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Sie wurden ein stilles und feierliches Brautpaar. Maria blieb kühl und gemessen. Dornach bekämpfte immer siegreich jede Regung seines überströmenden Gefühls. In der Gesellschaft erhoben sich Streitigkeiten, weil die Einen behaupteten, er sei ihr, und die Anderen wissen wollten, sie sei ihm gleichgültiger. Dennoch erging sich alle Welt in so überzeugten und gerührten Glückwünschen, als ob Romeo und Julia aus ihren Gräbern auferstanden und im Begriffe gewesen wären, sich häuslich einzurichten.
Unter den vielen Oberflächlichen, deren hohles Geschwätz geduldet und für deren als Theilnahme verkleidete Neugier gedankt werden mußte, gab es aber doch auch einige wohlwollende, treue Menschen, gab es vor Allem Fürstin Alma Tessin. Maria liebte sie, verehrte ihre grenzenlose Herzensgüte und war voll Mitleid mit ihrer Schüchternheit, die von Jahr zu Jahr zunahm. Die Fürstin fragte Maria um Rath, küßte ihre Hände, hatte in ihrer Gegenwart etwas Demüthiges und Beschämtes, das dem jungen Mädchen ein Uebergewicht über die Frau, die beinahe ihre Mutter hätte sein können, förmlich aufzwang.
Eines Vormittags kam Fürstin Tessin zu Tante Dolph und fand dort das Brautpaar. Maria schritt ihr entgegen, Hermann erhob sich. Sie sah ihn zum ersten Male seit seiner Verlobung, und es geschah unerwartet. Auf ihrem zarten Angesichte wechselten die Farben.
»Graf Dornach,« sprach sie, »ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, Ihnen meinen innigen, meinen freudigen« . . . sie hielt inne, von unüberwindlicher Verwirrung ergriffen und blickte beschwörend zu ihm empor: »Erbarme Dich,« schien sie zu sagen, »sieh', was ich leide, und erbarme Dich.« Ihre stumme Bitte blieb unerfüllt. Er verbeugte sich, murmelte ein paar höfliche Redensarten und nahm ihre Hand nicht, die sie ihm zitternd hatte reichen wollen und nun mit einer Gebärde der Trostlosigkeit niedergleiten ließ.
Hermann nahm Abschied und ging.
Das Herz Maria's schwoll vor Unzufriedenheit mit ihm. Was berechtigte ihn zu diesem ablehnenden Benehmen gegen ein Wesen, das ihr theuer war? – Alma's Verwandtschaft mit Tessin, flog es ihr durch den Kopf. Aber nein! weder Dornach noch irgend Jemand konnte eine Ahnung von dem flüchtigen Interesse haben, das jener Mensch ihr eingeflößt. Tessin war scheinbar nicht mehr um sie bemüht gewesen, als zwanzig Andere. Daß sie ihm den Vorzug gegeben, blieb ihr, sogar gegen ihn selbst, streng bewahrtes Geheimniß. Aber die Eifersucht sieht scharf – der arglose Hermann verdankt ihr vielleicht einen Seherblick.
Als er am Abend wiederkam und den wunderschönen Blumenstrauß brachte, der täglich aus den Gewächshäusern von Dornach für die zukünftige Herrin anlangte, wies Maria die Gabe zurück:
»Vorher will ich wissen, was haben Sie gegen Alma?«
Er zögerte mit der Antwort –: »Sie ist mir . . . Aufrichtigkeit über Alles, nicht wahr? – Nun denn, – sie ist mir unangenehm.«
»Unangenehm? Verzeihen Sie, das begreife ich nicht – ausgenommen, Sie hätten die Kunst entdeckt, die Schönheit zu hassen und die Güte,« rief sie herb, und er erwiderte mit seiner gewohnten bescheidenen Gelassenheit:
»Ich habe nicht von Haß gegen Fürstin Tessin gesprochen, ich bewundere ihre Schönheit« . . .
»Sie sieht eben aus, wie sie ist,« fiel Maria lebhaft ein; »so blond, so weiß, so duftig, von so überirdischer Anmuth umflossen, habe ich mir in meiner Kindheit die Engel vorgestellt.«
Seltsam war der Eindruck, den diese Worte auf ihn hervorbrachten; ein Schatten von Verlegenheit flog über sein Gesicht, und zugleich malte sich darin die tiefste und liebevollste Rührung.
»Ich will Sie heilen von Ihrer Abneigung,« fuhr Maria fort. »Das Mittel dazu ist einfach: Sie müssen Alma besser kennen lernen, dann wird meine beste Freundin auch die Ihre werden und bei uns ihr zweites Zuhause finden – wenn es Ihnen recht ist.«
Es fiel ihm schwer, den Jubel, den dieses »bei uns« in ihm erweckt hatte, zu unterdrücken; doch bezwang er sich und versetzte: »Sie werden in Ihrem Hause empfangen, wen Sie wollen, und thun und lassen, was Sie wollen; mir wird es recht sein. Nehmen Sie jetzt die Blumen?«
»Gern, und ich danke Ihnen,« antwortete sie und dachte: »Er ist ein vortrefflicher Mensch, und ich werde ihn lieb haben wie einen Bruder.«
Dornach hörte nicht auf, seine Huldigungen mit der größten Anspruchslosigkeit darzubringen. Seine erfinderischen Aufmerksamkeiten für seine Braut waren in seinen Augen das Selbstverständliche; ein Zeichen der Zustimmung von ihr, einen freundlichen Blick, empfing er wie Himmelsgaben. Gräfin Dolph neckte und versicherte ihn, er beschäme die ganze Tafelrunde: solch ein altmodisch ritterlicher Bräutigam wie er, bereite dem Ehemann einen schweren Stand.
Hermann lachte und behauptete, daß er nicht mehr sei und nicht mehr sein wolle als correct. Maria habe ihm ihren Wahlspruch: »Nur ruhig!« anvertraut, er halte sich an den seinen: »Nur correct«.
Und so waren denn seine fürstlichen Geschenke, so war der unerhört großmüthige Heirathsbrief, den er ausstellte, so war jeder Beweis seiner unbegrenzten Sorgfalt für das Wohl und Behagen der Gegenwart und Zukunft seiner Braut: »Nur correct«.
Gräfin Dornach benahm sich gegen die Verlobte ihres Sohnes ganz und gar in seinem Sinne, der ihr plötzlich maßgebend geworden. Für die von orthodoxem Familiengeist beseelte Frau hatte der unmündige Junggeselle Hermann sich in den respectswürdigen zukünftigen Stammhalter seines edlen Geschlechts verwandelt, und der alten Generation kam nichts mehr zu, als – Platz machen. Agathe trat mit großartigem Gleichmuth vor derjenigen zurück, die nun an ihrer Stelle die Erste im Hause Dornach sein sollte. Sie legte zu deren Gunsten den Majoratsschmuck so gleichgültig ab, als ob es sich um ein Paar getragener Handschuhe gehandelt hätte. Sie traf ihre Anordnungen zur Uebersiedlung aus dem Palais nach einem Miethhause in der Stadt, wo sie einige Wintermonate, und nach dem Wittwensitze Dornachthal, wo sie den größten Theil des Jahres zubringen wollte. Es war dies ein trauriger Aufenthalt in rauher Gegend, zu Füßen der Braneker Berge, und Hermann versuchte in jeder Weise, seine Mutter abzuhalten, ihn zu beziehen. Sie sollte in Dornach bleiben, in dem Flügel des Schlosses, den sie von jeher den drei anderen vorgezogen. Dort hatte sie ihr kurzes Eheglück genossen, dort ein Menschenalter hindurch als Gebieterin gehaust, dort sollte sie auch ferner hausen in der Nähe ihrer Kinder, von ihnen geehrt, geliebt, aber unbehelligt: Sie ließ sich nicht erbitten, ihr Entschluß war unerschütterlich: Sie danke Gott, sagte sie, für die endlich erlangte Gnade, ihr Leben in Ruhe und im Gebet für sich und die Ihren still zu Ende spinnen zu dürfen.
So tadellos auch Alles war, was die Gräfin that und sagte, Maria vermochte dennoch kein Herz zu ihr zu fassen; diese Tadellosigkeit wurde zu frostig ausgeübt. Das zurückhaltende Wesen ihres Vaters flößte Maria Bewunderung ein, weil sie voraussetzte, daß sich ein großer Reichthum hinter demselben verberge. Die Zurückhaltung der Gräfin aber schien ihr einen Mangel verdecken zu sollen. Wenn sie nach einem Besuche bei der Mutter ihres Verlobten Abschied nahm, erhielt sie einen Kuß auf die Stirn, dessen eisige Kälte sie vom Wirbel bis zur Sohle durchschauerte.
Einmal, da Gräfin Dornach einen neuen Beweis ihrer ungeheuren Selbstentäußerung geben wollte, wagte Maria abzuwehren. Agathe lächelte, gab dem olympischen Haupte einen kleinen Ruck ins Genick und sprach:
»Nimm es nicht zu hoch, liebes Kind, es geschieht vielleicht nur für die Gräfin von Dornach.«
Am Abend vor der Hochzeit ließ Graf Wolfsberg seine Tochter zu sich bescheiden. Er erwartete sie, am Schreibtisch sitzend, in seinem großen Fauteuil, den Kopf zurückgelehnt, die Beine gekreuzt, und überlegte, was er ihr sagen wollte. Es war gar viel. – Daß sie ihm ein braves und gehorsames Kind gewesen, ihm auch nicht eine Stunde getrübt, daß ihm der Abschied schwer falle, daß er aber einen Trost finde in der festen Hoffnung, sie werde glücklich sein. Und nun das Lob Hermann's und einige gute Rathschläge für die Zukunft. Dem Grafen war es eine ausgemachte, durch hundert Erfahrungen bestätigte Thatsache, daß jede junge, unschuldige Frau sich in den Mann verliebt, der sie zuerst das Leben kennen lehrt. – Maria wird keine Ausnahme machen, und er wollte ihr auf die Seele binden, in ihrer Leidenschaft nicht selbstsüchtig zu werden und stets ihre Würde zu wahren. Die Treue, meinte er, die der Mann seiner Frau am Altare geschworen, ist eine andere als diejenige, deren Schwur er von ihr empfing. Eine scheinbare Vernachlässigung, eine flüchtige Zerstreuung des Gatten wird von dem Weibe, das sich selbst achtet, übersehen. Was ist ein kurzer Sinnenrausch, dem gewöhnlich klägliche Ernüchterung folgt, im Vergleiche zu der unerschütterlichen, dankbaren Anhänglichkeit an die verehrte Lebensgefährtin, die niemals Nachsicht braucht, aber immer Nachsicht übt . . . . üben soll – und weh ihr, wenn sie es nicht thut – wenn sie wie jene arme, einst von ihm angebetete Frau . . .
Der Graf seufzte tief, seine Stirn verfinsterte sich. Die schmerzlichste Erinnerung seines Lebens war in ihm erwacht, und er suchte nicht wie sonst ihr zu entfliehen . . . Eine holdselige Gestalt stieg vor ihm auf: die Liebe seiner Jugend, seine schwer errungene Frau . . . Für eine der Töchter des Hauses, welchem sie entstammte, war Graf Wolfsberg kein ebenbürtiger Freier; sie gingen fürstliche Verbindungen ein, oder blieben unvermählt. Und dennoch hatte er sie heimgeführt, dem Vorurtheil zum Trotze, weil er ihr heißes Herz zu gewinnen verstanden, weil sie, zur Entsagung gezwungen, gestorben wäre, und weil ihre Eltern, die schwachen, thörichten, sie nicht sterben lassen wollten . . . Hätten sie es doch gethan – welch einen süßen und schönen Tod hätte sie damals gehabt! Sie hätte aus dem Dasein scheiden können, unenttäuscht, im frommen Glauben an den Geliebten. Aber das wurde ihr nicht vergönnt. Sie sollte das Aergste kennen lernen, bevor sie scheiden durfte, den Zweifel an ihm, an seiner Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Treue, an Allem, was den Werth des Mannes begründet. Eine gräßliche Empfindung, die sie für Verachtung hielt und die Eifersucht war, bemächtigte sich ihrer. Sie heuchelte nun selbst, spielte die Ahnungslose und forschte und beobachtete ihn und ihren Gast, seine Mitschuldige und sein Opfer, die kleine Schlange Alma, die eben erst aus der Kinderstube in ihre – freilich trostlose – Ehe getreten, . . . forschte und beobachtete und hatte nur noch einen Wunsch, einen Gedanken, ein Ziel – – die Schuldigen zu entlarven, ihnen die Worte ins Gesicht zu schleudern: »Feiglinge und Verräther!« Da erniedrigte sie sich zur Lauscherin an den Thüren, da horchte, da erhorchte sie, was ihr den Verstand raubte. – –
Ihre rast- und trostlosen Wanderungen begannen, ihre leichten Schritte glitten durch das stille Haus und weckten mit ihrem kaum hörbaren Schall einen nagenden, nie ruhenden Vorwurf. Er kam nach Jahren und Jahren dem Sinnenden noch zum Bewußtsein, und wenn auch nicht eben Reue, so erweckte er doch nicht die Empörung von einst.
Im Zimmer nebenan ließen Stimmen sich vernehmen. Maria wechselte einige Worte mit dem Kammerdiener, der sich's nicht hatte versagen können, heute mit ganz besonderer Dienstbeflissenheit die Thüren vor ihr aufzureißen. Sie trat ein und ging langsam auf ihren Vater zu:
»Du hast mich rufen lassen, es war überflüssig, ich wäre ohnehin gekommen, ich habe Dir noch viel zu sagen.« –
Er lächelte: »Ganz mein Fall Dir gegenüber. – Setz' Dich.«
Maria rückte einen Sessel in die Nähe des Schreibtisches und nahm Platz.
Der Graf streifte sie mit einem Blicke; dann sah er hartnäckig an ihr vorbei ins Leere. – »Das Ebenbild ihrer Mutter,« dachte er, »aber ihr Schicksal wird ein anderes sein. In dieser schönen Hülle wohnt eine stärkere Seele, ein kräftigerer Geist. Sie ist mein Kind . . . mein liebes Kind, das ich jetzt hingebe . . .« Eine plötzliche Wehmuth erfaßte ihn, eine Art Mitleid mit sich selbst, das er verspottete. Begann er vielleicht schon alt zu werden und sentimental? . . . Er nahm sich zusammen, er richtete sich gerade auf: »Morgen also« –
»Morgen also, Vater« – ein Beben lief durch ihre ganze Gestalt, sie beugte sich und, seines abwehrenden Winkes nicht achtend, fiel sie vor ihm auf die Kniee nieder und schlang die Arme um seinen Hals: »Einmal laß mich Dir danken,« sprach sie mit erstickter Stimme, »einmal nur Dir sagen: Ich danke Dir für Alles.«
Ein trockenes Schluchzen entrang sich seiner Brust. Er preßte sie an sich, daß ihr der Athem verging, er drückte seine Lippen auf ihre Haare, auf ihre Stirn und zog sie immer und immer wieder an sein Herz.
Endlich erhoben sich beide und gingen lange neben einander in ernstem Gespräche auf und ab.
Mitternacht war vorbei, als der Graf seine Tochter mit einem kurzen: »Gute Nacht, Maria,« fortschickte. Sie stand schon auf der Schwelle, da rief er sie zurück. Es drängte ihn, ihr ein letztes Geschenk, eine Erinnerung an diese Stunde mitzugeben. Suchend sah er im Zimmer umher; sein Blick blieb auf einer kostbaren, goldtauschirten Cassette haften, die auf einem Schranke stand: »Nimm das, es ist längst Dein Eigenthum, es gehörte Deiner armen Mutter.«