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XXVIII.

»Niemand hier!« waren die ersten Worte des Försters. Er schien bereits in diesem ersten Zimmer jemanden erwartet zu haben. Die Tür zum nächsten Zimmer war geschlossen; sie war mitten in der Wand angebracht. Bevor der Förster sich aber näher damit beschäftigte, trat er ans Fenster. Auch das Fenster war geschlossen. Er untersuchte die Riegel, aber sie waren sicher seit langem nicht geöffnet worden, sie waren ganz eingerostet. Der Förster blickte hinaus. Professor Arvidson, der auch ans Fenster getreten war, stand schweigend neben ihm. Der Garten und die Wege waren noch immer menschenleer. Als sie aber ihre Augen anstrengten, konnten sie den Schatten des achtsamen Verwalters gegenüber beim Hofgebäude erkennen.

»Warum gehen wir nicht weiter?« fragte der Professor flüsternd. »Wir sahen ihn doch im Nebenzimmer.«

»Ich will nur sicher sein, daß er uns nicht entgeht,« antwortete der Förster, »durchs Fenster kann er nicht entkommen sein, und hier drinnen ist er auch nicht. Er kann die Zimmer aber nur durch jene Tür dort verlassen.«

»Dann muß er im Nebenzimmer sein.«

»Es ist noch das dritte Zimmer da.«

Im selben Augenblick hörten sie einen Laut hinter der Tür, die die beiden Zimmer verband, einen scharfen, knackenden Laut. Der Schlüssel wurde im Schloß umgedreht. Sie sahen sich überrascht an, und der Förster war sofort bei der Tür. Es war eine Flügeltür. Der Förster probierte den Drücker. Sie hatten richtig gehört. Die Tür war eben abgeschlossen worden!

Der Förster meinte etwas zu hören und hob warnend die Hand, vollkommene Stille heischend, während er die ganze Zeit den Drücker fest in der Hand behielt.

Und jetzt hörten sie beide Schritte im Nebenzimmer, deutliche Schritte auf dem Teppich, keine eilenden und keine schleichenden Schritte, sondern wie von einem Menschen, der sich in vollkommener Ruhe entfernt. Zuerst erklangen die Schritte ganz nah, dann aber wurden sie schwächer und schwächer und verloren sich schließlich ganz.

»Er ist in das dritte Zimmer gegangen,« rief der Förster, »hast du auf die ruhigen, ganz unangefochtenen Schritte geachtet?«

Damit stemmte er seine breite Schulter gegen die Tür, die fast sofort aufsprang, so daß der Staub um sie herumstob.

Jetzt standen sie im mittleren Zimmer, in dessen Fenster sie vor kurzem die graue Gestalt gesehen hatten, die in dem Buch blätterte; sie hatten ihre Schritte soeben gehört, sie war vor einem Augenblick hier gewesen. Jetzt aber war sie nicht mehr da, das Zimmer war menschenleer wie das erste, still und weiß von Licht ...

Die Tür zum dritten dieser geheimnisvollen Zimmer aber stand offen. Professor Arvidson war von der Umgebung so gefesselt worden, daß er unwillkürlich stehenblieb, um sich umzusehen, der Förster aber eilte in das dritte Zimmer. Der Professor bemerkte, daß sein Freund in einer Art Verteidigungsstellung auf der Schwelle stehenblieb, als ob er einen Angriff erwartete. Dann aber ging er ins Zimmer hinein und rief: »Hierher! Verstanden!«

Als Professor Arvidson ihm folgte, sah er ihn mitten im Zimmer auf einem blaugrauen, sehr verbrauchten Teppich stehen. Dieses Zimmer war nicht möbliert, war offenbar nur als Polterkammer oder Packraum benutzt worden. An den Wanden hingen allerdings vereinzelte Bilder, alte Porträts, aber längs der Wände standen viele Bilder mit dem Rücken nach außen. Außerdem waren da einige defekte Prachtmöbel, eine seltsame Sammlung Spiegel in ovalen Rahmen, einige zusammengerollte Teppiche, alles unordentlich, verstaubt, zufällig.

»Wie ungemütlich es hier aussieht,« sagte Arvidson, »wie Aufbruch nach einem Todesfall. Wo aber ist der Mensch?«

»Sonderbar,« meinte der Förster, »er war hier doch, ebenso gewiß wie wir hier stehen. Und jetzt ist er verschwunden.«

Der Professor blickte sich um. Er konnte ein unheimliches Gefühl nicht unterdrücken. Hier standen sie dem ganz Unerklärlichen gegenüber. Aus diesem Zimmer gab es entschieden keinen anderen Ausgang als den, durch den sie soeben gekommen waren und der die beiden Zimmer miteinander verband. Von dem mittleren Zimmer wieder führte eine Tür zum ersten. Eine andere Verbindung mit dem Korridor gab es nicht.

Sie wußten mit Bestimmtheit, daß sich hier drinnen noch ein Mensch aufgehalten hatte, als sie in das erste Zimmer eingedrungen waren. Dieser Mensch konnte die Zimmer unmöglich verlassen, ohne den beiden Freunden entgegenzugehen. Statt dessen hatten seine Schritte verraten, daß er sich mit großer Ruhe von ihnen entfernte. Und jetzt war er verschwunden. Nichts in diesem Zimmer eignete sich für ein Versteck. Allerdings standen da einige Schränke, aber sie hatten alle Glastüren: Vitrinen, in denen kleinere Antiquitäten und Kunstgegenstände ausgestellt waren. Auch standen Kisten herum, aber nicht so groß, daß sie einen Menschen verbergen konnten.

Der Förster war schon dabei, die Wände zu untersuchen.

»In einem anderen Teil des Schlosses ist ein geheimer Gang, den alle kennen,« sagte er, »ich habe nie gehört, daß sich auch in diesem Flügel einer befindet; es scheint ja aber der Fall zu sein.«

Er entfernte Bilder und Borde und rückte Schränke, aber überall erschienen die Wände massiv. Das negative Resultat der Untersuchung machte ihn immer verdrießlicher.

»Das Dumme ist,« sagte er, »daß dies Ereignis den törichten Geschichten von Spuk und Geistern, die bereits in Umlauf sind, neue Nahrung geben wird. Sei überzeugt, daß man jetzt das Gerücht in Umlauf bringen wird, der ermordete Baron habe sich nach seinem Tode gezeigt. Der heutige Abend mit seiner verfluchten Geisterbeleuchtung ist aber auch besonders ungünstig.«

Nachdem er eine Weile überlegt hatte, sagte er – und seine Stimme klang fast übermütig:

»Weißt du, es stimmt.«

»Was stimmt?«

»Es muß ein Gespenst gewesen sein! Auf diese Weise läßt sich alles ganz leicht erklären. Du hörtest ja auch die Geräusche im Walde. Ein Mensch war in unserer Nähe, den wir hörten, aber nicht sahen. Und dann die deutlichen Schritte, die wir hier gehört haben. Aber auch hier hat sich nichts gezeigt ... Und dennoch, lieber Freund, die Lösung kann es nicht sein.«

Der Förster schloß mit einem Fluch.

»Warum so hitzig?« fragte der Professor.

»Man hat uns auf der Nase gespielt, das ist die Lösung,« antwortete der Förster.

Er ging jetzt schnell zum Fenster, das er mit großer Mühe öffnete. Dann rief er hinaus: »Christensen! Christensen!«

Des Verwalters dunkler Schatten glitt durch das weiße Mondlicht, und bald darauf stand Christensen auf dem Hofplatz und sah zu den Fenstern des Schlosses herauf.


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