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O Mensch, sei lieb
Nicht nur zu dir!
Was stieß und trieb
Das arme Tier,
Den kleinen, schwarzen Kater fort?
Im Leben hilft nur selige Tat,
Zu spät wird Reue Wort.
Seine Eltern hab ich nicht gekannt. Auf unserm Hof ist er nicht aufgewachsen. Es muß ihm aber jedenfalls hundeschlecht gegangen sein, denn gewöhnlich verlassen Katzen das Haus ihrer Jugend absolut nicht. Der arme, schwarze Teufel kam zu mir, rieb sich an meinen Füßen und bat mich inständig um meine Protektion. Daß er zu mir kam, ist ein Wunder. Fremde Kater sind sonst sehr scheu. Er war total verhungert und räudig. Da nahm ich ihn auf. Denn auch ich war räudig. Ich hatte bei der Matura nicht geahnt, daß man zur Füllung von Thermometern außer Weingeist und Quecksilber auch Toluol verwenden kann. Und ich wußte noch eine Menge derartiger Toluole nicht. Nachprüfung. Ich bin allein und zähl die Blätter, die von den Bäumen fallen. Ich laß das Fenster offen: es wär mir ein Erlebnis, wenn mich eine Gelse stechen wollte.
Wie gesagt, brachte er ein schwarzes Fell über sich. Beim Gesinde hieß er deswegen Zigeuner: Zsigan. Ich nannte ihn Kerouen. Thomas Kerouen. Die zwei Namen dürfen nicht befremden. Meine Kater haben immer Vor- und Zunamen. Ich füll sogar einen Meldezettel für sie aus. Die Polizei wünscht es.
Er war noch jung, etwa ein Jahr alt. Oft spielte er mit einem kleinen, braunen Hund namens Libor.
Tagsüber war er im Bureau – auf den Fruchtböden gab es Legionen von Mäusen, die ihn nicht zu Atem kommen ließen. Er blieb bei ausgezeichneter Verköstigung so schlank, so mager wie zuvor. Man wird fragen, viele Leute wird es interessieren, was Kerouen gegessen hat? Nun so opulent wie bei hanseatischen Mahlzeiten ging es nicht her. Es galt für ihn die gewöhnliche, auf Milch, Milchbrei, einfache Mehlspeisen, Suppen, Grünzeug, Fleischabfälle, Hühnerknochen beschränkte Katzendiät. Aber wenn er nach erfolgreicher Jagd durchs offene Fenster zu mir aufs Sofa sprang, zu spinnen begann und die dürren, staubbedeckten Flanken an mir zu reiben versuchte, dann konnt ich ihn unmöglich mit dieser ordinären Hausmannskost abspeisen.
Ich hätt nicht so gut zu ihm sein sollen. Das wär für uns beide besser gewesen. Bei Licht schien er ein alltäglicher Gesell, in der Nacht wirkte er leicht unheimlich. Ich mußt ihn einige Zeit durch bei mir im Kabinett übernachten lassen. Er fing die Maus weg, gut – doch wenn ich aus schweren Alpträumen erwachte, saß der schwarze Dämon mit grün glitzernden Augen auf meiner Brust und schnurrte irgendeinen Siegeshymnus. Ich ließ ihn nicht mehr ins Kabinett. Aber damit er nicht glaube, ich gönn ihm etwa die darin befindlichen Maus nicht, stellt ich Fallen auf. Fing sich ein Tierchen, ging ich mit der Falle zum Brunnen, ersäufte die Maus und wartete mit ihr dem Kater auf. Kerouen hatte sonderbarerweise keine Abneigung gegen Mausfallen, es fiel ihm nicht ein, die Konkurrenz zu zertrümmern, er lebte offenbar in der Idee, das seien in seinen Diensten stehende Vorrichtungen, tributäre Instrumente, die ihm aus irgendwelchen Gründen Nahrung zu liefern hätten. Andererseits brachte er sie mit mir in Beziehung, er ließ sich nichts schenken, revanchierte sich regelmäßig: ab und zu, wenn er eine besonders fette Maus erwischt hatte, schleppte er sie zu mir, legte sie vor meinen Füßen nieder und sah mich an. Um ihn nicht zu beleidigen, mußt ich die Maus annehmen.
Wenn es besonders heiß war, pflegt ich nach Tisch im Schatten der Mauern auf einer Wiese zu schlafen, die hart am Hinterhaus lag. Hie und da besuchte mich Kerouen. Er staunte über die Flugsprünge der Heuschrecken, hüpfte in drolligen Schwüngen hinter ihnen her, und manchmal gelang es ihm sogar, eine zu haschen. Die grätenartigen Beine biß er weg, das übrige behagte ihm. Seine Besuche waren also nicht ganz uneigennützig. Ich fühlte mich dadurch nicht gekränkt, sondern ging noch einen Schritt weiter: ich machte ihn auf die Frösche aufmerksam. Aber er verschmähte selbst die jüngsten, zartesten, behendesten, ließ sie unbehelligt ihren Weg ziehen zu den seligen Sümpfen. Ich bin überzeugt: manche Katzen haben dieselbe Abneigung gegen Froschschenkel, wie wir sie gegen Hundefleisch besitzen.
Ich hab eine aufregende Bekanntschaft gemacht. Sie heißt Miaulina, trägt ein blaues Seidenschleiferl um den Hals und beschäftigt drei Kater. Kerouen ist einer von ihnen. Miaulina und Kerouen geben sich hie und da auf der Wiese ein Rendezvous. Es ist ihm also gar nicht eingefallen, meinetwegen die Wiese zu besuchen! So ein Schlankel!
Auch wir haben eine neue Wirtschafterin bekommen. So sehr ich mich gegen aufdringliche Parallelismen sträube: Kerouen und ich scheinen Schicksalsgenossen zu sein. Sie heißt gräßlicherweise Sabine, trägt einen Rosenkranz um den Hals und beschäftigt, soviel ich sehen kann, nur zwei Kater. Ich hätt also das Recht, zu Kerouen »Etsch!« zu sagen. Wenn ich's unterlaß, liegt das daran, daß der eine Kater für zwei ausgibt. Es erhöht die Freude des Wettbewerbs, so der Konkurrent ein Cousin ist. Kompliziert und gefährlich wird die Sache erst dann, wenn der Betreffende nicht nur Cousin, sondern auch Hauslehrer ist. Ich hab mich ja der neuen Wirtschafterin noch nicht entschieden genähert, es wär mir aber sehr peinlich, falls mich Robert einmal bei ihr träfe und sagte: »Albrecht! Wo sind wir stehngeblieben? Geh lieber Physik lernen.« Als ob das nicht die wahre Physik wäre.
Ich sah Zeichnungen von Rops durch, als Sabine in mein Kabinett trat. Schnell klappt ich die Mappe zu, damit sie mich frage, warum ich die Mappe so schnell zugeklappt hab. Natürlich fiel sie hinein. Ich verweigerte die Auskunft. Sie sagte: »Sie werden mir's schon zeigen, Herr Wodianer!« Ich zweifelte nicht daran.
Robert hat einen größeren Schnurrbart. Er ist auch drei Jahre älter und bald Kadettoffizierstellvertreter. Zwischen seinem und meinem Kabinett liegt Sabines Schlafzimmer. Sie schläft nicht allein, zu ihren Füßen: auf einem Strohsack schnarcht das Küchenmädchen. In der Nacht begann der Trampel zu schreien: Ich eilte ins Schlafzimmer, da hörte die Neidische auf zu brüllen: sie wies auf Sabines Bett – es war leer. »Der Herr Robert hat sie zu sich ins Kabinett getragen!« heulte die Magd.
Auch Kerouen ging es nicht gut. Seinen Geschmack billigte ich nicht. Miaulina war eine Allerweltskatze und zog ihm einen mächtigen, graugestreiften Angorilla und einen einäugigen Kater vor, der einen lichtbraunen, grobkarierten Anzug trug. Sie lief ihnen schnurrend und spinnend entgegen, warf sich auf dem Rücken hin und her, als wär ihr Rückgrat gebrochen, bot ihnen werbend den Bauch, wälzte sich wollüstig und schrie abscheulich. Der schmächtige Kerouen siegte nicht immer in den Kämpfen, und dann geschah es oft, daß sich ein fremder Kater im Hinterhof breitmachte und die ganze Nacht hindurch in der Brunst wie ein Schwein grunzte, wie ein Hund murrte, wie ein Kind klagte. Kerouen hatte das Seinige getan, der faulen Miaulina oft eine Riesenmaus gebracht, aber Mäuse sind in der Liebe nicht das einzig Ausschlaggebende. Und nach so einer Nacht, die von dem frechen Miauen, von dem unverschämten Gewinsel des graugestreiften Katers erfüllt gewesen, war der besiegte und verschmähte Kerouen immer sehr melancholisch gestimmt: er kam wieder zu mir. Ich wußte, daß unglückliche Liebe vernichtet, und trachtete, ihm nach Kräften zu helfen.
Kaum Nacht über die Erde gefallen war, ob nun Regenschauer uns anprusteten oder aus blauhinhallendem Himmel der Mond uns sein kalkweißes Licht ins Gesicht schlug, Kerouen und ich zogen zu Felde, gingen nach dem Hinterhof. Er lief murrend einige Schritte voraus, ließ mich nicht nahkommen; ich schlich bewaffnet hinterdrein. Irgendwo im Dunkel ruhte gewöhnlich Miaulina und eilte Kerouen entgegen. Sie hatte für jeden Liebhaber dieselben Formalitäten, das Weitere allerdings mußten die Kater untereinander ausmachen. Im Hinterhalt lagen handliche Jauche- oder Wasserkübel, aber weder meine intelligenten Güsse noch Steinwürfe, durch welche die armen Kerle mit unbarmherziger Sicherheit von ihren Dächern weggefegt wurden, konnten die fremden Konkurrenten auf die Dauer verscheuchen. Miaulina besaß irgendwelche, für mich nicht sichtbare Reize: für jeden Kater, der, aus seiner Höhe gestürzt, mit gebrochenen Rippen ausschied, fanden sich schnellstens zwei Surrogate ein. Und gelang es einmal meiner strategischen Umsicht, die ganze Katerherde zu eliminieren, dann war regelmäßig auch Miaulina verschollen. Ihr in Feindes Land zu folgen, iniquo loco mit den Nebenbuhlern zu kämpfen, wagte Kerouen nicht recht, er war ja noch klein, erst ein Jahr alt, und bei einer derartigen Gelegenheit hatte einst ein Gourmand, ein alter, weiser Kater, untersucht, wie ein Ohr Kerouens schmecke. Die Leiden des jungen Kerouen konnte ich also auf diese Art nicht lindern. »Käterchen«, sagte ich, »siehst du, mir geht es auch nicht besser. In vierzehn Tagen aber wird Robert zur Waffenübung einrücken, dann werd ich wohl Sabine Rops zeigen können. Übrigens besitz ich große Konnexionen. Jetzt soll die zweijährige Dienstzeit eingeführt werden. Vielleicht läßt es sich unter Einem durchführen, daß auch die ältern Kater zur militärischen Dienstleistung einberufen werden. Ich will dem Kriegsminister einen diesbezüglichen Vorschlag unterbreiten.«
Man glaube nicht, ich hätte mich etwa aus Selbstlosigkeit Kerouen angeschlossen. Ich lud ihn ein, wieder bei mir im Kabinett zu schlafen, damit ich mir nicht ganz einsam und verlassen vorkomme. Er nahm an, und Punkt zehn Uhr gingen wir täglich zur Ruh. Wenn ich die Tür öffnete, gestattete ich ihm immer den Vortritt, denn er war mein Gast. Mäuse ließ ich ihn nicht mehr fangen, dies wäre mir wie Eigennutz und Entwürdigung der Freundschaft erschienen. Übrigens war ja nicht mehr die alte Wirtschafterin da, die streng darauf achtete, daß die Katzen ihr Futter verdienten. Die Alte hatte sich sehr vor den Mäusen gefürchtet. Als ob so eine arme Maus sich nichts Besseres wüßte, als ihr zwischen die Beine zu geraten.
Wie gesagt: es paßte mir nicht, daß mein Freund arbeiten sollte wie ein gewöhnlicher Mausfänger. Da er aber doch Sachverständiger war, ernannte ich ihn zum Inspektor. Um ihn aufzuheitern, schaffte ich neuartige Fallensysteme an und demonstrierte sie ihm. Er sah sehr intelligent zu und schlug en passant die Krallen ins Drahtgeflecht, wie um dessen Stärke zu prüfen. In der Folge brachte er weder mir noch Miaulina Mäuse: er war ja Industrieller.
Im übrigen benahm er sich jedoch keineswegs wie ein Parvenü. Es fiel ihm längst nicht mehr ein, nachts auf meiner Brust zu hocken, sondern er saß bescheiden und manierlich zu meinen Füßen auf der Decke. Er wurde zutraulich und lief mir den ganzen Tag nach. In der Wohnung. Denn mir auf die Gasse zu folgen – das vermochte ich bei ihm nicht durchzusetzen. Wenn ich ihn gewaltsam hinaustrug, begann er zu kratzen. Ebensowenig wollte er mir im Hof Gesellschaft leisten. Sein Grundsatz schien: im Haus dien ich, außer Haus bin ich mein eigener Herr. Nicht etwa, daß er mich ignoriert hätte; es waren Reste von Wildheit, jener unbändigen Freiheitsliebe der katzenartigen Raubtiere, die in seinem Benehmen zutage traten. Die spitzfindigsten Versuche, ihn durch Delikatessen außer Haus an mich zu ziehn, nützten nichts; er verzehrte das Gebotene und war dann nicht mehr für mich zu sprechen, verschwand. In mir aber lag der Wunsch und Trieb, alles zu knechten. Ich wollt ihn nicht brechen, aber ins Unendliche biegen, seine Seele aus ihrem Reich jagen, sie über all ihre Grenzen hinaus an mich bringen.
Ich hab meinen besten Freund verraten. Es war nicht der erste Verrat, den ich beging, und ich verriet auch nicht das Gute um des Bessern willen. Feigheit und Eigensucht, die schamvolle Furcht, vom Freund besiegt zu werden an Größe der Ergebenheit, mit einem Wort: mein niedriges Trachten trieb mich zum Mord. Geschah mir was, vergriff sich jemand an mir, wurde mir irgendein geringfügiges Leid getan, schrie ich Zeter und Mordio, erzählte Fremden, Gleichgültigen und Übelwollern meine Qualen. War aber ich der Herr und hatte die dominierende Position, drängte sich da ein liebesdurstiges Herz an mich, sich an mir zu wärmen, und war es selbst ein Herz, um das ich inbrünstig geworben hatte – ich vergaß nie, ich konnte es nicht verzeihn, daß ich so lang ohnmächtig unten hatte werben, dienen müssen, und beförderte das Herz, das Freundesherz, mein eigenes Herz mit einem Fußtritt auf den Düngerhaufen.
Durchs Dorf zum nahen Steinbruch zieht täglich ein Mordskerl, ein berüchtigter Raufbold, mit seinem wilden Riesenroß. Der Brandfuchs heißt »Teufel«. Der grausame Knecht reizt ihn unaufhörlich, dann wird das Pferd ungebärdig, schlägt aus, beißt, läßt niemanden nahekommen. Wenn das rote Ungetüm besonders stark tobt, schwingt der Lümmel seine Nagelpeitsche, reißt an dem Stachelzaum, bis der gebändigte Hengst das Bäumen aufgibt, mit blutig aufgerissenem Rücken, blutendem Maul stillsteht. Dann brüllt, lacht, grinst, höhnt der Bauernkerl triumphierend: »Halloh! der Oberteufel bin i!«
Mir stand kein höllisches Pferd, nur ein armer, kleiner, magerer Kater zur Verfügung, nichtsdestoweniger könnt ich mit größerer Berechtigung in die Welt schreien: »Halloh! der Oberteufel bin i!« Ich hab mich nicht geschämt, das kleine Tier zuschanden zu reiten.
Sonnenuntergang. Im Nachbarhaus ließ ein junger Slowak seine Schwermut in eine Harmonika strömen. Zu tun gab es nichts. Ich stand mitten im Hof und lauschte. Erst in drei Tagen sollte Robert einrücken. Mittlerweile war nichts zu machen. Ich dachte daran, auf achtundvierzig Stunden wegzufahren, nach Bruckenthal oder nach Sarmingstein, mir belanglose Dinge anzusehen, den Zusammenfluß zweier Ströme etwa, den Flug der Kiebitze über die Sümpfe hin, vielleicht auch waren einige Wildenten zu schießen. Sogar ein Ausflug auf unsere aussichtsvollsten Berge (den Großwolkner und den Hochnebel – nebst regenfreudiger Einkehr beim Wetterpechbauern) war projektiert. Da kam Sabine auf mich zu. Und gleich darauf, von einer anderen Seite her, hier einer provokanten Gluckhenne, dort mit großem Satz einer Kotlache ausweichend: Kerouen. Es war das erste Mal, das er mich im Hof aufsuchte. Mir galt es, nicht der Miaulina, nicht den Heuschrecken, jetzt galt es mir. Aber es war nicht Liebe. Es war Eifersucht. Etwas Weiches schmiegte sich werbend an meine Füße. Ah, auf einmal schien es ihm pressant, zu mir zu kommen! Aber ich stellte nicht vor, ich sagte nicht: »Dies ist Kerouen. Thomas Kerouen. Der Kater meiner Seele, der einzige Kater, der existiert.« Ich schämte mich meines Freundes, wollte die kindliche Gefühlsweichheit meiner Seele verstecken wie eine geflickte Stelle im Gewand. Ich tat hart und tyrannisch. Und er war zu mir gekommen!
Ein Fußtritt – etwas Schwarzes überschlug sich in der Luft, wirbelte einen Augenblick zappelnd über dem Düngerhaufen und fiel dann auf einen psychisch minderwertigen weißen Hahn nieder, der empört »Kotkotkodutot« schrie.
»Halloh! der Oberteufel bin i!«
Der Arbeiter Janku auf dem Fruchtboden droben sah zu und grinste meiner Roheit Beifall. Der Kater, vergeltungsweise auch einmal von Jauche über und über bedeckt, lag zunächst ganz still, schrie nicht wie jener Pariahahn und war auf einmal verschwunden. Sabine besaß die übertriebene Freundlichkeit, mir mitzuteilen, Robert habe einen längeren Aufschub seiner Waffenübung erwirkt.
Ich verneigte mich und ging – ging in der Richtung, die Kerouen eingeschlagen hatte. Aber er war nicht mehr zu erblicken, hatte sich mit seinem Leid verkrochen. Mein Opfer war vergeblich gewesen, und nun wollte auch er mich nicht sehn. Und ich hätt ihm doch so gern die ganze Sache erklärt! Diese meine Untat war nicht die erste. Die Kindheit und Jugend von Verbrechern muß Dinge enthalten, die den spätern Befriedigungen irgendwie analog sind. Und sie enthält sie auch. Ich habe schon früher Katzen umgebracht. Als Kind hab ich uralte oder ganz junge Katzen, mit denen ich einige Zeit gut Freund gewesen, plötzlich gepackt und aus der Höhe von Stiegen und Böden in die Tiefe geschleudert – um zu kontrollieren, ob sie auch richtig auf die Füße fallen. Man nenne das nicht kindlich-grausame Experimentiersucht, die früh der Gottheit: dem Lesebuch den Glauben kündigt. Bei Katzen, die im kräftigsten Alter standen, unterließ ich derartige Proben: ich ahnte, sie könnten sie bestehn.
Es war übrigens ein Irrtum, anzunehmen, ich hätte Kerouen durch jenen Fußtritt getötet. Er erfreute sich auch fernerhin der besten Gesundheit. Ich hab ausdrücklich hervorgehoben, daß Kerouen sich nicht über schlechte oder wenig reichhaltige Kost zu beklagen hatte. Als Knabe liebte ich einst ein schwarzes Hähnchen, es starb – und dies war teilweise meine Schuld – jung und ohne Leibeserben zu hinterlassen. Nichtsdestoweniger dürfte mich jeder verstehn, wenn ich sage, ich hätte Kerouen gewissermaßen mit den Knochen und Überresten dieses Hähnchens gemästet, indem ich ihn oft mit Hühnerbraten traktierte. Jede junge Freundschaft wird von den Resten der alten, in Feindschaft verwandelten ernährt. Zumal, wenn sie bereits wieder brüchig zu werden droht. Also lebte Thomas – ich war taktlos genug, jetzt intimer zu werden und Kerouen beim Vornamen zu rufen – er lebte wie ein Grandseigneur, es ging ihm nichts ab. Kein Kater der Welt dürfte so viel Mausfallen besessen haben wie er. Und gar an dem Tag, wo er zum Kommerzialrat ernannt wurde, ging es hoch her. Aber er wollte nicht mehr, er war meiner und dieser Welt müde.
Denn sonst hätt er nie tun können, was er mir tat. Kerouen hatte es doch wahrlich nicht nötig, und auch das Verbotene konnte ihn nicht reizen, dazu stand er ethisch zu hoch: er war überfüttert. Ich hatte mich endlich doch entschlossen, hatte gepackt und war weggefahren, nach Bruckenthal oder nach Sarmingstein, mir endlich belanglose Dinge anzusehn, den Wetterpechbauern oder einen Flug der Kiebitze über die Sümpfe hin – aber bevor ich noch daran gehn konnte, kam die Nachricht: »Kerouen schwer erkrankt!«
Es griffen die Keren nach Kerouen.
Was war ihm Wurst und Speck! Es ist nicht denkbar, daß er nach derlei Dingen gegiert hätte. Gut: er hatte dem Arbeiter Janku täglich aus dem abgelegten Rock Frühstückswurst und Mittagsspeck gestiebitzt. Aber doch nicht, um diese unsäglich gemeinen Sachen zu verzehren. Vulgär war sein Geschmack nie. Nicht einmal aus Freude am Metier, an diesem männlichen Metier, brach er ein, nein! er stahl, um dafür halbtot, tot geprügelt zu werden. Er hatte mir noch immer nicht den Fußtritt vergeben. Der Freund hatte ihn verlassen, da verließ er den Freund. Er machte sich meine Abwesenheit zunutz, sich zu entfernen.
Es sah wie ein Zufall aus, der Arbeiter Janku spielte dabei die lächerliche Rolle eines Werkzeugs. Kerouen hatte bemerkt, wie Janku den Fußtritt beifällig begrinst hatte. Früher hätte Janku sich nicht unterstanden, über Kerouen auch nur despektierlich zu denken. Aber er hatte zugesehn, als ich den Kater mißhandelte – und Kerouen seinereits hatte ihn dabei gesehn, lief zu dem Arbeiter und stahl ihm die Wurst. Zu andern Zeiten hätte Janku Schadenersatz verlangt und nicht selbst den Richter gespielt. Nun aber besaß er ein neues Erlebnis, faßte meinen längst zurückgenommenen Fußtritt als Aufforderung und Erlaubnis auf, dem Kater den Rest zu geben. Den komplizierten Windungen unseres Benehmens nachzuirren, war er nicht geschaffen, er gehorchte einem Weltgesetz: Wen der Herr tritt, erschlägt der Knecht. Nein, Janku trug nicht schuld, und dann war er schon dreißig Jahr im Haus, ihn konnte man nicht entlassen. Sicherlich hatte er geglaubt, mir einen Dienst zu leisten. Warum auch, sagte er, war der faule Zsigan nicht lieber nach den Mäusen der Welt gelaufen, statt ihm den Speck zu stehlen?
Das Bild des toten Katers weicht nicht aus meinem Kopf. Ein Steinwurf hatte dem armen Kerouen den Schädel zerschmettert, den Leichnam auf ein Stoppelfeld geschleudert. Er lag unweit einer Mauer – wie die Kater, die ich seinetwegen von den Dächern herabgeholt hatte. An seinem dünnen »Es ist erreicht«-Schnurrbart klebten spärliche Tropfen geronnenen Blutes. Das Rot seines Blutes war ein anderes als das des Ziegels, von dem er sich töten ließ. Er war nicht aus der Welt geschlichen – aufrecht, überlegen war er aus der Welt gegangen, mich ließ er höhnisch zurück in der Mausfalle des Lebens. Die Pfoten hatte er ein für alle Mal dezidiert von sich gestreckt, ein Rabe aber bekannte sich zu ihm, flog vom Weingebirg heran auf seinen Leichenschwingen, stieg hernieder, krächzte ruhmredig und verkündete die Annexion. Kerouen sollte also noch jemandem zugute kommen. Möge er, dachte ich, möge ihn der Rabe zu sich nehmen, vielleicht kann er damit wieder einen Propheten in der Wüste ausspeisen. Aber für den Zweck stank mein Frevel wohl schon allzusehr zum Himmel, der Rabe erhob sich Rache krächzend und überließ mich wieder meinem Opfer. In der Selbstmörderecke des Bauernfriedhofs, wo die Wanderer und Zigeuner ruhn, wollte ich Zsigan nicht beerdigen lassen. Wo sein Grab liegt, darf nur ich wissen. Er hinterließ – wie gewöhnlich – nur wenig, und hatte es vorher schon anstandshalber zugescharrt. (Wenn er stark gejaust hatte, eilte er zu einem Sandhaufen, begann zu scharren, machte mit gequälter Miene einen Buckel, seine Vorderfüße kamen fast zwischen die Hinterbeine zu stehen, und das Resultat verscharrte der Schatzgräber sorgfältig.) Soweit ich die Menschheit kenne, wird sie sich um diesen Nachlaß nicht kümmern.
Der Nachbar hat mich auf Schadenersatz verklagt. Ich habe Miaulina mit einem Flobertgewehr erschossen. Sie soll nicht triumphierend des Lebens genießen, während Kerouen verwesen muß. Der Sabine habe ich gekündigt, nicht ohne ihr vorher Rops gezeigt zu haben. Dies alles war Rache für Thomas Kerouen. Doch was konnten die armen Katzen dafür? Sie ahnten nicht, was sie verbrachen. Sie konnten nicht anders. Aber ich, ich! Wie kann ich mich züchtigen?
Er hat es eilig gehabt, er hat sich auf und davon gemacht, ohne sich auch nur Zeit zu nehmen, seinen Schnurrbart zu putzen: vom Blut zu reinigen. Aber ich will mich vom Blut reinigen, ich will meine Tat sühnen. Eine Zeitlang hockte wohl nachts auf meiner Decke ein schwarzes Gespenst, verwaiste Mausfallen begannen zu rasseln – Kerouen drohte mich zu ersticken, mir die Kehle durchzubeißen.
Ich fahr auf, aber dann ist ja alles wieder verschwunden, und der Schlaf kehrt zurück. Klein, außer allem Verhältnis zur Schuld ist die Strafe, und groß sind die Gewissensbisse. Wenn ich den Kater wenigstens eigenhändig umgebracht hätte! Doch er hat mich umgebracht, und ich habe mich unsterblich blamiert. Und kann mich nicht rächen: ein armseliges Tier übertraf mich an Seelengröße, vollzog geschickt das Harakiri, und mir ließ es das Leben!
Im Keltischen heißen Burgruinen: Kerouen. Aber nicht er war in Trümmer gefallen. Ich blieb als Ruine zurück. Kerouen, Kerouen!
Ich hab mich dem Kommissariat gestellt. »An meinen Händen klebt Blut,« sagte ich, »ich hab meinen Kater erschlagen.« »Sie waren doch der Herr,« behauptete der Polizist, »Sie durften machen, was Sie wollten.« Dann fiel es ihn an, ich sei nicht recht bei Trost, und er rief den Beamten. Ich blieb bei meiner Anzeige. »Derart feine Rechtsbegriffe machen Ihnen alle Ehre, Herr Wodianer, aber wohin käm man da!« »Das wär auf dieser Erde nur logisch,« erlaubt ich mir einzuwerfen. Da geriet der Beamte in Rage. »Sie sind reif fürs Irrenhaus!« Ich brauch also die Nachprüfung nicht zu machen. (Hier ging es ohne Toluol.)
Mir bleibt nichts übrig, als vor Leuten zu warnen, die ein Tagebuch führen. Wenn ihnen ein Freund erschlagen wird, wissen sie, daß das Rot seines Bluts ein anderes ist als das des Ziegelsteins, der ihn entfernte. Ich war niederträchtig genug, diese Geschichte zu schreiben, die Leute werden sie ausgezeichnet finden, man wird nicht den Verkehr mit mir abbrechen, man wird weder mir noch sich ins Gesicht spucken. Alle Menschen sind wie ich. Ich stelle die Menschheit dem Kommissariat.