Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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XIII.

In der Nähe von Dornach, auf dem seit Langem unbewohnten Gute Rakonic, hatten sich zwei junge Ehepaare angesiedelt. Die Männer waren Brüder, die Frauen Schwestern. Sie gehörten den vornehmsten Gesellschaftskreisen an und betrieben den Sport als Beruf, mit angeborenem und energisch ausgebildetem Talent. Ueberdies gab es in etwas verwickelten Ehrensachen keine höheren Richter als die Grafen Clemens und Gustav und im Punkte echter Elegance keine nachahmungswürdigeren Vorbilder als die Gräfinnen Carla und Betty Wonsheim. Es gab auch in der weiten Welt nicht wieder vier Menschen von so vollkommener Uebereinstimmung in ihren Lebensanschauungen, ihren Verhältnissen, ihrer Bravheit, ihrer kindlichen Unwissenheit. Den Brüdern sah man ihre nahe Verwandtschaft sofort an. Beide waren mittelgroß und breitschultrig, ihre Scheitel schon etwas gelichtet; sie hatten ein äußerst gelassenes Wesen, sprachen langsam und in derselben bedächtigen Art. Im Aeußeren der Schwestern hingegen herrschte die größte Verschiedenheit. Carla, die Aeltere, schlank und blond, glich der Schwind'schen Melusine. Betty, braun, klein, neigte zur Fülle und unterzog sich in Folge dessen einem ziemlich strengen »training«. Sie rühmte sich, nie anders als mit dem Springgurt geritten zu sein. »Was hat man denn für einen Rapport mit dem Pferd,« fragte sie, »wenn man auf so einer Maschin' von einem Sattel oben sitzt?« Ihre Lebhaftigkeit bildete einen angenehmen Gegensatz zu dem gemessenen Benehmen ihrer Angehörigen. Sie war sehr verliebt in ihren Clemens, und er ließ sich ihre Zärtlichkeit gefallen und hatte, obwohl seit einem ganzen Jahre verheirathet, noch nicht eine Untreue an seiner kleinen Frau begangen. Gustav und Carla hingegen verkehrten mit einander mehr wie zwei gute Gesellen, denn als ein junges Ehepaar. Jedes brave eheliche Verhältniß endet mit Freundschaft; sie ersparten sich den Umweg und fingen gleich bei der Freundschaft an.

Sobald die Fahnen auf den Thürmen des Schlosses Dornach die Anwesenheit des Herrn und der Frau vom Hause verkündeten, fanden Wonsheim's sich dort ein und wurden oft und gern gesehene Gäste. Sie verlangten aber auch Erwiderung ihrer Besuche, Theilnahme an ihren Interessen. Es verdroß Alle, wenn eine ihrer Einladungen von Maria ausgeschlagen wurde, weil sie »zu thun« hatte. – Und was? – Krippen errichten, ein Versorgungshaus bauen, ein Spital, »und immer machen, als ob sie dabei stehen müßt' – wenn das nicht Affectationen sind,« meinte sie, »dann kennen wir uns überhaupt in solchen Sachen nicht mehr aus.«

Sie waren einmal von einem betrunkenen Taugenichts angebettelt wurden, der ihnen auf die Frage, woher er sei? geantwortet hatte: »Aus Dornach.«

»Wie – daher. Gibt's denn noch arme Leut' in Dornach? Dort is ja der Himmel für die Armen.«

Der Taugenichts zwinkerte schlau und sprach in kläglichem Tone: »Für den armen Herrn Spitalsverwalter und Aufseher, und wie die liebe Bagag' sich tituliren läßt . . . für die wird's wohl der Himmel auf Erden sein, die liegen auf der faulen Haut und fressen sich an. Ein wirklich Armes hat's in Dornach grad so schlecht wie überall.«

Das war Wasser auf die Mühle der Wonsheim, und sie fragten nicht, ob es aus trüber Quelle floß.

Eines Tages, als wieder eine verneinende Antwort aus Dornach eintraf, schnellte Betty den Brief, der dieselbe enthielt, durch das offene Fenster, daß er weithin flog, die Luft mit der Kante durchschneidend. »Der vierte Korb, den die langweilige Person uns gibt!« rief sie, und Clemens versetzte:

»Ihr seid's aber auch wie die Wanzen. Laßt sie in Ruh'.«

»Just nicht! Sie darf nicht fort im Spital sitzen und sich mopsen. Man muß sie ein bissel aufmischen.«

Betty's Meinung drang durch.

»Mischen wir's auf,« erwiderten Gustav und Carla, und schon am nächsten Morgen, in aller Gottesfrüh', kam die Familie in Dornach angesprengt, um Hermann und Maria zu einem Spazierritt aufzufordern.

Es war ein hübscher Anblick, als sie im Schloßhof hielten die stattlichen Herren und die anmuthigen Frauen auf ihren schönen Rossen, an denen jede Sehne Kraft und jeder Blutstropfen Adel war. In ihrer Begleitung befanden sich Flick und Flock, ihre Doggen, die ernsten, klugen, die den Pferden, wie angebunden, im jeweiligen Tempo dicht an den Hufen folgten. Sie sahen nicht rechts noch links, sie kümmerten sich weder um einen aufschwirrenden Vogel noch um einen aufgescheuchten Hasen; aber einen Blick, einen freundlichen Zuruf ihrer Herren beantworteten sie mit Wonnegeheul und Freudensprüngen. Jetzt waren sie verdrießlich über die Unterbrechung ihres Morgenrennens.

»Verdammte Dahockerei! Wie lang soll's noch dauern?« sagte Flick zu Flock.

»Riech nur, riech!« erwiderte der, »da kommen ja schon die Hunde mit ihren Menschen. Den Boxl, den möcht' ich durchbeuteln, daß er nicht mehr wüßt', wo sein grauslicher Kopf ihm steht.« Er knurrte, seine Haare sträubten sich.

Boxl lief auf ihn zu, klein und frech, der ganze Hund eine impertinente Frage: »Was habt Ihr bei uns zu suchen?«

»Die Spuren meiner Zähne in Deinem Fell, Du Ratte,« und Flock wollte auf ihn losfahren. Aber sein Herr befahl: »Kuschen!« So drückte er denn die Augen halb zu, leckte die Schnauze und wandte dem Händelsucher, der nicht aufhörte, ihm die größten Unannehmlichkeiten zuzukläffen, den Rücken.

Flick setzte sich dicht an seine Seite, und die Beiden streckten die Hälse, wedelten mit den Schwänzen, öffneten die gewaltigen Rachen und gähnten laut und herausfordernd.

Inzwischen war die Einladung der Wonsheim angenommen worden. Maria ging, sich umkleiden zu lassen, die Pferde wurden vorgeführt: Hermann's brauner Wallach und Maria's in letzter Zeit arg vernachlässigter Liebling, Hadassa.

Fünfjährig mit feinem Kopf, schlankem Bug, breiter Brust, breitem Kreuz, tanzte sie einher auf elastischen, makellosen Füßen. Sie war wie grauer, wolkiger Marmor und rabenschwarz ihre spärliche Mähne und ihr an der Wurzel spitz zulaufender Schwanz. Als sie die fremden Pferde erblickte, warf sie den Kopf empor; ihre dunkelbraunen aus dem mageren Gesicht vorquellenden Augen sprühten; sie blies die Nüstern auf, wieherte drohend und stieg plötzlich auf den Hinterbeinen in die Höhe, daß der kleine Groom, der sie fest an den Zügeln hielt, in der Luft baumelte wie ein Taschentuch.

Alle lachten. Maria trat heran und streichelte den Hals der Stute. Hadassa jedoch, ihr Gebiß kauend, im Sande scharrend, wich verdrossen vor der Gebieterin zurück.

»Nervös?« fragte diese und schwang sich mit Hermann's Hülfe in den Sattel.

Sie hatte nicht daran gedacht, den Tag mit einer Unterhaltung zu beginnen, sich heute besonders viel vorgesetzt, war im ersten Augenblick unzufrieden gewesen mit der eingetretenen Störung. Bald jedoch empfand sie dieselbe als Wohlthat. Erfrischend, belebend wirkte auf sie die rasche Bewegung in der thauigen Kühle des Morgens. Die Nebel sanken, die Sonne stieg hinter den Laubwäldern empor, die der Herbst schon bunt gefärbt hatte, und überglänzte ihr geschminktes Sterben.

Die Reiter nahmen ihren Weg durch den Park. Sie kamen an dem Aussichtspunkte vorbei, wo Maria's erste Unterredung mit ihrem Bruder stattgefunden, wo sie die ersten Worte mit ihm getauscht, der dem Verbrechen den Pfad zu ihr gebahnt hatte.

»Vorbei – vorbei . . . Trag' mich hinweg, Hadassa!« und sie führte unüberlegt einen Streich mit der Gerte über die Schulter des aufgeregten Thieres. Hadassa's Empörung war grenzenlos. Sie bockte, schlug und gab ein Beispiel trotziger Unbotmäßigkeit, das bei den anderen Pferden Nachahmung zu finden begann.

»Nichts mit ihr zu machen. Ich muß sie allein haben,« sagte Maria. »Wir treffen uns beim Jägerhause.« Und sich jede Begleitung, auch die Hermann's, verbittend, lenkte sie vom Wege ab auf das nahe Sturzfeld, in dessen weichem, tiefem Boden Hadassa sich müde rennen sollte. Ein grüner Wiesengrund begrenzte das Feld und bildete das Ufer des klaren, wasserreichen Flüßchens. Es war dasselbe, das droben in den Bergen zu Füßen der Burgruine so prächtig übermüthig durch die Felsenriffe tobte.

Von Weitem schon sah Maria seine glatte Oberfläche blinken. Dort auf sanfter Bahn, im seichten Bette hatte es ausgestürmt.

»Siehst Du, Hadassa, für noch ganz andere Wildheit als die Deine gibt's nach dem Auf- und Abwogen der Hochfluth die ruhige Ebbe des Gleichgewichts. Du glaubst nicht an Deine Zähmung, Du Tolle? Warte nur, Du mußt erst müde werden.« Vorgeneigt bis auf den Hals der Stute, ließ sie ihr die Zügel. Ein rasender, ein wonniger Ritt, ein Flug über Gräben und Hecken. – Hadassa spürt nicht mehr den Boden unter ihren Hufen, Hadassa ist ein Adler, ist der Sturm; von ihr getragen zu werden und so viel Leben, Kraft, Feuer deiner Laune unterworfen fühlen, dem Drucke deiner Hand – das ist Seligkeit. – Leugne sie, wer sie nicht kennt . . . Maria's Herz öffnete sich ihr mit Entzücken. Sie athmete erquickt und frei; sie war einmal wieder glücklich und ruhig, und in ihrem Innern war Frieden . . .

Wo hatte sie den gesucht? – in der Pflichterfüllung, im Wohlthun, in ihrer mit Begeisterung ausgeübten Kunst. Alles vergeblich. Der Frieden der Seele ist zu finden auf dem Rücken Hadassa's, im wilden Genuß eines sinnlosen Rennens und Jagens. Das schäumende Roß, die glühende Reiterin sind von demselben Rausche erfaßt. Hadassa ist nicht zu ermüden, nur zu erhitzen, Maria ihrer Herrschaft über sie nicht mehr so sicher wie früher. Um so schöner – es lebe die Gefahr! Aug' in Auge mit ihr wird das Vergessen am tiefsten . . .

Da war es gedacht, und der Zauber gebrochen. Des Vergessens gedenken heißt ja sich erinnern. Der Brust Maria's entstieg ein Schrei und gellte unheimlich durch die Stille. – Aber horch, es kam Antwort. Ein dumpfes, einförmiges Geräusch, das aus der Ferne herüberdrang, gab sie. Dort am Ausgange der Waldschlucht stand eine Mühle, und rastlos drehte sich ihr riesiges Rad, getrieben vom stürzenden Bach . . . Vorwärts! auf sie zu . . . Hadassa biegt nicht aus. Ein herbes Lächeln verzog Maria's Lippen. – Armselig, sogar an Erfindung ist das Leben. Alles wiederholt sich. Das ist ja wie vor Jahren, als sie, fast noch ein Kind, demselben Tod, dem sie jetzt entgegenjagt, entgegengetragen wurde. Einem häßlichen Tod zwischen schwarzen, triefenden Speichen, und damals graute ihr vor ihm, – heute graut ihr nur noch vor dem häßlichen Dasein . . .

Bleich, die Augen weit geöffnet, näherte sie sich mit entsetzlicher Geschwindigkeit ihrem Ziele.

Da erfuhr sie etwas Seltsames. Ist das immer so vor dem Ende? – In alle Seelentiefen fällt unendliches Licht; die Wurzeln des Fühlens und Thuns sind enthüllt. Seines täuschenden Schimmers entäußert, erscheint das Blendwerk der Sinne und der Phantasie als ein häßliches Zerrbild. Aber die reine, von ihm zurückgedrängte Empfindung prangt in herrlichem Glanze. – Nun wandeln zwei mutterlose Kinder die wohlbekannten Wege entlang, nun ist das Herz des besten Mannes verwaist . . . Warum? warum? Es hätte nicht sein müssen. – Schade um das vernichtete Glück!

»Maria!« übertönte eine Stimme das Rauschen der Fluthen, »Maria!« und sie, plötzlich zurückgerufen in das Bewußtsein der Wirklichkeit, fuhr zusammen und riß die Zügel an.

Hadassa bäumte sich, dann stand sie gestreckt, mit rauchenden Nüstern, mit zurückgelegten Ohren. Wo war sie hingerathen in ihrem närrischen Lauf? Was für ein wasserspeiendes Ungeheuer war das, dem sie im Begriff gewesen in den Rachen zu springen? . . .

Sie erschrak, und zugleich freute sie sich, denn aus dem Winkel, wo das brausende Scheusal sein Wesen trieb, kam ihr guter Kamerad und Stallnachbar, der braune Bob, einhergetrabt.

Auch er war aufgeregt, sein Reiter aber ganz ruhig, und der rief:

»Was gibt's, ist sie durchgegangen?«

Maria stammelte ein undeutliches »Nein«. Ihr war zu Muthe wie einem auf der Flucht ereilten Verbrecher. Mitten in fast übermenschlichem Ringen nach Selbstbeherrschung erzitterte sie, von Schauern durchfröstelt. Die Augen Desjenigen, dem ihre letzten Gedanken gegolten, ruhten auf ihrem Angesicht. Spiegelte es die Kämpfe wider, die sie eben durchgemacht? . . .

Hermann hatte sein Pferd gewendet und ritt nun neben ihr an der Mühle vorbei. Er neigte sich zu Maria, legte seine Hand auf die ihre und sagte: »Du bist ganz blaß.«

»Wirklich?« Sie zog ihr Taschentuch und preßte es an ihre Stirn.

»Mir war bang', Hadassa – sie hat heute einen bösen Tag – könnte an der Mühle nicht allein vorüber wollen. So bracht' ich einen Begleiter.«

»Aber wie kommst Du hierher?«

»Quer übers Feld. Du machtest einen Bogen, ich habe Dir den Weg abgeschnitten.«

»Und noch Zeit behalten, mir in erhabener Bedächtigkeit entgegen zu traben? Auch eine Leistung. Bravo, Bob!« Sie klopfte den Hals des schweiß- und schaumbedeckten Pferdes: »Ich liebe Dich.«

Hermann lachte sie an: »Der Glückliche, sein Herr beneidet ihn.«

»Hat keinen Grund dazu,« sagte sie ernst und warm.

Er drückte ihre Hand, die er noch immer in der seinen hielt: »Das sagst Du ja, als ob es Dir leid thäte,« versetzte er im früheren Tone. Aus seinem Blicke sprach lautere Seligkeit und weckte einen Widerschein in der Seele Maria's.

Was ihr vorhin gedämmert, es durchdrang sie jetzt mit dem Lichte und mit der Kraft sonnenklarer Ueberzeugung. Das Beste und Höchste an ihr, das, worin alle edlen Eigenschaften ihres Wesens gipfelten, war die langsam gereifte Liebe zu diesem Manne.



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