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XXIV.

Am Abend vorher war dieses Telegramm eingetroffen. Der Förster kannte Henglers Namen aus den Zeitungen als denjenigen, der wegen des Ankaufes des van Dyckschen Gemäldes nach Kopenhagen gekommen war. Er brachte natürlich den Namen mit der Kunstsammlung auf Marienburg in Verbindung, und es wurde ihm klar, daß der junge Baron die Befürchtung gehegt hatte, daß die Kunstsammlung irgendeinem internationalen, raubgierigen Handelsmann vor Augen kommen könnte. Der Professor ließ ihn in diesem Glauben. Die Nachricht von Henglers Ankunft schien Arvidson nicht in Erstaunen zu setzen, aber er war sehr gespannt, wann Hengler eintreffen würde, und versuchte es nach der Abgangszeit des Telegrammes zu berechnen.

Auf dringliches Anraten des Professors hatte der Förster sich zeitig am Morgen zum Schlosse begeben. Er hatte sich vorgenommen, sämtliche Zimmer, mit Ausnahme der verschlossenen, gründlich zu durchsuchen, um festzustellen, daß alles in Ordnung sei. Zum Mittagessen wollte er nach Hause kommen und nach einer Stunde wieder ins Schloß zurückkehren. Zur Mittagszeit aber kam der Bescheid vom Förster, daß man ihn nicht erwarten solle, daß er erst gegen Abend käme. Für sein Ausbleiben gab er keinen Grund an. Der Professor erwartete ihn voller Ungeduld, aber erst abends gegen halb neun Uhr zeigte Hundegebell an, daß der Förster in der Nähe sei. Als der Förster in den Garten kam, indem er die aufgeregten Hunde zu beruhigen suchte, machte er einen sehr ermüdeten Eindruck. Södring war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, klein von Gestalt, aber elastisch und mit raschen Bewegungen. Er trug einen gestutzten Schnurrbart, sein dunkles Haar war bereits an den Schläfen ergraut, sein Gesicht hatte immer einen sehr ernsten Ausdruck.

Er entschuldigte sich bei seiner Frau, daß er nicht früher hätte kommen können, es hätte auf dem Schlosse so viel zu tun gegeben. Beim Kaffee versuchte er einen munteren Ton anzuschlagen, was ihm schlecht stand. Er erzählte von einigen Unstimmigkeiten mit den Pächtern, Professor Arvidson aber hatte den bestimmten Eindruck, daß er das Thema nur angeschlagen hatte, damit seine Frau sich am Gespräch beteiligen konnte. Als der Förster sich eine frische Zigarre anzündete, benutzte er die Gelegenheit, um Arvidson einen vielsagenden Blick zuzuwerfen, einen Blick, wie es Arvidson vorkam, in dem eine Warnung zu liegen schien. Darum ließ der Professor ihn darauflosreden und wartete. Er war überzeugt, daß sich etwas ereignet hatte. Endlich kam der Augenblick, wo die Hausfrau sich zurückzog.

Die beiden Freunde begaben sich in das Kontor des Försters, ein geräumiges Zimmer im südlichen Flügel, dessen Wände reich mit Waffen und Jagdtrophäen geschmückt waren. Es war inzwischen so dunkel geworden, daß der Förster die Gardinen vorziehen und das elektrische Licht anzünden konnte. Er bot seinem Freunde an dem großen Eichentisch Platz und setzte sich selbst neben ihn. Ohne weiteres begann er einen Riß auf einem großen Bogen Papier aufzuzeichnen.

»Du bist doch schon auf Marienburg gewesen, nicht?« fragte er Arvidson.

»Vor einigen Jahren, ein paar Tage.«

»Erinnerst du dich noch einigermaßen, wie das Gebäude von innen aussieht?«

Der Professor nickte.

»Mit dem Hauptflügel und dem Südflügel brauchen wir uns nicht zu befassen,« fuhr der Förster fort. »Hier aber ist ein Riß von dem nördlichen Flügel. So liegen die Zimmer im ersten Stockwerk.«

Damit legte er dem Professor die fertige Zeichnung vor.

Zeichnung

»Die drei Zimmer, die ich mit den Nummern 1, 2 und 3 bezeichnet habe, sind die verschlossenen Räume, wo Baron Milde seine wertvollsten Kunstgegenstände aufbewahrte. Wie du siehst, führt eine Tür links vom Korridor in diese Zimmer. Andere Türen führen nicht von diesen Räumen in den Korridor, aber untereinander sind sie verbunden. Auf der anderen Seite des Korridors liegen zwei große, saalähnliche Räume, die Baron Milde wie eine Art Fremdenzimmer eingerichtet, aber, soweit ich weiß, nie als solche benutzt hat. Dagegen kam es vor, daß der Baron selbst in dem einen großen Zimmer, das dem Hauptflügel am nächsten liegt, Wohnung nahm. Diese beiden Zimmer waren nicht abgeschlossen, und man hat dort eine Menge alte Papiere und Folianten gefunden, was beweist, daß Baron Milde dort seine genealogischen Studien getrieben hat. Er beschäftigte sich ja intensiv mit der Ausarbeitung seines Stammbaumes. Allerdings hatte er seine geräumige Bibliothek im Erdgeschoß, die als Arbeitszimmer eingerichtet war, aber man kann annehmen, daß er sich am liebsten in der Nähe seiner wertvollsten Kunstschätze in den drei verschlossenen Zimmern aufhielt. Wenn er in dem großen Saal saß und studierte, konnte er leicht in die Zimmer hinüberkommen und sich durch den Anblick seiner seltenen Schätze zerstreuen. Während er lebte, war der Diener und auch andere oft Zeuge, wie er die kleine Tür hier, die zu den geheimnisvollen Zimmern führt, auf- und zuschloß. Er verschloß sie stets sehr sorgfältig. Ich habe mich um diesen Teil des Hauses nie bekümmert; ich bin stets der Ansicht gewesen, daß ein Mensch seine Geheimnisse ungestört für sich behalten soll. Heute aber habe ich das Schloß untersucht. Es ist kein gewöhnliches Schloß, sondern ein moderner Mechanismus, der mit keinem der anderen Schlösser in dem alten Gebäude Aehnlichkeit hat und neueren Datums sein muß. Milde trug den Schlüssel an einer goldenen Kette bei sich.«

»Warum hast du gerade heute das Schloß untersucht?« fragte der Professor.

»Weil ich untersuchen wollte, ob es möglich sei, mit einem der anderen Schlüssel des Hauses dort einzudringen. Es ist nicht möglich – du siehst also, daß Milde mit Peinlichkeit darauf achtete, daß niemand hinter sein Geheimnis kam. Ich verstehe diese übertriebene Kunstschwärmerei nicht. Tatsache aber ist, daß er immer in besonders guter Laune war, wenn er aus diesen Zimmern kam. Es geschah sogar nicht selten, daß er spät abends seine Studien verließ und mit einem brennenden Kandelaber hineinging. – Sieh dir diese Skizze an. Die drei Fenster gehen zum Wirtschaftshof hinaus. Leute, die spät auf waren, konnten sehen, wie das Licht sich von Fenster zu Fenster bewegte. Dann ging Milde in den Zimmern umher.«

Während seiner Erklärung war der Förster fast übereifrig geworden. Der Freund betrachtete ihn aufmerksam.

»Es muß sich etwas ereignet haben,« sagte Arvidson.

Der Förster warf mit einem kleinen Knall den Bleistift auf das Papier und stand auf.

»Weibergeklatsch!« rief er ärgerlich, »ich bin nicht abergläubisch. Küchengerede! Kommst du heute nacht mit, Professor?«

»Wohin?«

»Aufs Schloß!«

»Natürlich. Es hat sich also wirklich etwas ereignet?«

»Das törichte Dienstpersonal«, erklärte der Förster, »flüstert davon, daß dort oben in den drei Zimmern nicht alles geheuer ist. Dergleichen Gerede entsteht ja gewöhnlich in alten Häusern nach einem Todesfall. Gestern nacht aber ist etwas passiert, worüber ich nicht ohne weiteres hinweggehen kann, denn es ist mir von einem vollkommen glaubwürdigen Menschen berichtet worden. Man hat nachts zwischen zwei und drei Uhr Licht in den Zimmern gesehen. Und das Licht bewegte sich von Fenster zu Fenster, genau wie damals, als Milde selbst durch die Räume ging.«

»Diese Nacht zwischen zwei und drei Uhr?« wiederholte der Professor nachdenklich. Er schien etwas zu berechnen.

»Der junge Baron fürchtet ja den Besuch irgendeines Unbefugten,« sagte der Förster.

»Er kann es also nicht sein,« murmelte der Professor geistesabwesend.

»Er?! Wen meinst du?«

»Hengler,« antwortete der Professor, »konnte zu der Zeit noch nicht hier eingetroffen sein.«

»Du scheinst enttäuscht,« bemerkte der Förster.

»Das bin ich auch,« antwortete der Professor.


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