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X.

 

Vor dem Schloßportal von Groß- Wolkwitz hielten die verschiedenen Equipagen, welche die Gutsherrschaft und die Offiziere der Einquartierung nach Alt-Dobern bringen sollten.

Herr von Kuffstein bestieg mit seiner Tochter das zweisitzige Coupé, die zwei Rittmeister und der Adjutant folgten in offenem Landauer; zuletzt fuhr Graf Lohe in eigener Equipage. Flanken bestand darauf, zu reiten. Ursula beobachtete es mit spöttisch zuckenden Lippen, wie der große Koffer aufgeladen wurde, wie die vier dienstbaren Geister, respektvoll, wie vor einem Prinzen Spalier bildeten und sich überstürzten, den Wagenschlag hinter ihrem Gebieter zu schließen.

Frau von Kuffstein stand mit dem Regiments-Kommandeur und den beiden Erzieherinnen auf der Terrasse und winkte den Abfahrenden freundlichen Gruß nach, und der »Herr Doktorjo« saß auf der obersten Stufe der Freitreppe und ließ das für gewöhnlich sehr wohlwollend nach aufwärts geringelte Schwänzchen melancholisch niederhängen. Er war ersichtlich beleidigt, daß er nirgends einen Platz im Wagen angeboten bekam und glotzte so verächtlich, wie es seiner Mopsphysiognomie nur möglich war, den abrollenden Wagen nach. Seine pessimistischen Ansichten über Welt und Leben konnten sich bei derartigen Erfahrungen nicht bessern. Er seufzte tief auf, erhob sich gähnend und watschelte zu dem Schinkenbrötchen, welches er zuvor aus der Hand seines Herrn naserümpfend verschmäht hatte. Jetzt leckte er wenigstens die Butter ab und half dem Schinken über, denn – so philosophierte er – Liebe und Treue sind Wetterfähnlein im Wirbelwind der Laune, aber eine gute Assiette hält Leib und Seele zusammen, und »sich sattfressen« ist die einzige Taktik, des Daseins ganzen Jammer erfolgreich zu bekämpfen.

 

Die letzten rotgoldenen Strahlen der Abendsonne fielen durch die hohen Spiegelscheiben, als Lena Dern von Groppen die Wetterrouleaux mit weißen Händen emporwand.

Wie von einem Heiligenschein umflossen, stand die schlanke Mädchengestalt; Kletterrosen und Glyzinen, welche sich an der ganzen Südseite des Alt-Doberner Herrenhauses emporrankten, schlangen sich zu düfteschwerem Rahmen um das reizende Bild, an welchem der Blick des Fürsten Daniel Sobolefskoi in starrem, träumerischem Schauen hing.

Lena blieb einen Augenblick au dem Fenster stehen, öffnete es und schaute in die Pracht der Gotteswelt hinaus, welche ein selten schöner Spätsommer mit üppigsten Farben gemalt. Blüten, wohin das Auge sah, sich wie ein köstlich gestickter Mantel über Mauer und Säulen werfend, sich als Teppich unter hochstämmigem Rosenflor, unter tropfenden Fuchsiazweigen und dicktuffigen Petunias ausbreitend, gleich Feuerströmen aus hohen Steinvasen niederstürzend und sich in ungezählten Zweigen durch den grünen Laubkranz des Parkes windend. Das Abendrot wirft seine lohenden Garben über den Himmel, und die Vöglein steigen jauchzend empor, ihre Schwingen hineinzutauchen; Schmetterlinge segeln wie bunte Glücksschiffchen durch die warme Luft, und die Schwäne liegen in wohligem Ausruhen regungslos auf dem Wasser, ihr Bild zwischen den Schilflilien zu spiegeln. Lenas hellblondes Haar ist goldig durchleuchtet und erscheint Daniel Sobolefskoi genau in der Farbe, wie die wallenden Locken seiner Mutter. Ihr Köpfchen zeichnet sich scharf gegen den Himmel ab, und die graziöse Gestalt ist weiß gekleidet, wie die auf dem Bild Eglantinas.

Daniel preßte beide Hände gegen die kranke Brust, deren altes Leiden ihn soeben wieder ganz plötzlich heimgesucht hat; er atmet schwer und tief auf, läßt das Haupt, dessen Haar bereits vom silbernen Schimmer überhaucht ist, kraftlos in die weichen Polster des Sessels zurücksinken und starrt unverwandt auf das lichte Bild im Fensterrahmen. Wie im Schattentanz ziehen die einzelnen Jahre an seinem geistigen Auge vorüber.

Er gedenkt der Stunde, da er zum erstenmal, ein kaum verstandener

und fremder Eindringling, über die Schwelle des Dernschen Hauses geschritten.

Freudentränen in den Augen, hat sich die Gemahlin seines Freundes an des Gatten Brust geworfen, für niemand anders Sinn und Gedanken, als für ihn, den einzig Geliebten, welchen Gottes Gnade in diesem Augenblick ihr neu geschenkt hat. Zage Schrittchen aber haben sich dem abseits stehenden Fremdling genähert, zwei dunkle Augen haben voll Engelsgüte zu ihm aufgelächelt, und eine rosige Kinderhand hat den Blütenstrauß dargereicht mit dem wundertrauten Gruß: »Sei herzlich bei uns willkommen, lieber Onkel Daniel!«

Da ist's dem armen, mißgestalteten Manne wie ein Zittern und Beben durch alle Glieder gegangen, er hat die Hand auf das blonde Lockenköpfchen des Kindes gelegt, und durch seine Seele zog es wie ein Dankgebet: O Mutter!

In dem Blumenstrauß jedoch prangte inmitten ein vergoldetes, vierblättriges Kleeblatt, welches Lena im verflossenen Herbst am Geburtstag des Vaters gefunden hatte. Frau von Dern-Groppen hatte es als verheißungsvolles Glückszeichen aufbewahrt, und ihr Töchterchen hat es nun zum Dank demjenigen dargereicht, welcher als Schutzengel über dem teuersten Leben gewacht hatte.

Daniel aber kam eine jähe, plötzliche Erinnerung. Auf dem Gemälde in dem Sterbezimmer zu Miskow hatte auch die Hand seiner Mutter dieses seltsame Symbol des Glücks gehalten. Wie ein köstliches Kleinod hütete Fürst Sobolefskoi diese erste Liebesgabe aus Lenas Hand.

Und die Zeit zog dahin, wolkenlos und glückselig, wie nie zuvor im Leben des vereinsamten Mannes. Mit herzlicher Liebe hing Lena an dem Russen, keinen besseren Spielkameraden gab's für sie, keinen treueren Gefährten bei gemeinsamer Arbeit, denn ihn. Unermüdlich im Geschichtenerzählen, verzichtete Daniel auf jegliche Geselligkeit, um abends bei den Kindern zu sitzen und mit seiner weichen Stimme ihnen das geheimnisvolle Zauberreich des Märchens zu erschließen. Zumeist ersann er seine Erzählungen selbst, und Lena saß mit gefalteten Händchen und blickte zu ihm auf, wie er mit seinen großen, leuchtenden Augen in das Kaminfeuer schaute, als lese er die phantastischen, glückseligen Wundergeschichten darin ab, in welchen die himmlische Fee stets zur rechten Zeit erschien, um einen häßlichen Bär oder Zwerg in den schönsten Königssohn zu verwandeln. Und als Zeiten voll Not und Sorge kamen, als Lena von ernster Krankheit heimgesucht wurde, da saß Sobolefskoi Tag und Nacht an dem Bettchen, jeden Atemzug des Lieblings voll zitternder Herzensangst zu bewachen. Solche Treue knüpfte auch das Band der innigsten Freundschaft zwischen den Eltern der Kleinen und ihm stets fester, und bald deuchte es allen im Hause, als habe Fürst Sobolefskoi nie gefehlt, als gehöre er, gleich einem leiblichen Anverwandten, für jetzt und immerdar zu der Familie des deutschen Offiziers.

Zur Zeit, da Daniel zum erstenmal des Rittmeisters Hand umschlossen, lagen dessen Verhältnisse nicht allzu glänzend. Er war der drittgeborene Sohn einer reich begüterten Familie, deren bedeutender Landbesitz laut väterlichem Testament als Majorat stets an den ältesten Sohn fallen sollte. Derselbe war verheiratet und bereits Vater von drei prächtigen, lebensfrohen Buben, ebenso war der zweite Träger des Dern-Groppenschen Namens mit einem Knaben gesegnet, und dadurch war für den Rittmeister jegliche Aussicht auf den großen Besitz so gut wie ausgeschlossen. Seine Gemahlin, eine geborene Gräfin Sasseburg, Schwester der Frau von Kuffstein und Baronin Büttingen, war wohl vermögend, aber nicht reich genug, um ein völlig sorgenfreies Leben führen zu können. Es hieß an allen Ecken und Enden sparen und sich nach der Decke strecken, was dem eleganten und etwas leichtlebig beanlagten Rittmeister anfänglich herzlich sauer gefallen war. Als Fürst Sobolefskoi jedoch in seiner taktvollen Weise begann, die Goldströme seines Reichtums unter das Dach seines Freundes zu leiten, da zeigte Herr von Dern eine fast schroffe Festigkeit, welche jegliche Unterstützung seitens des Russen ein für allemal ausschlug. »Wenn du in meiner Familie leben willst, lieber Daniel, mußt du wohl oder übel alles so mit in den Kauf nehmen, wie es einmal ist!« hatte er sehr energisch geäußert. »Es widerstrebt mir, aus unserer Freundschaft irgendwelchen, und sei es auch nur den kleinsten Nutzen zu ziehen, und außerdem wirst du einsehen, daß es gewissenlos von uns Eltern wäre, die Kinder in einem Luxus zu erziehen, welcher nur von dem Schicksal erborgt ist!«

Daniel fügte sich mit einem geheimnisvollen Lächeln und schrieb sein Testament.

Jahre danach, als Frau von Dern-Groppen unter den ersten Keimen ihres später unheilbaren Leidens zu kränkeln begann, fügte sich ihr Gatte der Notwendigkeit und gab Daniels flehenden Bitten nach, die leidende in heilsame Bäder bringen zu dürfen, Sommer für Sommer, in der letzten Zeit sogar noch einen Teil des Winters, reiste Sobolefskoi mit der Familie seines Freundes: voll aufopfernder Güte und Sorge, waltend, schirmend und helfend als Arzt und Bruder, stand er der Kranken zur Seite, und wenn Herr von Dern seine Hände mit krampfhaftem Druck umspannte und ausrief: »Wie soll ich jemals meine Schuld gegen dich abtragen?« dann ging es wohl wie ein Aufschrei der Sehnsucht durch das Herz des liebearmen Mannes, »gib mir das, was kein Kaiser der Welt zu geben vermag, den höchsten Lohn, welcher je verliehen, gib mir Lena!« aber er strich mit leisem Aufseufzen über die Stirn und entgegnete: »Nie kann armselig Geld das Glück aufwiegen, welches ich in deinem Hause gefunden? All mein Hab und Gut gehört dir, und doch bin ich dein Schuldner.« Lena wuchs empor, und in Daniels Augen war sie das lieblichste und holdseligste Wesen der Welt. Jolante, die blauäugige Blondine mit dem weichen, schwärmerischen Charakter, zeichnete er durch dieselben liebenswürdigen

Aufmerksamkeiten, Geschenke und kleinen Überraschungen aus, wie die Schwester; er tat beiden Mädchen alles zu Gefallen, was er irgend erlauschen und erforschen konnte, und für das Auge des harmlosen Beobachters war es unmöglich zu entdecken, welches Bild tiefer in sein Herz geschlossen war. Wer achtete auch darauf, ob das Auge des verwachsenen, kleinen Mannes wie verklärt aufleuchtete, wenn sein Blick auf Lena weilte, wer sah es, wenn er eine Blüte, die ihre Hand gehalten, aufbewahrte wie ein Heiligtum?

Oft hatte er die gemalten Augen seiner Mutter mit denen des jungen Mädchens verglichen, und er starrte die wundersame Ähnlichkeit an, wie ein Rätsel, welches nicht zu lösen ist.

Die harmlos glücklichen Jahre, da Lena zärtlich seine Wangen streichelte und keine Menschenseele ihm seine unschuldige Freude streitig machte, zogen schnell dahin, und aufs neue kam das Schicksal und schlug seine Kralle in das Herz des so schwer Geprüften.

Lenas jungerblühte Schönheit blieb nicht unbemerkt, und wie die Schmetterlinge dem Rosenknöspchen schmeicheln, so huldigten die jungen Kameraden Dern-Groppens dem anmutigen Töchterchen ihres Oberstleutnants.

Qualen der Verzweiflung erduldete Daniel Sobolefskoi. Sein Herz schrie auf gegen die Härte und Ungerechtigkeit Gottes, welche ihn schuldlos in den Staub getreten, ein elender Krüppel zu sein, er ballte die Hände gegen sein Schicksal und brach demütig zusammen unter den Schmerzen, mit welchen seine kranke Brust heftiger denn jemals ringen mußte. Soeben hatte der Dämon in ihm noch gejauchzt: »Lena ist ja arm, und die modernen Freier brauchen eine reiche Mitgift notwendiger denn ein holdselig Leib! Wer kann sie dir rauben? Kann sie nicht mein eigen sein, soll auch nie ein anderer sie besitzen!« Und nun, da Lena die kleine Hand auf seine Stirn legt und sich voll Weh und Sorge über ihn neigt: »Geht es dir besser, lieber, armer Onkel Daniel? Was um alles in der Welt hat diesen neuen Anfall verursacht!?« da zittert es feucht in seinen Wimpern, und er faltet die Hände in heiligem Gelöbnis: »Gott soll mich verdammen, wenn ich in verächtlicher Selbstsucht meines Lieblings Glück zersplittern ließe! Ich danke dir, mein Herr und Gott, daß du mich reich gemacht hast, ihr zu helfen!«

Nein, Daniel Sobolefskoi begehrt Lena nicht zu eigen, aber er zittert vor der Stunde, welche ihm sein Liebstes nehmen wird.

Wundersam! Hat es Gottes Barmherzigkeit gefügt, ihr junges Herz gegen die Allgewalt der Liebe zu feien? Kühl und stolz geht Lena ihren Weg, und die Hände, welche sich begehrend nach ihr ausstrecken, weist sie mild, aber energisch zurück: »Ich liebe ihn nicht, und wie kann ich ohne Liebe heiraten?!«

In solcher Stunde möchte Daniels Herz zerspringen vor Wonne und Glückseligkeit; aber andere kommen, und die Qual beginnt von neuem, und es sind lange Monate und Jahre, welche ihn auf die Folter spannen.

Daniel hat vergeblich im Verein mit den besten Ärzten alle Kunst aufgeboten: Frau von Dern-Groppen ist endlich von ihren Leiden erlöst, und Lena hat das Köpfchen an die Schulter des treuen Freundes gelehnt und bitterlich geweint. Die Einsamkeit der tiefen Trauer hat die Hinterbliebenen einander noch näher geführt, und es deucht Daniel, als habe sich der düstere Krepp wie ein linder Balsam auf sein Herz gesenkt, es für Monate wenigstens in ungetrübtem Frieden genesen zu lassen. Und abermals fällt ein neuer Tropfen Wermut in den Leidensbecher des Schmerzensreich. Eine wunderbare Fügung des Schicksals hat den Vater der beiden jungen Mädchen dennoch zum Besitzer der bedeutenden Dernschen Güter gemacht. Jäh auftretende Krankheiten, ein Pistolenduell und ein Sturz mit dem Pferd haben den blühenden Mannesstamm der Familie wie Blitze aus heiterem Himmel zu Boden geschmettert. Von allen, welche nach menschlichem Ermessen berufen schienen, dereinst das Erbe anzutreten, war keiner geblieben außer dem nunmehrigen Oberst, über welchen sich ein Füllhorn reichsten Segens schier märchenhaft ergoß.

Da Herr von Dern-Groppen nur zwei Töchter besaß, sich nicht noch einmal verheiraten wollte und auch die Güter nicht persönlich bewirtschaften konnte, verkaufte er allen Nebenbesitz bis auf das alte Stammgut und war ein reicher Mann geworden, welcher von dem jähen Umschwung des Schicksals wie geblendet und betäubt erschien. Die Gnade seines Kaisers hatte ihn, das Glück des passionierten und vortrefflichen Offiziers vollkommen machend, als General in die Residenz eines deutschen Staates berufen, und Daniel drückte ihm mit herzlichem Glückwunsch die Hand, aber in seinem Blick lag ein stummes Weh, und sein Haupt sank so tief auf die Brust, wie das eines Dulders, wenn er sich resigniert der Last seines Elends beugt.

Welch ein wunderliches Gemisch der stolzen Freude und verzehrenden Angst, wenn Lena, umschwärmt von Verehrern und Freiern, vor seinen Augen ihre Triumphe feierte! Aber seltsam – abermals schien sich das Schicksal des gequälten Mannes und seiner leidenschaftlich tiefen, edlen und selbstlosen Liebe zu erbarmen. War Lena früher gegen die huldigenden Herren schon abweisend gewesen, so war sie es nun erst recht.

»Ach, Onkel Daniel!« hatte sie einst voll stolzer Heftigkeit ausgerufen: »Wie verächtlich sind mir all diese ritterlichen Nacken, welche sich von dem elendesten Dukatensäckel wie die Sklaven knechten lassen, wie unwürdig erscheinen mir solche Götzendiener, die lediglich vor dem goldenen Kalb im Staube liegen, und wie unglückselig sind wir armen, reichen Mädchen daran, die als Mittel zum Zweck mit Liebesschwüren belogen und betrogen werden!«

»Du bist ungerecht, liebe Lena! Ist dir nicht die Liebe in reichem Maße dargebracht, als die Welt dich noch für arm hielt?«

Ihr dunkles Auge sprühte auf, sie biß die Zähne zusammen und legte die Hand auf seine Schulter.

»Onkel Daniel ... glaubst du tatsächlich, daß sie das jemals getan? Man war überzeugt davon, daß der reichste Fürst des Russenreiches die Lebenswege seiner beiden einzigen Anverwandten überhoch mit Gold pflastern werde, sobald sich Gelegenheit geboten, eine Hochzeit auszurüsten! Sehe ich die große Komödie des ›sich Findens und Bindens‹ nicht täglich mit eigenen Augen an? Muß sie mir nicht zum Ekel werden?« Lena schüttelte mit bitterem Lächeln das Haupt: »Möge Gott mich bewahren, daß ich jemals in dem Rechenexempel eines Heiratskandidaten die unwürdige Rolle des Kapitals spielen muß!«

Und Lena hatte Wort gehalten. Siebenundzwanzig Jahre war sie alt geworden, ohne daß ihr Herz den herben Ansichten ihres Verstandes widersprochen hätte. Schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, sich aufreibend in der Qual seiner trostlosen, tiefverborgenen Liebe, beobachtete Sobolefskoi diese Unnatur. Kein Frauenherz ist gefeit gegen das süße Gift, in welches Amor seine goldenen Pfeilspitzen getaucht, und darum muß jene Stunde noch kommen, welche das Tränenkrüglein des Schmerzensreich bis zum Rand füllen wird.

Daniel aber schauderte vor ihr wie ein Gerichteter, welcher den Todesstreich erwartet. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust, und Lena wandte sich von dem Fenster zurück und trat zu dem Sessel des Kranken.

»Nicht wahr, nun wird dir besser, du armer Onkel Daniel?« fragte sie, zärtlich das Haar aus seiner Stirn streichend. »In der dumpfen Kellerluft mußte ja ein Gesunder Atemnot bekommen,

und wenn es so schön in Gottes Welt ist, darf man sich nicht hinter enge Mauern verstecken! Komm, ich führe dich an das Fenster, und dann hole ich mir den kleinen Stuhl aus dem Kamineckchen und erzähle dir, was alles in der Zeitung gestanden hat!«

»Mußt du nicht Toilette machen, mein Liebling? Es sind schon so viele Wagen in den Schloßhof gefahren, lauter schmucke Tänzer, die du nicht warten lassen darfst!«

Sie war neben dem Sessel niedergekniet und blickte erstaunt zu ihm auf; die Sonne warf einen zitternden Strahl über die schlanke Gestalt und tauchte das zarte Gesichtchen in rosiges Licht. »Ich bleibe bei dir, Onkel Daniel! Ich werde doch nicht wildfremden Menschen die Zeit vertreiben helfen, wenn du hier oben krank bist.«

Die Hand, welche sich auf ihr Haupt legte, zitterte, und die Stimme Sobolefskois klang fast erschrocken. »Um keinen Preis der Welt! Ich fühle mich wieder völlig gesund und werde nach dem Souper dem Tanz zusehen! Ich muß doch ein wenig beobachten –«, Daniel zögerte, und ein rührendes Lächeln huschte um seine Lippen, »ob nicht heut so ein kleiner, geflügelter Götterknabe durch den Saal schwirrt, wenn meine marmorkühle Lena mit einem flotten Garde-Ulan Walzer tanzt!«

Das junge Mädchen lachte leise auf. »Armer Onkel du! Auf solch ein Attentat hoffst du nun schon seit zehn Jahren, und die böseste aller Nichten zieht eigensinnig – oder sagen wir – charaktervoll durch jeden schönen Heiratsplan einen dicken Strich! Willst du undankbarer Mensch mich denn absolut los sein, daß du es gar nicht erwarten kannst, bis mich irgendein fremder Mann, dessen Schulden bezahlt werden müssen, erhandelt hat?«

Der Fürst rang sekundenlang nach Atem, und die dunklen Augenwimpern sanken schwer hernieder. »O nein, Lena,« sagte er leise, »ich möchte wohl, daß es immer so bliebe wie jetzt, ich bin sehr egoistisch, und der Gedanke, dich oder Jolante scheiden zu sehen, hat viel Schmerzliches für mich!«

Sie streichelte seine Hand. »Ich bleibe immer bei dir, Onkel Daniel, verlaß dich darauf. Wer sollte dir die Zeitung vorlesen, wer Arznei geben, wer mit dir schelten, wenn du ungehorsam warst, wie ich? Der Kleinen wollen wir tüchtig poltern und ihr den Pantoffel nachwerfen, daß der Staub fliegt, und dann gibt's Ruhe im Haus! Papa und du und ich ziehen uns wie die Maulwürfe in unser Häuschen zurück und lachen über die törichten Menschen, die da draußen hasten, rennen und jagen und doch nicht den Frieden finden!«

»Welch ein schöner Gedanke!« Daniels Antlitz leuchtete wie verklärt: »Er erinnert mich an die Märchen, welche ich euch früher erzählte, die waren auch an verheißungsvollem Glück reich und blieben dennoch Märchen und wurden niemals wahr!«

Vor der Tür klang lautes Lachen und eiliger Schritt. Dann klopfte es sehr kräftig an, und ohne Antwort abzuwarten, flog der Türflügel zurück.

Wie ein Wirbelwind stürmten Jolante und Ursula, beide festlich gekleidet und mit Blüten geschmückt in den Salon, bei näherem Blick jedoch erkannte man, daß das schwärmerisch zarte Fräulein von Groppen willenlos von den kräftigen Armen der Cousine dirigiert wurde. Aber sie schien es sich diesmal nicht ungern gefallen zu lassen, denn auch ihr Gesichtchen war von Gelächter und Amüsement höher gefärbt denn sonst.

»Guten Tag, Fürst Sobolefskoi! Wenn der Berg nicht zu mir kommt, gehe ich zum Berg! sagt Mohammed! Wo stecken Sie denn? Hm?« und Ursula patschte dem Genannten vergnügt auf die Schulter und schüttelte ihn ein wenig, »steigen Sie mal flink in Ihren Bratenrock und kommen Sie! Es ist ja zum Überschlagen da unten! Was, Jolante? Wie eben die beiden Siamesischen ankamen?! ... Hahaha!«

Daniel hatte mit freundlichem Gegengruß die Hand der jungen Dame an die Lippen gezogen. Er richtete sich sichtlich erheitert in dem Sessel auf und faßte die farbigen Astern, welche ihm Jolante in den Schoß gestreut, zusammen.

»Siamesen sind gekommen, mein gnädiges Fräulein?« fragte er lächelnd.

»Na, meinetwegen können's auch geborene Kümmeltürken sein, wir nannten die beiden Kerle bloß so, weil sie wie die Zwillinge auf ihrer Hunke-Punke hingen ...«

»Erzähl' doch ordentlich!« unterbrach Jolante voll Ungeduld.

»Was ist da noch Ordentliches zu erzählen! Die Geschichte war eben ganz verdreht! Denken Sie mal, Onkel Daniel, wie wir eben auf der Veranda stehen und den Einzug der Kinder Israels –«

»Die Offiziere der umliegenden Dörfer meint sie –«

»Halt den Schnabel! – mit ansehen, da kommt plötzlich ein Huckepack an, der alles Dagewesene übertraf! Zwei Infanteristen, die in Dassewinkel liegen, hatten in dem ollen Sandnest keine Karre mehr auftreiben können, und auf dem Leiterwagen, welcher die anderen beförderte, hatten sie keinen Platz mehr gehabt. Also, was tun die beiden Kerle – nehmen sich die einzige Schindmähre, die für gewöhnlich in der Milchdroschke geht, und setzen sich, wie die Haimonskinder, alle zwei beide unverzagt in den Senkbuckel rein! Und nun reiten sie unter brüllendem Gelächter hier an! Der eine, mit einem Stock über der Schulter, an welchem sich zwei Paar Lackstiefel schwingen, und der andere mit dem Tornister auf dem Rücken, wo die Bartwichse, das Parfüm, reine Schnupftücher und die Zahnbürste drinnstecken! Rechts und links aber von dem Unglücksvieh seinen Vorderschinken baumelt eine Helmschachtel, welche zu dem Zuckelträppchen wehmütig den Takt schlägt! Na, daß dieses Trio überhaupt hier angelangt ist, gehört zu den sieben Weltwundern! Kommen Sie mal mit in den Stall und sehen Sie sich spaßeshalber die Rosinante an, dann glauben Sie auch, daß die mit Heringsgräten großgefüttert ist!!«

Ursula hatte sich auf eine Tischkante geschwungen und ungeniert von dem Obst, welches zur Erfrischung des leidenden Fürsten heraufgeschickt war, zugelangt.

»Nun, und wer waren diese beiden Ritter sonder Furcht und Tadel?« lächelte Lena.

»Na, ich sag's ja, zwei von der Infanterie! Einer sieht so rund und rosig aus, wie ein Champignon und der andere hat X-Beine! Was Rares ist's nicht, stehen schon viel hübschere auf der Musterkarte, hm, Jolante? Der eine mit dem interessanten Schnurrwichs, den ich das Eisbein nannte!«

»Eisbein?!«

Fräulein von Kuffstein hatte so viele Stachelbeeren auf einmal in den Mund gesteckt, daß sie erst ein Weilchen mit aufgeblasenen Backen kauen mußte. »Er tat so kühl zu uns; – darum. Na, ich bin überhaupt gespannt, wie sich alle Courmachereien entwickeln werden, kann's mir schon so ziemlich denken ...«

»So? Da sind wir doch begierig! Bitte, mein gnädiges Fräulein, beehren Sie uns mit Ihren Konfidenzen!«

»Jolante und unser Affe ...«

»Aber Ursula!«

»Schrei doch nicht eher, als bis du weißt, wer der Affe ist! Ein riesig hübscher Bengel nämlich, der Graf Lohe, Renommier- Aushilfsleutnant bei den Garde-Ulanen! Aber ich sage euch – so pikfein! und so geziert! und so furchtbar elegant, daß einem ganz angst wird! Gerade so lyrisch angehaucht und sentimental wie Jolante! Ich höre schon, wie die beiden in schwärmerischen Zitaten manschen werden!«

Jolante lehnte mit ganz süperbem Augenaufschlag das Köpfchen gegen die Sessellehne zurück. »Auf alle Fälle sind mir solche Gefühlsmenschen tausendmal lieber, als die rüden Ringkämpfer-Aspiranten, welche sich wie die Bauernburschen auf dem Parkett herumflegeln!«

Ursula lachte schallend auf, aber doch blitzte es in ihren Augen wie eine eifersüchtige Drohung. »Da haben wir's ja! Das Pärchen ist fertig! Armer Flanken, für dich sieht's sehr faul aus!!«

»Wer ist Flanken?« hauchte Jolante phlegmatisch.

»Der Riese, dessen kolossales Schlachtroß dir so sehr imponierte! Aber ein Krafthuberl ist der Kerl! ... Alle neun Donner! Neben dem sieht jede Dame aus wie ein Däumlingchen!«

»Haben Sie den vielleicht für Lena bestimmt, mein gnädiges Fräulein?«

Ursula schnitt mit schiefgeneigtem Köpfchen eine Grimasse, »Nee, der ist zu dumm für die geistreiche Dame da! Auch viel zu lustig und lebenswarm, um es lange in der Nähe solcher Gletscherjungfrau aushalten zu können! Nein, für Lena wüßte ich eigentlich niemand, oder halt, doch! Hurra, ich hab's! Lena kriegt das Eisbein! Den schönen, interessanten Leutnant von der Infanterie, der uns so stolz von obenherab musterte und Gretels Gouvernante und der Gesellschafterin gerade solchen Diener machte, wie uns!«

»Ei, ei! Schön und interessant!« lächelte Fürst Sobolefskoi mit nervös zitternden Nasenflügeln: »Und wie heißt dieser Herrlichste von allen, wenn man fragen darf?«

Fräulein von Kuffstein setzte sich in Positur und persiflierte des jungen Offiziers vornehme gemessene Art und Weise, sich vorzustellen: »Freiherr von Altenburg! Frau Baronin hatten die freundliche Gnade, zu gestatten –« und Ursula klappte die Hacken zusammen und blinzelte schelmisch zu Lena hinüber.

Diese schüttelte mit ihrem ernsten Gesicht den Kopf. »Kleines Närrchen! Es scheint mir, Herr von Altenburg hat bereits prima vista eine Eroberung gemacht, welche an Stürmischkeit den alten Brandenburgern nicht nachsteht! Ich werde den Spieß umkehren und heute abend beobachten, wie schnell das Eis vor Fräulein Ursulas Flanmmenäuglein schmelzen wird! Und nun geht schnell wieder hinunter, ehe Tante Büttingen euch vermißt; sowie sich Onkel Daniel wieder ganz wohl fühlt, folgen wir nach!«

Fürst Sobolefskoi erhob sich. »Ich werde mir sogleich, auf Befehl der kleinen Gnädigen hier, den ›Bratenrock‹ anlegen lassen, und bitte dich, Lena, die Baronin schleunigst in ihren umfangreichen Verpflichtungen als Wirtin zu unterstützen!«

Ursula hatte Lenas Worte stumm, aber sehr deutlich durch eine »lange Nase« beantwortet, setzt sprang sie eifrig von ihrer Tischkante herunter. »Nicht wahr? Sage ich auch! Die arme Tante muß sich reineweg den Mund fußelig reden! Spute dich, Lena, wirf dich in Wichs und komm!«

»Ich bin angekleidet!«

Sobolefskoi sah fast erschrocken an der schlanken Mädchengestalt empor, deren schlichtes weißes Spitzenkleid durch keine Blüte und keine Pretiosen geschmückt war. Zwischen Lenas dunklen Augenbrauen lag eine feine Falte, und um ihre Lippen schlich sich der herb abweisende Zug, der ihr stets eigen, wenn sie sich unter Menschen begeben mußte.

»Liebe Lena!« bat Daniel leise, »ich würde mich so herzlich freuen, wenn du eine einzige, kleine Blume tragen wolltest, mir zu Gefallen! Ich bitte dich darum!« Sie schaute sinnend auf, dann verklärte plötzlich wieder ihr engelhaft mildes Lächeln das Antlitz, und sie streckte schnell die Hand nach dem Feldblumenstrauß aus, welcher neben dem Sessel des Fürsten gestanden. Sie bog die Rispen und Gräser auseinander und zog ein vierblätteriges Kleeblatt zwischen denselben hervor.

»Das erste, welches ich seit langen Jahren wieder, ohne danach zu suchen, gefunden! Du liebst dieses glückverheißende Kräutlein ebenso sehr wie ich, Onkel Daniel, darum werde ich mich, dir zu Ehren, damit schmücken!«

Sie lächelte ihm zu, und die Hand mit dem Vierblatt sank in die weißen Kleiderfalten nieder. Da war es wunderbar, wie ähnlich sie dem Bild Eglantinas war.

Daniels Herz zuckte auf. Es war ihm plötzlich, als verfinstere es sich in dem Gemach. Er glaubte den Sturm brausen zu hören, welcher in jener Schreckensnacht, in Miskow, mit des Unglücks schwarzen Fittichen dem Schicksal vorausgeflogen war. Flammen hatten die lichte Frauengestalt mit dem Symbol des Glückes in der Hand verzehrt; werden auch heute Flammen entzündet werden, welche ihm abermals sein Liebstes auf der Welt einreißen, welche ihn zusammenbrechen lassen unter der Tränenlast des Elends, bis tief hinab in das kühle Kämmerlein, drauf Klee und Lilien im Morgentau weinen?

Ein herzzerreißendes Lächeln irrt um seine Lippen. »Ein vierblätteriges Kleeblatt! Gebe Gott, mein Liebling, daß es nicht nur das Glück verheißen, sondern bringen möge!«


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