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1
Heimkehr und fröhliche Gefühle
Jaosien befand sich nur auf Besuch bei ihrer Tante Tschiao, nach einigen Tagen kamen ihre Dienerinnen, sie nach Hause zu begleiten. Ihre Tante wollte sie immer wieder zurückhalten, sie blieb aber nicht, nahm vielmehr, tief sich verbeugend, Abschied. Nachdem 268 sie zu Haus ihre Eltern begrüßt hatte, ging sie in ihr seidenes Gemach. Zofe Jünchiang fragte ihr kleines Fräulein, wie es im Haus ihrer Tante gewesen sei?
Jaosien: »Alles ist lieblich und schattig, im Garten und in den Lustwäldchen blühen Bäume und Blumen das ganze Jahr hindurch; der Fischteich ist unserem ähnlich, und im Gartenhaus zur Pfingstrose findet man Schatten und Kühlung.«
»An einem Abend«, fiel Pijue dem Fräulein ins Wort, »bin ich mit dem jungen Liang zusammengekommen, es war eine possierliche Geschichte; aber weil Fräulein Ma mit Ihnen war, hab ich sie Ihnen nicht mitteilen wollen. Als Ihre Sklavin neulich abends das Schachspiel holte, begegnet ich dem jungen Liang, der noch nicht nach Haus gegangen war; er lehnte am steinernen Geländer, verwirrt schien er einem Trunkenen ähnlich. Er sagte mir – sobald er das Antlitz meines Fräuleins gesehen, sei seine Seele mit ihm in das seidene Gemach geflohen; von ganzer Seele wünsch er, sein Herz mit ihrem zu verbinden. Sooft ich ihn anblickte, mußt ich laut lachen, daß ihm eine fremde, unbekannte Dame so sehr am Herzen lag. Liebe gleicht einer abgefallenen Blume, die dem strömenden Bach folgt; ich bin froh, daß nicht ich es war, die ihm sein jammervolles Herz verwundete.«
»In der Welt«, lachte Jaosien, »hat es immer so verliebte Toren gegeben. Wie viele haben nicht seit den ältesten Zeiten nach den Gärten der Blumen Verlangen getragen? Sie verlassen ihre Familien und setzen sich dem Tod aus, eine Blume zu rauben; sobald 269 sie nur ein schönes Frauenstück sehen, sind ihre Gedanken darauf gerichtet. Heute bin ich im Süden, er im Norden, ich aber will den Schirm niederlassen, mich vor dem Mond zu schützen, der zwischen den Blumen leuchtet; ich glaub, er könnte sonst wie ein Schmetterling in das östliche Gemach dringen.«
2
Liang sucht und kauft eine Wohnung
Liang hörte, die perlengleiche Schöne sei heimgewandert – Schreck durchschnitt seine Eingeweide. Schwer ward es, zu ihr zu kommen, sie bei der Hand zu fassen, denn der Weg zwischen dem Himmel und den Menschen ist unendlich weit. »Wenn ich im jetzigen Leben Wünsche meines Herzens nicht erreichen kann, geschieht das mir, weil ich in einem frühern Leben schlechten Weihrauch geopfert hab. Am Tag umfaßt mich die Trauer des Traums, ich sehe nur Unfälle mich heimsuchen. Nachts vergieß ich Tränen, dem silbernen Mond zugewendet. Während ihre perlengleiche Gestalt sich täglich verschönert, werd ich mager wie ein Kamel; die bläuliche Lampe und die gelben Bücher sind durchaus vergessen, träumend und schlafend denk ich nur sie. Ich bin in vollkommener Verwirrung, ich zieh mich täglich verkehrt an.«
Er erkundigte sich nach Jaosiens Wohnung bei den Dienern und Dienerinnen der Familie Tschiao, die ihm 270 sagten, das Haus des edlen Herrn Jang liege in der Jaspis-Straße. Sofort richtete er seine Kleider zurecht und ging aus, ihre Spur zu suchen. Bald erblickte er den hohen und prächtigen Palast des Generals Jang, nirgends aber das Fräulein; obgleich der Palast geräumig war, ließ sich niemand sehen. Möchte doch ein Mensch oder eine Wildgans so barmherzig sein, ihm einen Brief in das duftende Gemach zu besorgen! Indem der Verlassene nun in seinem vollen Herzen überlegte, wohin er sich wenden solle, und dabei vor dem Palast auf und ab ging, erblickte er hart daneben ein anderes Gebäude, das unbewohnt schien, nur durch eine Mauer getrennt von dem tiefverborgenen roten Gemach. Gleich befahl er seinem Diener vorauszugehen und nähere Erkundigungen einzuziehen; der brachte rasch die Nachricht, man wolle dies Haus verkaufen; im Innern sei es ebenso groß und geräumig wie das des Herrn Jang, im Garten sei ein Fischteich zu sehen.
Liang kaufte gern um tausend Goldstücke einen unsichtbaren Weg, in den duftenden Frauensaal zu gelangen. Dann befahl er den Handwerkern: »Der entlegene Teil des Gartens soll mit größter Pracht ausgeschmückt werden, an der westlichen Seite soll sich der Saal des himmlischen Dufts erheben: Bei den Blumen muß sich ein gewundener Pfad hinziehn, damit der Ostwind den Wohlgeruch der Blumen hinwehen könne. An der Nordseite soll das Gemach zum verborgenen Frühling aufgebaut, und an beide Seiten sollen unzählige Blumen gepflanzt werden. Ein sich sanft hinschlängelnder Bach soll zum Teich fließen, 271 dem von goldenen Fischen bevölkerten. An seinen Ufern sollen Weiden mit zart herabhängenden Zweigen gepflanzt werden; rote Wasserlilien sollen neben weißen sich zeigen. Auf der Morgenseite soll sich das Gartenhaus zur Wolkenansicht erheben, goldene Spiegel sollen den Glanz der farbigen Wolken zurückstrahlen, anderwärts will ich schwarzgelben Bambus und blühende Pfirsiche in zwei Reihen gepflanzt sehen, ein rotes Geländer soll zum duftenden Gemach geleiten. Vor dem Saal mögen unendlich viel wunderbare Blüten und Kräuter prangen, Blumen in glänzenden Vasen seine beiden Seiten schmücken. An der südlichen Seite soll das Gartenhaus zur Aprikosenblüte sich erheben, das mit Sitzen versehene; seine Pfeiler sollen mit Schriftzeichen, seine wohlgeschnitzten Geländer mit Farben geziert sein. Aus wunderbar geformten Steinen soll ein Hügel mit weiter Aussicht sich erheben; allerlei Vögel sollen im Park herumschwärmen.«
3
Er macht einen Besuch und dichtet
Der junge Liang nahm nun von seiner Tante Abschied und ließ sein Gepäck wegtragen, worauf er Arm in Arm mit seinem Vetter in seine neue Wohnung ging. Als die beiden Jünglinge angekommen waren, sagte der junge Liang: »Im anstoßenden Haus wohnt Ihr Verwandter, der General Jang; meine Bibliothek ist nur durch eine rote Mauer von seiner 272 getrennt; es ist daher meine Pflicht, ihn zu begrüßen. Ich hoffe, daß du mich begleiten wirst.«
Der junge Tschiao versprach, ihn zu begleiten, worauf der junge Liang seine Visitenkarte ins Nachbarhaus schickte. Sobald Herr Jang die Namen gelesen hatte, ließ er sogleich die jungen Herren bitten, zu ihm zu kommen.
Nachdem sie duftenden Tee getrunken hatten, fing ein Gespräch an. »Herr Liang ist mein Vetter«, begann der junge Tschiao, »sein Vater ist Staatsrat und wohnt in Wukiang; er selbst ist gelehrt und der Weisheit ergeben. Soeben hat er sich hier nebenan eine Wohnung gemietet, und da Ihr Neffe bei ihm wohnen dürfte, sind wir beide gekommen, uns vor Ihnen zu verbeugen.«
»Ihr geehrter Vater«, sagte der General, »hat einst mit mir studiert, wir lebten in jungen Jahren wie Brüder. Unsre Namen standen auf derselben Liste, als wir zu den Prüfungen gingen; aber Ihr edler Vater wurde befördert, während ich das Studium aufgab, da ich dabei nichts erreichte. Ich nahm meine Gedichte und schmiß sie ins strömende Wasser; ich bestieg ein Pferd, spannte den Bogen: ergab mich der Kriegskunst. Zum Glück erhielt ich den ersten Preis, und da ich mich dem Kriegswesen ganz zu widmete, ward ich bald nachher auf mein Gesuch zum Kommandanten der Provinz Tschekiang ernannt. Es war gut für mich, daß auch Ihr Vater um diese Zeit zu hohen Ehren kam und Geheimrat wurde, denn auf seine Empfehlung hin ward ich als Marschall nach dem Süden geschickt. So fühl ich mich heute sehr 273 glücklich, Sie zu sehen, junger Herr; denn die Freundschaft, die zwischen unseren Familien herrscht, soll nie in Vergessenheit geraten.«
Hierauf befahl er, ein gutes Frühstück im Sommerhaus zur Hoffnung zu bereiten, während er sich mit den beiden jungen Herren in aller Herzlichkeit unterhielt Die aber eilten bald in den Garten, wo sie die vielen Blumen, die Schönheit des Bambus, die Größe der Pfirsichbäume bewunderten.
Im Gartenhaus zur Hoffnung erblickten sie Verse, die erst vor kurzem dem leichten Pinsel auf Blumenpapier entströmt zu sein schienen, ein wenig Tusche war auf die Wand herabgeflossen. Der Pinsel hatte zierlich den Fischteich der Weiden besungen. Die Jünglinge traten näher, die Verse besser zu betrachten.
Wer hat die herabhängenden Trauerweiden
Um den Teich gepflanzt?
Wenn der Frühling kommt, peitschen
Ihre hin und her wehenden Zweige das Wasser.
Die so lieblich grünen
Wären willkommen
Dem fließenden Bach.
Mög ein guter Mensch
Sie an die rieselnden Quellen verpflanzen.
Der alte Herr stand neben den Jünglingen und lächelte: »Diese Verse hat meine kleine Tochter geschrieben; und da sie nie gelernt hat, Verse zu machen, so konnt ihr dieser Versuch auch nicht gelingen. Nun aber gelehrte Männer durch glücklichen Zufall in mein Gärtchen gekommen sind und die 274 Lustwäldchen, Blumen und Bäume ihren Blütenglanz ausströmen, möcht ich Sie bitten, Ihren Pinsel liebliche Worte atmen zu lassen; auch bringen die Geister der Blumen herrliche Farben hervor, die edle Jugend zu unterstützen.«
Liang: »Ich Unwissender habe noch leider keine Zeit gehabt, die Poesie zu studieren.«
Jang: »Sie dürfen es nicht ablehnen, ich habe schon oft gehört, daß Sie durch Ihre herrlichen Dichtungen viele Poeten übertreffen.«
Er rief Dienerinnen herbei und befahl ihnen, da der Garten von seiner Bibliothek zu weit entfernt war, im Zimmer seiner Tochter, das näher lag, einige blumengeschmückte Papierblätter, Pinsel und Tusche zu holen.
Der junge Liang ergriff den Pinsel und überlegte einige Augenblicke: Ich hege Gefühle im innersten Herzen, keinem Menschen noch hab ich vertraut, daß sie sich auf das duftende Gemach beziehen. Jetzt aber will ich in diesem Gedicht die Überschwenglichkeit meiner Gefühle beschreiben; vielleicht werden sie das herrliche Mädchen aufregen; vielleicht bestrebt sich dann die Bewohnerin des tiefverborgenen Gemachs, dem unglücklichen Vogel des Himmels eine Brücke zu bauen.
So sang er in Versen neues Lob der Trauerweide:
Ich hab sagen hören:
Der Frühlingswind umweht den Fischteich,
Die leichten Zweige der Trauerweide
Erregen schwankend die Wellen. 275
Zu sehr behütet das rote Tor
Eine wasseraufwirbelnde Weide.
Wisse, o Weide,
Unter den Menschen ist einer
Einsam, verlassen.
Als Liang diese Verse niedergeschrieben hatte, lobte sie der alte Herr und fand sie so vortrefflich, daß er sie neben den andern an die Wand hing. Auf dem Tisch waren noch zwei Streifen blumengeschmückten Papiers liegengeblieben; der junge Liang steckte sie heimlich in den Ärmel, zwischen den Blumen spazierend. Im Gartenhaus zur Hoffnung kredenzte der General ihnen dann volle Becher, sie tranken miteinander, bis die rötliche Scheibe der Sonne am abendlichen Himmel spielte, bis die beiden Jünglinge ganz trunken waren.
4
Herrin und Mädchen sehen die Verse
Am folgenden Morgen ging Jaosien in den Garten, eilte mit ihren Dienerinnen in das Gartenhaus zur Hoffnung, wo sie an der Wand einen Papierstreifen befestigt fanden.
Als Jaosien das neue Gedicht näher betrachtete, bemerkte sie sofort die Unterschrift: den Namen des jungen Liang. Ihre Seele lächelte: »Jeder Vers des Gedichts zeichnet die Liebe, die der junge Bambus mir hegt, wie ich besingt er die Trauerweiden. Er trauert, weil ich in meinem tiefverborgenen Gemach 276 der Leiden des fernen Jünglings nicht acht. Ich weiß nun, die Liebe beherrscht den jungen Liang vollkommen; seine kleinen Kunstgriffe haben ihm nicht geholfen, er ist endlich in die Nachbarschaft unserer Wohnung gezogen.«
Pijue: »Es ist gewiß, daß Sie mit ihm verbunden werden müssen – so wie diese zwei Gedichte neben einander an der Wand hängen.«
Fräulein Jaosien zankte mit ihr: »Wer ist mit dir gekommen, solches zu schwatzen? Die tiefverborgenen jungen Damen rufen die herumschwärmenden schönen Fremdlinge nicht herbei – auch wenn es Unsterbliche wären. Niemand ist imstande, die Mond bewohnende Göttin zu erblicken! Wer von den ältesten Zeiten her sich unerlaubterweise der Liebe hingab und so die Sitten verletzte, machte sich unglücklich auf zehntausend Jahre. Da wir tugendhaft zurückgezogene Mädchen sind, dürfen wir unser Herz nicht mit Gedanken an Nachbarn beschäftigen.«
Hierauf entfernte sie sich schnell mit ihren Zofen, denn die Alten sagen, daß die Nachbarwände gute Ohren haben.
5
Herr Jang macht seinen Gegenbesuch
Der junge Liang war früh aufgewacht und stand am Fenster, er überlegte, Herr Jang würde ihm wahrscheinlich heute seinen Gegenbesuch machen. Er sandte einen Diener ab, den jungen Herrn Tschiao einzuladen. 277
Gegen Mittag kam endlich der alte Herr; die beiden Jünglinge gingen ihm entgegen und führten ihn in den Saal. Als der Tee getrunken war, luden sie ihn ein, in den Garten zu gehn, im Gartenhaus zum abendlichen Duft war ein köstliches Mahl bereitet. Dort unterhielten sie sich aufs beste.
»Mein weiser Freund, ist Ihre Hochzeit schon bestimmt oder nicht? Wann wird Ihr goldenes Haus eine Liebliche aufnehmen?«
»Es sind mir noch keine Heiratsanträge gemacht worden«, errötete Liang, »so muß ich mich noch mühen, mir einen berühmten Namen zu erwerben.«
Herr Jang hatte wohl im Sinn, Liang eine Heirat vorzuschlagen, aber da er die Zeit noch nicht für günstig hielt, ging er geschickt zu einem andern Gegenstand über. »Wahrlich! Diese Wand allein trennt meinen Garten von Ihrem. Da wir aus einer Familie und Verwandte sind, was sollte uns hindern, unsere beiden Gärten zu vereinen? Lassen Sie uns eine Tür in der Mauer anbringen und einen kleinen Fußpfad herstellen, damit Sie spazierend auch in meinen Garten kommen können.«
Der junge Liang war über diesen Vorschlag erfreut, er fürchtete nur, der Gast könnte seinen Sinn noch ändern. ›Ich will die günstige Gelegenheit ergreifen und den Arbeitsleuten sogleich befehlen, vom Garten aus einen Eingang in den Palast des Herrn Jang zu machen, damit endlich der Frühlingswind zum Aprikosenbaum dringen kann.‹ 278
6
Man wünscht einen Schwiegersohn
Der alte Herr hörte auf zu trinken, nahm von den Jünglingen Abschied, kehrte in sein Haus zurück und sagte seiner Frau: »Der sehr ehrenwerte Jüngling Doktor Liang wird gewiß in kurzer Zeit vor das Antlitz des Kaisers treten. Herzlich wünscht ich, er würde mein Schwiegersohn; doch sollt er uns vorher das rote Blatt ins Haus senden.«
»Wahrlich! Du kommst mir zuvor«, erwiderte die Dame, »sein Vater ist Staatsrat und ein weiser Mann. Sobald die Gelegenheit günstig ist, solltest du mit ihm darüber sprechen oder eine Unterhändlerin zu ihm schicken, um zu erforschen, ob unser Wunsch mit seiner Gesinnung übereinstimmt.«
»Liang besitzt in seinem großen Garten viel schöne Blumen«, entgegnete der alte Herr, »und da er einen Durchgang zu uns machen lassen will, werd ich an einem langen Sommertag, wenn ich nichts zu tun hab, in seinen Garten gehen. Dieser Jüngling ist in seinem ganzen Wesen unserm Neffen ähnlich; mit ihm könnten wir plaudern und lachen und unsere letzten Tage in Freude verbringen.« 279
7
Er klagt der Dienerin sein Unglück
Jünchiang war früh auf und schoß auf Wunsch ihrer Herrin in den Garten, Lilien pflücken. Als Jünchiang zum östlichen Geländer auf gewundenen Pfaden sich wandte, erblickte sie die neuen Tore im Schatten der Trauerweiden.
Neugierig wendete Jünchiang ihre zarten Füßchen vorwärts und eilte durchs Tor. Sie sah einen Spaziergänger, der im Schatten der Trauerweiden stillstand, schmerzdurchdrungen keinen Laut von sich gab. Er dachte scheinbar nach, denn er zog seine Augenbrauen zusammen.
Es war Liang unter den Trauerweiden. Plötzlich erhob er den Kopf und erblickte ein schönes Mädchen, das, früh aufgestanden, die Haarwolken noch nicht geordnet hatte. Schnell pflückte er eine Lilie, sie ihr zu geben. ›Ich erinnere mich‹, sprach er zu sich, ›ich traf sie schon einmal zwischen Blumen und Schach, weil aber der Mond damals niedrig stand, hab ich sie nicht genauer betrachten können, nun ich sie wiedersah, ist mein Herz mit Trauer gefüllt.‹
Schnell ging er auf die Jungfer zu, ergriff sie bei der Hand, sie auf zuhalten: »Schönes Mädchen, warum war Ihr böses Herz so hart, als wir uns neulich begegneten? Ich selbst beginne mich zu bemitleiden, der ich vor Liebe am ganzen Körper abgemagert bin. Oh, sprechen Sie für mich mit Ihrer Herrin! Sonst werd ich an der grausamen Blume sterben!« 280
»Wer dürfte wagen«, entgegnete Jünchiang mit lieblicher Stimme, ein Lächeln zerdrückend, »im Frauensaal von dergleichen zu reden? Meiner Herrin Jaosien Herz ist nicht ein bißchen verwirrt, noch an irgend was gebunden. Daher kann ich es nicht wagen, zum schön gemalten Schirm hinzutreten und ihm solche Reden mitzuteilen!«
Als der junge Liang dies hörte, war sein Herz wie von Wein befangen. Laut aufseufzte er zum Himmel, trocknete Tränen, lehnte sich mit gesenktem Haupt an das schiefe Geländer. Jünchiangs kleines Herz wurde weich, als sie sah den gramdurchdrungenen Jüngling, den Mitleidverdiener. »Woher kommt es wohl, daß Sie so gefesselt sind? Da es in der Welt entsetzlich viel rotwangige Mädchen gibt, wie kommt es, daß Ihr Herz um Fräulein Jaosien trauert?«
»Lassen Sie sich von meiner Liebe erzählen«, erwiderte Liang, »damit Sie mit Ihrer Herrin davon reden können. Als ich damals beim Schein der Lampe dem schönen Fräulein begegnete, gab sie mir die Gefühle ihres Herzens durch ein liebliches Lächeln zu erkennen. Was kann wohl mit ihrer mondgleichen Gestalt, mit ihrem Blumengesicht verglichen werden? Deshalb kann ich meinen Schmerz nicht überwinden, und deshalb kam ich hierher zu den Blumen. Nachdem ich alle Künste der Annäherung erschöpft, zog ich in dies Haus; ich hab alles angeordnet, mit den Augen wenigstens der Himmelsschönen zu begegnen. Vergebens bin ich so glücklich gewesen, mit Ihnen zusammen zu kommen, mein schönes Kind, vergebens hab ich mein volles Herz vor Ihnen ausgeschüttet, oh, 281 alles ist nur ein Frühlingstraum, nie werd ich mit ihr verbunden werden! Wenn ich es nicht dahin bringen kann, vereint mit ihr mein Leben zu beschließen, wie werd ich das eiserne Geschick ertragen können, sie für einen andern geschmückt zu erblicken! Wenn Sie nach Hause gehen und das vielschöne Fräulein grüßen, sagen Sie ihr: Es gibt einen Jüngling, der nur an sie denkt. Warum ist der Frauensaal mit so grausamen Schlössern verschlossen, warum ist es so schwer, sein verborgenes Rot zu schauen?!«
Da erbarmte sich Jünchiang des seufzerreichen Studenten. »Ich sehe jetzt, mein lieber Herr, wie traurig Sie sind, wie Sie mitten unter den Blumen am schönsten Tag dem Schmerz und dem Gram sich hingeben; so will ich versuchen, ob ich für Sie etwas ausforschen kann, ich will sehen, ob sich das Herz meines Fräuleins rühren läßt oder nicht. Vielleicht läßt sie sich Ihretwegen nicht erweichen. Die Wolken folgen dem Andrang des Winds, der vom erhabenen Himmel herabweht. So wie die Fische bei hellen Nächten und klarem Wasser nicht gefangen werden können, so könnt es kommen, daß der perlengleiche Jüngling und das rotwangige Mädchen beide unglücklich werden. Sie sollten also lieber Liebesgedanken aufgeben, sich von hier still entfernen, wie die zu Boden gefallene Blume vergeht, felsentströmtes Wasser verfließt.«
Als der junge Liang das Versprechen der Jungfer hörte, wurde sein ganzes Gesicht von der Farbe der Freude übergossen; er beugte sich tief und dankte dem Mädchen. »Wie glücklich bin ich nun, Ihnen 282 begegnet zu sein, mein weises und schönes Kind! Wenn Sie es dahin bringen könnten, daß die Bewohnerin des roten Gemachs ihre Frühlingsgedanken enthüllt, wird Ihre Wohltat den Himmel an Größe übertreffen. Denken Sie nur stets – ich hab ohne Ihre Herrin keine andere Aussicht als Trauer und Schmerz!«
Jünchiang grüßte den Jüngling, bevor sie sich abwandte. Er rief ihr nach: »Ich habe wirklich vergessen, nach Ihrem Zunamen und Beinamen zu fragen, und wie viele Dienerinnen mit Ihnen im zu gut verborgenen Gemach dem Fräulein aufwarten?«
»Der Name Ihrer Sklavin ist Jünchiang; acht Frauen noch stehen mit mir im Putzzimmer des Fräuleins; doch habe ich nur eine Gefährtin, Pijue, die mit mir seit zehn Jahren im Frauensaal dient. Da wir niemals von unserer Herrin entfernt waren, weiß ich, daß Sie im Leben schwerlich einem edleren Fräulein begegnen werden. Seit meiner Kindheit hab ich wie eine Schwester mit ihr zusammengelebt, täglich wandelten wir unter den Blumen, fröhliche Kinder.«
8
Sie spricht von seiner Liebe
Schnell zum Tor hinaus bewegte Jünchiang ihre zierlichen Füßchen im Schatten der Blumen vorwärts – ins Putzzimmer, wo sie ihrem Fräulein eine Lilie reichte zum Haarschmuck.
Jaosien: »Der Himmel war noch dunkel, als du in 283 den Garten hinabgingst, und jetzt da du zurückkommst, beleuchtet die Sonne schon das Geländer. Warum bis du denn so lang im Garten geblieben?«
Jünchiang: »Als Ihre Sklavin im Garten war, erblickte sie ein Tor, das in den Nachbargarten führte. Ich ging heimlich hinüber. Blumenduft bedeckte den Weg, Vögel sangen – plötzlich: im Schatten der Trauerweiden erblickt ich den anmutigen Fremdling. Ohne ein Wort zu sprechen stand er bei den Blumen, Tränen über den Wangen. Unter den Zweigen der Trauerweiden enthüllte er mir seine Liebe: ›Seit ich dem Fräulein beim Schachspiel begegnet, nimmt sie all meine Gedanken ein. Ihretwegen werd ich sterben, ich genieße weder Speise noch Trank, ich träume nur von Wahnsinn und Tod. Nach allen Seiten hin macht ich unzählige Pläne, ihre Spur zu finden. Tausend Goldstücke hab ich nicht geschont, diesen Garten zu kaufen, in der Hoffnung, die Bewohnerin des Frauensaals würde dann nicht mehr so himmelfern mir sein! Für Euer Fräulein werd ich mein ganzes Leben lang gleichen Sinnes bleiben!‹ So sprach er; ich antwortete: ›Mein Fräulein ist so rein, so klar wie der hellste Kristall; wie könnte ein Frühlingstraum ihren einsamen Schlaf stören?‹ Als er mich so sprechen hörte, strömten ihm runde, perlengleiche Tränen auf die Blumen herab; er klagte seufzend: ›Wenn die Aprikosen blühen, werden meine Gebeine bei dieser Mauer begraben sein.‹ Wie er von seinem Unglück sprach, konnt ich es nicht länger ertragen. Ihre Sklavin erinnert sich: früher war seine Gestalt dem Himmel vergleichbar; ich weiß – daß 284 seither sein Aussehen durch die Bitterkeit seiner Gefühle hoffnungslos schlechter geworden ist.«
Jaosien stand schmerzerfüllten Gesichtes auf, ohne ein Wort zu sprechen. Dann setzte sie sich wieder und öffnete betrübt den perlenreichen Mund: »Er war schon sehr verliebt, als ich sein Gesicht zu sehen bekam, ich erkannte wohl seinen Schmerz: tief wie das Meer; aber die Jünglinge vergessen leicht die Liebe ihres Herzens. Doch ist er vielleicht zu bemitleiden, weil sein Vater am Hof lebt und Staatsminister ist und er durch seine anmutige Gestalt sonst gewiß die höchsten Stellen erlangen könnte. Wohl ist er einem goldenen Zweig mit kostbaren Blättern zu vergleichen! Aber wenn er ein Mann ist, warum ist er so traurig? Warum läßt er sich in solche Torheiten verstricken? Wenn er einfach eine Unterhändlerin schickte, mich zur Frau zu verlangen, könnt er dann noch klagen, daß der schöne Mond seine Fülle nicht erreicht? Aber wir dürfen nicht mehr von dieser Sache reden! Laß uns wie Schwestern leben, keine von den Dienerinnen steht mir so nah wie du. Als ich sah, daß du mit dem Schmerz seines Busens Mitleid fühltest, sätest du Gram und Trauer, du hast bewirkt, daß ich mich seiner erbarm.« 285
9
Liang trifft abermals Jünchiang
›Jünchiang versprach mir‹, sagte Liang seinem einsamen Herzen, ›im blumengeschmückten Gemach ihre Herrin auszuforschen; aber ich fürchte, Jünchiang wird mich fruchtlos in Erwartung und Hoffnung erhalten, bis meine Augen erblinden. Früher glaubt ich, schon das Zusammentreffen mit Jünchiang sei das Glück; es sind neue Tränen!‹
Er ordnete seine Kleider, ging wieder hinab in den Garten, sah sich im Schatten der Trauerweiden um, erblickte aber niemand. Scharen von wilden Gänsen bedeckten den Abendhimmel. Dumpf lehnte er am schiefen Geländer, horchte auf das Knistern des vom Wind geschaukelten schwarzgelben Bambus, auf das Kreischen emporfliegender Vögel – seidene Kleider, vom Winde hin und her geweht, schimmerten aus den Blumen hervor, perlengleiche Füßchen bewegten sich vorwärts: Jünchiang, die wieder in den Garten gekommen war. Liang rief ihr zu: »Sie entzücken mich bis zum Himmel empor! Wie hofft ich auf eine geheime Nachricht! Soll ich diesen Abend noch mein himmlisches Mädchen sehen?«
»Die Sache geht nicht so leicht, bis jetzt hab ich meiner Herrin noch nicht alles sagen können. Das tiefverborgene Gemach ist nicht mit einem offenen Garten zu vergleichen, das Herz meines Fräuleins ist hart wie Eisen und Marmor. Wenn Sie aber wirklich wünschen, daß die Göttin des Mondes in diese Welt 286 herabkomme, so müssen Sie Wolken und Nebel verscheuchen; dann wird sie in ihrer ganzen Fülle und Rundung erscheinen. Als ich Sie vorhin verließ und in das seidene Gemach zurückkehrte, hab ich mit meiner schwertgleichen Zunge, mit meinen lanzenähnlichen Lippen, mit den Dolchen meiner Zähne das Unmögliche versucht. Endlich widerstand mir mein Fräulein nicht mehr, sie zeigte Neigung für Sie; denn ob sie gleich die Gefühle ihres Herzens mir bis jetzt noch nicht entdeckt hat, hab ich doch bemerken können, daß sie etwas Liebe für Sie fühlt. Nun seh ich aber, daß Sie ungeduldig sind, da Sie augenblicklich zu meinem Fräulein geführt werden möchten; dann können Sie nichts Besseres tun, als die wilden Gänse ersuchen, Ihre wolkengleichen Briefe zu besorgen.«
Liang verbeugte sich schnell und tief: »In meinem einsamen Gemach erscheinen mir jetzt einzelne Tage wie längliche Jahre. Diesen Morgen hatten Sie doch etwas Mitleid mit mir, ich war einem Unglücklichen ähnlich, dem unvermutet der rettende Engel begegnet. Ich vertraute und hoffte, daß Sie mir den Weg zur blauen Brücke zeigen würden; ich sah jeden Augenblick nach, ob Sie nicht kämen. Wenn ich Sie unwissentlich erzürnte und Sie Ihre Augenbrauen finster zusammenziehen – dennoch hoff ich, daß Sie sich meiner annehmen werden. Oh, bleiben Sie nicht auf halbem Weg stehen!«
»Wenn Sie vor Liebe gestorben sind, werden Sie ein lieblicher, wunderschöner, unsterblicher Geist sein; in jener Welt werden Sie an keine Tage mehr denken, dort strömen die blühenden Frühlinge hin, dort rollen 287 die seligen Jahre den glücklichen Jahren unaufhaltsam nach«, lachte Jünchiang: ihre zarten Füßchen liefen, zartere verheißend, davon.