Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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XIV.

Von nun an ließ sich Maria nicht mehr lange bitten, dabei zu sein, wenn »etwas los« war bei Wonsheim. Aus der Rolle einer Zuseherin ging sie bald zu der einer Mitwirkenden und endlich einer Anführerin über. Schwungvoll wie eine Kunst, nicht mit der Nüchternheit eines Handwerkes wollte sie den edlen Sport betrieben sehen. Den der Jagd, zum Beispiel, an welchem Carla und Betty leidenschaftlich Antheil nahmen. Was man so vortrefflich auszuüben versteht, soll auch schön ausgeübt werden:

»Machen wir ihnen eine Freude,« sagte sie zu Hermann, »lassen wir für ein paar Tage das goldene Zeitalter der Jagd wieder aufleben, zaubern wir uns an den Hof August's des Starken oder nach dem Jagdschloß Blankenburg. Veranstalten wir ein Fest, bei dem einmal gezeigt wird, was das Haus Dornach vermag; denke nur, daß ich selbst es noch nie in seinem Glanze gesehen habe.«

»Ein schweres Versäumniß,« erwiderte er, »aber wir wollen es gut machen.«

Die öden, immer verhangenen Prunksäle wurden dem Licht und der Luft geöffnet, und es zog wie ein Erwachen durch die Räume. Ein leises Knistern erhob sich in dem alten Schnitzwerk und Getäfel der Wände, ein plätscherndes Geräusch in den meergrünen, goldbefransten, vom Winde, der durch die Fenster drang, geblähten Vorhängen und Draperien. Die Prismen der krystallenen Kronleuchter schlugen lustig aneinander, mit feinem, hellem Klang. Und erst auf dem Orchester im Tanzsaale, wie ging es da zu! Da wurde gestimmt und geübt und Strauß'sche Musik einstudirt. Eine stürmische Auferstehung für die Streich- und Blasinstrumente, die geruht hatten in ihren Särgen, seitdem sie der längst vergessenen Weise eines Menuet's à la reine ihre Stimmen geliehen. Der greise, immer mürrische Schloßwärter, der sich als der eigentliche Schloßherr betrachtete, griff ungern genug auf Zureden Hermann's nach seinem Schlüsselbund. Und die eisenbeschlagenen Eichenschränke in der Silberkammer lieferten die Schätze aus, die ihr Hüter sorgsam pflegte und geizig verbarg vor der Neugier der Laien. Da kamen sie hervor und schmückten die Tafel im großen Speisesaal, die phantastischen Aufsätze und Trinkschiffe, die Nautilusschalen, die romanischen Pokale und die gothischen, mit ihren kleinen durchbrochenen Thürmen, Spitzbogen und Phialen, Kannen, Becher, Schüsseln in bewunderungswürdig getriebener Arbeit, mit Figurenreliefs, eingeschmolzener Emaillirung, eingesetzten Edelsteinen, Triumphe der Goldschmiedekunst, die Hand Jamnitzer's, Eisenhoidt's, Dillinger's verrathend, dieser bescheidenen Meister einer Kleinkunst, aus deren Werkstätten so viele große Künstler hervorgegangen sind.

Die Einladungen zu dem Feste waren im Stile des achtzehnten Jahrhunderts verfaßt. Die »Cavaliere und Dames« wurden gebeten, nach dem Kesseltreiben, das an der Stelle des historischen Fuchsprellens abgehalten werden sollte, »in grünsammetener, mit Silber verschamerirter Kleidung« beim Mahle zu erscheinen. Zur Jagd selbst kamen die Gäste natürlich in beliebigem Costüm: –

»Je schäbiger, je chickiger!«

Carla und Betty Wonsheim, die das Wort erfunden hatten, brachten es zu Ehren, sahen jedoch nicht vortheilhaft aus in ihren zerdrückten Hüten, ihren alten Paletots, kurzen Röcken und abgetragenen Schnürstiefeln.

Wenn aber die Herren mit ihren ledernen Jagdhosen die Zimmer putzen lassen, um ihnen jeden Schein von Neuheit zu benehmen, dürfen die Damen nicht zurückbleiben, und auch ihre Ausstaffirung muß die Spur von hundert blutigen Schlachten gegen Haar- und Federwild tragen.

Als die Gäste versammelt waren, fand, frei nach Döbel, der Aufzug statt, den Willy, Wilhelm's Erstgeborener, mit dem bloßen Hirschfänger in der Rechten, ausführte. Ein ergötzliches Schauspiel, bei dem weder die Schar der Leute im »wilden Mannshabit« noch der Künstler, der den »pohlnischen Bock« pfeifen konnte, noch der Waidmann fehlte, der das Parforcehorn musikalisch zu blasen verstand.

Die Gesellschaft spendete reichlichen Applaus und bestieg in bester Stimmung die Wagen, die sie nach dem Revier brachten, wo der erste Trieb stattfand. Der letzte sollte die Jäger am Nachmittag in die Nähe des Schlosses zurückführen, und diesen versprach Maria, den Bitten Aller nachgebend, mitzumachen.

Zur bestimmten Stunde verließ sie das Haus. Es war kalt, ein scharfer Nord hatte sich erhoben, fegte den dünnen, harten Schnee in die Gräben und Mulden und blies von Zeit zu Zeit einen Schauer feiner Eisnadeln über die Felder.

Still und schweigend kamen die Jäger heran; die flügelführenden an der Spitze. Der Ordner befahl Halt, und nun theilte sich der Zug. In gleicher Entfernung von dem Anderen ging je ein Schütze, zwischen zwei Treibern, seinem Stande zu.

Seit ihrer Kindheit hatte Maria nicht mehr an einem Kesseltreiben theilgenommen und nur einen verworrenen Eindruck davon behalten. Nun schritt sie neben Clemens, dem sie schon am Morgen ihre Begleitung zugesagt und der ihr ganz merkwürdig vorkam. Eine heftige Aufregung spiegelte sich in seinem sonst so phlegmatischen Gesicht; aber er blieb stumm.

Der Kreis war geschlossen, die Jäger begannen vorzurücken.

Alles noch regungslos da drin in dem seichten, leicht beschneiten Ackergrunde, der sich gleichmäßig senkt und dann wieder erhebt bis zur Einhegung des Parkes.

»Die Hasen waren klug,« sagte Maria. »Sind alle fort, im Walde.«

»Sind da, ducken sich nur,« antwortete Clemens.

Die Treiber begannen ihre Klappern zu rühren. Ein zerlumpter Junge in durchlöcherten Socken sprang vor Maria her, offenbar in der Absicht, von ihr bemerkt zu werden. Er jagte auch wirklich einen Hasen auf. Dann rückten drei andere nach, vier, sechs . . . Der erste Schuß knallte, ein großer, fetter Hase stürzte und blieb auf der Stelle.

»Das war die Betty,« murmelte Clemens, und ein Ausdruck leidenschaftlichen Neides umzuckte seinen Mund. Seine Hände zitterten, er schoß und fehlte, schoß wieder und traf, aber schlecht. Auf drei Läufen sprang sein Opfer dem nächsten Nachbarn in den Schuß. Nun nahm er sich zusammen, nun war er wieder er selbst. Wohl dem Meister Lampe, der ihm kam, er hatte nicht lange zu leiden.

Der Kreis wurde immer enger, es wimmelte von Wild. – Aus der Erde schien es zu wachsen, erhob sich aus jeder Furche, sprang hinter jeder Scholle hervor, wandte alle seine Finten vergeblich an, stürzte herum im Wahnsinn der Angst, schrie, daß es einen Stein erbarmt hätte – und Jägern Vergnügen machte. Und erst dem Volke! Welchen Feiertag begeht heute das Volk!

Das feigste Thier, das völlig Wehrlose zusammentreiben auf einen Fleck, damit es dort lustig niedergeknallt werde, nachhelfen mit dem Stock, wenn das Gewehr sein Werk nur halb gethan, todt machen, so recht nach Herzenslust und noch Geld dafür kriegen, das ist ein Gaudium für den armen Mann und für sein Kind eine Schule, in der es etwas lernen kann.

Der letzte Trieb, der schönste Trieb. Wer hätte das erwartet! Die meisten Herren und alle Damen wurden von einem Rausche ergriffen. Angesichts solcher Massen Wildprets wird der kaltblütigste Jäger hitzig. Das ABC der Wissenschaft geht ihm verloren; er zielt kaum mehr, kümmert sich nicht darum, ob »das Material« zu Schanden geschossen wird.

Die Strecke bedeckt sich mit todtem, verendendem, verstümmeltem Gethier. Es düngt den Boden mit seinem Schweiße; es wird genickt, erwürgt; die Treiber binden ihm die Hinterläufer zusammen und beladen ihre Stöcke mit der noch zuckenden Beute.

Maria hatte weggeblickt. Widerwillen, Ekel, ein großes Staunen erfüllte sie: – Die sich da ergötzen an den Qualen eines armseligen Geschöpfs, das sind lauter gute Menschen.

»Gräfin, schauen's her,« rief Clemens mit seinem heitersten Lachen.

Auf zehn Schritte von ihm hatte ein alter, blinder Hase sich hingepflanzt und machte ein Männchen. Beide Löffel waren ihm abgeschossen, und die Farbe lief über seine erloschenen Lichter. Er wischte sie mit den Vorderläufern langsam ab, schüttelte sich, loste nach rechts und nach links, senkte traurig seinen kugelrunden Kopf und sah unglaublich dumm aus.

»Den Gnadenstoß, ich bitte um den Gnadenstoß für ihn,« sprach Maria.

Clemens gab Feuer. Der Hase lag und – unweit von ihm der kleine Treiber, der aus vollem Halse schrie und ein Bein in die Höhe streckte.

»Patzer!« rief Betty herüber.

Im selben Augenblick gab der Hornist das Zeichen zum Schluß.

Maria war auf den Verwundeten zugeeilt, Clemens folgte ihr langsam nach. Doctor Weise kam mit Riesenschritten heran. Er trug eine Mütze mit Ohrlappen, stak in einem Pelze, der ihm die Form eines Schilderhauses verlieh, und war mit doppelt so viel Jagdrequisiten behangen, als er hätte verwenden können. Mühsam kniete er neben dem Jungen nieder, untersuchte ihn genau und sprach:

»Ich constatire, daß dieser adolescentulus an der sura des linken Beines von einem Schrot gestreift worden ist.«

»Das ist Alles, wirklich Alles?«

Weise nickte: »Alles.«

Nun erhob der Bursche ein Geschrei, gegen das sein früheres nur ein Säuseln genannt werden konnte. Er tobte und kreischte: »Ich hab' eins, der Herr Doctor vergunnt mir's nit, der Herr Doctor lugt. Ich hab' eins, ich hab' ein Schrot und krieg' fünf Gulden!«

»Immer die alte Komödie,« sagte Clemens.

Der Doctor aber versetzte, nachdem er dem Patienten eine Maulschelle verabreicht und sich mit Hülfe zweier Jäger aufgerichtet hatte: »Verzeihen, das ist Ihre Schuld, Herr Graf. Wenn man jedem angeschossenen Treiber fünf Gulden fürs Schrotkorn bezahlt, darf man dann nicht staunen, daß sich die Leute auf so leichte Art etwas verdienen wollen.«

* * *

In drei Sälen des Schlosses wurden die Gäste »magnifique tractiret«. Hermann erhob sich und leerte sein Glas »auf aller braven Jäger Gesundheit«. Die Hifthörner bliesen, und zum Finale ließen die Jägerburschen das Waldgeschrei ertönen.

Es war das stilvollste Fest, das man denken konnte, und mit weit mehr historischer Treue ausgerichtet, als der größte Theil der Gesellschaft zu würdigen verstand. Doch freute sich Jeder an der entfalteten Pracht, am Reichthum und Geschmack der Costüme.

Besondere Bewunderung erregte Carla Wonsheim, die entzückend aussah in ihrem grünen, mit weißem Atlas ausgeschlagenen Sammetgewand und dem dunkeln Federbarett auf ihrem hübschen Kopfe. Sie schien in einem Diamantenregen gestanden zu haben, denn sie war vom Scheitel bis zu den Füßen mit einzelnen dieser funkelnden Edelsteine wie übersprüht.

»Wen stellen Sie vor?« fragte eine junge, schlanke Landedelfrau mit auffallend schönen Augen, Baronin Wlasta Wynohrad. Die Damen Wonsheim waren ihr wie Sterne aufgegangen an ihrem beschränkten Horizont, und sie kannte keinen höheren Ehrgeiz, als in der Nähe ihrer Idole geduldet zu werden.

»Wen ich vorstelle? – das weiß die Frau vom Haus,« gab Carla zur Antwort, »die hat unsere Costüme vorgeschrieben.«

»Das meine nicht! ich lasse mir nichts vorschreiben. Ich bin die Pfeife, nach der bei mir Alles tanzt. Achtzehntes Jahrhundert, Jagdcostüm – va bene. Das Weitere ist meine Sache.«

Carla ließ einen »unvertrauten« Blick über die Toilette der Baronin gleiten und dachte: »Nicht recht präsentabel, die brave Frau.«

Diese zog ihre mageren Schultern in die Höhe, streckte den langen Hals und ließ die Freudenbotschaft von ihren Lippen schweben, daß sie den nächsten Winter in Wien zubringen werde.

»So?« sprach Carla.

»Ja, ja, und ich werd' schon oft zu Ihnen kommen und Sie bitten, daß Sie sich meiner annehmen. Die Wiener Société ist sehr unfreundlich gegen neue Erscheinungen.«

»Nur, wenn sie un-comme-il-faut sind.«

»Na, das ist natürlich – gegen die bin ich gerade so . . . Aber je, da schauen Sie her! die Wilhelmi'schen fangen schon an zu tanzen. Komm' . . . O weh!« unterbrach sie sich, »jetzt hab' ich mich wieder versprochen, ich bitt' um Verzeihung!«

Ihre Entschuldigung wurde mit einem Kopfnicken quittirt. Sie ließ sich dennoch nicht abschrecken: »Gehen wir in den andern Saal,« sprach sie und schob zuthunlich ihren Arm unter den der Gräfin.

»Der tausend,« lachte die, »wir sind ja sehr intim, wir Zwei! Davon hab' ich noch gar nichts gewußt.«

Wlasta erröthete bis an die Ohren, und Carla fuhr unbarmherzig fort:

»Warum denn nicht? als Nachbarin auf dem Lande; das hat keine Konsequenzen: in der Stadt, mein' ich. Man ist dort schrecklich in Anspruch genommen. Ich könnt' Ihnen, sehen Sie, liebe Baronin, nicht einmal eine Stunde geben, zu der ich zu treffen bin.«

Die Baronin war nahe daran, von einem Herzkrampf ergriffen zu werden. Sie rang nach Athem und brachte mit niedergeschlagenen Augen und gebrochener Stimme die Worte hervor: »Ich bin eine geborene Zastrisl.«

»Nein, was Sie sagen!« erwiderte Carla mit heiterem Erstaunen über diese blendende Enthüllung. Dann ging sie, gefolgt von ihrem sehr düster gewordenen Schatten, auf Maria zu, die umringt von einigen äußerst beflissenen Herren, auf einem Sopha, der offenen Thür des Tanzsaales gegenüber, saß.

»Die Baronin,« sprach sie, »möchte wissen, wen ich vorstelle.«

»Du bist,« lautete die Antwort, »die lebendige Nachbildung eines Porträts der Gemahlin des Herzogs Rudolf von Braunschweig-Lüneburg.«

»Lüneburg? Hab' mein Lebtag nichts von dem Neste gehört.«

»Ich auch nicht, aber jetzt merk' ich mir's,« sprach Betty, die gleichfalls herangetreten war und die Hand auf Maria's Schulter legte. »Man wird so gelehrt in Dornach. Es geschieht alles Mögliche für die Bildung der Gäste. Das heutige Fest, zum Beispiel, hast Du, wett' ich, nur arrangirt, um uns hinterrücks etwas aus der Geschichte beizubringen und aus der Geographie.«

»Solche Lectionen kann man sich schon gefallen lassen,« fiel Carla ein, und Betty rief:

»O, wie hab' ich mich unterhalten! Es war furchtbar lustig.«

»Und was denn am lustigsten?« fragte Maria.

»Die Jagd, natürlich. Ich hab' einunddreißig Hasen geschossen und einen Fuchsen, den mir übrigens mein schußneidiger Mann abdisputiren will. Und Du hast Dich doch auch unterhalten?«

»Auf der Jagd nicht.«

Die kleine Frau war außerordentlich erstaunt: »Wie kann das sein?«

»Es ist mir eingefallen, daß wir uns an Qualen ergötzen. Der Anblick der jämmerlich zugerichteten Thiere hat mich verstimmt.«

»Entschuldigen Sie, Gräfin, das ist Empfindelei,« sprach ein jugendlicher, etwas affectirter Diplomat.

»Behauptet die Gedankenlosigkeit,« versetzte Maria halblaut, wie zu sich selbst redend.

In ihm aber brodelte es vor Unwillen, fast wäre er aufgefahren. Gestern erst hatten einige seiner hier anwesenden Freunde von Maria's Unnahbarkeit gesprochen, und er hatte sich in die Brust geworfen und mit offenkundiger Absicht gesagt: »Ja, ja, ihr zu gefallen, ist nicht leicht. Man muß eben geistreich sein.«

Und jetzt, und noch dazu in Gegenwart der Zeugen seiner Prahlerei: »Gedankenlosigkeit!« Er wollte eine schlagende Antwort geben, da ihm aber nichts besonders Passendes einfiel, entschloß er sich, zu schweigen. Die kleine Beschämung, die er erlitten hatte, war verschmerzt, als Carla sich mit den Worten zu ihm wandte:

»Ich bin Ihnen noch einen Walzer schuldig vom Fasching her. Soll ich bezahlen?«

Sehr geschmeichelt erhob er sich und wirbelte mit ihr davon.

Vetter Wilhelm aber, der bei Wonsheim in hohen Gnaden stand, mußte mit Betty tanzen, um zu büßen für den schmachvollen Verdacht, den er geäußert hatte, daß sie müde sei.

Was? müd' – ich? . . . Ich bestell' mir ein Pferd her um sechs Uhr früh und mach' noch einen Ritt von ein paar Stunden.«

Wilhelm lachte: »Ganz wie ich, damals, als ich noch Leutnant war bei Kaiser Nikolaus-Husaren.«

Maria blickte sinnend mit immer unbeweglicher werdenden Augen in das Gewühl fröhlicher geputzter Menschen, und was sie sah, war seltsam. – Das glänzende Bild goldbetreßter Herren, von Juwelen strotzender Damen, des alterthümlichen Prunkgemachs, worin sie sich bewegten, wurde durchscheinend und verschwand schemenhaft von einem tiefdunkeln Hintergrunde. In dem war ein Brausen und Grollen wie es dräut im sturmgepeitschten Meer. Die Wellen thürmten sich bis zum Himmel, stürzten in unermeßliche Tiefen, stiegen wieder empor, um wieder zu sinken, ein ewiges Auf und Nieder.

Und ein Wehgeheul entrang sich diesem grausen Getümmel gejagter, jagender, verschlingender, verschlungener Wellen: denn sie bestanden aus Thier- und Menschenleibern; sie waren das gequälte Geschlecht der Lebendigen, und der Ocean, der diese Fluthen rollte, war ein Ocean des Leidens . . .

Manchmal erglänzte hoch am Horizont ein blinkender Stern, und Millionen von Menschenherzen erhoben sich, sehnsüchtige Augen tranken lechzend sein zitterndes Licht. Aber nicht lange, und sie wußten: der ihnen dort erglommen, der verheißende Schein, war nur ein Widerschein des Trostverlangens, der Hoffnung – in ihrer eigenen Brust.

Und weiter rollt der Ocean des Leidens seine stöhnenden Fluthen.

Aber sieh! – was kommt auf ihnen dahergeschwommen? . . . In bewimpeltem Schifflein eine lustige Schar übermüthiger Männer und Frauen. Sie scherzen, sie spielen, sie liebeln und fahren sorgenlos hin – demselben Ende zu, das der Gepeinigten wartet . . .

»Woran denkst Du?« fragte plötzlich eine sanfte Stimme. Maria schrak auf, wie aus einem Traume. Helmi stand neben ihr.

Und Andere kamen, und der Diplomat machte ihr auf Tod und Leben den Hof, und Clemens Wonsheim fühlte mit Mißbehagen, daß er einmal wieder im Begriff sei, sich in die Frau eines seiner Bekannten zu verlieben, und sagte sich selbst: »Unsinn, dabei schaut wirklich nix heraus.«

Einmal im Laufe dieser Nacht trat Maria an die Glaswand des Altans und schob den Vorhang zurück. Da lag vor ihr die weite, beschneite Landschaft, weißschimmernd, heller als der Himmel. O, diese anbetungswürdig schöne und doch peinerfüllte Erdenwelt . . . Dein Werk, Du unbegreiflicher, unbekannter Gott . . . Sie besann sich eines Spruchs, den sie in einem alten Buch gelesen, und der lautete:

Als Vorsehung magst du ihn hassen,
Den Künstler mußt du gelten lassen.

Einst hatten diese Worte ihr religiöses Gefühl verletzt . . . Einst!



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