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Krag suchte seinen Begleiter vom Beginne der Jagd nach Barra auf, den Telegrapheningenieur Holst. Dieser hatte ihm auch nichts Neues mitzuteilen. Seit dem viel besprochenen Vorfall mit den Börsentelegrammen waren die Drähte in ausgezeichneter Ordnung gewesen, und Holst meinte, daß Barra jetzt wohl ganz aus dem Spiele war.
»Warten Sie nur,« sagte der Detektiv mit einem ruhigen Lächeln. »Ihr seid auch noch nicht mit ihm fertig!«
»Was meinen Sie?«
»Ich fange an, einen Sinn in dem Ganzen zu ahnen. Er war es auch, der gestern das Licht in der ganzen Stadt gelöscht hat.«
»Ist das möglich?«
»Er arbeitet nach einem bestimmt entworfenen Plane, indem er jetzt seine Kräfte prüft.«
»Welchem Plan?« fragte Holst erstaunt.
»Ach, Sie wissen, im Dunkeln läßt sich Gold gewinnen, wenn man sich selbst mit Licht- und allen Maschinenkräften betätigen kann. Darum darf man diesen Herrn auch keinen Moment aus dem Auge verlieren,« fügte der Detektiv nachdenklich hinzu.
»Sind Sie ihm hier in Christiania schon begegnet?« fragte Holst.
»Ja, aber bisher hat er mich zu vermeiden gewußt. Ich gehe jetzt ins Elektrizitätswerk, vielleicht kann ich ihn dort treffen und die Waffen kennenlernen, die er in Händen hat. Kommen Sie vielleicht mit?«
Der Telegrapheningenieur war sogleich bereit, sich ihm anzuschließen, und dort angekommen, bat Krag um eine Unterredung mit dem Chef des Werkes.
Als dieser kam, fragte Asbjörn Krag, ob er und sein Freund den Dynamoraum sowie den anstoßenden Raum noch einmal sehen könnten.
»Irgendeine Spur?« fragte der Chef.
»Ich kann noch nichts Bestimmtes sagen,« erwiderte der Detektiv. »Aber vielleicht – bald!«
Der Chef führte ihn selbst herum, wobei Krag scharf alle Arbeiter beobachtete, während er so tat, als wenn er sich lebhaft für die Maschinen interessieren würde. Doch fand er offenbar nicht, was er suchte. Er bat nun um die Erlaubnis, in den höchstgespannten Raum zu gehen, wo Unbefugten sonst nie der Zutritt gestattet war. Der Chef willigte ein und kam der Sicherheit halber selbst mit.
Dort drinnen sah Krag mehrere Arbeiter an den Leitungen beschäftigt und unter ihnen – Ingenieur Barra. Es war kein Zweifel möglich: das kleine rotbärtige Männchen, dessen scharfe graue Augen jetzt den seinen mit einem funkelnden Blick begegneten, war der, den er suchte. Jetzt galt es! Jetzt würde er ihm nicht entschlüpfen!
»Wer ist dieser Mann?« fragte der Detektiv.
»Das ist der Monteur der elektrischen Firma, die ich Ihnen gegenüber erwähnte, ein außerordentlich tüchtiger Mann,« fügte der Chef hinzu.
Im selben Augenblick trat Ingenieur Barra einen Schritt vor und begrüßte den Polizisten. Ein Lächeln des Wiedererkennens schien über sein Antlitz zu huschen.
»Nein, sind Sie es?« sagte er. »Das ist doch nett, Sie wiederzusehen.«
Asbjörn Krag stutzte. Was meinte, was wollte er jetzt?
»Soweit mir bekannt ist, haben wir noch nicht miteinander gesprochen,« bemerkte Krag. »Aber ich möchte schon gerne mit Ihnen reden,« fügte er mit einem ironischen Lächeln und einer Verbeugung hinzu.
»Ja gewiß, ja gewiß, mit dem größten Vergnügen,« rief der kleine Ingenieur geschäftig. »Aber kommen Sie nur zuerst her, Herr Polizist, dann will ich Ihnen die Ursache zeigen, nach der Sie jetzt suchen.«
Barra trat rasch an eine der Leitungen und Krag kam unwillkürlich mit. Er bemerkte, daß Barra Gummihandschuhe anhatte, wie alle Arbeiter, wenn sie sich in hochgespannten Räumen bewegen.
Plötzlich dreht Barra sich um und ergreift beide Hände Asbjörn Krags. »Nehmen Sie sich in acht,« ruft er, »kommen Sie nicht zu nahe – an mich heran,« fügte er dann leise zischend hinzu, so daß nur Krag die letzten Worte auffassen konnte.
Im selben Augenblick hatte Asbjörn Krag das Gefühl, als müßte er in tausend Stücke zersplittern. Er stürzte auf dem Boden zusammen und wand sich in den grauenvollsten Schmerzen.
Der Aufseher beugte sich über ihn. »Ungefähr tausend Volt. Ein bedauerlicher Unglücksfall! Aber er lebt doch, Gott sei Dank!«
Holst, der mit hereingekommen war, fixierte Barra scharf. Irrte er sich – oder huschte nicht ein triumphierendes Leuchten über das Antlitz des rotbärtigen Erfinders?
Holst trat knapp auf ihn zu.
»Können Sie das verstehen?« sagte er scharf.
Barra erwiderte nichts, sondern sah ihn nur mit ein Paar Augen an, die nichts Gutes verhießen.
»Sie haben ihn doch zu den Leitungen hingebracht,« fuhr der Telegrapheningenieur fort. Der Betriebsdirektor sah bei diesen Worten aufmerksam den flinken Monteur an – wer war er eigentlich?
»Sie verlieren Ihre Zeit, meine Herren,« sagte der Rotbärtige. Seine Stimme war trocken und kalt.
»Verlieren die Zeit – Sie meinen?«
»So holen Sie doch einen Arzt! Einen Arzt natürlich,« erklärte Barra.
Es geschah. Gleichzeitig kam Asbjörn Krag wieder zu sich, er richtete sich halb auf den Ellbogen auf und versuchte, einige Worte zu stammeln. Seine Augen ruhten unverwandt auf Ingenieur Barra. Holst beugte sich über ihn, um aufzufangen, was er sagen wollte.
»Die Gummihandschuhe,« brachte der Detektiv kaum hörbar heraus, »passen Sie auf die Gummihandschuhe auf!«
»Er meint, daß die Gummihandschuhe die Schuld haben,« rief Holst heftig und deutete auf Barras Hände.
Barra stutzte, warf dem Detektiv einen raschen Blick zu, zuckte dann höhnisch die Achseln, streifte rasch die Handschuhe von den Händen und reichte sie dem Chef des Werks.
»Er phantasiert natürlich,« sagte er. »Bitte, hier sind die Handschuhe.«
Der Chef sah verständnislos vom einen zum andern, aber nahm doch die Handschuhe und untersuchte sie.
»Es ist nichts Besonderes an diesen Handschuhen,« sagte er dann. »Es sind ebensolche, wie wir sie alle tragen, wenn wir in hochgespannten Räumen zu tun haben.«
Als der Arzt kam, war Krag wieder bewußtlos. Nach einer gründlichen Untersuchung erklärte er, daß der Detektiv dieser ernsten Katastrophe mit heiler Haut entgangen sei. Von einer Lebensgefahr konnte nicht mehr die Rede sein, aber immerhin würde es noch einige Zeit dauern, bis er wieder auf den Beinen war.
»Gott sei Dank,« dachte Holst, »dann wird er aber auch den kleinen Schurken dort zu treffen wissen.« Und er warf Barra einen Blick zu, den dieser mit einem spöttischen Lächeln erwiderte. Holst zweifelte nicht mehr an dem Zusammenhang der Dinge und schwor sich selbst zu, alle seine Kräfte dafür einzusetzen, um mit Krag zusammen diesen Schurken zu entlarven.
»Wie lange glauben Sie, daß es dauern wird?« fragte Holst den Arzt.
»Ach – mindestens fünf, sechs Tage, vielleicht länger, das hängt von der Konstitution ab,« erwiderte der Arzt.
»Ich«, begann Barra mit seiner trockenen scharfen Stimme, »habe einen ähnlichen Fall gesehen, da wurde der Mann nie wieder der Alte. Und durch eine zweite Unvorsichtigkeit wurde er getötet – wie vom Blitz erschlagen,« fügte er hinzu und bohrte seine Augen in die Holsts.
»Ja, vor so etwas ist wohl nur der Mann im Monde sicher,« erwiderte Holst, ohne zu blinzeln.
Barra verbeugte sich ironisch, während die anderen verständnislose Gesichter zu der Bemerkung machten.
»Hat man einen Wagen geholt?« fragte der Arzt nun.
»Ja.«
Einige Augenblicke später wurde Krag in den Wagen getragen und nach Hause geführt. Holst kam mit und blieb dann an dem Bett des noch bewußtlosen Kranken sitzen, während der Arzt, nachdem er seine Anordnungen getroffen hatte, ging, um später wiederzukommen.
Nach einigen Stunden qualvollen Wartens sah der Telegrapheningenieur zu seiner Freude, daß Krag die Augen ganz aufschlug. Er versuchte, sich auch im Bett aufzurichten, aber vermochte es nicht. Dann blieb er ruhig liegen und starrte ernst vor sich hin, ganz als sammelte er alle seine Gedanken. Holst unterbrach ihn darum mit Absicht nicht.
»Ich bin zu Hause, wie ich sehe,« begann Krag endlich.
»Ja, und in ausgesprochener Besserung,« stimmte Holst zu.
»Der Stoß war also wirklich nicht tödlich. Das wird er noch bereuen.«
»Wer? Was?« fragte Holst.
»Nur Geduld,« erwiderte Asbjörn Krag mit einem Anflug seines alten verschmitzten Lächelns. »Wie lange muß ich nach Ansicht des Arztes hier liegenbleiben?« Und er sah seinen neuen Freund gespannt an.
»Der Arzt meint, so fünf bis sechs Tage,« erwiderte dieser.
»Wann hat er das gesagt?«
»Als Sie bewußtlos im Elektrizitätswerk lagen.«
»Wer hat es gehört?«
»Wir alle, die wir rings herumstanden.«
»Also der Rotbärtige auch?«
»Ja, der auch.«
»Schien es ihn besonders zu interessieren?«
»Ja,« rief der Telegrapheningenieur eifrig, »das ist mir eben aufgefallen!«
»Fünf bis sechs Tage« – Krag schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nein, das ist zu viel. Ich muß in drei wieder auf den Beinen sein. Oder sagen wir allerhöchstens in vier. Können wir uns auf den Arzt verlassen?«
»Absolut. Ich kenne ihn persönlich.«
»Gut. Hören Sie, Holst, Sie müssen mir einen Gefallen erweisen.«
»Mit tausend Freuden.«
»Es muß das Gerücht verbreitet werden, daß mein hilfloser Zustand mindestens zehn Tage dauern wird. Sorgen Sie nur ja dafür, daß Barra dies erfährt.«
»Es wird geschehen, aber welchen Zweck soll das eigentlich haben?«
»Ich will diesen rotbärtigen Teufel hinters Licht führen. Bisher habe ich ihn unterschätzt, aber jetzt wird er diesen Fehler begehen. Während er mich hier krank und elend glaubt, bin ich in vollster Tätigkeit, ihn zu durchschauen und alle Karten in die Hand zu bekommen.«
»Was führt er denn eigentlich im Schilde, dieser Mann?« rief der Ingenieur.
»Er bereitet irgendeinen furchtbaren Coup vor. Er ahnt mich – ganz wie ich ihn. Darum mußte er mich für einige Tage aus dem Wege schaffen. Und ich Narr ging pardauz in die Falle, die allerdings recht schlau war – dies eine Mal.«
»Fürchten Sie nicht, daß er seinen Coup schon heute oder morgen ausführt?«
»Kaum – er hat offenbar noch nicht alles in Ordnung.«
»Wann erlangen Sie Klarheit über seinen geplanten Coup?«
»Ich habe noch keine Klarheit. Aber mein Spürsinn – meine Ahnung, wenn Sie wollen – für das Richtige hat mich noch nie im Stich gelassen. Und ich sah in seinem absonderlichen Arbeitsraum das, was niemand anderer entdeckte – und bringe es in Zusammenhang mit seiner unerlaubten telegraphischen Tätigkeit.«
Asbjörn Krag schloß nun wieder ermattet die Augen. Der junge Telegrapheningenieur blieb eine Weile stehen und sah ihn an, voll Bewunderung für seine Willenskraft und Energie, die sich sogar in diesem hilflosen Zustand offenbarte. Dann verließ, da er sah, daß der Detektiv wieder schlief, er leise das Zimmer, um seinen Auftrag auszuführen. Vorher trug er der Hauswirtin strenge auf, Krag zu überwachen und niemand anderen als ihn und den Arzt, gleichviel unter welchem Vorwand, zu dem Kranken zu lassen. Bei seinem jetzigen Zustand konnte sein Leben auf dem Spiele stehen. Wenn jemand sich nach seinem Befinden erkundigte, sollte sie sagen, daß Krag mindestens zehn Tage das Bett hüten müsse. Holst machte ihr begreiflich, daß diese Antwort von höchster Wichtigkeit für Krag war, und ging, nachdem er ihr noch eine Telephonnummer gesagt hatte, die sie im Notfall aufrufen konnte, um ihn zu erreichen.
Da die Ordinationsstunde des angesehenen Arztes, den man zu Asbjörn Krag gerufen hatte, schon vorbei war, nahm Holst einen Wagen und suchte den Doktor in seiner Privatwohnung auf. Er schickte seine Karte hinein, auf der er den Anlaß seines ungewöhnlichen Besuches angegeben hatte, und wurde sofort vorgelassen.
»Nun?« fragte der Doktor, nachdem er Holst begrüßt hatte. »Sie haben mir etwas mitzuteilen? Wie steht es mit unserem Patienten?«
»Er ist wieder zu sich gekommen. Aber jetzt schläft er tief.«
»Das ist recht! Hat er etwas Besonderes gesagt – vielleicht phantasiert?«
»Im Gegenteil,« rief Holst. »Ich bin voll Bewunderung für seine phänomenalen Geistesgaben. Er hat hier einen gefährlichen Schurkenstreich durchschaut, wenn nicht noch Schlimmeres.«
»Trotz seinem Zustand?«
»Gerade dadurch – vielleicht.«
»Ja,« sagte der Arzt nachdenklich, »ich habe auch die ganze Zeit den Verdacht gehabt, daß da irgend etwas nicht stimmt. Ein Mann wie Asbjörn Krag ist in einem solchen lebensgefährlichen Raum nicht leicht ohne weiteres so unvorsichtig. Was sagte er selbst darüber?«
Holst überlegte einen Augenblick und sah dann den Arzt mit einem scharfen Blick an.
»Es handelt sich hier um eine sehr ernste Sache, der Krag schon lange auf der Spur ist.«
»Das dachte ich mir.« Und der Arzt blinzelte verständnisvoll.
»Asbjörn Krag hat mir ein Geheimnis anvertraut,« fuhr Holst fort, »ein ernstes Geheimnis.«
»Nun?«
»Und er hat mich gebeten, Ihren Beistand zu erbitten.«
»Er steht Ihnen zu Diensten.«
»Aber bevor ich die Sache näher erkläre, muß ich Ihr Ehrenwort verlangen.«
»Wozu?« unterbrach der Arzt. »Das ist nicht notwendig. Ich verstehe, daß es sich um eine ernste Sache handelt, und auf mich können Sie sich unbedingt verlassen. Außerdem ist es nicht das erstemal, daß Asbjörn Krag und ich uns treffen. Er hat mir einmal einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Erinnern Sie ihn nur an die ›Witwe mit den zwei Kindern‹, dann wird er schon wissen, daß er in mir einen unbedingten Bundesgenossen hat.«
»Schön! Hier handelt es sich also um ein großes, fein ausgesonnenes Verbrechen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Es ist ein Mann, der das gefährlichste Hindernis, Asbjörn Krag, für einige Tage weghaben will.«
»Verstehe.«
»Aber er will kein Mörder sein.«
»Ist auch viel riskanter.«
»Haben Sie den rotbärtigen Mann unten im Elektrizitätswerk gesehen? Den mit den Gummihandschuhen?«
»Ja, der Mann ist mir sogar aufgefallen.«
»Nun, der ist es.«
Der Doktor nickte.
»Infolge Ihres Ausspruchs dort unten«, fuhr Holst fort, »glaubt er und alle, daß Krag infolge des elektrischen Schlages etwa sechs Tage in mehr oder weniger bewußtlosem Zustande daliegen wird.«
»Das finde ich begreiflich, ja.«
»Aber Asbjörn Krag selbst, als er kürzlich wieder zu Bewußtsein kam, meinte, daß er es in drei oder vier Tagen machen würde. Ja, er müßte es und er würde es – durchaus.«
»Hm,« lächelte der Arzt. »Krag hat ja eine ganz einzige Willensstärke und ungewöhnliche Körperkräfte, also wir werden sehen. Wir werden schon sehen.«
»Nun wünscht aber Krag, daß dies nicht bekannt wird. Alle, verstehen Sie, müssen glauben, daß seine Krankheit mindestens zehn Tage anhalten wird.«
»Und Sie wollen also von mir, daß ich das verbreite?« fragte der Arzt.
»Allerdings. Das ist Krags Wunsch. Und einem gegenüber ist es von besonderer Wichtigkeit.«
»Dem rotbärtigen Ingenieur – Barra heißt er, scheint mir?«
»Sie kennen ihn?« fragte Holst verblüfft.
»Er war hier – unmittelbar, bevor Sie kamen. Er wollte sich erkundigen.«
Der Telegrapheningenieur sprang mit einem Ausruf der Enttäuschung auf – »Also doch alles verloren.«
»Durchaus nicht,« erwiderte der Doktor gelassen. »Er hat nichts erfahren.«
»Warum nicht?«
»Weil ich ihn gar nicht empfangen habe,« bemerkte der Arzt mit einem leisen Lächeln. »Mir hat der Mann auf den ersten Blick mißfallen.«
»Aber wie soll er dann die Nachricht von den zehn Tagen erhalten?«
»Ueberlassen Sie das mir,« sagte der Doktor. »Er wird schon wiederkommen, und dann empfange ich ihn bestimmt.«
»Dann bin ich vollständig beruhigt,« sagte Holst und erhob sich, um sich von dem Arzt zu verabschieden. Er wußte jetzt, daß er in ihm einen vortrefflichen Bundesgenossen erworben hatte.
Ein paar Stunden später war Holst wieder in Asbjörn Krags Wohnung. Die Wirtin öffnete ihm und teilte mit, daß Krag wieder schlief. Aber er war lange halbwach gelegen und hatte phantasiert, namentlich von einem Eisenbahnzug.
»Was hat er denn gesagt?« fragte Holst in großer Spannung.
»Unzählige Male hat er einen Namen ausgesprochen, Barra, glaube ich. Dann hat er von einem Eisenbahnzug gesprochen und von Telegrammen, die eingelaufen sein müssen, und von Sendungen von Goldsäcken. Es handelt sich um Menschenleben – Menschenleben, hat er dann mehrere Male gesagt.«
Holst ging in das Krankenzimmer. Krag lag da und schlief. Sein Gesicht war so weiß wie die Kissen, auf denen sein Kopf ruhte. Bei Holsts Eintreten wandte Krag den Kopf und sah zu ihm hin.
»Wie viele Stunden sind vergangen?« fragte er mit schwacher Stimme.
»Acht,« erwiderte Holst.
»Gott sei Dank. Da haben wir noch Zeit.«
»Kann ich vielleicht irgend etwas für Sie tun?« fragte der Ingenieur.
»Ja,« erwiderte der Detektiv etwas lebhaft. »Sie müssen Barra aufsuchen. Sie dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren. Trachten Sie namentlich, zu erfahren, ob er etwas bei der Ostbahn zu tun hat – etwas mit den Eisenbahnzügen.«
»Das werde ich genau besorgen.«
»Wenn ich nur nicht so müde wäre,« seufzte Asbjörn Krag und griff sich fieberisch mit den Händen an die Stirn. »Haben Sie also mit dem Arzt gesprochen?«
»Ja, alles ist in Ordnung. Er ist unser Mann. Er bat mich, Sie zu grüßen und Sie an die ›Witwe mit den zwei Kindern‹ zu erinnern.«
»Ah,« rief Krag mit einem matten Lächeln. »Ja, ja, darum kamen mir seine Gesichtszüge in meiner Betäubung so bekannt vor. Ausgezeichnet! Der steht zuverlässig auf unserer Seite.«
Nach einiger Zeit begann sich der Kranke unruhig im Bette hin und her zu werfen. Er bemühte sich, herauszukommen und richtete sich auch auf den Ellbogen auf. Holst eilte zu ihm hin.
»Was haben Sie denn, lieber Freund?« fragte er. »Regen Sie sich doch nicht auf!«
»Wir sind so wenige, und sie sind so viele« rief Krag. »Der Teufel hat viele Fäden gesponnen – überallhin. Darum muß er bewacht werden. Und das müssen vorläufig Sie tun.«
»Seien Sie ganz beruhigt. Das werde ich.«
Asbjörn Krag wies auf eine Schreibtischlade und bat Holst, sie herauszuziehen und ihm den Revolver zu reichen, der zu oberst darin lag.
»Alle sechs Läufe sind geladen,« sagte er, »und ich fühle mich nicht sicher, wie ich daliege.«
Holst reichte ihm den Revolver, den der Kranke unter sein Kopfkissen schob.
»Ist es notwendig, daß ich Sie verlasse?« fragte Holst.
»Absolut. Sie müssen dem roten Teufel folgen. Hier handelt es sich um große Werte, vielleicht um viele Menschenleben.«
Der Telegrapheningenieur drückte Asbjörn Krag sanft in die Kissen zurück.
»Schlafen Sie jetzt,« sagte er. »Bedenken Sie. Wir müssen Sie bald wieder auf den Beinen haben.«
»Ja,« seufzte Krag. »Ich bin auch so müde! Und vollständig hilflos! Aber meine Zeit kommt schon. Nur Geduld, nur Geduld!«
Und damit schlummerte Asbjörn Krag wieder ein.