre. Der kraftlose, alte Rücken bog sich unter der Last, laut aufstöhnend beugte sich die Spittelliese unter ihrer schweren Bürde.

Ursula hatte weitergehen wollen, sie zögerte, »Es ist wohl sehr schwer, hm?«

»Jo, jo, wann 'mer seine sebenzig Johr uf'm Buckel hot, gnädiges Fräuleinchen!«

»Das ist ja Blödsinn, das kriegste ja gar nicht von der Stelle, du dummes Frauenzimmer! Marsch, weg da! Ich will dir die Karre aus dem Sand rausfahren!« Und mit kräftigen Fäusten stieß sie die schier sprachlose Alte beiseite und faßte nach den Griffen der Schiebkarre, »Ja so, meine Flinte! Da hier, Liese! kannst sie derweil tragen!«

Wie besessen fuchtelte das Weib mit den Armen durch die Luft: »Jo nich! Beileibe nich ... die Deiwelskanone gieht lus!«

»Schafsleder du! ... Na, dann will ich sie erst abschießen,« und ehe es sich die Liese versah, krachte der Schuß in die Luft, und der Jagdhund tobte an der Leine.

Mit gellendem Angstgezeter retirierte die Alte rückwärts, stolperte und nahm unfreiwillig auf der Reiserladung Platz: Ursula lachte schallend auf, warf ihr die Flinte in den Schoß und setzte voll übermütiger Hast die Karre in Bewegung.

»Na, dann bleib in drei Kuckucks Namen sitzen, alter Schreihals! Für den Schrecken will ich dich in schlankem Trabe spazieren fahren!« Und heidi ging die Reise!

Fräulein von Kuffstein jagte in hellem Jubel die kleine Anhöhe hernieder, der Hund sprang bellend in weiten Sätzen zur Seite, und die Spittelliese krallte sich mit den eckigen Armen auf ihrem schwankenden Sitze fest und schwatzte mit ihrem zahnlosen, eifrig wackelnden Mund ein undefinierbares Gemisch von Todesangst, Dankbarkeit und demütigster Bewunderung solcher hohen Gnade. Und jedesmal, wenn's über einen Stein ging, hüpfte sie hoch auf und kreischte, aber nicht vorwurfsvoll, sondern voll großer Heiterkeit, wie man einen guten Witz bejubelt.

Graf Lohe hielt die Hand über die Augen und sah dem seltsamen Bilde lachend nach.

Welch ein goldenes Kinderherz versteckte sich unter der rauhen Schale! So recht bezeichnend für Ursulas Sinn und Art war diese kleine Szene gewesen. Anfänglich sollte die Liese mindestens für ihre Freveltat gehängt werden, und dann heult sie ein bißchen, und anstatt sie totzuschießen, wie es doch geschienen hatte, bezahlt ihr Ursula doppelt das Strafgeld, und als der Alten ihr gestohlenes Gut zu schwer wird, da setzt das gnädige Fräulein das Kräuterweib auf das Reisig drauf und fährt sie höchst eigenhändig nach Hause. O Hofluft, welch ein wonnesam Röslein wirst du von den Dornen befreien!

 

Am Morgen nach dem Tanzfest waren die Offiziere sehr frühzeitig nach ihren Quartieren in den naheliegenden Ortschaften zurückgeritten.

Man war sehr überrascht gewesen, an der Seite des Hausherrn auch den Fürsten Sobolefskoi auf der Alt-Doberner Terrasse beim Frühstück anwesend zu sehen, um so mehr, da derselbe am vergangenen Abend so leidend gewesen und auch jetzt, im hellen Sonnenlicht, erschreckend bleich und elend aussah.

Er war auch einsilbig und von beinahe finsterem Ernst, und erst als Freiherr von Altenburg in dem Kreis der Kameraden erschien, belebten sich die tiefliegenden Augen in dem Antlitz des Russen. Er trat zu dem jungen Offizier heran und nahm auch an seiner Seite Platz, als man sich zu dem kräftigen Imbiß niedersetzte.

Altenburg begriff nicht recht, warum der Fürst so viele Fragen an ihn richtete, welche durchaus nicht das Gepräge der üblichen Phrasen an sich trugen. Von seiner Heimat, seinen Angehörigen und seinen Dienstverhältnissen sollte er erzählen, und wenn er den seltsamen Inquisitor statt aller Antwort nur mit seinen stolzen, leuchtenden Augen vom Scheitel bis zur Zehe musterte, so schien das durchaus keinen Eindruck zu machen. Mit zäher Beharrlichkeit hielt der Fürst an dem einmal angeregten Thema fest, und da sich in seinen düstern und doch so unaussprechlich traurigen Augen weder Neugierde noch Indiskretion ausprägte, und der junge Offizier keine Ursache hatte, aus seinen Angelegenheiten ein Geheimnis zu machen, so antwortete ihm Altenburg knapp und zurückhaltend, aber ehrlich.

Daniel erfuhr in kurzen Worten, was er wissen wollte: daß der Freiherr als drittgeborener Sohn und Bruder vieler Schwestern nicht viel mehr sein eigen nannte, als den Degen, mit welchem er dem Vaterland diente, daß er fernab von der Residenz in kleiner Garnison stand und vorläufig mit keinem Gedanken daran dachte, zu heiraten.

Als er nach beendigtem Frühstück zu Pferd gestiegen war, hatte Sobolefskoi die schlanke, ritterliche Erscheinung mit langem Blick umfaßt – und dann war er noch einmal neben den Goldfuchs getreten und hatte die Hand emporgereicht.

»Leben Sie wohl, Herr von Altenburg! Da Sie so weit ab von der bunten Welt, von dem Pflaster der Metropole und aller Hofluft wohnen, werden wir uns schwerlich im Leben wiedersehen! Oder ist eine Möglichkeit vorhanden, daß sich unsere Wege kreuzen?« Es ging plötzlich ein wundersames Aufglühen durch des Fürsten Auge, und der Offizier richtete sich im Sattel empor und antwortete mit kühler Höflichkeit: »Was wäre in unserer modernen Zeit noch unmöglich, Durchlaucht! Die Glücksgöttin ist ein launisch Weib, vielleicht findet sie Gefallen daran, blind in eine Schachtel voll Soldaten hineinzugreifen und just mich zu Gunst und Heil herauszuholen! Möglich ist's wohl – aber ... mir geht's wie dem Faust – der Glaube daran fehlt!« Und Altenburg griff salutierend an die Mütze, zuckte leicht die Zügel und sprengte den vorausreitenden Kameraden nach. Sein Blick flog nicht wie der aller anderen Herren die Fenster der Schloßfront ab, aber Daniel hob schnell das Haupt und sah nach den verhüllten Scheiben des Erkerzimmers empor. Täuschte er sich? Der feine Spitzenvorhang schien ganz leise zu zittern.

Der mißgestaltete Mann atmete tief auf und wandte sich schnell zur Seite. Sein Blick folgte aufblitzend wie in grausamem Triumph den Wagen und Reitern. Staubwolken hüllten sie ein.

»Für ewige Zeit geschieden! Seine Spur wird auf dem Irrweg des Lebens verloren sein, wie die Fußstapfen hier im Sand verwischt und verweht werden, und das Kleeblatt wird auf der Brust des Freiherrn von Altenburg welk und vergessen sein, damit die Blume des Glücks noch einmal ihr tränenfeuchtes Haupt am Lebensbaum des Schmerzensreich heben kann! Geschieden für ewige Zeit!« – Staubwolken decken sein Bild, über dieselben aber hebt sich heller denn je die Sonne in Sobolefskois enger Welt.

Langsam, wie ein Kranker, den nach qualvollen Stunden eine süße, erlösende Müdigkeit überkommt, stieg der Fürst die Treppe zu seinen Gemächern empor, sank nieder in die Kissen und schloß tief aufseufzend die Augen. Nun konnte er ruhig schlafen, fest und unbesorgt, Wetter und Sturm sind vorübergezogen, und an dem blauen Himmel kreist kein Falke mehr über seiner weißen Taube.

 


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