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XXII

Hengler sah sich ungeduldig nach Katrine um, ob sie nicht bald mit dem Bescheid käme, daß das Auto da sei. Im übrigen aber nahm er Rists unverschämte Bemerkung mit vollkommener Ruhe hin. Er blieb sogar auf seinem Stuhl sitzen, als ob nichts geschehen sei.

»Sie setzen mich in Erstaunen, mein Herr,« sagte er nur und lächelte.

Rist trank wieder und starrte über das Glas hinüber mit lauernden, boshaften Augen auf den Kunsthändler.

»Ein schlechter Künstler kann immer noch ein guter Mensch sein,« fuhr Rist fort, »ein tüchtiger Kunsthändler aber nie! Und was muß ein weltberühmter Kunsthändler, wie Sie, erst für ein Schuft sein! Sie sehen, wie recht ich in meiner Vermutung hatte. Ich sah es gleich, als ich Ihnen vorhin ins Gesicht leuchtete: ein kompletter Verbrechertyp.«

Der Kunsthändler führte die Hand zum Munde, wie um ein Gähnen zu unterdrücken. »Ich bin wirklich sehr erstaunt,« sagte er.

»Darf ich fragen, wie lange haben Sie sich hier im Lande aufgehalten?«

»Diesmal nur einen Monat,« sagte der Kunsthändler freundlich und entgegenkommend.

»Ich nehme an, daß Sie mit irgendeinem gestohlenen Bild hierher gekommen sind,« fuhr Rist fort, »und daß Sie es auch verkauft haben. Es gibt immer noch genug dumme Menschen in der Welt, die man mit dergleichen Transaktionen übers Ohr hauen kann. Was für ein Bild war es? Sie antworten nicht, wollen Ihr Geheimnis nicht preisgeben. Begreife ich. Entweder ist das Bild echt, und dann ist es gestohlen, oder es ist nicht gestohlen, und dann ist es falsch. So sind die berühmten Herren Kunsthändler.«

»Ich wundere mich immer mehr,« sagte Hengler.

»Prost. Und wohin wollen Sie heute abend? Eine kleine Reise wollen Sie unternehmen, sagten Sie, mein Herr. Ich möchte wetten, daß Sie irgendwo ein hübsches kleines Familienkleinod aufgespürt haben, bei einer vornehmen Familie, die durch die wirtschaftliche Lage gezwungen ist, von ihren alten Wertsachen zu verkaufen. Aber im geheimen, versteht sich. Dazu sind Sie der rechte Mann. Mit dem Geld, das Sie an dem gestohlenen Bild verdient haben, kaufen Sie die letzten Wertgegenstände der vornehmen Witwe für einen Schandpreis. Das ist ganz gemeiner Diebstahl, nicht wahr?«

»Ich wundere mich noch immer,« antwortete Hengler, »aber ich amüsiere mich, während ich auf das Auto warte.«

Rist setzte seine Beleidigungen mit Eifer fort. »Darauf schmuggeln Sie den Gegenstand aus dem Lande, denn natürlich leiden Sie nicht, daß der Staat oder jemand anderes ökonomisch an dem Schwindel teilhaftig wird. Und dann verkaufen Sie den Gegenstand für den vierfachen Preis im Auslande. Darf ich fragen, welche Gegend von Dänemark Sie jetzt auf Ihrer Reise zu plündern gedenken?«

Hengler erhob sich. »Ich höre das Auto,« sagte er, »und muß diese angenehme Unterhaltung leider unterbrechen.«

»Haben Sie die Grenze Ihres Erstaunens vielleicht erreicht?« fragte Rist frech.

Im selben Augenblick kam Katrine herein. Sie hörte Rists letzte Worte und begriff, daß er drauf und dran war, einen Krach zu machen. Sie flüsterte ihm eine Warnung zu. Gleichzeitig aber wurde sie durch die vollkommene Gelassenheit des Kunsthändlers beruhigt. Er lächelte, als ob nichts geschehen sei, drückte sogar zum Abschied Rist die Hand und sagte: »Auf Wiedersehen.«

»Sie legen Wert darauf?« fragte Rist.

»Aber gewiß,« sagte der Kunsthändler, »nur bin ich mit dem Umgangston hierzulande noch nicht recht vertraut. Da ich aber nicht schwer von Begriff bin, werde ich mich bald daran gewöhnen, so daß bei einer späteren Zusammenkunft das Gespräch nicht so einseitig zu sein braucht.«

Wahrscheinlich war es die Absicht des Kunsthändlers, ironisch zu sein, seinem Ton aber konnte man nichts anmerken. Im Gegenteil, er blieb die ganze Zeit höflich und verständnisvoll. Offenbar schob er die Entgleisung des anderen ganz auf den Alkohol. Er grüßte die Wirtin noch einmal und ging. Rist kehrte ihm ostentativ den Rücken zu und mischte sich ein frisches Glas Whisky. Katrine ließ den Kunsthändler selbst hinaus. Sie schien heute allein zu sein. Sonst saß immer ein junges rothaariges Mädchen draußen im Entree. Als Katrine zurückkam, stand Rist neben einem der verhangenen Fenster. Er hatte die Portiere zurückgeschoben und blickte auf die Straße hinunter. Im selben Augenblick hörte man das Geräusch einer Autohupe. Es war das Auto des Kunsthändlers, das davonfuhr.

Katrine war schlechter Laune.

»Ich glaube sicher, daß du ihn furchtbar beleidigt hast,« sagte sie, »du mußt ja total besoffen sein! Was hat er dir denn getan?«

»Nichts,« antwortete Rist.

»Wenn ich dich nicht so gut kennte, würde ich glauben, du seist verrückt geworden.«

»Eifersüchtig, meinst du? Das ist ein verwegener Gedanke. Seit wann kennst du ihn?«

»Das weiß ich nicht so genau. Ungefähr eine Woche.«

»Was wollte er hier heute abend?«

»Ich glaube, er spielt,« antwortete Katrine. »Er hat ein kleines Souper bei mir bestellt für fünf Herren. Sonnabend nacht um zwölf Uhr. Eine Pokerpartie, nehme ich an.«

»Hat er die Namen der anderen Herren genannt?« »Du weißt ja, daß ich nach so etwas nie frage. Wenn sie kommen, kenne ich aber die meisten.«

Rist sah nach der Uhr.

»Es ist Zeit,« murmelte er, »ich muß telephonieren.« Kurz darauf kam er zurück. Die Tür zwischen dem Salon und den anderen Zimmern ließ er offen stehen. Er erwartete eine telephonische Antwort. Katrine hatte ihn während der letzten Minuten aufmerksam betrachtet. Sie schien verwirrt.

»Du bist ja gar nicht betrunken,« sagte sie.

»Keine Spur,« antwortete Rist ernst.

»Du hast Komödie gespielt!«

»So gut ich es vermochte. Aber es war anstrengend.«

»Warum aber hast du dich vor diesem Fremden so blamiert?«

»Weil ich ihn aufs gröbste beleidigen wollte. Ein nüchterner Mensch kann unmöglich solche Worte sagen. Dann muß er entweder verrückt oder betrunken sein. Und mir paßte es besser, den Betrunkenen zu spielen.«

»Warum aber in aller Welt wolltest du ihn beleidigen? Kennst du ihn denn?«

»Ich kenne den Kunsthändler Hengler gar nicht,« antwortete Rist. »Es lag mir aber daran, ihm zu sagen: ›Mein Herr, Sie sind ein großer Schuft!‹ Ich wollte wissen, wie er das verdauen würde.«

»Ist er denn solch großer Schuft?«

»Vielleicht nicht, was weiß ich.«

»Und bist du mit dem Resultat zufrieden?«

»Einigermaßen. Hengler ist jünger, als er zu sein vorgibt.«

»Ist es dein neuester Zeitvertreib, Leuten ins Gesicht zu leuchten?«

»Mein neuester Spleen, ja. Ich bin Physiognomiker geworden.«

Jetzt läutete das Telephon. Rist ging ins Nebenzimmer. Es entspann sich eine längere Unterhaltung. Katrine lauschte gespannt und ärgerte sich, daß sie keinen Ton vorstand. Es ist eine große Kunst, so ins Telephon zu sprechen, daß Unbefugte den Sinn nicht verstehen. Katrine erfaßte nur, daß es sich um eine Reise und um ein Hotel handelte.

Als Rist fertig war, blieb er noch eine Weile bei Katrine und plauderte mit ihr. Im Laufe des Gespräches fragte er sie: »Wenn ich nun Lust hätte, bei der Spielpartie am Sonnabend zugegen zu sein, wäre das möglich?«

»Willst du gesehen werden?«

»Nein, das ist nicht nötig.«

»Wirst du betrunken sein?«

»Auch das nicht.«

»Dann bist du natürlich willkommen.«

»Gut. Vielleicht komme ich noch einmal vorher. Sonnabend aber wirst du sicher von mir hören. Du weißt, daß ich keinem Erlebnis aus dem Wege gehe in dieser langweiligen Stadt. Jetzt aber muß ich mich beeilen, ich muß noch ein Telegramm abschicken.«

Rist riß eine Seite aus seinem Notizbuch, und nachdem er eine Weile überlegt hatte, schrieb er: »An den Förster, Marienburg, Fünen. Hengler reist heute abend heimlich nach Marienburg. Rist.«


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