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XI.

Lena hatte an der Seite ihrer Tante Büttingen, einer kleinen, rundlichen und sehr lebhaften Dame mit glattgescheiteltem, dunklem Haar und auffallend hübschen, graziös bewegten Händchen, die Familien der nächst angesessenen Gutsherren begrüßt, welche mit viel Vergnügen der Einladung nach Alt-Dobern Folge leisteten. Das junge Mädchen war von der sanften, anmutigen Liebenswürdigkeit, welche man sonst nur im engsten Familienkreis an ihr kannte, und welche sofort einer fast abstoßenden Kälte wich, als die fremden Offiziere nach beendeter Toilette die Salons betraten. Jolante kokettierte mit schmachtenden Augen und der leisen, schwärmerischen Stimme auf der Terrasse vor dem Tanzsaal mit all den hübschen und häßlichen Leutnants, welche sich um den Vorzug bekämpften, eines direkten Wortes von ihr gewürdigt zu werden. Graf Lohe war von vollendeter Liebenswürdigkeit, sie fand ihn auch ganz leidlich nett, obwohl es ihr schien, als sei er sehr zerstreut und verberge unter viel schönen Phrasen nur eine tiefe Verstimmung. Auf jeden Fall huschte ihr Blick viel öfter an der riesenhaften Gestalt Flankens empor, welcher seinen blonden Negerkopf behaglich an der Säule, gegen welche er sich gelehnt, hin und her rieb, zeitweise eine seiner trockenen Kraftbemerkungen in die Unterhaltung einstreute und als Privatvergnügen mit der gewaltigen Hand nach den Fliegen und Schnaken patschte, welche sich erdreisteten, in seiner Nähe Platz zu nehmen. Ursula hatte in ihrer unverblümten Weise gesagt: »Du, Jolante, ich wette gegen sechs alte Weiber, daß Flanken dich geradezu gräßlich findet!« Das verdroß Fräulein von Groppen, und daher wollte sie das Prävenire spielen und den ungeschlachtenen Gesell von vornherein ganz abscheulich behandeln. Je ostensibler aber ihr elfenhaftes Figürchen der Nähe des Riesen zu entschweben suchte, desto hartnäckiger stampften die schweren Reiterstiefel ihr nach, und je schnippischer sie das Mäulchen zusammenzog und die langen Locken zurückschüttelte, desto freudiger erglänzte sein Gesicht und desto besserer Laune wurde er. Ursula hatte schnell ihren Kreis gefunden, laut und übermütig übertönte ihr Lachen und Debattieren das Stimmengewirr. Sie rauchte eine Zigarette und blies ihren entzückten Rittern die Rauchwolken ins Gesicht, zankte sich mit einem Artilleristen über Hornspalt und balgte sich zwischendurch einmal mit ihrem kleinen Vetter Büttingen und dessen großem Hund.

Graf Lohe rieb sein Monokel mit dem weißseidenen Taschentuch ab und warf hie und da einen Blick nach jenen Szenen an der Verandatreppe, welche sich unter Ursels kräftiger Assistenz immer lebhafter entwickelten. »Es fehlt nur noch, daß sie das Geländer herunterrutscht«, dachte er voll heiliger Entrüstung, und je unmutiger sein Blick, und je röter seine Stirn wurde, desto übermütiger benahm sich das Backfischchen, gerade als täte sie es ihm zum Trotz! Papa Kuffstein stand, die Hände à la Gloster in die Hosentaschen versenkt, mit ein paar älteren Herren auf dem Kiesweg drunten und schaute mit breitem Schmunzeln seiner Einzigen zu. Lohe trat zu ihm heran, in der Hoffnung, durch irgendein geschicktes, kleines Manöver dem verblendeten Vater die Augen über das unstatthafte Benehmen seiner Tochter zu öffnen. Er fragte nach kurzer Einleitung, ob es denn niemand in Groß-Wolkwitz gäbe, welcher so rechten Einfluß auf Fräulein Ursula habe?

»I wo! Die Krabbe tanzt uns ja allen auf der Nase herum!« war die sehr anerkennende und vaterstolze Antwort,

»Auch nicht der Herr Pfarrer?«

»Pfarrer?!« – Herr von Kuffstein nieste zweimal derartig, daß der elegante Gardeleutnant nervös zusammenzuckte und schüttelte dann mit zusammengekniffenen Augen lachend den Kopf. »Da kennen Sie Urschel-Purschel aber noch lange nicht! Haben da so einen ganzen jungen Kandidaten, dem das Mädel einen verdeiwelten Streich gespielt hat, als er sich zum erstenmal von der Kanzel herunter seiner Gefühle entledigte. Hören sie mal an, was die kleine Kröte da losgelassen hat! Also der neue Kandidate steht und säuert und säuert in seiner Herzensgüte, daß uns mit der Zeit der Magen bis in die Waden herunterhängt. Die Bauern schnarchen, meine Frau riecht ununterbrochen englisch Salz, und Ursel macht schon in höchster Ungeduld aus ihrem Schnupptuch Männchen, worüber ich natürlich schon das Prusten kriege. Der Kerl aber steht auf seiner Kanzel und will's fürs Geld auch reichlich machen! Da hatte er so irgendein Thema, in welches er sich verbissen hatte, das behandelte

den Himmel, so wie er, der Kandidate, sich die Angelegenheit vorstellt. Da – behauptete er – gäb's so und so viele Stufen drinn. Den braven Christen setzt er auf die erste, den reuigen Sünder auf die zweite, und so weiter und so weiter, bis er schließlich alle Stufen vergeben hat, und nur noch der Pharisäer übrigbleibt. Nun weiß er nicht, wo er den Monsieur hinsetzen soll und beredet sich darüber mit der Gemeinde, daß man reine aus der Haut fahren möchte. Was tut die Urschel- Purschel? Plötzlich erhebt sich die Göhre, stützt sich auf die Brüstung und ruft mit lauter Stimme: Herr Kandidate, setzen Sie den Kerl auf meinen Stuhl hier, ich gehe jetzt nach Hause!«

Schallendes Gelächter. Herr von Kuffstein sah sich wahrhaft triumphierend im Kreise seiner Zuhörer um, und Graf Lohe senkte resigniert das wohlfrisierte Haupt und verzichtete auf weitere Versuche, einen Splitter aus des Nächsten Auge zu ziehen. –

Fürst Daniel Sobolefskoi hatte allein an dem offenen Salonfenster gestanden und zugesehen, wie die neu ankommenden Offiziere den jungen Damen vorgestellt wurden.

Als Freiherr von Altenburg sich in stummem Gruß vor Lena neigte, trat er in atemlosem Schauen unwillkürlich einen Schritt vor. Sein Blick haftete auf dem Antlitz seines Lieblings, als wolle er voll ängstlicher Sorge einen Schicksalsspruch darinnen lesen. Gleichgültig, kalt und abweisend wie stets in einem solchen Augenblick blieben ihre Züge, und die wenigen Worte, welche sie an den jungen Offizier richtete, klangen ebenso formell und unnahbar, wie alle diejenigen, mit welchen sie die anderen Herren begrüßt.

Hoch und schlank stand Altenburg ihr gegenüber. Kein verbindliches Lächeln spielte um seine Lippen, ein ernster, beinahe etwas hochmütiger Ausdruck beherrschte sein regelmäßiges Gesicht, mit der energischen Stirn und den dunkel umrahmten Augen, deren Blick nie müde über die junge Dame hinweg schweifte und sich mit langen Wimpern verschleierte. Sehr schmal und scharf geschnitten war das Antlitz, leicht gebräunt und durch stolze Kopfhaltung meist hoch erhoben; ein blonder Schnurrbart gab ihm ein ritterliches Ansehen, und die strenge, beinahe finstere Falte, welche die Augenbrauen zusammenzog, machte es interessant. Voll und dicht lockte sich das Haar auf dem edel geformten Haupt. Er wechselte die paar üblichen Redensarten mit der Nichte der Gastgeberin, verneigte sich kurz und trat sofort beiseite, als ein paar Kameraden der Kavallerie die Sporen vor Fräulein von Groppen zusammenklappten.

Ununterbrochen rollten die Equipagen in den Schloßhof, und die Salons, Veranda und nächsten Parkanlagen füllten sich mit einer bunten, eleganten, lachenden und konversierenden Menge,

Schon trat der Mond wie ein blasser Silberstreifen hinter dem Wald hervor, als Baron Büttingen der alten Exzellenz von Normann den Arm bot und sie durch die breit aufgeschlagenen Türflügel in den Speisesaal führte. Die älteren Herrschaften folgten, und unter der Jugend entstand ein übereifriges Hin und Her, ein Suchen, Finden und Engagieren, ein Rangablaufen und Zuspätkommen, Necken und Schmollen.

Graf Lohe hatte dicht neben Ursula gestanden, sein Blick traf ihr Gesichtchen, welches sich erwartungsvoll nach ihm richtete. Langsam wandte er sich zur Seite und bot Jolante den Arm.

Herr von Bornitz trat bereits neben das Backfischchen und kreuzte die Arme über der Brust: »Wenn durch die Piazetta der ›Bratenduft‹ weht, dann weißt du, Ninetta, wer wartend hier steht!« – rezitierte er lachend.

»Wir wollen uns den beiden da gegenübersetzen!« nickte Ursula mit blitzendem Auge.

Und als sie Graf Lohe gegenübersaß, war sie so ungezogen wie nie. »Oh, daß ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund!« rief sie beim Anblick des Menüs, und als der junge Offizier nicht mitlachte wie die anderen, sondern ihr einen sehr mißbilligenden Blick zuwarf, schnitt sie ihm eine kleine Grimasse, griff nach einer Apfelsine und fabrizierte zu größter Heiterkeit aller Umsitzendcn einen »seekranken Chinesen« daraus. Jolante errötete in verletztem Zartgefühl, und Lohe biß vor Ärger die Zähne zusammen. Und immer ärger trieb es der kleine Unhold. Wehe dem armen Grafen, daß er seine Nervosität verraten hatte! Ursula kratzte voll wahrhaft teuflischen Vergnügens unausgesetzt mit den Nägeln auf dem Seidenrips des Tischläufers, bis Lohe ganz alteriert seine Unterhaltung mit Jolante unterbrach und sehr laut bemerkte: »Es ist merkwürdig, daß alle Kinder so viel Freude daran haben, in Gesellschaft möglichst ungebärdig zu sein nnd recht viel Lärm zu machen!« Einen Augenblick lang vergaß Ursula vor Überraschung das Mäulchen zu schließen, dann stellte sie langsam beide Ellenbogen auf den Tisch und stützte das rosige Gesichtchen in die Hände. »Hm, Sie haben mir aus der Seele gesprochen! darüber habe ich heute auch schon nachgedacht, als die ganze Gesellschaft in Wolkwitz ein Mittagsschläfchen halten wollte, und Sie, wie fürs Vaterland, auf dem Klavier herumpaukten! Da seufzte ich auch: Gott erbarme sich über so einen Radau-Fritzen!«

Fräulein von Kuffstein hatte die Lacher auf ihrer Seite, aber sie stellte dennoch die Arbeit mit den Nägeln ein. Dafür aber ersann sie etwas noch viel Perfideres. Der Erbherr von Illfingen schien wirklich sehr nervös zu sein, die Unterhaltung mit Jolante wollte gar nicht recht in Zug kommen, weil der junge Offizier stets mit halbem Ohr und Auge sein Gegenüber beobachtete, und es ihm bis in die Fingerspitzen hinein kribbelte, wenn Fräulein von Kuffstein in haarsträubender Weise eine Ungehörigkeit nach der anderen beging. Er nahm sich vor, gar nicht mehr zu ihr hinüberzusehen, aber wunderbar, wie durch magnetische Gewalten angezogen, kehrte sein Blick immer wieder zu ihr zurück, und so oft er sie ansah, hielt sich das allerliebste Teufelchen das Spitzentuch vor den Mund und – gähnte!

Nichts steckt nervöse Menschen mehr an als Gähnen. Graf Lohe zuckte mit den Nasenflügeln und legte sein Gesicht in die wunderlichsten Falten, aber kaum, daß er seinen Krampf etwas bekämpft hatte, gähnte Ursula wieder, und je mehr der Ulan in zitternde Alteration geriet, desto toller trieb's der kleine Kobold, gebrauchte schließlich nicht einmal mehr das Taschentuch, sondern brachte ihr Gegenüber durch ihre treffliche Mimik geradezu zur Verzweiflung.

Immer zerstreuter und aufgeregter wurde der Graf, und Jolante, in deren Nähe doch bis jetzt noch niemals ein Herr fortdauernd mit der sichtlichsten Langenweile gekämpft hatte, wandte sich etwas pikiert zu ihrem anderseitigen Nachbar und ignorierte Mark-Wolffrath für den Rest des Soupers.

Ursulas Augen aber funkelten vor Triumph und Übermut.

In der kleinen Pause, welche dem Tanz voranging, hatte sich Herr von Flanken an Jolantes Seite gepürscht. Er ließ sich neben ihr in einen Sessel nieder, daß derselbe in allen Fugen ächzte, und streckte die gewaltigen Füße übergeschlagen weit auf das bunte Teppichmuster vor.

»Sie sind natürlich auch zu der Polonaise engagiert, Gnädigste?« fragte er mit einem Stoßseufzer und der tiefdröhnenden Stimme, welche einen so drolligen Kontrast zu dem silberreinen Organ der jungen Dame bildete.

Jolante neigte das Köpfchen etwas schief und zupfte an den blaßroten Rosen ihres Brustbouquets. »Allerdings, von meinem Tischherrn. Warum fragen Sie? Wollen Sie etwa auch tanzen?« und ihr träumerischer Blick schweifte, beredter als Worte, über seine bärenhafte Figur.

Ein amüsiertes Knurren seinerseits: er knäulte nach seiner Manier die Handschuhe zwischen den Händen und blinzelte seine Nachbarin fröhlich an: »Sie meinen, ein eiserner Geldschrank dürfte mit demselben Recht und derselben Grazie über das Parkett schweben wie ich! Ja, sehen Sie, mein gnädiges Fräulein, für gewöhnlich tanze ich auch nicht, weil ich nämlich keine Rundtänze gelernt habe! Mein Vater behauptete, in einem Ballsaal gäb's nichts zu raufen, da paßte ich nicht hin, und wenn ich eine Dame um die Taille fassen wollte, drückte ich ihr höchstens die Rippen ein! Da wurde das Geld für die Ausbildung meiner graziösen Veranlagung gespart, und der einzige Tanz, in welchem ich aktiv auftreten kann, ist die Polonaise! Die exekutiere ich nun aber auch mit Leidenschaft, und denken Sie mal, die soll ich nun gerade schimmeln! Alle Damen, selbst die ältesten im Saal, sind ›in festen Händen‹, und wo ich auch anfrage, überall einen Korb!«

Jolante lächelte und wehte in ihrer lyrischen Weise mit dem Fächer. »Es muß doch schrecklich fatal sein, so riesengroß zu sein!«

»Heutzutage wohl! Die Zeiten haben sich leider Gottes gar zu sehr geändert. Früher wurde der stärkste Mann König, und der Faustschlag des alten Norweger Helge ward als Heldentat bewundert. Heute enden die starken Aujusts meist im Zuchthaus, und das Übermaß der Kraft, welches vor Zeiten des Mannes Glück ausmachte, wird im neunzehnten Jahrhundert meistens sein trauriges Verhängnis! Was soll eine solch altritterliche Germanenfaust –« Flanken hielt mit wehmütigem Gesicht seine gewaltigen Hände hin – »in einem Zeitalter anfangen, wo Gänsekiel, Repetiergewehr und Dreschmaschine regieren, wo eines Herkules Taten nach dem Strafgesetzbuch kritisiert werden! Und seit achtzehn Jahren kein einziges frisches, fröhliches Feldzüglein, wo man wenigstens noch die Hoffnung hat, einmal die Lanze einlegen zu können.«

»Sie scheinen ein furchtbarer Raufbold zu sein! Oh, ich finde alle Soldaten schrecklich, weil sie so hartherzige und rüde Passionen haben!« Sie schüttelte die blonden Locken schaudernd in den Nacken zurück.

Der junge Offizier blickte just mit starrer Bewunderung auf Jolantes Füßchen, welches sich an der Seite seines Stiefels wie ein Goldkäferchen neben einem Elefant ausnahm. »Na, was für Leute haben Sie denn gern?« fragte er gedankenvoll.

Fräulein von Dern-Groppen blickte schwärmerisch in den Kronleuchter empor.

»Künstler! – alle idealen Menschen, und namentlich die Maler!«

Er fuhr mit beiden Händen in sein krauses Haar und riß die Augen weit aus, »Alle neun Donner! Gefällt Ihnen da nur der Samtrock und die Mähne, oder müssen auch die eingerahmten Fettflecken dabei sein?«

Jolante war sehr indigniert, »Aber Herr von Flanken, ich liebe nickt den äußeren Menschen, sondern die Kunst!«

»Was der Tausend!« Einen Moment starrte er geradeaus, dann hob er jählings den Kopf, »Glauben Sie, daß ich das Klexen noch lernte?«

Sie kicherte spöttisch. »Es ist zwar schon einmal aus einem Grobschmied ein Maler geworden, aber – nehmen Sie mir's nicht übel – hahaha! mit den Händen wollten Sie – hahaha!! Das ist ja zum totlachen!«

»Malen Sie selber?« Flanken lachte fröhlich mit.

»Ja wohl, mit Passion sogar!«

»Na, dann will ich Ihnen mal was sagen, Ich mache bei Ihnen in der Residenz Besuch, und dann geben Sie mir Stunde!«

Jolante warf das Köpfchen empört in den Nacken und vergaß für Minuten all ihr Phlegma, »Ihnen? Fällt mir ja gar nicht im Traum ein!«

»Gewiß nicht?«

Sie blickte schnippisch über die Schulter zurück, Graf Lohe stand vor ihr und bot den Arm, die junge Dame in den Tanzsaal zu führen.

»Nein! so gewiß nicht, wie Sie diese Polonaise schimmeln werden!«

»Und wenn ich noch eine Tänzerin finde?«

Jolante wußte, daß dies unter den Damen der Gesellschaft unmöglich war. Sie zuckte voll Ironie die Achseln. »Dann allerdings! Aber sie müssen mir eine Tänzerin vorführen, welche in unseren Kreis hier gehört, keine Kammerjungfer oder Köchin etwa, sondern Vollblut, Herr von Flanken, wohlverstanden? Vollblut!« und die junge Dame lachte abermals leise und spöttisch auf und schwebte wie eine kleine Sylphide am Arm ihres Tänzers davon. Flanken klappte die Sporen zusammen. In der Tür des Tanzsaales stand Lohe still und biß sich momentan wie in herber Verlegenheit auf die Lippe. Dann neigte er sich zu Jolante nieder.

»Mein gnädigstes Fräulein, darf ich eine Beichte ablegen?«

Sie blickte mit ihren großen, feuchtschimmernden Augen erstaunt auf. »Nun?«

»Mir ist ein Malheur passiert, mein Diener hat sehr hastig den Koffer gepackt und vergessen, meine Tanzstiefel zu der Uniform zu legen. Es ist doch direkt unmöglich, daß ich in der Chaussure, welche für die Promenade berechnet ist, tanze, und darum bitte ich allergehorsamst, ob mein Kamerad, Fürst zu Schlüfften-Drasel den Vorzug haben kann, mich bei gnädigem Fräulein zu vertreten?«

Jolante war leicht errötet nnd zog ein recht geziertes Mündchen: »Gewiß, Graf Lohe! Ich begreife Sie vollkommen! Nichts ist schrecklicher in einem Tanzsaal, als ungehörige Fußbekleidung!« Sie nickte ihm mit einem Gesicht zu, welches beinahe so aussah, als wolle sie sagen: »Wie schäme ich mich, daß ich überhaupt mit Ihnen soupiert habe!« und wandte sich zu dem jungen Fürsten, welcher bereits neben sie getreten war und Lohes Kammerdiener voll Humor den entzückendsten aller Staubgeborenen nannte.

Mark-Wolffrath trat stumm zurück. Er war dunkelrot geworden, und obwohl er ja ganz richtig finden mußte, daß Jolante ihn so ohne jeglichen Einwand freigab, verdroß es ihn dennoch gewaltig. Seine Stiefel waren noch sechsmal so elegant wie die der meisten Tänzer; aber es war ihm persönlich unangenehm, auf Sohlen zu tanzen, welche dicker sind wie ein Mohnblatt.

Von Jolante war es jedoch entschieden eine übertriebene Peinlichkeit, wie ihr ganzes Wesen ihm einen unnatürlichen und allzu hyperfeinen Eindruck machte. Mit einer tiefen Falte auf der Stirn zog er sich in eine Ofenecke zurück und wünschte das ganze Manöver ins Pfefferland.

Die Paare ordneten sich, und die volltönende Regimentsmusik setzte mit brillantem Tusch ein, um just in den Tannhäuser-Marsch überzugehen, als ein wunderliches Getöse, Gestampfe und Geschrei auf der Terrasse hörbar wurde. Der Rundgang stockte, und mit lauten Schreckensrufen flüchteten die Damen in wirrer Hast, als die beiden Flügeltüren, welche von der Terrasse in den Saal führten, zurückgestoßen wurden, und ein gar absonderliches Bild sich den entsetzten Herrschaften zeigte.

Herr von Flanken trat rückwärts in den Tanzsaal, noch hünenhafter erscheinend als sonst, hatte mit eisernen Fausten die beiden Vorderbeine seines schweren Rosses gefaßt und nötigte dasselbe, auf die Hinterfüße aufgestellt, in das Gemach zu folgen.

Die Hufe dröhnten auf dem Parkett, laut schnaufend und wild in den Glanz der Lichter blickend, stampfte die Stute hinter ihrem herkulischen Bändiger her, und als sich das erste Angstgewirr und die lauten Rufe und das Gelächter drinnen etwas gelegt hatten, klang Flankens kräftiges Organ durch den Saal.

»Gestatten die Herrschaften, daß ich mich mit meiner Tänzerin der Polonaise anschließe! Stelle dieselbe hiermit vor: Königin Gudrun, echt Vollblut tadellosesten Stammbaums, ganz wie Fräulein Groppen befohlen hatte! In der Not frißt der Teufel Fliegen, meine Herrschaften! Ich habe gewettet, diesen Tanz zu tanzen und fand keine andere Schöne, welche den Reigen mit mir wagen wollte! Musik, Herr Kapellmeister! spielen Sie Ihre Sache ruhig fertig! Ich möchte in keiner Weise stören!« – Während er diese Worte mit seinem gemütlichsten

Schmunzeln gesprochen, hatte der Ulan das kolossale Tier in kleiner Ronde durck den Saal geführt und dirigierte dasselbe nun wieder nach der Tür, von welcher das gesamte Dienstpersonal der Stallungen und des Schlosses zurückstob, »Königin Gudrun findet das Benehmen der Herrschaften recht wenig entgegenkommend,« lachte er, »und hat die Ehre, sich nach einmaliger Solopromenade allseits zu Gnaden zu empfehlen! Feu, Gudrun, feu! immer hübsch graziös über die Schwelle!« und die Hufe klirrten wider auf den Steinplatten der Terrasse, und in haltlosem Jubel stürmte alles an die Fenster, um zuzusehen, wie der moderne Dioskure seine außergewöhnliche Tänzerin die Treppe hinabgeleiten werde.

Jolante war sprachlos, aber in ihren Äugen glühte das Triumphfeuerlein der Eitelkeit auf, und als Flanken nach kleiner Weile zurückkam und wie ein Fels inmitten stürmischer Brandung stand und der jungen Dame mit verschmitztem Augenzwinkern zurief: »Na, wie steht's, gnädiges Fräulein?« – da reichte sie ihm, huldvoll wie ein Prinzeßchen, die Hand und sagte: »Sie sind ein schrecklicher Mensch!«

Der Ulan faßte das Händchen sehr vorsichtig mit zwei Fingern und drückte es nur ein ganz klein wenig, »Ich werde Stilleben malen!« nickte er voll Überzeugung.

An die so seltsam unterbrochene und mit großer Heiterkeit zu Ende geführte Polonaise schlossen sich in bunter Reihenfolge die Rundtänze. Lena hatte beobachtet, daß Fürst Sobolefskoi kränker war, als er eingestehen wollte, daß er in der schwülen Zimmerluft litt und heimlich auf den kleinen Vorbau hinausgetreten war, durch welchen noch eine schmale Nebentreppe von der Westseite in den flügelartig angebauten Saal führte. Sie folgte ihm und rief seinen Namen. Keine Antwort. Die beiden Gartenstühle, welche vor einer Oleander- und Lorbeergruppe standen, waren unbesetzt und sonst kein Mensch zu erblicken.

Aus den weit geöffneten Saalfenstern schallten Musik und Stimmengewirr, über dem mondhellen Garten, mit seinen majestätisch ragenden Bäumen jedoch lag ein tiefer, wonnevoller Frieden, und Lena ließ sich tiefatmend auf einen der Stühle niedersinken und schloß momentan die Augen. Wie wohlig diese weiche, düfteschwere Nachtluft ihre Stirn kühlte! Armer Onkel Daniel! Er hatte gewiß unbemerkt gehen wollen, sein Zimmer zu erreichen, und er schickte in seiner rücksichtsvollen Weise weder nach ihr, noch nach ihrem Vater, um die Freude des Festes nicht durch sein Leiden zu stören. Lena wollte sofort einen Diener als Kundschafter ausschicken, und sie lehnte nur noch für einen Augenblick das Köpfchen zurück, um dem leisen Windesrauschen zuzuhören, welches, wie ein Echo vom fernen Meeresstrand, die Zweige des Bosketts regte. Die Musik im Saal war verstummt, vom offenen Fenster, dicht an ihrer Seite, klang eine Stimme zu ihr heraus.

»Na, Altenburg? Wo alles tanzt, stehen Sie sich allein die Beine in den Leib? Immer tätig, tätig, junger Mann! Ich dächte doch bei Gott, heute abend lohnte es sich, etwas 'ran zu gehn!«

»Es lohnt sich? Das ist wohl Ansichtssache!«

Lena erhob sich unwillkürlich bei dem eigentümlich tiefen, sonoren Wohlklang dieser Stimme. Als sie sich vorneigte, sah sie Altenburgs Silhouette scharf gegen den hellen Hintergrund abgezeichnet. Vor ihm stand ein kleiner, beweglicher Infanterist mit zwei rund abstehenden Haarlöckchen über den Schläfen.

»Na, zum Kuckuck, ahnen Sie denn nicht, was für Goldfischchen heute abend losgelassen sind?«

»O ja. Darum eben schimmele ich so viel. Es sind viele reiche, aber wenig anziehende Damen hier.«

»Was Teufel! Das ist doch vollkommen schnuppe! Wenn der Engel Geld hat, ist er immer hübsch, und wenn das Tausendguldenkraut obendrein auf einem anständigen Stammbaum

wachst, dann muß man in heutiger Zeit, weiß Gott, beide Augen zudrücken! Übrigens ... ich weiß gar nicht, was Sie wollen! Die Ursel Kuffstein ist ein allerliebster, kleiner Käfer und die älteste Groppen geradezu eine Sphinx! Wie oft haben Sie denn mit ihr getanzt?«

Altenburgs Haupt hob sich noch stolzer auf den Schultern: »Noch keinmal. Sie wissen, daß ich mich mit Damen, welche mir unsympathisch sind, weder unterhalte noch mit ihnen tanze.«

»Unsympathisch? – Potz Wetter ... sagen Sie mal, was vorgefallen zwischen Ihnen?!«

»Nicht das mindeste. Fräulein von Groppen hat das widerwärtige Benehmen aller reichen Mädchen, welche aus jedem Wort und Blick eine Gnade machen und es überflüssig finden, ihre goldene Knute selbst mit dem bunten Bündchen der einfachsten Artigkeit zu umwinden. Ich verlange nicht nach den Dukatensäcken dieser Damen und habe Gott sei Lob und Dank einen zu steifen Nacken, um ihn vor der Majestät eines vollen Portemonnaies zu beugen. Wer ist jene Dame, welche neben der jüngeren Groppen dort an der Salontür steht?«

»Keinen Schimmer! ... oder doch ... warten Sie mal, das ist ein Fräulein von Schwanringen ... Vater hat das verschuldete Majorat gleichen Namens, hübsches, gutes Kind ... lacht gern, weil sie weiße Zähne hat! Aber keinen gebogenen Heller, sag ich Ihnen! Lohnt gar nicht das Anfangen! Apropos ... Sie sind ein ganz spaßhafter Mensch, lieber Altenburg, ein Hochmutsteufel, wie er im Buche steht, hahaha! Aber Gott erhalte Sie so; wäre eine verfluchte Konkurrenz mit Ihnen! Servus! will die kleinen Goldkäferchen mal wieder der Reihe durch abtanzen und dann mal an den russischen Onkel 'rangehen ... Kerl soll knotig viel Wolle zu vererben haben, haha, macht einen guten Eindruck, wenn man ihm mal den Buckel klopft! haha!«

Lena stand regungslos. Ihre Hände umkrampften zitternd die Lehne des Stuhls, und ihr Auge haftete starr an dem Schatten Altenburgs, welcher sich langsam von dem Fenster löste. Sie trat schnell vor und sah seiner schlanken Gestalt nach. Mitten durch den Saal schritt er und setzte sich auf den Platz, welchen Jolante soeben verlassen, neben Fräulein von Schwanringen nieder. Der Ausdruck seines Gesichts ist plötzlich vollkommen verändert. Wie schön seine Augen sind, wenn er eine Dame ansieht, welche ihm sympathisch ist, wie lustig er lachen kann, und wie meisterlich er tanzt! Lena blickt ihm nach, bis er seine Tänzerin wieder auf den Platz zurückführt. Jede seiner Bewegungen ist elegant und vornehm, und seine Unterhaltung scheint interessant und geistvoll zu sein, denn Elisabeth Schwanringen ist animierter denn je, und sie gilt für ein wissendes und – in Beziehung auf Konversation – anspruchsvolles Mädchen.

Lena wendet sich plötzlich ab und drückt die verschlungenen Hände gegen die Brust. Ihr Blick schweift zum Himmel empor, und ihre Lippen zittern, dann sinkt ihr Haupt tief auf die Brust, sie schreitet über den Balkon zurück und tritt wieder in den Saal.

Hinter den Oleanderbüschen aber klingts wie ein Aufstöhnen unaussprechlicher Qual. Daniel Sobolefskoi ist neben seinem verborgenen Sessel auf die Knie gesunken und preßt das Antlitz in die bebenden Hände.

Am Himmel über ihm stehen die Sterne und blicken auf ihn herab, wie Augen, in welchen Tränen glänzen, und der Nachtwind kommt und streift wie eine kühle, tröstende Geisterhand seine Stirn.

»Sei getrost, mein armer Schmerzensreich ...« Da richtet sich der mißgestaltete Mann empor und lächelt mit bleichen Lippen.

Er weiß es, in diesem Augenblick muß seiner Mutter Geist ihm nahe sein.


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