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XVI.

Rist begab sich in die Ecke zum Schrank. Er stand jetzt hinter dem Stuhl des Amerikaners. Während er zwischen den Zigarren suchte, blickte er verstohlen zu ihm hinüber. Er sah sein blank gekämmtes Haar über der Rücklehne des Stuhles. Seine Hand lag noch immer auf dem Revolver, doch wunderte Rist sich, daß er sich ohne weiteres darein fand, ihn im Rücken zu haben. Da fiel sein Blick auf den großen Spiegel gerade gegenüber. Dort saß der Amerikaner und lächelte ihm mit einem feinen und spöttischen Lächeln zu. Rist nickte ihm zu, und der Amerikaner erwiderte seinen Gruß. Sie verstanden sich ausgezeichnet.

Der Fremde schnitt die Zigarrenspitze mit großer Sorgfalt ab und genoß die ersten Züge mit sichtbarer Freude.

Rist war der erste, der das Schweigen brach. »Sie sagten vorhin, daß Sie nicht hergekommen seien, um mich zu bestehlen, und jetzt finde ich Sie im Besitz meines kostbaren Revolvers. Ihre Auffassung des Begriffes Diebstahl scheint mir etwas eigenartig.«

»Beruhigen Sie sich,« antwortete der andere, »ich habe aus purer Vorsicht diese Veranstaltung getroffen. Wenn ich von hier fortgehe, lasse ich den Revolver zurück.«

»Unbenutzt?«

»Ich nehme es an.«

»Sie enttäuschen mich,« sagte Rist.

»Warum?«

»Sie sagten vorhin, daß Sie die Spannung einer solchen Unterhaltung genießen. Mit dem Revolver in der Hand aber ist die Spannung nicht mehr groß.«

»Ich verstehe Ihren Standpunkt. Sie meinen, das Spiel ist nicht mehr gleich.«

Er hob den Revolver, nahm rasch das Magazin heraus und legte es daneben auf den Tisch. »So, jetzt können wir wieder wie Kavaliere miteinander sprechen,« fügte er hinzu. »Sie sagen, daß Sie mich seit längerer Zeit beobachtet haben, ich weiß es schon. Ich nehme also an, daß Sie mich etwas Wichtiges fragen wollen. Ich bin bereit, Ihnen zu antworten.«

»Dann möchte ich Sie gleich fragen: Was taten Sie an jenem unglückseligen Mordabend in Mildes Wohnung?«

Der Verbrecher antwortete nicht sogleich. Langsam strich er sich mit der Hand über die Stirn und erwiderte dann langsam, gleichsam jedes Wort wägend: »Ich wollte Vorteil aus einer Anordnung ziehen, die ich getroffen hatte.«

Rist sah ihn erstaunt an. »Aus einem Mord, den Sie geplant hatten, meinen Sie?«

»Bitte, geben Sie genau auf meine Worte acht und legen Sie keinen anderen Sinn hinein.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie werden die ganze Sache bald in einem anderen Lichte sehen. Wie ich Ihnen bereits sagte, war ich in jener Mordnacht in Baron Mildes Wohnung. Ich stand hinter einer Portiere verborgen und sah den jungen Arrestanten Knud Aage Hansen von der Gartentreppe hereinkommen. Damals aber war der Baron bereits tot.«

»Weil Sie ihn ermordet hatten?«

Der Amerikaner zuckte die Achseln.

»Wenn Sie alles besser wissen wollen, brauche ich Ihnen ja nichts zu erklären. Warum rechnen Sie nicht mit Selbstmord?«

»Ausgeschlossen.«

»Wenn keine andere Lösung als ein Mord Sie befriedigen kann, dann müssen Sie ja glücklich sein, daß Sie den Mörder gefaßt haben.«

»Wen meinen Sie?«

»Knud Aage Hansen. Es liegen ja überzeugende Indizien, fast Beweise für seine Schuld vor.«

»Sagten Sie nicht eben selbst ...«

»Daß der alte Herr tot war, als der Arrestant hereinkam. Sehr richtig. Wenn der Baron aber noch gelebt und sich gegen den Einbrecher zur Wehr gesetzt hätte, würde er sicherlich als Opfer gefallen sein. Rein moralisch kommt es also auf dasselbe heraus.«

»Ist das wirklich Ihre Meinung?«

»Unbedingt. Ein Gericht mit gesundem bürgerlichen Verstand wird ihn sicher nach dem vorliegenden Material verurteilen und die menschliche Gesellschaft dadurch für eine Reihe von Jahren von einem unnützen und schädlichen Individuum befreien. Läßt man ihn dagegen mit einer geringen Strafe für Diebstahl laufen, wird er dem Staat sicher über kurz oder lang neue Scherereien machen.«

Rist beobachtete den Fremden genau. Dem Amerikaner schien es wirklich sehr angelegen zu sein, ihn von seinem Standpunkt zu überzeugen.

»Sie wollen offenbar Ihr Gewissen erleichtern,« sagte Rist, »nur ist Ihr Gewissen höchst sonderbar beschaffen.«

»Ich wollte Ihnen eine Zeugenerklärung abgeben, denn vor Gericht möchte ich nicht gern erscheinen.«

»Davon würde ich Ihnen auch dringend abraten, wenn Sie dem Zuchthaus oder der Irrenanstalt entgehen möchten. Wollen Sie aber wirklich behaupten, daß Sie hierherkamen, um mir diese Zeugenaussage zu machen?«

»Ja. Sie glauben mir nicht?«

»Nein.«.

»Weshalb sollte ich sonst gekommen sein?«

»Vorläufig ahne ich es noch nicht. Vielleicht aber bekomme ich Klarheit darüber, wenn Sie mir sagen, wie Sie ins Haus gekommen sind.«

Der Amerikaner wollte gerade antworten, als er plötzlich die Arme wie abwehrend in die Höhe hob und lauschte. Enevold Rist legte schnell die Zigarre auf den Aschenbecher und wollte sich erheben. Ein drohender Blick des Amerikaners aber hinderte ihn daran.

»Wir sind nicht allein im Hause?« sagte Rist.

»Nein,« antwortete der Amerikaner.

Ein seltsamer Laut drang aus dem Nebenzimmer, dem Eßzimmer, dessen Tür geschlossen war. Es war ein Laut von ganz unbestimmbarer Art, der nichts Menschliches hatte, eher der Klage eines Tieres glich. Der Laut wiederholte sich ein paarmal ... dann wurde alles still. Rist hatte seine Nerven darauf eingestellt, dem Unerwarteten mit Kaltblütigkeit zu begegnen, diese grauenhaften Laute aber, diese mystischen, stöhnenden Tierschreie, die Jammer und Unglück auszudrücken schienen, machten ihn erstarren. Die tiefe, dunkle Nacht draußen vor den Fenstern, die bleiche zusammengesunkene Gestalt des Mörders dort in dem Halbdunkel der Lampe verstärkten noch die Unheimlichkeit der Situation.

Indessen faßte sich Rist und gab seiner Neugierde nicht nach. Er begriff, daß der Amerikaner mehr wußte als er und ihm nicht einen einzigen Schritt erlauben würde. Darum rauchte er ruhig weiter, die Zigarre war ihm noch nicht ausgegangen. Der Amerikaner nickte ihm anerkennend zu, und plötzlich zog er einen Gegenstand aus der Tasche. Es war eine Taschenuhr, eine dieser kostbaren alten Arbeiten, die jede Sammlung zieren würde. Der Amerikaner schob sie über den Tisch Rist zu.

»Ich fange an, Sie zu verstehen,« sagte Rist steif, »eines der besten Stücke aus meiner Sammlung. Haben Sie noch mehr gestohlen?«

»Ich habe Ihnen gar nichts gestohlen,« antwortete der Amerikaner und zog verschiedene Gegenstände aus seiner Tasche: noch eine alte goldene Taschenuhr, zwei juwelenbesetzte Schnupftabakdosen, einen Brillantschmuck und einen perlenbesetzten Dolchgriff.

»Das alles gehört mir,« sagte Rist, »es lag dort drüben in meinen Schubladen, und jetzt ziehen Sie es aus Ihrer Tasche. Bestehen Sie noch darauf, daß der Zweck Ihres Besuches nicht Diebstahl war?«

»Allerdings,« antwortete der Amerikaner, »ich habe Sie wirklich nicht bestehlen wollen. Zählen Sie Ihre Wertgegenstände nach, und Sie werden sehen, daß Ihnen nichts fehlt.«

»Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was dort hinter der verschlossenen Tür vor sich geht? Sie kennen die Ursache dieser furchtbaren Schreie wahrscheinlich besser als ich.«

»Ich möchte lieber, daß Sie sich selbst überzeugen. Die Tür ist nicht verschlossen.«

»Sie scheinen mein eigenes Haus besser zu kennen als ich,« sagte Rist.

»Im Augenblick, sicher. Nein, nein, übereilen Sie nichts. Warten Sie, bis Sie allein geblieben sind. Dann gehen Sie ins Zimmer. Es ist Licht drinnen.«

Er zeigte auf den Revolver.

»Vorher aber müssen Sie diese Waffe laden und sie in der Hand halten, wenn Sie die Tür öffnen. Ich rate Ihnen gut. Aber warten Sie, bis ich mich zurückgezogen habe, denn jetzt gehe ich.«

»Was Sie sagen!«

»Ja, ich gehe jetzt,« wiederholte der Amerikaner und stand auf. Rist blickte sich im Zimmer um, als ob er von irgendwo Hilfe erwarte.

Da plötzlich erklang von neuem der Schrei.


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