Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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XVII.

Am Saume des Kiefernwaldes, durch den ein breiter Weg zur Ruine führte, trafen Hermann und Maria, begleitet von Fräulein Nullinger, die Wonsheim mit Fee, und Wilhelm mit Willy und den zwei nächsten Anwärtern. Den Letzteren hatten ein paar tüchtige Ackergäule den Gefallen erwiesen, sie hierher zu tragen in einem Galopp, der ringsum den Boden lockerte.

Die Damen waren bereits aus dem Wagen gehüpft, Wilhelm und seine Söhne abgestiegen, nur Gustav und Clemens saßen noch zu Pferde und parlamentirten mit ihren Frauen, die es nöthig gefunden, als Touristinnen zu erscheinen. Sie trugen leichte Hüte mit blauen Schleiern, fußfreie Kleider aus Sommerloden, Schnürstiefel aus Juchten, dicke Strümpfe aus Ziegenhaaren und über den Schultern Gummimäntel aus lichtgelbem Oriental-India-Cloth.

»Schaun's her, Gräfin,« sagte Clemens zu Maria, nicht ohne geheimen Stolz, »wie die sich ang'legt haben. Und was ihnen nicht wieder einfallt. Jetzt wollen's auf dem schlechten Fußsteig zur Burg hinaufkraxeln.«

»Weil man von dort so eine schöne Aussicht hat,« sagte Carla.

»Und weil's gefährlich ist,« fiel Betty ein.

»Und so poetisch, nicht wahr, Fräulein Nullinger? Das ist etwas für Sie,« sprach Fee mit gutmüthigem Scherze. »Ich biete Ihnen meinen Arm, ich bringe Sie hinauf, ich schwör's!«

Fräulein Nullinger machte einen Bückling, so tief, als ob sie sich niedersetzen wollte, und nahm, in nervöser Dankbarkeit zerfließend, den gütigen Vorschlag an.

Der Kutscher mit dem Wagen, die Reitknechte mit den Pferden wurden nach dem Versammlungsplatz geschickt. Wilhelm ertheilte seine Befehle in ungewohnt mürrischer Art und brummte dazwischen vor sich hin: »Unsinn! was das für ein verfluchter Unsinn ist . . . sich einen solchen Weg auszusuchen, das ist keinem Anderen eingefallen als dem Willy . . .«

»Voraus, Einjähriger! Sie führen an,« sprachen die Damen, winkten den Zurückbleibenden einen Gruß zu und traten ihre Wanderung an.

Wilhelm zögerte einen Augenblick, dann folgte er ihnen, um seinen Willy zu überwachen. – »Der verdammte Bursch' hüpft herum wie auf Springfedern; schneidet, scheint mir, schon die Cour . . . Und gleich Dreien auf einmal. Wart', Kerl, Dir geh' ich nicht von der Seite.«

»Und was machen denn Sie, Gräfin?« fragte Gustav.

»Ich gehe auch zu Fuß, aber auf dem guten Wege,« antwortete Maria heiteren Tones und nahm den Arm ihres Mannes.

»Da werden wir halt langsam vorausreiten.« Und sie setzten sich in Bewegung auf ihren zwei berühmten Vollblutrappen.

»Alle auf und davon. Gibt's etwas Unhöflicheres als unsere Gäste?« scherzte Hermann.

»Wir sind's; wir lassen sie gar so ungehindert ziehen.«

»Und bleiben allein, was das Schönste ist auf der Welt,« begann er nach einer kleinen Weile wieder. »Wenn ich denke, daß es Leute gibt, die sagen: die Liebe vergeht, – und glauben sie zu kennen, die Narren! Die meine ist heute, was sie in der Stunde war, in welcher ich Dir zum ersten Male begegnete und von Dir nichts wußte als Deinen Namen.«

Er umschlang sie fest; Seite an Seite schritten sie dahin. Die Reiter waren ihren Blicken entschwunden; eine großartige Einsamkeit herrschte, eine zauberhaft belebte Stille. Ueber den Häuptern der Bäume webte glühender Sonnenschein, kühle Schatten wallten zu ihren Füßen. Unabsehbar schien der Wald sich zu breiten, ein heiliger, ein geweihter Raum, der, von Liebenden betreten, sie frei macht von dem störenden Gedanken an die Außenwelt, von dem Bewußtsein der verrinnenden Zeit.

Maria hatte sich sanft losgemacht; sie trat vor Hermann hin und blickte ihm ernsthaft in die Augen. »Ich aber,« begann sie plötzlich, »liebe Dich alle Tage mehr. Und meine Liebe – sieht

»Im Gegensatz zu der meinen, die wohl blind ist?«

»Unleugbar,« versetzte sie und zog ihn wieder an sich.

Da rief er aus: »Es lebe meine blinde Liebe! Die Nacht, mit der sie mich umgibt, ist nicht wie eine andere; 's ist eine hellschimmernde Nacht. Sie zeigt mir den guten Geist meines Hauses, die Trösterin der Betrübten . . .«

»Und so weiter!« unterbrach sie ihn mit erzwungenem Lachen. »Lassen wir das, ich bitte Dich, Hermann –«

»Nun denn, nein; kein Wort zu Deinem Preise. Wie fang' ich's aber an, zu verschweigen, wovon mein Herz voll ist? Du forderst von mir Verstellung, Du immer und unverbrüchlich Wahrhaftige!« Er ergriff ihre beiden Hände, sie zitterten in den seinen: »Was bewegt Dich so? – sag' es Deinem besten Freunde . . . Sieh', manchmal – ich will Dir's gestehen, manchmal ist mir – wenn Du, wie jetzt, meinen Blick vermeidest, bei meiner Berührung erbebst, als ob Deine Seele ein Geheimniß berge, ein räthselhaftes Gefühl, eine schmerzliche Erinnerung – was weiß ich? . . . Ist das Täuschung, Maria, Thorheit, Frevel an Dir? – – Gib Antwort.«

Sie stand wie versteinert. Aufrecht die königliche Gestalt, den Kopf erhoben, als biete sie ihn dem niederzuckenden Blitzstrahle dar, kaum athmend, die Lider gesenkt, ein unausgesprochenes Wort auf den leise zuckenden Lippen.

Und sie war schön in dieser feierlichen Regungslosigkeit, mit diesem demüthig stolzen Ausdruck einer gefolterten Heiligen.

Der Mann, der sie vergötterte, starrte sie beschämt und reuig an. War das nicht ein Zweifel an ihr, den er mit seiner lange unterdrückten und nun unbedacht hingeworfenen Frage ausgesprochen hatte?

»Und wenn Du recht hättest?« sagte Maria in einem Tone, so herb und gewürgt, als ob er ihr die Kehle zerschnitte.

»Worin? – Du hast mich mißverstanden . . .«

»Nimm an, daß ich schuldig wäre gegen Dich,« fuhr sie fort, mühsam und unterdrückt wie früher. »Nimm es an.«

»Was soll ich annehmen – das Unmögliche? . . . Erst doch verrückt werden . . .« Er schlug sich mit der Faust vor die Stirn. »Ich begreife Dich nicht . . . Warum diese unnöthige Grausamkeit? . . . Auf welche entsetzliche Probe stellst Du mich?«

»Probe?« wiederholte sie. »Würde Deine Liebe sie bestehen, die schwerste, schrecklichste . . . Und wenn geschehen wäre – wovon ich sprach – was thätest Du?«

Sie blickte unverwandt zur Erde nieder; sie fühlte nur, daß er seine Hand mit festem Drucke auf ihren Arm legte. –

Und nun sprach er, und seine Stimme hatte wieder ihren tiefen, sanften Klang, und seine Worte kamen aus dem unerschöpflichen Borne seiner Güte: »Wenn geschehen wäre, was Du nicht einmal zu nennen vermagst, dann wäre mir genommen, was meinem Dasein den Werth gibt; aber lieben würde ich Dich doch, und zu dieser unüberwindlichen Liebe käme noch ein grenzenloses Bedauern. Ich kenne Dich und weiß, daß Du zu Grunde gehen müßtest am Bewußtsein einer Schuld.«

O dieser Glauben, so stark und treu wie das Herz, das ihn hegte und das sie brechen gewollt, um das ihre zu erleichtern! – »Du darfst nicht!« schrie es in ihr auf. »Du hast betrogen – lüge! Dein Recht auf Wahrheit ist verwirkt.«

»Komm',« sagte Hermann, indem er sich auf einen moosüberwachsenen, im weichen Waldboden halb versunkenen Stein niederließ. »Du mußt erst ausruhen und wieder heiter werden, ehe wir den Anderen folgen. Da ist eigens für uns ein wunderbares, sammtenes Kissen ausgebreitet. Komm' zu mir!«

»Da bin ich,« sagte sie, ließ sich vor ihn hingleiten, legte die gefalteten Hände auf seine Kniee und warf sich an seine Brust. »Laß mich, es thut mir wohl, in Demuth zu Dir aufzublicken.«

»Wir haben einander recht gequält, und ich bin schuld an Allem mit meinen thörichten Grübeleien,« sagte er. »Verzeih'!«

»Ich – Dir? Mein Freund, mein Engel, daß Du mir einmal einen Grund dazu geben könntest! Thu' es doch. Lehre mich die Wonne kennen, Dir etwas verzeihen zu dürfen.«

»Ich danke Dir für die vortreffliche Absicht,« rief er mit komischer Bestürzung; »ich will ihr Gelegenheit geben, sich zu bethätigen . . . will wenigstens einen Versuch machen.«

»Er wird mißlingen.« Sie umfing ihn mit ihren Armen und verschränkte ihre Finger um seinen Nacken. »Sieh' mich an, Deine Augen sind wie Deine Seele. Sieh' mich an mit diesem segnenden Blick. Wie fromm bin ich! der Wald wird zum Tempel, und ich bin ein armes Menschenkind, und Du bist der Priester, der es zum Heile führt an seiner starken Hand.«



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