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III.

 

Fürst Sobolefskoi las den Brief seiner Gemahlin immer und immer wieder. Ja, es war ein wunderbares Spiel, welches das Schicksal mit ihnen trieb, und ein fast traumhaftes Glück, welches ihm plötzlich seine Freiheit zurückschenkte! Er kämpfte eine kurze Zeit mit seiner Rechtlichkeit und seinem Herzen, ob er von der eigentümlichen Lage der Dinge Gebrauch machen dürfe, doch kam er schnell zu der Einsicht, daß er ein Narr wäre, die Schlinge, welche der Zufall barmherzig gelockert, voll übertriebenen Ehrgefühls wieder um seinen Hals festzuziehen.

War es nicht das beste für Eglantina sowohl wie für ihn selbst, wenn sich eine Grabestiefe trennend zwischen sie riß, eine Tiefe, welche ja nichts weiter verschlang als den Namen eines Weibes und den Titel einer Fürstin Sobolefskoi? Eglantina selber lebte ja und war glücklich, und auch er konnte nun vielleicht zurückgewinnen, was er ehemals mutwillig verscherzt. Dieses kleine Stückchen Papier, welches das Ableben der Fürstin Sobolefskoi dokumentierte, gab zwei Menschenleben ihrer ureigentlichen Bestimmung zurück und erlöste beide von dem schiefen Pfad, auf welchen sie die Verblendung getrieben!

Und was riskiert Fürst Gregor, wenn er einer amtlichen Bescheinigung Glauben schenkt? Nicht er, sondern Eglantina hat ein betrügerisches Spiel getrieben, für welches sie nur allein zur Rechenschaft gezogen werden kann, sollte sie jemals wieder unter den Lebenden auftauchen, denn das Begleitschreiben, welches den Kammerherrn zum Mitwisser des falschen Spiels macht, wird in Asche zusammenfallen, und kein Mensch kann jemals beweisen, daß es in seine Hände gelangte. Und wollten dennoch Skrupel und Besorgnisse warnend ihre Stimme erheben, so wurden sie von den Seufzern fiebrischer Sehnsucht übertönt, welche den ehemaligen Höfling unwiderstehlich nach Petersburg zurückzog. Gleich wildem Heimweh erfaßte ihn das Verlangen nach seiner früheren Stellung, und darum gab es kein Besinnen mehr, ob er in Fortunas dargereichte Hand einschlagen solle oder nicht.

Kurz entschlossen barg er die Zeilen Eglantinas in dem Geheimfach seines Schreibtisches, schellte dem Kammerdiener und befahl ihm, das gesamte Dienstpersonal in der Schloßkapelle zu versammeln.

Dort erhielten sie die Kunde von dem Ableben ihrer Gebieterin.

Von dem Frontturm auf Miskow wehte das umflorte Wappenbanner auf halbem Mast, aus den Fenstern hingen die schwarzen Trauerfahnen hernieder, und in düsteren Porphyrbecken brannten Tag und Nacht die gewaltigen Pechfeuer vor der Einfahrt. Das Bild der Fürstin war in der Kirche aufgestellt, umgeben von Palmen und Blütenpracht und beleuchtet von den hohen Wachskerzen, welche auf massiv goldnen Kandelabern zu beiden Seiten des Gemäldes postiert waren.

Nach acht Tagen aber wurden die Fahnen außer dem Halbmastbanner wieder entfernt, die Feuer verloschen, und das Bild Eglantinas ward an seinen alten Platz im Zimmer Sobolefskois zurückgetragen und durch eine schwarze, florüberwallte Wollportiere verhängt.

Die Zeitungen des In- und Auslandes brachten im breiten Trauerrahmen die Todesanzeige der so früh Verblichenen, und Privatanzeigen meldeten den ehemaligen Freunden Gregors die traurige Neuigkeit nach Petersburg.

Nur sehr vereinzelt kamen die formellen Kondolenzschreiben zurück, der Kammerherr aber drückte das Antlitz auf die schwarzgeränderten Bogen und atmete voll Exaltation den feinen Duft, welchen sie ausströmten. Ein Hauch von Hofluft! Direkt aus dem Schloß des Zaren zu ihm herübergeweht, echt und unverfälscht überkommen, zu ihm, dem Geächteten und Verbannten!

Ein Taumel der Wonne überkam den alten Herrn, welcher voll freudiger Hoffnung in neuen Zukunftsträumen schwelgte. Er wird abwarten, bis sich die durch Eglantinas Tod frisch geweckten Erinnerungen in Petersburg verwischt haben, bis der Sommer die Hofgesellschaft zerstreut hat und sie der Herbst mit neuen Interessen und Eindrücken wieder vereint, und dann wird er den großen Wurf wagen, wird sein Haupt in Reue und Demut vor dem Kaiser neigen und zurückkehren in die Welt, ohne welche er das Leben nicht mehr erträgt.

Der Zar hatte dermalen des Fürsten Verbindung mit der Madame de Loux gewünscht und ihm dieses Verlangen bei der letzten Audienz direkt ausgesprochen, und er, der Wahnwitzige, Verblendete, hatte der vorsorglichen Güte seines Gebieters ein schroffes Nein entgegengestellt, hatte voll unbegreiflichen Starrsinns

an seiner Bitte um Entlassung aus dem Hofdienst festgehalten.

Den Kammerherrn fröstelt's vor Entsetzen über sich selbst, wenn er an diese letzte Stunde denkt, aber er will alles sühnen, was er gefehlt, er will Madame de Loux' kleinen Fuß, mag er sich noch so tyrannisch auf seinen Nacken setzen, demütig und gehorsam wie ein Sklave küssen, alles, alles will er tun, was man von ihm verlangt, wenn man ihn nur wieder auf dem Parkett duldet und ihn die Luft atmen läßt, ohne welche er hier verschmachtet.

Damit tröstet er sich.

Der Sommer vergeht schnell, weil der Fürst ihn zu einer Reise nach Paris benutzt, und als er wiederkehrt, treten ihm Tränen der Rührung in die Augen, als Daniel ihn erkennt und mit seinem resignierten Lächeln die kleine Hand entgegenreicht. Der Knabe hat sich körperlich entwickelt, aber sein stilles, apathisches Wesen ist unverändert dasselbe geblieben. Sein Gouverneur und der Arzt sprechen dem Fürsten die Überzeugung aus, daß keinerlei Besorgnisse für die geistigen Fähigkeiten des Kindes zu hegen sind. Er hat nicht die Art, seine Empfindungen durch Worte oder Zeichen zu äußern, aber es wohnt ein so tiefes und mächtiges Gefühl in dem schwachen Körperchen, wie man kaum für möglich halten sollte. Das beweist er am besten vor seinen Bilderbüchern. Welch ein wonnevolles Aufatmen, welch ein rührendes Lächeln des Mitgefühls, wenn es dem Helden seiner Geschichte und selbst den niedrigsten Kreaturen des Tierreichs gut ergeht, und welch ein stummes, schmerzgefoltertes Zucken der kleinen Glieder, wenn ihm ein Bild irgendwelches oft noch so unbedeutende Leid vor Augen führt.

Fürst Sobolefskoi freut sich solcher Wahrnehmungen auf das herzlichste, aber die Gegensätze zwischen Vater und Sohn sind zu groß, und wenn auch der so nervös erregte alte Herr sich zwingt, Daniel in sein Zimmer kommen zu lassen und eine Stunde lang die entsetzliche Ruhe und Indifferenz des Kindes in einem für beide Teile qualvollen Verkehr zu ertragen, so entfremdet er sich trotzdem immer mehr von ihm.

Dazu kommt es, daß Sobolefskoi bereits mit allen Gedanken in Petersburg lebt und in krankhafter Erregung kaum noch die Zeit erwarten kann, welche für sein Bittgesuch am geeignetsten erscheint.

Endlich dämmert auch jener Morgen, an welchem die Zeitung die Rückkehr der kaiserlichen Familie in die Residenz meldet. Das Schreiben liegt bereits bis auf das Datum vollendet bereit; mit zitternden Händen füllt der Fürst die leere Stelle aus, drückt das Siegel auf und sagt einen reitenden Boten mit dem Brief nach der nächsten Poststation.

Dann unternimmt er mit erregten Schritten eine kurze Promenade, läuft planlos auf der Seeterrasse auf und nieder, bis ihm das monotone Geräusch der Brandung unerträglich wird, und kehrt in sein Zimmer zurück, die Zeitungen weiter zu lesen.

Er überblickt die gedruckten Spalten flüchtig und gedankenlos, legt ein Blatt nach dem andern aus der Hand und greift schließlich nach einem französischen Journal, sich durch Reminiszenzen an Paris zu zerstreuen. Anfänglich langweilt er sich auch hier, plötzlich aber stutzt er und neigt sich frappiert näher. Die kleine Chronik bringt unter verschiedenen Hofnachrichten auch ein sensationelles Gerücht, welches zur Zeit die höchsten Gesellschaftskreise der alten Zarenstadt Petersburg alarmiert. Man spricht von der in kürzester Zeit stattfindenden Vermählung der berühmt schönen Palastdame der Kaiserin, Madame de Loux, mit einem der russischen Großfürsten. Frau Fama will ferner wissen, daß der Zar dieser Verbindung viele Schwierigkeiten in den Weg stellt, daß er dieselbe schon seit Jahren gefürchtet und darum den Wunsch gehegt habe, die schöne Witwe durch eine schnelle Heirat unschädlich zu machen. Die Umstände, welche dermals dieses Projekt, zu höchstem Zorn Sr. Majestät, vereitelten, haben durch ihre romanhaften Details genug von sich reden gemacht, und bringt man mit denselben die Namen eines fürstlichen Kammerherrn und einer Hofopernsängerin in Verbindung.

Die Zeitung schwankte in den Händen des ehemaligen Höflings; farblos wie das weiße Foulard, mit welchem er über die schweißbedeckte Stirn strich, ward sein Antlitz.

Wenn sich dieses Gerücht bestätigte, war alles verloren. Hatte Sobolefskoi in so verhängnisvoller Weise die Pläne seines gnädigsten Herrn gekreuzt, so war keine Hoffnung, den Zaren jemals wieder zu versöhnen, jemals wieder zu Gnaden von ihm aufgenommen zu werden. Und fand auch die Vermählung nicht statt, so war der Fürst dennoch die Veranlassung jahrelangen Ärgernisses für den Kaiser gewesen, denn daß der Großfürst die schöne Witwe schon damals auszeichnete, war Tatsache.

Wer aber hatte zu seiner Zeit geglaubt, daß aus solch einer Courmacherei Ernst werden könne, daß der Prinz aus anderen Motiven, als aus dem » pour passer le temps«, die Koketterien der Baronin mit Galanterie beantwortete?

Der Zar hatte schon damals besser Bescheid gewußt und darum die Starrköpfigkeit seines Kammerherrn so sehr ungnädig aufgenommen, er wußte, daß dem fürstlichen Krösus Sobolefskoi keine Dame der Hofgesellschaft ein Körbchen auf einen Heiratsantrag geschickt hätte! Und damals glaubte Madame de Loux selber noch nicht an ernste Absichten des Prinzen und hätte ihrerseits einer Verbindung mit dem Kammerherrn gewiß keine Hindernisse in den Weg gelegt. Späterhin war das wohl anders geworden, und die intrigante Frau hatte sicherlich Mittel und Wege gefunden, jeden Plan ihres kaiserlichen Herrn geschickt zu vereiteln. Wie oft mochte sich dessen Zorn noch gegen den undankbaren und verblendeten Höfling gerichtet haben!

Sobolefskoi fühlte es eiskalt durch alle Glieder rieseln, und dann wieder stieg die heiße Glut jäher Herzensangst in ihm empor und trieb ihm feuchte Tropfen auf die Stirn.

 

In maßloser Aufregung verbrachte er den Tag und die folgende Nacht, ruhelos umherirrend, verfolgt von dem Schreckgespenst des Gedankens: »Der Zar ist unversöhnlich!«

Der nächste Tag verging unter Folterqualen der Ungewißheit und Besorgnis, und wenn auch der darauffolgende Morgen eine höchst überraschende, sensationelle Nachricht brachte, so diente dieselbe durchaus nicht dazu, die Befürchtungen des alten Herrn zu vermindern. Die kleine Chronik teilte ihren Lesern die fast unglaubliche, aber doch wahrhafte Tatsache mit, daß am gestrigen Tag in aller Stille und vor nur wenigen Zeugen die Trauung der Madame de Loux und des Flügeladjutanten

Sr. Majestät des Zaren, Grafen Karnitcheff in »Peter und Paul« vollzogen sei.

Sobolefskoi wußte, daß weder Madame de Loux noch Karnitcheff Vermögen besaßen, es hatte also den Kaiser sicherlich einen tiefen Eingriff in die Privatschatulle gekostet, diese Vermählung zu ermöglichen. Der Zar aber war allen großen Ausgaben, die hätten vermieden werden können, bitter feind, und darum mochte er nun wohl voll doppelten Grolls an die Renitenz seines ehemaligen Kammerherrn denken, welche ihn ein solch hohes Kapital kostete.

Als schwacher Trost blieb dem Fürsten der Gedanke, daß Zeitungen viele unverantwortliche Dinge melden, daß an dem ganzen Gerücht vielleicht keine Silbe wahr ist und Madame de Loux und Karnitcheff sich aus innigster Liebe, auf ein gutes Avancement des jungen Offiziers hin, geheiratet haben!

Dennoch wußte er, der eingefleischte Höfling, auch wieder allzugut, daß sich manch wunderlicher Roman hinter den Kulissen der Fürstensäle abspielt, und daß mancher Herrscher schon ein edelmütiges Opfer gebracht, seines Hauses (Stammbaum von wilden Schößlingen frei zu halten!

Tag um Tag verging, ohne Nachricht von Petersburg zu bringen.

Sobolefskoi verzehrte sich in fieberischer Aufregung, und je wahrscheinlicher der Gedanke »fortdauernder Allerhöchster Ungnade« wurde, desto krankhafter steigerte sich die Sehnsucht nach jener Welt, aus welcher er sich selber ausgestoßen hatte.

Wohl sagte er sich, daß ein jeder andere europäische Hof ihn zu Gnaden aufnehmen würde, daß er kraft seines Namens, Vermögens und seiner Freiheit imstande sei, daselbst noch eine bedeutende Rolle zu spielen, aber sein Herz und seine Seele hingen mit echter russischer Beharrlichkeit und Treue an seiner Heimat Petersburg, und je unbarmherziger dieselbe die Tore vor ihm schloß, desto gewaltsamer vernarrte der Fürst sich in die Idee, nur noch am Hofe der geliebten Zarenstadt existieren zu können.

Als nach Verlauf von vierzehn Tagen noch immer keine Antwort aus dem Kabinett des Kaisers eingetroffen war, stieg die Aufregung des Kammerherrn zu einem Grade, welcher den Arzt das Schlimmste befürchten ließ. Die Nerven waren zerrüttet, die physischen Kräfte durch Schlaflosigkeit und unregelmäßige, oft völlig ignorierte Mahlzeiten untergraben, einem Schatten gleich, bleich und verstört, wandelte er ruhelos durch die Säle Miskows. Wie ein Spuk huschte in der Nacht das Licht von einem Gemach zum andern, und das Dienstpersonal wich dem Gebieter scheu aus und flüsterte sich heimlich zu: »Es ist nicht mehr richtig in seinem Kopf! Mit dem Tode der Fürstin hat's angefangen.«

Als Sobolefskoi die Ungewißheit nicht mehr ertragen konnte, schrieb er an seinen ehemals so vertrauten Freund, den Oberhofmarschall, und beschwor ihn, ihm beim Heil seiner Seele klaren und bündigen Bescheid, wie seine Chancen bei dem Zaren stünden, zu schicken, Dann wandte er sich wie ein Mondsüchtiger in das Zimmer seines Sekretärs und befahl ihm, in die Stadt zu fahren, um einen Notar zu holen, er beabsichtigte, sein Testament zu schreiben.

Der Wagen sauste den Schloßberg hinab, und der Fürst begab sich in sein Zimmer zurück, seinen Schreibtisch für jedwedes Auge einzurichten.

Er sortierte die verschiedenen Briefe, vernichtete, was überflüssig war, und schrieb hie und da kurze Bestimmungen oder Bemerkungen an den Rand. Oft hielt er die Hand vor die Stirn und starrte wie geistesabwesend vor sich nieder.

Die Brautbriefe Eglantinas noch einmal durchzusehen, behielt er sich bis zuletzt vor. Er legte jegliches Papier, welches von ihrer Hand beschrieben war, auf ein kleines Tischchen beiseite,

und als er endlich danach griff und die Zeilen zerstreut noch einmal mit dem Blick überflogen hatte, warf er jeden einzelnen Brief in die Flammen des Kaminfeuers. Zwei Schriftstücke waren schließlich noch übriggeblieben, das Billett, in welchem Eglantina ihr Jawort gab, und dasjenige, welches sie ihrem Totenschein beigefügt hatte.

Sobolefskoi hielt das duftende Blatt, welches ihn vor fünf Jahren zum Glücklichsten der Sterblichen gemacht und welches ihm dennoch zum Fluch geworden war, einen Moment leicht zusammenzuckend in der Hand. Dann wandte er sich von dem Kamin ab, warf das Billett auf den Tisch zurück und stützte das gedankenschwere Haupt sinnend in die Hand. Nein, dieses Schreiben sollte nicht in den Flammen untergehen, diese liebesheißen, berauschenden Worte voll Innigkeit und Treue sollten einst seinem Sohne Daniel beweisen, daß er um eines solch verheißungsvollen Glückes willen wohl die Narrheit begehen konnte, dem Hof des Zaren den Rücken zu wenden. Dieser Brief Eglantinas mußte des Fürsten rücksichtslose Kühnheit, »die Hand der Madame de Loux auszuschlagen«, rechtfertigen. Vielleicht konnte ihn Daniel noch einmal gebrauchen. Dieses Jawort sollte aufgehoben werden, aber der letzte verhängnisvolle Brief seiner Gemahlin, welcher den Tod der Fürstin Sobolefskoi zur Lüge machte, der mußte in Rauch und Asche aufgehen, der mußte für ewige Zeiten unschädlich gemacht werden.

In wirrer Hast griff der alte Herr nach den beiden Briefen, welche nebeneinander auf der schwarzen Ebenholzplatte lagen, und sah flüchtig darauf nieder.

Dieses waren die Liebesschwüle und jenes die kompromittierenden Eröffnungen – Sobolefskoi warf das eine der Schreiben in das durch feuerfeste Metalle doublierte Geheimfach seines Schreibtisches und schob dasselbe zerstreut in seine Fugen zurück. Kein Auge vermochte seine Existenz zu entdecken.

Dann wandte er sich mechanisch nach dem prasselnden Feuer zurück, zerriß das weiße Blatt, welches er noch in Händen hielt, in zwei Hälften, und ließ es in die Glut herniederwehen. Rote

 

Flammen zuckten auf, und schneller, als es der Blick beobachten konnte, verschwanden die verkohlten Papierflocken zwischen den Eichklötzen der Feuerung.

Fürst Sobolefskoi stand mit verschränkten Armen und starrte finster in die tanzenden Funken, ahnungslos, daß dieselben nicht die letzten Zeilen Eglantinas, sondern ihr liebeheißes Gelöbnis der Treue unter der Asche begruben.

Die Eröffnungen Vera Czakaroffs lagen wohlgeborgen in dem Geheimfach, und über die Türme von Miskow strichen die Raben mit heiserem Unglücksgeschrei. Nach Verlauf einer Woche sprengte der Postkurier in den Schloßhof und überbrachte dem Fürsten die Briefschaften.

Eine unnatürliche, starre Ruhe lag über dem fahlen Antlitz Sobolefskois. Parfümiert und zierlich gekräuselt, wie seit Wochen nicht mehr, lag das graue Haar an den eingesunkenen Schläfen, und der Schnurrbart war schwarz gefärbt, wie in den glücklichen Zeiten am Hofe des Zaren.

Gregor nahm fester Hand ein großkuvertiertes Schreiben entgegen, sah auf die Schrift der Adresse und legte es tief aufatmend auf die Tischplatte nieder. Dann schritt er ernst und feierlich in sein Ankleidegemach, ließ sich die goldstrotzende Galauniform der Kaiserlichen Kammerherren mit allen Orden und Ehrenzeichen anlegen und betrat hierauf das Zimmer seines Söhnchens. Daniel schloß zwinkernd die Augen, als tue ihnen die funkelnde Pracht des Hofkleides weh, der Fürst aber hob ihn auf die Arme, küßte langsam Mund, Wangen und Stirn des Knaben, machte unmerklich das Zeichen des Kreuzes über ihm und legte sekundenlang die Hand auf sein Köpfchen.

Und stumm schritt er wieder durch die Tür in sein Arbeitszimmer zurück.

Gelassen nahm er den Brief, erbrach und las ihn. Seine Hand zitterte nicht, und sein Antlitz war leblos wie Stein,

Dann trat er zum Kamin und vernichtete auch dieses Schreiben.

Auf dem Büchertisch stand ein Kasten mit zwei prachtvollen, mit zwei Edelsteinen besetzten Pistolen, einem Ehrengeschenk des Zaren. Sobolefskoi nahm die eine derselben und spannte ihren Hahn. Wundersam, es war derselbe knackende Laut, wie damals in Gatschina, als die Tür hinter dem Fürsten ins Schloß fiel.

Noch einmal trat er vor das Bild seiner Gemahlin, schlug den schwarzen Vorhang zurück und sah mit gläsernem Blick in die dunklen Augen empor, dann zog er das seine Spitzentuch, welches seit seinem letzten Dienst in Gatschina unverändert in der Brusttasche verblieben war, hervor und preßte das Antlitz tief atmend in seine duftigen Falten,

Hofluft! zum letztenmal streifte sie mit ihrem Hauch grüßend seine Stirn. Dann erzitterten die feinen Florstreifen vor Eglantinas Bild unter dem Einfluß einer schnellen Bewegung des ehemaligen Kammerherrn Seiner Majestät des Kaisers von Rußland, ein dumpfer Knall ... ein Aufschlagen und ein kurzes Röcheln, und dann eine tiefe, tiefe Stille.

 


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