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Mörder aus Gerechtigkeit sind die Matadore des Schui Hu Tschuan, der Geschichte der hundertacht Helden vom Berg Liang. Es sind Edelräuber, ein wahres Kohlhaasenrudel – das sich im Protest gegen bestechliche Beamte und verderbte Gewalthaber zur Feme, Selbsthilfe und herzhaften Volksjustiz zusammenschließt.
Im Lauf der Jahrhunderte haben Milliarden von Chinesen diesen Räuberroman gelesen. Oder gehört, wenn die Straßenerzähler die Lieblingsdichtung des Volkes zum besten gaben. Die erste Fassung dieses populärsten Abenteuerromans, den ein Sachverständiger »das beste und längste Knabenbuch der Welt« nannte, reicht wohl bis ins zwölfte Jahrhundert zurück. Aber erst um 1500 schuf ein Dichter, von dem sich sonst nur der Name: Schi Nai Ngan erhielt, die endgültige Fassung in siebzig Kapiteln.
In der Zeit mongolischer Fremdherrschaft über das dumpf duldende China war der ins Gras Gefallene, der Held auf Fluß und See, der Räuber und Pirat, der starke Mann des Volkes und Dichters Ideal – ein Kerl wie Wu Sung, der über die Fratzen käuflicher 414 Richter hinweg sich sein Faustrecht nahm und dann in die unzugänglichen Berge und Moore floh – mit andern auf einer Räuberinsel den Räuberstaat schuf. Beamtenspuk und Ritterlichkeit der Räuber, Männerstärke und Weiberlist sind die kontrastierenden Elemente unseres Romans. Der, romantisch und doch realistisch, das wilde Leben des niederen Volkes und der niedrig von einem Götzengemisch, vom Aberglauben üppig lebenden Geistlichkeit nicht ohne groteske Tragik spiegelt. Nicht ohne okkultistischen Brei Gespenster im Straßenstaub waten läßt. Die Helden des Romans: Hundertacht Räuber, sind dies schicksalsmäßig – zur Erde gefallene Himmelssterne, sadistische Dämonen, meteorisch hinschießend über irdische Bahn.
Dieses Werk ist wahrhaft volkstümlich mit seinen Räubern und Soldaten, Bohnenpuffer- und Birnenverkäufern, Magistern, Fleischhauern, Gouverneuren, Bütteln, Richtern, Tigern, Kupplerinnen und Opfern, lüsternen Bonzen und Kannibalen.
Hinter den mordrot phosphoreszierenden Irrlichtern des Menschensumpfs ringt der Geist mit dem gefangenen Menschenfleisch, über den Blutfarben des allzu irdischen, allzu rohen Piratenlebens spannt sich, türmt sich ein fast versöhnlicher Regenbogen bis in die Freiheit.
Die Volksverwurzeltheit dieser Moritaten bei Lesern und Straßenerzählern führte natürlich zu andersgearteten Fortsetzungen und – in China gestatteten, ja beliebten – Plagiaten. Im »Kin Ping Meh«, der Chinesen klassischem Sittenroman, einem aus dem 415 siebzehnten Jahrhundert stammenden Meisterwerk erotischer Erzählung, wurden Hunderte Seiten dem Räuberepos einfach entnommen: nach etlichen Retouchen unbedenklich eingefügt.
Ta Ko An, einem der deutschen Sprache kundigen chinesischen Literaten, verdank ich eine wörtliche Übersetzung des allzu umfangreichen, in fast 140 Episoden zerflatternden Räuberromanes. Aus dem, unter Beibehaltung des charakteristisch Chinesischen: des folkloristisch, sittengeschichtlich wichtigen Details, ein zusammenhängendes, für Europäer lesenswertes Kunstwerk einheitlich zu gestalten von mir versucht ward. Die Lösung dieses Problems erleichterte ich mir, indem ich die in einem alten Jahrgang der »Zeitschrift der Morgenländischen Gesellschaft« fragmentarisch verdeutschte, Leben und Sterben eines Dorfmagisters schildernde Novelle aus dem »Hausschatz« (einem chinesischen Schatzkästlein) nicht nur zur Erfindung und Konstruktion einer von »Räubern und Soldaten« berichtenden Handlung benützte, die in der vorliegenden Fassung zwangsläufig vereinfacht ist.
Im bereits vor fast hundert Jahren übersetzten und nach dieser Übertragung von mir gekürzten und auch sonst bearbeiteten Kunstepos »Das Blumenblatt« (Hoa Thsin Ki – von mir »Die vier Frauen des treuen Liang« getauft), figuriert fast vollzählig, was wir gewöhnlich in den chinesischen Romanen, die bis zu uns dringen, kennenlernen. Kleinfüßige Prinzessinnen, blaustrümpfige Turandots, die in der Lyrik brillieren, ehe der gleichfalls lyrische – 416 aber auch sehr heldenmütige Mandarin sie endlich schnappt. Dieser befreit gewöhnlich ein kaiserliches Heer (unter der Führung des Vaters seiner Liebsten) aus der Umzingelung und bekommt zum Lohn dafür seine lyrische Mitschmachterin. Zum Lohn aber seiner kindlichen Pietät heiratet der jugendlich glückliche Bigamist gleichzeitig ein Bäschen, mit dem ihn sein Vater, ohne ihn zu fragen, nur weil sie etwa die Tochter eines verarmten Jugendfreundes ist, verlobt hatte. Solche Doppelhochzeit ist der Wunschtraum jedes chinesischen Studenten oder Romanliteraten, der zu diesem Zweck in den Schulen der Weisheit von der Pike auf büffelt. Die sentimentale Tripelallianz wird nach einigen Wertherleiden natürlich unter der Patronanz des Drachenkaisers geschlossen und der Leser meist mit der Aussicht entlassen, daß sich das glückliche, gelegentlich durch Zofen verstärkte Trifolium bis in den Tod wacker andichten wird.
Als Anhang: Proben kleiner chinesischer Prosa, Kurzgeschichten, wovon »Der Wüstling« des Sung Yü (lebte im 3. Jahrhundert v. Chr.) und »Der verliebte Student« des Po Hsing Tschien (779–831 n. Chr.) durch den weitaus besten englischen Sinologen Arthur Waley zum erstenmal in eine europäische Sprache übertragen wurden. In der »Blutigen Rache eines Blumenmädchens« geh ich auf eine (von mir frei behandelte) alte Übertragung zurück; diese Novelle ist aus der Sammlung Kin Ku Ki Kuan.
Die als »Wort« oder Vorwort abgedruckte Arbeit des unbekannt verhungerten Pu Sung Ling, des verehrungswürdigsten Meisters der chinesischen 417 Kurzgeschichte, verdank ich der wörtlichen Übersetzung eines Chinesen, bei den übrigen waren mir auch die Übertragungen von H. A. Giles von Nutzen.
Pu Sung Ling, unglücklich im Leben, unglücklich als Dichter, unglücklich bei den Studien, lebte und starb arm im siebzehnten Jahrhundert. Seine vierhundert okkulten Geschichten wurden zu seinen Lebzeiten nicht einmal gedruckt; aber ab 1740 gilt er als der »Letzte der Unsterblichen«, als der klassische Novellist Chinas.