Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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VII.

Hermann hatte die Erzählung von Maria's Abenteuer im Parke schweigend angehört und sich am nächsten Morgen zur Zusammenkunft mit Wolfi im Fischerhause eingefunden.

»Ein Schwerkranker, vielleicht ein Sterbender,« sagte er bei seiner Rückkehr. »Mag er nun sein, wer er will, wir können ihm die Aufnahme, um die er bittet, vorläufig wenigstens nicht verweigern.«

»Wir können – Du meinst, wir dürfen nicht,« fragte Maria. »So hat denn dieser Mensch einen Anspruch . . .«

»Genau so viel Anspruch,« unterbrach er sie, »als wir Erbarmen mit ihm haben.«

»Mir flößt er keins ein, er ist zu keck,« gab sie zur Antwort.

Sie erkundigte sich kaum nach dem, was für ihn geschah, obwohl Lisette dem hergelaufenen Gast eine ganz merkwürdige Theilnahme bezeigte. Es war ihm eine kleine Wohnung im Hause einer Hegerswittwe angewiesen worden, das am Saume des Waldes und doch nahe genug am Dorfe lag, um den täglichen Besuch des Arztes zu ermöglichen. Diesen, einen sehr gutmüthigen und sehr neugierigen ältlichen Herrn, beehrte Lisette mit ihrem Vertrauen. Sie saßen neben einander am Bette des Kranken, der in den ersten Tagen aus stumpfer Bewußtlosigkeit nur auffuhr, um in Fieberphantasien zu verfallen, in denen er lachte und schwatzte und alle Geheimnisse seiner armen, verkommenen Seele ausplauderte.

Der Doctor trank förmlich jedes seiner Worte. »Fräulein Lisette,« sagte er einmal, »da werden verborgene Familienverhältnisse vor uns enthüllt.«

Sie lächelte: »Bin eingeweiht, Herr Doctor, und brauche mir darauf nichts einzubilden. Wer das Haus kennt, kennt diesen wilden Sprößling, der in Wolfsberg zur Welt gekommen ist. Wäre auch schwer zu verleugnen gewesen bei der Aehnlichkeit und bei dem impertinenten Spektakel, den seine Mutter vor der Hochzeit des Herrn Grafen gemacht hat – als ob nicht viele Andere dieselben Ansprüche . . . Na, darüber ist nichts zu sagen« . . . brach sie plötzlich ab.

»Sagen Sie doch, Fräulein, geniren Sie sich nicht und sagen Sie doch.«

Lisette erwiderte mit einem kleinen Achselzucken voll Koketterie: »Können sich selber denken. So ein Herr wie unser Graf, so eine Schönheit, kann der was dafür, daß ihm die Weiber nachlaufen? – 's ist ihre Sach' und ihre Schuld. So ein Herr wird sich nicht auf den heiligen Aloysius hinausspielen.«

Doctor Weise stimmte bei. Er hätte gern einen recht nichtsnutzigen Witz gemacht, um auf das alte Fräulein den blendenden Eindruck eines Don Juan hervorzubringen. Weil er aber von Natur ein keuscher Mann war, wollte ihm nichts Frivoles einfallen.

Lisette erneuerte den feuchten Umschlag auf Wolfi's Stirn. »Ein so hübscher Bursche und soll schon sterben,« seufzte sie. »Recht traurig, aber im Grunde doch das Beste für ihn und auch für die Anderen.«

Der Doctor sah seinen Patienten, der jetzt ruhig athmete und sanft zu schlafen schien, prüfend an: »Gut gebaut, kräftig, kann sich noch eine Zeitlang wehren.«

»Wie lange zum Beispiel?«

»Schwer zu errathen – möchte mich nicht vor Fräulein blamiren« – er verbeugte sich galant, »ich glaube nur, bei vortrefflicher Pflege – in dieser gesunden Luft – vielleicht noch zwei Jahre.«

Der Kranke schlug die Augen auf und blickte ihn zornig an: »Esel,« sagte er, so laut er konnte, »merken Sie nicht, daß ich wach bin?«

»Ich merke, daß Sie Ihre Besinnung wieder haben und gratulire,« sprach der Arzt, nicht im Geringsten beleidigt.

»Zwei Jahre – wie viel Tage sind das? . . . rechnen« . . . Wolfi begann langsam zu zählen, seine Stimme wurde immer schwächer, er schlief wieder ein.

»Schon bei Besinnung,« flüsterte Lisette, »das hätte ich nicht geglaubt. Das ist eine schöne Kur von Ihnen, Sie reißen ihn am Ende gar noch heraus. Aber dann ist das Erste« – diese Worte wurden von einer bezeichnenden Gebärde begleitet – »abreisen.«

»Wird schwerlich dazu kommen, Fräulein,« erwiderte der Doctor und verbeugte sich noch galanter als vorhin.

Lisette aber warf einen Blick in den kleinen Spiegel, der an der Wand über dem Schranke hing, und sagte zu sich: »Ich weiß eigentlich nicht, warum ich so altmodische Hauben trage.«

Zur selben Stunde war Maria im Schlosse an ihren Schreibtisch getreten mit der Absicht, den letzten Brief Wolfsberg's zu beantworten. Ein Brief, reich an ernsten und eigenthümlichen Gedanken, voll tiefer Empfindung und Zärtlichkeit, den sie mit Stolz und innerster Herzensbefriedigung gelesen und wieder gelesen. Nie hatte ihr Vater so liebreich zu ihr gesprochen, wie er an sie schrieb; jetzt fürchtete er nicht mehr, sie zu verwöhnen.

Am Tische Platz nehmend, bemerkte sie, daß die Cassette aus dem Nachlasse ihrer Mutter neben die Mappe gestellt worden war.

Alte Bekannte! Wie oft hatte Maria sie stehen gesehen immer auf derselben Stelle im Zimmer ihres Vaters und ihre feinen Ornamente betrachtet. Jetzt holte sie den kleinen Schlüssel, dessen Griff ihr in ähnlicher Weise durchbrochen und verziert geschienen hatte, aus der Emaildose und steckte ihn in das Schloß. Er paßte, wollte sich aber nicht drehen lassen. Viel Geduld und Geschicklichkeit mußte angewendet werden, bevor es gelang, der Deckel aufsprang und der Inhalt zum Vorschein kam. Der bestand aus einem zerrissenen Heft, dessen vergilbte Blätter mit einer zarten, feinen Schrift dicht bedeckt waren und aus alten, mit einer verblaßten Schleife zusammengebundenen Briefen. Maria zog einen derselben hervor. Ihr Vater hatte ihn als Bräutigam an ihre Mutter gerichtet, und die glühendste Leidenschaft sprach sich darin mit hinreißender Beredtsamkeit aus. Wie mußten diese Betheuerungen, diese Schwüre überzeugt und beseligt haben! Wie reich war das Leben, das durch die Liebe eines solchen Mannes geschmückt worden! Und wenn auch früh erloschen, es hatte den köstlichsten, den seltensten Inhalt gehabt – ein volles Glück.

Maria griff nach einem der Blätter, auf denen sie die Schrift ihrer Mutter erkannt hatte. Es hing mittelst eines Seidenfadens lose mit den anderen zusammen und war, wie alle, ein Bruchstück. Das Ganze machte den Rest eines Heftes aus, das einst ziemlich stark gewesen sein mochte. Verbogen und zerknittert fand sich noch der Umschlag vor. Maria glättete ihn, so gut es ging. Er trug die mit größtem Fleiß kalligraphisch ausgeführte Aufschrift: »Im Himmel« und das Datum »1850«. Aber die schönen Lettern waren durch Kreuz- und Querstriche verunstaltet, recht wie mit kindischer Zerstörungslust, und eine unsichere Hand hatte sich bemüht, als Vignette einen Teufel hinzuzeichnen, die kaum zu entziffernden Worte: »Der König des Himmels« und das Datum »1858« darunter zu schreiben.

Maria las hier und dort einen Satz, eine Zeile; ihr Gesicht verfinsterte sich; wie versteinert blickte sie nieder auf die verstümmelten Blätter. Die stummen, todten Zeichen aber wurden lebendig und sprachen und gaben Zeugniß von einem längst eingesargten Schmerz. Der überwundene, der vergessene, da war er aus dem Grabe auferstanden und stöhnte erschütternd seine Klagen aus.

Sie fanden einen qualvollen Widerhall in der Seele Maria's.

Nun war ihr einmal wieder etwas zerstört worden: ein beglückender Glaube . . . Glaube? nein, ein Glaube, der auf einem Irrthum beruht, ist ein Wahn. Maria wäre sehr gestimmt gewesen, dem ihren nachzuweinen; das Künstlerische in ihrer Natur sträubte sich gegen die Zerstörung des Ideals, das ihr Vater ihr bisher gewesen . . . Da fiel ein Wort ihr auf, das am Rande eines der mißhandeltsten Bogen des seltsamen Tagebuchs stand: Wahrheit, groß geschrieben, von einer leichten Arabeske umschlungen.

Maria blickte nicht mehr auf, bevor sie den Sinn der letzten ihr schon halbwegs verständlichen Zeile in sich aufgenommen hatte. – Dann küßte sie die Blätter innig und lange, trug sie zum Kamin, verbrannte sie und erwartete auf den Knieen das Verlöschen der Flammen. Das Geheimniß der Todten blieb aufbewahrt im Herzen ihres Kindes.

Einige der aus dem Zusammenhang gerissenen Stellen, die sich dem Gedächtnisse Maria's fast vollständig eingeprägt, lauteten:

– »Die Wahrheit verlange ich von Dir. Du sollst nicht lügen. Treu sein, festhalten, was Dein Herz einmal ergriffen hat, kannst Du nicht. Du bist schwach und hülflos Deinen Leidenschaften gegenüber. Sei wenigstens wahr. Dem Schwachen Bedauern, dem Lügner Verachtung.«

– »Eifersüchtig ist nicht das rechte Wort. Würde ich sonst Deinen Wolfi lieben? Würde ich sonst das Andenken seiner Mutter ehren? – Und ich hätte Grund, auf sie eifersüchtig zu sein, denn sie hat Dich mehr geliebt, als ich Dich liebe; ich hätte Dir nicht geopfert, was sie Dir geopfert hat: Ihre Eltern, ihre Heimath, Ehre und Pflicht.«

– »Wenn meine Tochter erwachsen sein wird, werde ich ihr sagen: Heirathe nicht aus Liebe. Man glaubt, vereint sein mit dem Geliebten, das ist der Himmel auf Erden. Es ist nicht wahr. Was macht den Himmel zum Himmel? daß ein Gott darin regiert und – – –«

»Wenn Gott nur so gut wäre, wie wir sind gegen unsere braven Diener, dann hätte er mich erhört. Habe ich nicht alle meine Pflichten getreu erfüllt? . . . War ich nicht gläubig und fromm? Wenn Gott gut und gerecht wäre, hätte er mich gehört. Aber es ist überhaupt kein Gott im Himmel, nur ein Teufel, und er straft mich.«

– »Geliebter, wenn die Jugend hinter uns liegen wird, wenn Du zu mir zurückgekehrt sein wirst, und ich Dir Alles verziehen haben werde, dann lesen wir zusammen, was ich jetzt schreibe, und reichen uns die Hände und lachen – und weinen auch ein wenig.«

. . . »daß Du Alma verleitest – sie hat ein Gewissen. Es schläft jetzt nur. Du hast es eingeschläfert, Du weißt, wie man das macht . . . aber es wird erwachen und dann – – –«

– »Ich glaube es nicht, ich will es wissen, mich überzeugen. Euch auflauern. Ich bin jetzt ein Jäger, Ihr seid das scheue Wild . . .«

– »Manchmal fürchte ich und manchmal hoffe ich den Verstand zu verlieren. Wir werden mein Tagebuch nicht zusammen lesen, Geliebtester. Ich glaube, daß ich es zerreißen muß. Die schöne Schilderung der glücklichen Tage – schon fort. In kleine, kleine Stücke gerissen und fliegen lassen von ›hoher Altane am Thurm‹ . . . Wie sie stoben im Winde . . . Woran habe ich gedacht? woran nur? An mein Glück oder was? ich weiß nicht mehr . . .«

Bei dem nächsten Besuch, den Hermann im Hegerhause machte, begleitete ihn Maria. Der Kranke erholte sich sehr langsam von dem letzten heftigen Anfall seines Leidens. Er lag in tiefer Erschöpfung dahin, halb wachend, halb schlafend, nahm nur widerstrebend die Nahrung, die man ihm reichte, und zählte ohne Unterlaß an seinen Fingern, wie viel Monate, Wochen, Tage er noch zu leben habe. Die Rechnung war ihm aber zu schwer und wollte nicht stimmen. Gegen Alle, die ihm nahten, Hermann nicht ausgenommen, legte er feindseliges Mißtrauen, ein mürrisches und schroffes Wesen an den Tag, das sogar die Geduld seines langmüthigen Arztes sehr oft erschöpfte.

Nur wenn Maria an sein Bett trat, glättete sich seine Stirn, er lächelte; unter seinem kleinen schwarzen Schnurrbart schimmerten seine Zähne hervor, jung und gesund wie die eines Kindes. In der Tiefe seiner dunklen Augen entzündete sich ein unheimlicher Glanz: »Frau« – – – sprach er, und machte eine lange Pause. »Fürchtest Du Dich, fürchtest Du das Wort, das ich jetzt sagen könnte?« fragte sein boshafter und drohender Blick. Aber der ihre hielt ihn im Bann. Stolz und kalt ruhte er auf ihm, und er murmelte verwirrt: »Frau Gräfin.«

Sie kam regelmäßig, aber nicht an bestimmten Tagen, wöchentlich zweimal, auf der Rückkehr von ihren Gängen durch das Dorf. Dort hatte sie die Armen und Kranken besucht, war wohl auch in die Schule getreten und hatte einer Unterrichtsstunde beigewohnt. Sie hatte getadelt, gelobt, mit vollen Händen gegeben und mit alle dem nur eine Einführung ihrer Schwiegermutter aufrecht erhalten – nicht ganz in deren Sinn jedoch.

Gräfin Agathe hatte von den Leuten, denen sie Hülfe angedeihen ließ, eine Gegenleistung gefordert: »Du bekommst das unter der Bedingung, fortan das Wirthshaus zu meiden.« – »Du bekommst jenes unter der Bedingung, daß Du von heut ab Deine religiösen Verpflichtungen pünktlich erfüllst.«

Maria hingegen stellte nicht nur keine Bedingungen, sie lehnte sogar den Dank ab, dessen meist überschwängliche Aeußerungen ihr widerstrebten. So verstimmte sie die Geistlichen und die Lehrer, die gewohnt gewesen waren, ihren Theil von der gräflichen Wohlthätigkeit mittelbar einzuheimsen, und entwertete ihre Geschenke bei den Empfängern. – Wie hoch soll denn angeschlagen werden, was umsonst zu haben ist?

»Mit einer Hand geben und die andere zum Nehmen ausstrecken,« sagte Maria zu Hermann, »ekelt mich an.«

»Das versteh' ich nicht,« entgegnete er. »Was diesen Menschen vor allem Anderen fehlt, was ihnen vor allem Anderen beigebracht werden muß, ist das Pflichtgefühl. Mit Wohlthaten wirst Du es nicht wecken.«

»Wecke ich es, wenn ich ihnen einen Handel vorschlage, einen Tausch?«

»Viel eher. Wenn Du einem Anderen Gutes thust und zum Preis dafür verlangst, daß auch er etwas Gutes thue, kannst Du damit einen Begriff von Billigkeit in ihm erwecken, eine Ahnung dessen, was Pflicht ist. Und wenn Du das gethan, hast Du ihm unendlich mehr genützt, als wenn Du sein Elend momentan gelindert.«

Sie mußte das gelten lassen und that es gern. Es freute sie, von ihm überwiesen zu werden, sich seiner größeren Erfahrung zu beugen, seine schlichte Lebensweisheit anzuerkennen. Ein schönes Leben ließ sich an seiner Seite führen, ein thätiges und hülfreiches Leben. Für Alles fand sich Zeit darin, auch für die Pflege ihrer geliebten Kunst.

Im Spätsommer sollte Graf Wolfsberg zu längerem Aufenthalt bei seinen Kindern eintreffen. Kurz vor dem Tage jedoch, an dem sie ihn erwarteten, kam seine Absage. Er hatte die vorläufige Vertretung eines hohen Herrn an einem fremden Hofe übernehmen und den Besuch in Dornach auf ein Vierteljahr hinausschieben müssen.

Der Gleichmuth, mit dem Maria diese Nachricht empfing, setzte Hermann in Erstaunen, wie schon längst das Schweigen, das sie seit ihrer Verheirathung über Alma Tessin beobachtete. Ein Brief von ihrer einst besten Freundin, den er selbst ihr gebracht hatte, war unbeantwortet geblieben. Hermann fragte nicht. Der Zufall dachte er, den die Blinden blind nennen, hat sicherlich hier gewaltet und Maria in Kenntniß von Dingen gesetzt, die ihr bisher sorgfältig verborgen worden. In welcher Weise es geschehen, war ihm noch ein Räthsel, dessen Lösung er von der Zukunft erwartete.

Der Herbst kam, die Weihnachtszeit rückte heran. Schnee und Eis bedeckten die Wiesen und die Weiher, die Natur war todt – scheintodt. Unter dem Herzen Maria's aber regte sich ein neues Leben und strebte frisch und kräftig dem Tageslicht entgegen.



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