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II

Was aber hatte Baron von Milde begonnen, nachdem er mit Lorenzo Hengler gefrühstückt hatte? Bei einem späteren Verhör wurde das alles bis in die kleinsten Einzelheiten festgestellt. Er hatte sich nichts Ungewöhnliches vorgenommen, bei einem Verwandten zu kurzem Besuch vorgesprochen, einige Besorgungen gemacht, einen eingeschriebenen Brief zur Post gebracht, darauf war er bei seiner Bank gewesen und schließlich gegen fünf Uhr nach Hause gekommen. Dort hatte er eine Stunde geruht, dann eine Tasse starken Tee zu sich genommen, was er sehr liebte, und schließlich bis neun Uhr an seiner Stammtafel gearbeitet. Da hatte der Diener gemeldet, daß das Abendessen angerichtet sei. Herr von Milde hatte eine Bemerkung fallen lassen, daß er eigentlich gar nicht hungrig sei, und auch nur wenig gegessen, etwas geröstetes Brot und kaltes Fleisch. Tee wünschte er nicht, weil er gleich zu Bett gehen wollte, dagegen trank er eine halbe Flasche Bier. Alexander hatte ihn zuletzt gesehen, als er ihm den Likör servierte. Herr von Milde sagte ihm, daß er am nächsten Tage wahrscheinlich auswärts essen würde, mit einigen Freunden.

Während der Diener im Eßzimmer aufräumte, hatte er gehört, wie Herr von Milde wieder an seinem Schreibtisch Platz nahm, und darauf war Alexander zu Bett gegangen, weil er wußte, daß sein Herr ihn zu einer späteren Stunde nicht in Anspruch zu nehmen pflegte.

Da kam der nächste Tag – der 30. Juli – mit der entsetzlichen Entdeckung.

Es stand also in den Sternen geschrieben, daß Baron von Milde den eigentlichen Zweck seiner Reise gar nicht zur Ausführung bringen sollte. Durch Telegramme und Briefe hatte er sich nämlich dazu überreden lassen, wegen der »Infantin Gisela und ihr Sohn«, van Dycks berühmtem Gemälde, das von deutschen Kunsthändlern von Berlin nach Kopenhagen geschafft worden war, zur Hauptstadt zu fahren.

Eigentlich trat Herr von Milde nicht gerade als Kunstmäzen auf, dennoch gehörte er zu jenen Kreisen von Adel und Reichtum, mit denen man rechnete, wenn aus nationalen Rücksichten eine Anschaffung zur Hebung von Kunst und Wissenschaft gemacht werden sollte. Dazu kam, daß er sich wegen seines Geschmackes und seines sicheren Urteiles bedeutende Anerkennung erworben hatte. Seine eigene Gemäldesammlung auf Marienburg enthielt Kunstwerke, die weit und breit berühmt waren, und galt bei Kennern als eine der besten Privatgalerien Europas. Uebrigens hatten nicht viele Gelegenheit gehabt, sie zu sehen, es war, als ob Herr von Milde sie vor profanen Blicken bewahren wollte. Die wenigen aber, die diesen Genuß gehabt hatten, waren sich darin einig, daß der dänische Herrensitz ungewöhnliche Schätze barg.

Das Komitee, das den Ankauf von van Dycks Bild besorgen sollte, war, wie vereinbart, am 30. um zehn Uhr vormittags im Oberlichtsaal des Museums versammelt. Jetzt sollte das Schicksal des Bildes entschieden werden. Vor dem Museum standen so viele Privatautos, daß man auf einen offiziellen Fürstenbesuch schließen konnte, – große elegante Wagen, von Lack und feinem Leder duftend. Die Herren, die versammelt waren, gehörten alle zu derjenigen Klasse von Menschen, die jedenfalls zur damaligen Zeit ihre Minuten in Geld ausmessen konnten, Finanzmatadore, Chefs von großen Geschäftsunternehmungen und Bankdirektoren. Ihre Zeit war wochenlang im voraus besetzt, die lebten nicht wie andere Menschen, sondern sie opferten ihre ganzen und halben Stunden diesem oder jenem Unternehmen. Wie Generäle während der Schlacht von einem wichtigen Punkt des Schlachtfeldes zum anderen eilen, um einen Ueberblick über die Lage zu bekommen, so rasten diese Herren unablässig in ihren schnellen Beförderungsmitteln zwischen Sitzungen, Generalversammlungen und Konferenzen hin und her, damit sie nur ja keine Minute verloren. Große Flügeltüren sprangen auf, wenn sie sich nur zeigten, und ganze Bureaus mit Angestellten wurden bei ihrem Erscheinen in Bewegung gesetzt. Da diese Herren sich niemals mit Einzelheiten befaßten, sondern nur für den berühmten »Ueberblick« lebten, hatten sie natürlich auch keine Veranlassung, sich umzublicken. Wurden sie darum an jenem Vormittag, als das wirkliche Leben sich zu erkennen gab, so stark betroffen?

Alles, was hier versammelt war, hatte Glanz, es war die Glorie der Hochfinanz, die sich in dem sanften, klaren Vormittagslicht zeigte. Es war, als ob alle Banken, alle großen Aktiengesellschaften, ja, die ganze Börsenliste durch diese vornehme Versammlung leicht ergrauter Schläfen und gönnerhafter Mienen personifiziert würde. Man führte eine gedämpfte Unterhaltung, aber beherrscht, man konnte unmöglich merken, daß jeden dieser Herren neue und wichtige Konferenzen erwarteten. Die absolute, die wirkliche Geschäftigkeit äußert sich gerade durch solche Ruhe, nicht ein einziger erlaubte sich, diskret die Kapsel der Uhr zu öffnen. – Auf einer Staffelei im Saale aber stand van Dycks Prinzessin und blickte mit einem stupiden Ausdruck auf die Versammlung. Die Pracht ihres Kleides hatte den Künstler gereizt, und die Prinzessin, der Mensch selbst, war mit in den Kauf genommen worden, durchschaut, preisgegeben in all ihrer herabwürdigenden Dummheit. Und damit auch kein Zweifel herrschen sollte, daß das Bild aus einem deutschen Palast stammte, so war der Rahmen dabei, prätentiös und dick, ein Traum von Gold und Scheußlichkeit!

Man wartete jetzt nur noch auf Baron von Milde. Die festgesetzte Zeit war schon längst überschritten, und man spürte ringsherum bei den Gruppen eine vornehm beherrschte Ungeduld. Um die Wartezeit zu verkürzen, hatte einer der Herren das Wort ergriffen und berichtete über den Stand der Sache:

»... man war jetzt so weit gekommen, daß man sich über den Preis geeinigt hatte – eine halbe Million dänische Kronen, nicht wahr, Herr Hengler?«

Herr Hengler, der am Fenster stand, machte eine zustimmende Verbeugung.

»Ferner,« fuhr der Wortführer fort, »scheint Stimmung für die Erwerbung dieses Bildes zu herrschen, weil sich hier eine ungewöhnliche Gelegenheit bietet, eines der ganz großen Meisterwerke der Welt dem Lande zuzuführen. Wir haben uns heute hier versammelt, um eine engere Kommission von drei bis vier Mitgliedern zu wählen, die die endgültige Entscheidung treffen soll. Voraussetzung ist, daß wir insgesamt dieses patriotische Unternehmen stützen; die Kommission wird später Vorschläge machen, wie hoch jeder sich an der Sache beteiligen soll. Nach der wohlwollenden Stimmung zu urteilen, die zu herrschen scheint, kann man annehmen, daß der Kauf in einigen Tagen perfekt sein wird ...«

Hier konnte der Sprecher eine ungeduldige Bewegung nicht ganz unterdrücken:

»Wir warten jetzt nur noch auf den Baron Milde,« sagte er, »ihn hatten wir als Vorsitzenden der Kommission ausersehen.«

Einer der Herren bemerkte:

»Professor Arvidson ist hinausgegangen, um zu telephonieren.«

Im selben Augenblick stürzte Professor Arvidson aus dem Kontor des Museumsinspektors. Er war auffallend bleich, ein Arzt aber ist ja daran gewöhnt, sich zu beherrschen. Er wandte sich privat an den Wortführenden, seine Stimme aber war unwillkürlich so schrill, daß alle hören konnten, was er sagte:

»Ich habe soeben mit Mildes Diener gesprochen. Milde ist tot. Ich beantrage, daß wir die Verhandlung abbrechen. Milde war mein Freund, ich muß gleich zu ihm. Wenn ich den Diener recht verstanden habe, ist ein Unglück geschehen.«

Als diese Mitteilung die feierliche Versammlung erreichte, war es, als ob sich ein Schatten auf die helle Vormittagsbeleuchtung legte, die Gesichter wurden scharf, deutlich, menschlich. Und es war, als ob auch die unausstehliche Prinzessin aus dem fernen Jahrhundert gegenwärtig würde – sie schien gleichsam aus dem Gemälde herauszutreten und mit einem boshaften Lächeln zuzuhören ...


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