Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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II.

Der Vorhang des Nebenzimmers war mit leiser Hand zurückgeschoben worden, Lisette erschien am Eingang, und ihre sanfte, unterwürfige Stimme sprach: »Maria, Kind, darf ich hinein?«

»Du bist noch auf?« lautete die vorwurfsvolle Erwiderung, und Lisette entschuldigte sich:

»Hatte schon Nacht gemacht, schon längst. Aber Du weißt, daß ich nicht einschlafen kann, bevor ich Deinen Wagen ins Haus rollen höre.«

»Wie lächerlich,« versetzte Maria, wandte sich ab und nahm Platz in einem Fauteuil.

Lisette stützte, näher tretend, den Arm auf dessen Lehne: »Kann früher nicht einschlafen. Und dann muß die Clara kommen und mir berichten – weh' ihr, wenn sie das einmal versäumen würde! – sie ist da, und lustig und guter Dinge. Heut' jedoch hör' ich: Sie hat traurig ausgesehen . . .«

»Spionage,« fiel ihr Maria ins Wort.

»Nenn's, wie Du willst, das ist mir gleich; nur glaube nicht, daß Du daran Etwas ändern kannst. – Also traurig ist das Kind? Ja, ja, ich seh's.« Ihr Ton wurde tief schmerzlich, in ihrem kleinen, spitznasigen Gesichte malte sich eine peinvolle Bangigkeit. »Was ist denn geschehen?«

»Ach, Lisette, ich bitte Dich, mach' keine Geschichten. Was soll mir geschehen sein? – Ich bin verstimmt, ja, aber aus einem Grunde, der Dir keine Sorgen machen wird.«

»Wollen erst sehen. – Sprich, mein Vogerl, sprich, damit ich beruhigt zu Bett gehen kann.«

Maria erhob den Kopf und sah der Dienerin, die sich zu ihr herabneigte, fest und streng in die Augen: »Die Menschen, welche diese eiskalte Nacht im Freien zubringen und hungernd und frierend die Straßen fegen werden – die thun mir leid.«

Lisette bäumte sich lachend zurück: »Nein, das Kind! – Nein, das ist zu arg. Die Leute, die Gott danken für den Schnee, den er vom Himmel fallen läßt, damit sie Arbeit kriegen, die sich nichts Anderes wünschen als Arbeit, von klein auf nichts Anderes gewohnt sind als Arbeit, die bedauerst Du!« Sie wurde in dem Lobgesang, den sie nun auf Maria's »goldenes Engelsherz« zu erheben begann, unterbrochen.

Im Hofe, nach dem die Fenster der Comtessenwohnung gingen, war es laut geworden. Pferdegetrappel ließ sich hören, die Portiersglocke gab das Herrenzeichen.

Lisette verabschiedete sich, und Maria ging ihrem Vater bis an die Schwelle entgegen; sie begrüßten einander mit einem Händedruck.

»Guten Morgen und guten Abend,« sprach Maria. »Ich wollte Nachmittags einen Augenblick zu Dir, aber Walter sagte, Du habest Besuch.«

»Dornach war bei mir und blieb so lange, daß ich kaum Zeit gehabt habe, Toilette zu machen zum Diner.«

»Bei?«

»Bei Fürstin Alma.«

»War's schön?«

»Kannst Dir's denken. Dreißig Personen, dreißig Grade und dreißig Gänge.«

»Du übertreibst, wie immer, wenn es sich um ein Fest bei Alma handelt. Sie kann thun oder lassen, was sie will, Du tadelst Alles. Und ich weiß, wie peinlich ihr das ist, und wie großen Werth sie auf Dein Urtheil legt.«

Mit diesen Worten stellte Maria eine Tasse Thee vor den Grafen hin, der sich in einen Lehnstuhl neben dem Tische niedergelassen hatte. Er warf einen seltsamen, fast drohenden Blick auf sie, senkte ihn aber rasch, als er in den Zügen seiner Tochter der völligsten Unbefangenheit begegnete.

Wolfsberg galt noch jetzt, da er sich in der zweiten Hälfte der Vierzig befand, für einen den Frauen gefährlichen Mann. Er war mittelgroß, von schlanker und geschmeidiger Gestalt, ein berühmter Reiter und Jäger. Einer gewissen kühlen und würdevollen Zurückhaltung in seinem Wesen verdankte er den Ruf großer Verläßlichkeit, der ihm zahlreiche Freunde erwarb. Seine Erziehung hatte er, früh verwaist, in Deutschland, bei Verwandten seiner verstorbenen Mutter, im Sinne des Wortes – genossen. Mit einer außerordentlichen Bildungsfähigkeit begabt, war er mühelos ein guter Student gewesen, und es blieb auch später sein Ehrgeiz, jeden seiner Erfolge für einen spielend errungenen gelten zu lassen. »Ich nehme das Leben nicht ernst,« sagte er oft und machte dazu eine beinahe finstere Miene.

Eines aber gab es in diesem Leben, das er dennoch ernst nahm, und das war seine Tochter, und das Glück, das er ihr bereiten wollte in Gegenwart und Zukunft.

»Maria,« begann er, »es hat sich heute Jemand um die Erlaubniß bei mir beworben, unser Haus besuchen zu dürfen. Du wirst wohl errathen, wer?«

Sie lächelte ihn freudig an: »Felix Tessin.«

»Tessin? – Du scherzest.«

»Es war nicht meine Absicht,« erwiderte Maria und senkte bestürzt die Augen.

»Wie? Du könntest glauben, daß ich Tessin angehört hätte, wenn er mir mit einer solchen Zumuthung gekommen wäre?«

»Warum nicht?« fragte sie zögernd, und ihr Vater antwortete mit der offenbaren Absicht, sich nicht in Erörterungen einzulassen:

»Du solltest wissen, was ich von ihm halte.«

»Nun, recht viel. – Ein so geistvoller, begabter Mensch, dem Du selbst eine schöne Zukunft voraussagst.«

»Das heißt, ich glaube, daß er so ziemlich Alles erreichen dürfte, was er anstrebt. Er ist ehrgeizig und klug, jagt hohen, aber nicht unerreichbaren Zielen nach, und kann um so leichter ankommen, da er sich wenig Skrupel macht in der Wahl seiner Mittel.«

»Vater!«

»Nun?«

»Das wäre ja schrecklich.«

Er zuckte die Achseln. »Tessin hält sich gewiß, wie heutzutage so Mancher, für Einen, der ›jenseits von Gut und Böse‹ steht. Ein so ungewöhnlicher Mensch, so bezaubernd in seiner dunkeln Manfred-Schönheit, so verwöhnt von den Frauen.« Der Graf sprach gelassen und spöttisch, ohne daß es im Geringsten schien, als ob er seine Tochter beobachte, und las doch in ihren bewegten Zügen, was ihn peinlich überraschte – daß er ein wenig spät kam mit seiner Warnung. Es galt mehr, als einen flüchtigen Eindruck verwischen, es galt eine Empfindung entwurzeln, weh' thun. Den Ellbogen auf den Tisch und die Hand an Stirn und Wange lehnend, fuhr er ernsthaft fort: »Wenn Tessin nicht ein Verwandter – der Freundin Deiner Mutter,« wollte er sagen, brachte es aber nicht über die Lippen, »der Fürstin Alma wäre, hätte ich verhütet, daß er Dir vorgestellt werde. Indessen hat sie es mir schwer genug gemacht, ihn, außer bei officiellen Empfängen, von denen ich einen Botschaftsrath nicht ausschließen kann, von meinem Hause fern zu halten. Die gute Fürstin wird eine Schwäche für ihn nicht los; sie vergißt nie, daß sie sein Jugendtraum gewesen, seine erste und letzte ideale Liebe.«

»Vor ihrer Verheirathung; ich habe davon gehört.«

»Vorher – nachher. Was hätte er darum gegeben, an der Stelle seines älteren Vetters, des Fürsten Tessin, zu sein, der die Braut heimgeführt. – Es dauerte eine Weile, bis er das zwecklose Schmachten satt bekam, und eine praktische Richtung im Leben und in der Liebe einschlug. Und heute können seine Huldigungen ein junges Mädchen nicht mehr stolz machen. Sie theilt sich in dieselben mit Persönlichkeiten, mit denen sie gewiß nichts gemein haben möchte.«

»Zum Beispiel?« fragte Maria erstickten Tones, und ihr Vater spöttelte:

»Nein, wirklich, ich bekomme Respect vor den Comtessensoiréen. Man klatscht ja dort nicht mehr, kümmert sich nicht mehr um das Thun und Lassen der jungen Herren. Schade um ihre schönsten dummen Streiche, sie machen keinen Effect. Was wissen denn die Comtessen, wenn sie nichts wissen von Mademoiselle Nicolette, dem Stern der ersten Quadrille?«

Maria war sehr blaß gewesen, jetzt färbten sich ihre Wangen: »Doch – sie wissen viel und schwatzen noch mehr von ihr und vom Grafen . . . Ich höre aber nicht zu, wenn Jemandem übel nachgeredet wird . . . Du hast mich das gelehrt.« Sie versuchte, einen scherzenden Ton anzunehmen, es gelang ihr nicht, es war zu schwer. Sie hätte weinen und schluchzen mögen.

Der Graf sah es, und es that ihm leid, von einer schwächlichen Regung jedoch hielt er sich frei. Es mußte sein, mit dieser Neigung mußte sie fertig werden. Auch ohne den entscheidenden Grund, der ihr unbekannt bleiben mußte, würde Wolfsberg eine Heirath zwischen Maria und dem leichtfertigen Tessin nie gestattet haben. Und so versetzte er: »Die üble Nachrede trifft auch manchmal das Richtige.«

Ein schwerer Seufzer stieg aus der Brust Maria's: »Du thust ihm vielleicht Unrecht,« wagte sie einzuwenden.

»Er ist unwahr und gewissenlos – unterbrich mich nicht – ich spreche von jener Gewissenlosigkeit, die sich von der des Falschspielers oder des Diebes unterscheidet wie das Ungreifbare vom Greifbaren . . . Genug.« Er wandte sich ihr plötzlich zu und sah sie an: »Du hast schlecht gerathen. Der mich bat, ihm Gelegenheit zu geben, von Dir gekannt zu werden – denn Dich zu kennen, behauptet er – ist Hermann Dornach.«

Sie biß sich auf die Lippen: »Welche Ehre! Und was hast Du ihm geantwortet?«

»Daß ich mit Dir reden und ihm dann Bescheid geben will. Er wird bejahend lauten, wenn Du Rücksicht nimmst auf das, was ich wünsche. Du verbindest Dich damit zu nichts. Ich verlange nur: beobachte ihn, prüfe Dich. Er wird Deine Achtung gewinnen, aber die Sympathie allein gibt den Ausschlag, und – da stehen wir an der Grenze unseres freien Willens. Der Verstand sagt, der klare Blick sieht, hier ist ein Mensch, so vortrefflich, daß eine brave Frau mit ihm glücklich werden muß. Es ist kaum anders möglich, als daß ihre Freundschaft und Hochschätzung für ihn sich allmählich zur Liebe und Begeisterung steigert. Und dort ist ein Anderer, an dessen Seite sie Enttäuschung auf Enttäuschung zu erwarten hat. Sie wird gewarnt, ahnt wohl selbst etwas davon – was hilft's? – Ein dunkler Instinct bleibt der Herr. Das Echte läßt sie gleichgültig, und unwiderstehlich fühlt sie sich zum Falschen hingezogen.«

»Unwiderstehlich?« Trotz und Zorn funkelten aus Maria's Blicken. »Wenn Du das auf mich anwendest, kennst Du mich nicht.«

»Hoho!« sprach er, sehr zufrieden mit dem hervorgebrachten Eindruck. »Da bleibt mir nichts übrig, als mich zu entschuldigen. Aber das möcht' ich wissen – ob Du nie ausgelacht worden bist, wenn Du die Verteidigung Mademoiselle Nicolette's und ihres Gönners übernahmst?« – Er ersparte ihr die Antwort, die sie mühsam vorzubringen suchte. »Und dann, warum hast Du gesagt: Welche Ehre! als ich Dir die Botschaft Dornach's bestellte?«

»Weil alle Welt es dafür ansehen würde. Es ist ja unglaublich, wie sie es mit ihm treiben. Die Papa's und Mama's machen dem jungen Manne den Hof . . . O, wenn sie ihm die Töchter buchstäblich an den Kopf werfen könnten – da sähe man Comtessen fliegen! . . . Und die überbieten noch die Tactlosigkeit der Eltern, ihm und seinem zweiten Ich, seiner Mutter gegenüber . . . Ich schäme mich für die Anderen . . . Das Alles ist so empörend und für Dornach so demüthigend, weil es so unpersönlich ist und nur seinem Rang und seinem Reichthum gilt.«

Sie ereiferte sich und sprach mit einer Heftigkeit, die außer Verhältniß zu deren scheinbarem Grunde stand.

Peinlich berührt lenkte der Graf das Gespräch ab und brachte es erst später auf den Freier zurück, der, wie es bei ihm fest stand, sein Schwiegersohn werden sollte.

Als er sie verlassen hatte, ging Maria zu Bette und konnte zum ersten Male in ihrem Leben nicht sogleich einschlafen. Jedes Wort über Tessin, das ihr Vater gesprochen, klang schmerzhaft in ihrer Seele nach. Die Erinnerung an Alles wurde lebendig, das Maria ein tolles Geschwätz genannt und dem sie ihr Ohr verschlossen hatte. Nun aber wußte sie. Diejenigen, die von ihr der Verleumdung angeklagt worden, die hatten Recht, und ihr Vater hatte Recht und sie allein Unrecht mit ihrer thörichten Glaubensseligkeit, mit ihrer übel angebrachten Bewunderung Tessin's, mit ihrem Stolz auf sein ritterliches Werben . . . Guter Gott, das war so unpersönlich, wie die dem Grafen Dornach dargebrachten Huldigungen. Ein ehrgeiziger Diplomat, ein praktischer Mann hatte gewünscht, der Schwiegersohn des Grafen Wolfsberg zu werden, und die dazu unerläßlichen Schritte mit liebenswürdiger Formgewandtheit unternommen . . . Das Herz war bei dem Geschäfte nicht im Spiele – wäre auch nicht zu vergeben gewesen, es befand sich bereits in anderweitigem Besitz.

Ein Schwall von neuen Empfindungen brach über Maria herein. Sie war die Beute von etwas Fremdartigem und Unschönem, dem sie sich entreißen wollte, und wollen konnte sie noch, das sollte ihr Vater sehen – ihr Vater und noch ein Anderer . . .

Ihre Lider wurden schwer und schlossen sich. Ein Augenblick der Betäubung, dann fuhr sie auf . . . Ob sie jetzt wußte, was es heißt: hassen? . . . Nein, nein . . . sie fühlte nur ein tiefes Bedauern, wie wenn ihr ein Herrliches und Schönes, an dem ihr das Herz gehangen, verunstaltet worden wäre. Derjenige, den sie hoch über alle Menschen gestellt, unwahr und gewissenlos?

Sie hörte noch vom Thurme der nächsten Kirche zwei Uhr schlagen, dann schlief sie ein und träumte: Tessin trete als Schneeschaufler verkleidet an ihr Bett, präsentire mit dem Besen und engagire sie zum Cotillon. Sie folgte ihm durch den Ballsaal und schämte sich ihrer Nachttoilette und ihrer nackten Füße. Auch ihres Tänzers schämte sie sich, der in Einem fort grinste und der wirkliche Schneeschaufler war. Und wie sie ihn jetzt so recht ins Auge faßte, entdeckte sie etwas Merkwürdiges. Der zerlumpte Mensch erinnerte an ihren Vater, er hatte wie jener die breite Stirn, die dichten, zusammengewachsenen Brauen. Maria neigte sich zu ihm und sprach: »Beim ersten Blick ist mir Etwas an Ihnen aufgefallen – ich wußte nur nicht gleich, was es war . . .« Sie erwachte lächelnd über diesen Traum, und mit unglaublich leichtem Herzen für ein junges Mädchen, dem eben eine erste Illusion zerstört worden. »Es ist aus,« dachte sie, »ich hätte nicht geglaubt, daß man so schnell mit einem Gefühl fertig werden kann, das doch wie Neigung ausgesehen hat . . . Nein, nicht nur ausgesehen! . . . Die Anderen wollen belogen sein – warum aber mich selbst belügen? . . . Ich habe ihn geliebt, innig und heiß.«

Und aufschluchzend, drückte sie ihr thränenüberströmtes Gesicht in das Kissen.



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