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Arahar

Kunstmaler Arahar, eine arme Haut, abhold jeglicher Clique und Claque, vermochte es nicht dahinzubringen, seine tüchtigen Bilder ausgestellt zu sehn. Bei Expositionen zu reussieren, ja auch nur anzukommen, war unmöglich: in einer seiner Präexistenzen trat er einmal dem Präsidenten des lokalen Künstlertrusts unabsichtlich auf die Hühneraugen und zog sich dadurch die Blutrache des Gewaltigen zu. Zwar hatte er schon damals ahnungsvoll »Verzeihung« gerufen, ja sich förmlich entschuldigt, aber das hatte nichts genützt, ein so destruktives Attentat mußte geahndet werden. Jeder, der mit den Verhältnissen einigermaßen vertraut ist, wird somit begreifen, daß ein Emporkommen Arahars nicht bloß untunlich, sondern geradezu ausgeschlossen war. Seine Kreuzigungen und Stilleben fanden mit nachtwandlerischer Sicherheit den Weg nach Hause, Katzen, im Sack ein paar Kilometer vom Haus fortgeschleppt und dann freigelassen, kehrten nicht so schnell heim wie seine Bilder – aus Kapstadt und Prerau, Rio de Janeiro und Maros-Vasarhely. Sie waren nicht geeicht mit dem Stempel der Gewöhnlichkeit, jener Gewöhnlichkeit, die auch dem Originellen und Außergewöhnlichen scheinbar anhaften mußte, um sie den diversen Jurys, Kunstfeinden und Mäzenen ausstellungs-, ja auszeichnungswürdig oder gar des Ankaufes wert erscheinen zu lassen. Es fehlte ihnen vor allem das geheime Zeichen, das, vom lokalen Trustpräsidenten aufgedrückt, sie für jede ausländische Kommission akzeptabel gemacht und auf einen exquisiten Platz befördert hätte.

Von dem bedauerlich niedrigen Stipendium war nicht zu leben, seine Augen in Liebe zu Dagobertine, der einzigen Tochter eines Großbankiers oder Ministers, zu erheben, daran durfte er vorderhand gar nicht denken. Was blieb dem bemitleidenswerten Mann übrig, als sich durch Anfertigung von Plakaten, Zeichnungen für schlechtzahlende Firmen und Reklamebureaux, über Wasser zu halten. Waren auch mit dieser Tätigkeit mehrere höchst unangenehme Beugungen des Rückens vor den Großbäuchen und Besitzern der Geschäfte verbunden, so versah ihn doch selbst diese demütigende Beschäftigung mit einigem Stolz darüber, es nicht nötig zu haben, vor weniger bedeutenden, aber einflußreichen Kollegen in Anbetung niederzuknien, den Pinseleien dieser Anstreicher und Verwaltungsräte von Aktiengesellschaften Zustimmung zu wedeln. Aber auch die neue, übrigens nicht allzuoft und immer spärlich fließende Einnahmequelle sollte verstopft werden als er, Rache zu nehmen, mehrere infolge eminenten Geschäftssinns mit Staatsbäuchen versehene Bilderengrossisten auf mancherlei Annoncen als Köche, Ringkämpfer oder Pflanzenfettgenießer verewigte. Die Verhöhnten hatten mehr Einfluß als er, seine »Aufträge« wurden ihm entzogen. Sein Modell, mit einem Maronibrater, dessen geschiedene Frau Zeitungsausträgerin war, entfernt verwandt, verschaffte ihm eine Stellung. Er wurde Augenzeuge eines illustrierten Blattes, das den auch bei andern Journalen schal vorhandenen Text mit wundervollen Abbildungen ausstattete, die jeder redlich Denkende selbst über die Erzeugnisse der hervorstechendsten Karikaturisten stellen durfte. Arahars Extrablatt-Stil konnte damals geradezu volkstümlich genannt werden. Turfsiegen, Raubmorden, Ballettevolutionen widmete seine Palette eine stets gleich meisterhafte, alles mit sich fortreißende Darstellung – »ein Photograph hätte niemals soviel Temperament aufbringen können«, sagten seine Chefs, und die mußten es wissen. Leider glitt auch dies bescheidne Glück traumschnell vorüber. Eine von seinem Studium Hogarths und der Holländer zurückgebliebene alte Vorliebe für eine realistischere Art des Vortrags machte sich wieder geltend, aus den bekannt geistvollen Köpfen hoher Würdenträger wurden im Handumdrehen Affenschädel. Eine ernste Rüge war die Folge.

Arahar nahm sich zusammen, aber gerade sein plötzlich erwachender Übereifer stürzte ihn ins Unglück. Infolge der Konkurrenz durch die Kinos ging die Abonnentenzahl des Wiener Dreckblatts, das sich die Mitarbeiterschaft Arahars gesichert, rapid zurück. Zu ihrem tiefsten Bedauern mußten die Herausgeber, Großbäuche Gottlieb Börseplatz und Christian Sebulon Schweinfest, ihre Angestellten entlassen und nur der wahrhaft opfermutigen Gesinnung dieser Menschenfreunde war es zu danken, wenn sie sich dazu verstanden, unter gleichzeitiger Reduktion der Gehalte den Redaktionsstab bis auf weiteres zu fruktifizieren. Unser Held arbeitete für drei, um sich des in ihn gesetzten Vertrauens wert zu zeigen, die unendliche Dankesschuld abzutragen. Er verdrängte durch seinen Fleiß zwei Genossen, dadurch aber geriet er in Konflikt mit der Organisation. Die Zeitungsmaler protestierten gegen sein streberisches Gehaben, die Herausgeber wollten ihn halten. Wille stieß gegen Willen. Ein Streik schien unvermeidlich. Ein Monarchenbesuch, zwei Giftmorde, drei Theater- und Hochverratsprozesse absorbierten jede verfügbare Kraft. Die Großbäuche mußten bremsen, nachgeben, Arahar fiel als Opfer. Es war im Sommer. Der Maronibrater, durch dessen gütige Intervention Arahar seinen letzten Posten erhalten hatte, verkaufte seine Ware also längst am Nordpol, diesem fashionabelsten aller Wintersportplätze. Und einen andern Protektor hatte der Meister nicht. Die Not brach seinen Stolz. Infolge des unerwarteten Aufschwunges, den die Phototelegraphie in der letzten Zeit genommen hatte, wurden die Illustratoren immer überflüssiger. Schon sprach ihn die Hausmeisterin nicht mehr untertänigst per »Gnädiger Herr von« an, schon ließ es der Inhaber des Delikatessengeschäftes, bei dem er seinen Bedarf, jetzt leider an jenen quargelgleichen Handkäsen deckte, durch deren Vertrieb Olmütz (Olomouc) vor allen Städten prangt, er ließ es schnöd an Ehrerbietung fehlen. Das hatte Arahar davon, daß er in jeder Beziehung unanfechtbar dastand. Früher, da er im Sold der Zeitung fast gut situiert war, allerdings auch nicht fernriechenden Käse, sondern Kaviar, Schinkenbeine und Pasteten erworben hatte, drückte der Feinkosthändler ihm unter den gewaltigsten Verbeugungen seine Hochachtung aus; jetzt sagte der Greisler bloß »Meine Achtung« und sogar dies murmelte er nur, während er gleichzeitig respektlos den Ausdehnungskoeffizienten des Ohrs eines ungeschickten Lehrlings ermittelte.

Da mußte rasch Abhilfe geschaffen werden.

Versuchsweise blitzfunkte er einem alten Freund, der augenblicklich in einer geräuschvollen, nordischen Stadt bei einem unserer renommiertesten literarischen Modewarenhäuser erster Commis war, nebenbei Dramaturg und Auslagenarrangeur eines Theatergroßbetriebes. Mitrofan Wortsalat, seines Zeichens Versjongleur, war vor 1800 Jahren Mime in Carnuntum gewesen, daher entbehrten seine Publikumsstücke niemals der Wirkung. Dieweil er sich gerade eine Premiere im Wiener Nacht- und Reichstheater herunterhauen lassen mußte, konnte er seinen freundschaftlichen Gefühlen stattgeben. Er eilte an die Brust seines alten Kameraden, schlug ihm die Dramazigarette aus der Hand und steckte ihm eine seiner Mammutzigarren in den Mund. Beide pafften um die Wette. »Schweinerei!« sagte Mitrofan, als er die letzten Bilder Arahars betrachtet hatte. Die Sache war an dem: unserem Künstler mangelte es an gebräuchlichen Zahlungsmitteln, er war in der letzten Zeit außerstande gewesen, länger jenes Wesen zu erhalten, das ihm zugleich Modell und Nachttrost war. Seine Gemälde trugen einen mehr als akademischen, einen frostigen, archaisch-erstarrten Charakter. Sie waren kalt und unbewegt. Leichen. Mitrofan war wütend. Er meinte, Arahar hätte ihn schon früher konsultieren sollen. »So geht das nicht weiter. Ich liebe die Liebe, sie befreit vom Leben. Aber freilich: ohne Geld kein Weib. Armer, was mußt du ausgestanden haben! Dir wird geholfen werden. Nur einen Moment geduld dich. Ich muß nämlich auf ein paar Minuten auf den Semmering fahren. Das ist der einzige Ort, wo ein österreichisch fühlender Autor, der was auf sich hält, letzte Hand an sich oder sein Stück legen kann.« »Ach ja. Du hast es mit dem Semmering. Die Hindu wieder mögen nirgends lieber begraben werden als in Benares. Bet für mich in Mariazell!« So seufzte Arahar, dann löste er eine Perronkarte und winkte mit dem Taschentuch.

In der nächsten Woche kam Mitrofan zurück.

»Du mußt sterben«, rief er mit schmerzdurchbebter Stimme. Arahar verstand. Bisher war er in jeder Beziehung unanfechtbar gewesen, er hatte seine kleinen Freuden gehabt, und wenn er hie und da vor dem Ersten mit dem Honorar seiner Illustrationen am Ende war und dem Zahlungstag entgegenbangend meinte, »Wenn nur nicht die Welt früher untergeht, um mich um die paar Gulden zu bringen!« – so war das ganz unschuldig. Er hätte es nicht über sich gebracht, auch nur einer Laus ein Haar zu krümmen. Aus einem strengen Moralisten sollte nun auf einmal ein Betrüger werden. Dagobertine!

Eine Hundertstelsekunde lang überlegte er, ob er nicht seinen Revolver Isidor (Geschenk der Isis) aus der Tasche ziehen und seinen Verführer zur Einäscherung nach Gotha schießen solle. Dann sich. Der Teufel in ihm siegte. Ohne Kampf ging es nicht ab, er lächelte bitterlich, er schluchzte. Sein Weinen klang wie eine Lache Blutes. »Jetzt bist du auch richtig noch zum Hysteriker geworden«, gähnte Mitrofan, dann wurden alle Bilder und Illustrationen Arahars – sie waren hübsch beisammen – nach Berlin gesandt, einige kleine Koffer gepackt und bereits aus Üsküb erhielten die Gläubiger des Malers humoristische Ansichtskarten, geschmückt mit dem Autogramm ihres Schuldners – kleine Papierstückchen, die gar bald einen unermeßlichen Wert repräsentieren sollten … Aber im Zarentum Thrakien war grad die Verfassung ausgebrochen, kein Bandenführer daher seelisch disponiert, auch nur einen scheinbaren Mord zu effektuieren. Von Gefangennehmen überhaupt keine Red. Die braven Leute waren samt und sonders öde Parlamentarier geworden, was ihnen schwer fiel; sie spielten Konstitution: dies Spiel aber war ihnen noch neu und intressant und darum wollen wir sie dabei belassen.

Was blieb dem armen Arahar übrig als in Indien an Bubonenpest zu sterben? Nominell! Mitrofan drückte auf eine Taste. Sofort traten alle seine Kollegen vom literarischen Modewarenhaus und Theatergroßbetrieb in Aktion. Finanziell unterstützt durch das Lederkartell. Scheinkäufe und -verkäufe, schwindelhafte Auktionen, kein Suggestivmittel wurde verschmäht. Man lancierte die Nachricht, ein amerikanischer Zwetschkenkönig wolle die ganze Sammlung für drüben erwerben, zur ewigen Schmach für den deutschen Patrioten. Daraufhin erklärte sich ein englisches Museum bereit, in Verhandlungen zu treten. Nach und nach tausend Angebote, eines wahnsinniger als das andere. Die neukreierten Arahar-Werte sausten in die Höhe. Nichts wurde losgeschlagen. Es war ein Corner der Corner. Eine selbst in Bildern noch nie dagewesene Hausse. Vergebens spieen die Kunstkritiker der G. m. b. H. Gottlieb Börseplatz, Christian S. Schweinfest und Compagnie Tonnen Geifer auf alles und jedes, was Arahar je gesagt, getan, gemalt, gelebt. Und wälzten sie auch noch so viel Schmutzlawinen über jeden Tag des araharschen Erdenwallens, hoch über ihnen, auf einem Mondregenbogen stand Mitrofan und donnerte Arahars makellosen Wandel, Olmützer Käse und archaischen Kitsch in Dithyramben auf die Erde nieder. Die Kunstkritiker konnten die Preise nicht mehr drücken, die so verbilligten Bilder nicht ihren Herren zutreiben. Gottlieb Börseplatz und Sebulon Schweinfest verloren vor Wut den Verstand: zum erstenmal häuften sich in ihren Blättern Nachrichten, die einigen Anspruch auf Wahrheit erheben konnten!

Eine afrikanische Milliardeuse gedachte den ganzen Krempel käuflich an sich zu bringen, sie hatte zu wenig Geld dazu; sie versuchte sich selbst zu versteigern – es nützte nichts, niemand wollte ordentlich zahlen, keine Aussicht, die Arahariana zu erwerben! Sie sank in Ohnmacht: gerade in die Arme des Maronibraters, der einen Augenblick verwundert dastand und dann wieder seinen Geschäften nachging … Bücher, Monographien erschienen über Arahar – allein im Suaheli erreichte eine Broschüre über ihn die zweihundertste Auflage. Galeriedirektoren bestritten untereinander die Echtheit aller seiner Bilder, in der Hitze des Gefechts bewarfen sie sich mit mehr oder minder falschen Dürer-, Rembrandt-, Cranach-, Lionardogemälden und -statuen. Besonders die wuchtigen Rahmen der ungeheuren Rubens- und Tintorettoplätschen wirkten tödlich, die Leichen der erschlagenen Privatdozenten verpesteten die Luft. In mitteleuropäischen Städten, denen die mangelhafte Straßenpflege an sich den Reiz des Orientalischen gibt, wurde bereits die Einführung von Aasgeiern in wohlwollende Erwägung gezogen. Merkwürdigerweise durch Fäkalien verunreinigte Abdrücke der von Arahars Hand herrührenden Zeitungsillustrationen erzielten horrende Preise, zerstoßen und mit Rhabarber gemengt, bildeten sie ein sicher wirkendes, aber nur den Reichen erschwingliches Mittel gegen Obstipation. Die wunderbare Heilkraft aller araharschen Reliquien schlug die Rekorde von Lourdes, Echternach und Mariazell. Ein aufsehenerregendes Werk, das einen südostmongolischen Houston Stewart Chamberlain zum Verfasser hatte, betitelt: »Christus – ein Chinese!«, es fand keinen Absatz, trotzdem es in Germanien und Danubien verboten war. In solchem Grad absorbierte der tote Arahar jedes andere Interesse. Deutsche und Czechen, Tlinkiten und Syrjänen, Kaffern und Orangutans machten sich die nationale Zugehörigkeit unseres Malers streitig. Man befehdete sich bis aufs Messer; um die hehre Angelegenheit auszutragen, griff man zu einem sehr abgebrauchten Mittel: man schritt zum Weltkrieg. An und für sich wär das eine sehr zahme Affäre gewesen. Leider aber wurden durch den Schlachtenlärm ausgestorbene Völker und Tiere aus dem Todesschlaf erweckt, erhoben sich aus ihren Gefängnissen, den Gräbern, stiegen aufwärts ans Tageslicht und nahmen an den Kämpfen regen Anteil. Auch das hätte, zumindest nach der Ansicht der beförderungssüchtigen Soldateska, kein Unglück genannt werden können. Doch ach! wie viele Dogmen und Theoreme der Paläontologie, Rassenkunde und Geschichte zerbarsten anläßlich des unvorsichtigen, zum wenigsten respektlosen Auftretens des Gewesenen. Es war der Ruin zahlreicher Professoren … Die Toten erstanden. Ein fabelhaftes Tohuwabohu, ein menschliches Pandämonium, ein wahrer Hexensabbath begann … Da er einen ordentlichen Paß besaß und also als Revolutionär verdächtig war, vor den Toren Roms wurde Hannibal endlich von einem Bersaglieri verhaftet – und hatte doch nur die Sammlungen des Vatican besichtigen wollen! In anderen Fällen konnte die Polizei die Ordnung nicht länger aufrecht erhalten. Vergebens ward das heilige Standrecht verkündet. Einem findigen polnischen Impresario gelang es, Napoleon gegen eine Tenoristengage für die serbische Sache zu verpflichten. Der blutdürstige Korse vertraute die Verteidigung des montenegrinischen Goals dem bekannten Gebirgsspezialisten Andreas Hofer an, eine Woche darauf erstürmten die Serben unter seiner kundigen Führung Wien, und die »Reichspost« erschien in serbischer Sprache. Die Wiener tangierte die Sache weiter nicht, Extraausgaben sämtlicher Zeitungen halfen ihnen über ihre patriotischen Schmerzen hinweg: in einer Bar hatte ein Markomannenhäuptling den Grafen Sternberg unter den Tisch getrunken. Und jeden lieben Abend, den Gott gab, war der Praterzirkus bumvoll: Milo, der Krotoniate, trat endlich mit dem Kosakenringer Outochkin zum Entscheidungskampf um die Weltmeisterschaft an. Ein Trost im Unglück war es ja, daß es in den Nachbarländern auch nicht besser herging. Attila, umringt von seinen Söhnen Dengizigh, Emnedzar und Uzindur – auf den weißen Rossen von Rosmersholm jagten sie nach Ungarn und kamen gerade zurecht, in dem zwischen den Prätendenten Kossuth Lajos und Ferencz II. Rákóczy entbrannten Gulyáswettessen um den Besitz der Länder der heiligen Stephanskrone zugunsten des hunnischen Höllengottes zu dirimieren: sie opferten beide Schiribihu, dem Vater der untern Kanäle. Aber nur kurz war die Freude der Vindobonenser: als gäb es noch ein Meer in ihrer Gegend – ein Sägehai schwamm die Wien aufwärts, stieg ans Land und verschwand in der Secession. Was er dort wollte, hat nie ein Mensch erfahren. Doch diese Begebenheit galt nur als Vorzeichen einer anderen, schrecklicheren. Ein geflügelter Atlantosaurus fraß zum größten Leidwesen Napoleons alle Kriegs-Luftschiffe und Äroplane. Ob der Geschmack der darin befindlichen Menschen diesem Leviathan der Lüfte noch fühlbar gewesen, ob er ihn etwa noch wie ein zartes Parfüm gespürt oder ob die Eigenart der winzigen Affenstämmlinge für das Untier nicht wahrnehmbar war, darüber gehen die Meinungen der Historiographen jener fürchterlichen Zeit auseinander.

Nicht bloß in den Donaustaaten, auch in den andern Ländern herrschte an halb skurrilen, halb tragischen Begebenheiten kein Mangel. Im Münchener Hofbräu wurde ein Kongreß der Vorläuferprodromedare sämtlicher Erlöser abgehalten. Alle modernen Dichter erblaßten: Lukian hatte nach einer längeren Pause seine Tätigkeit als Kritiker wieder aufgenommen. Der Sultan Bajezid II. balgte sich mit einem preisgekrönten Bulldogg herum, Zetes und Kalais, die Söhne des Nordwinds, versuchten gewohnheitsgemäß wieder bei helllichtem Tag Jungfrauen zu rauben, erwischten eine Statue der Maria Theresia und starben im Stein. Mormonen und Circumcellionen feierten Verbrüderungsfeste, irgendein Meerungetüm verschluckte die Riu-Kiu-Inseln, spie sie aber sofort wieder aus: auf einem der Eilande mußte sich ein Exemplar des Werkes St. Augustini »Über den Gottesstaat« befunden haben und dadurch war der Archipel gegen höllisch Blendwerk gefeit. Andererseits fuhr der Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos, an Bord eines von dem Wikinger Thorfin Karlsefne eigenhändig gesteuerten roten Meerdrachen, den Usumacinto stromaufwärts: in El Cayo, der Stadt, wo das Ufer mit Steinen bestreut ist, wurde der grüne Tempel des Ketsalkoatl wieder eingeweiht und die Mysterien des Gottes gebührend erneuert … Tropikvögel apportierten Mokassins, Johannes wurde von den hervorragendsten Malern der Gegenwart und Vergangenheit angeschnorrt, ihm endlich einmal zu sitzen.

Arahar war im Augenblick seines angeblichen Todes in einen der großen Yogiklubs Indiens eingetreten. Der Spuk, der sich vor unsern Augen abspielte, dürfte nichts anderes gewesen sein als die locker sitzenden Assoziationen und Phantasmagorien seines Jahre währenden Traumschlafes und Traumwachens, Gehirnnebel, der sich außerhalb dieses barbarossahaften Dornröschen zu Gestalten verdichtete, woraus man die bildnerische Potenz sowohl als insbesondere die psychischen Kräfte unseres Helden ermessen mag. Die Art seiner Ideen läßt sich am besten folgendermaßen erklären: er war früher hie und da aushilfsweise Mitarbeiter einer amerikanischen Zeitung gewesen. In seinen fleischgewordenen Visionen und den Gaukeleien seines traumverwirrten Erinnerungsvermögens nahm er diese entsetzliche Tätigkeit wieder auf.

Riesenfortschritte hatte in Europa auch sonst die Amerikanisierung des öffentlichen Lebens gemacht. Als Arahar wieder auftauchte, hatte man es erwartet, niemand staunte darüber, er wurde mit königlichen Ehren überschwemmt. Selbst bei heiterem Himmel mußte er mit einem Panzerschirm über dem Haupt ausgehen, sonst hätte ihn der Ordenshagel erschlagen. Seine ehrfurchtlose Hausmeisterin und auch der Delikatessenhändler hatten längst schuldbewußt einen Doppelselbstmord verübt, entgingen trotzdem mitnichten der Volkswut. Ihre Gebeine wurden unter Schmährufen auf den Schindanger geworfen. Nach der Aussage einer aus namhaften Kraniologen und schwer metempsychotischen Kunsthistorikern zusammengesetzten, gemischten Kommission war der Delikatessenhändler und Quargelreiter zweifelsohne zur Steinzeit ein von den kannibalischen Künstlern und primitiven Gourmands der Pyrenäenhöhlen aufgefressener Kritiker gewesen, womit sein feindseliges Gehaben genugsam begründet sein dürfte. Der Lehrbursch (siehe Seite 481) schlug befreit eine mystische Zahl von Purzelbäumen, der Besuch des nunmehr von ihm geleiteten Geschäfts ist jedermann zu empfehlen.

Von sonstigen Vorfallenheiten könnte man vielleicht noch dies erwähnen: Mitrofan und das Modell wurden unter gleichzeitiger Verleihung des Titels »Exzellenz« unter die Sterne versetzt. Was Arahar anlangt, so übte er, weil er es als verfetteter Trilliardär nicht mehr nötig hatte, seine Malerei als Passion aus. Er ward ein Liebling der Frauen. Die Herzogin von Knarpenulm, die vordem nur Chauffeure beseligt hatte, warf sich ihm zu Füßen. Eines seiner Gemälde steht wohl allen in unauslöschlicher Erinnerung, stellt es doch ein Ereignis dar, das einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Menschheit introduzieren könnte. Eine der Jugendgeliebten Arahars, Fräulein Rosa Cylinder vom Venustheater, hatte den alten Grafen Vanderpolak geheiratet. Die Hochzeitsreise feierten Modell und Bräutigam im Äroplan, es war das erste Menschenpaar, das in den beherrschten Lüften liebte. Dies nun ist der Vorgang, den das berühmte Bild schildert: mit der Rechten das Steuer regulierend, preßte Viscount Vanderpolak mit der Linken sein trautes Weib an sich, mit der aristokratischen Nase winkte der Lord unserm natürlich schon längst geadelten Freund, dem geheimnisvollen Maronibrater, der ihm vermutlich recht viele Luftkinder wünschte, die letzten Grüße zu.

Auf Veranlassung weiland seiner Majestät, des Kaisers von Ostelbien, der durch seinen Flügeladjutanten, Kapitän zur Luft von Trebene-Gruschwitz, von der Meisterleistung des Künstlers gehört hatte, zugleich auch einem von zahlreichen meiner Leserinnen geäußerten Wunsch nachkommend: die Milchwogen einer Predigt schlugen über Arahar und Dagobertine jäh zusammen – sie waren Mann und Frau. Sie lebten amüsant und starben sensationell: im Wasserschloß in den Tiefen der See – während in den Dachstübchen der Großstädte 33+000 unbekannte Arahare hungerten, kunstmalten und, in jeder Beziehung unanfechtbar, Olmützer Quargeln erstanden.


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