Marie von Ebner-Eschenbach
Unsühnbar
Marie von Ebner-Eschenbach

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VI.

– »Du hast mich einem edlen und guten Menschen zur Frau gegeben,« – schrieb Maria an ihren Vater in ihrem ersten Briefe aus Dornach. Das Wort »Glück« kam in demselben nicht vor, aber aus jeder Zeile sprach Zufriedenheit. Maria hatte sehr bald begriffen, daß sie als die Frau Hermann's eine Aufgabe zu lösen haben werde, die ihrem ernsten Sinn entsprach. Anders als in Wolfsberg gestalteten sich in Dornach die Beziehungen zwischen dem Großgrundbesitzer und seinen kleinen Nachbarn. – Dort herrschte eine Art bewaffneten Friedens, offene gegenseitige Feindschaft; eingewurzelte Unredlichkeit und Arglist von Seite der Schwachen, Starrsinn und unerbittliche Strenge von Seiten des Starken.

»Ich will nur mein Recht,« sagte der Graf und ging schonungslos vor in der Erreichung dieses Rechtes.

»Das Recht?« sagte Hermann. »Mit welchem Rechte verlangt man einen Begriff des Rechts von Leuten, die sich immer nur der Gewalt beugen mußten?«

Maria stimmte ihm bei. Sie war, wie er, ein Kind der neuen Zeit, das Gefühl der Unerträglichkeit fremden Leids, fremder Noth und ein heißer Drang, zu helfen, hatte auch sie oft ergriffen. Nun lag die Macht, ihm Genüge zu thun, in ihrer Hand. Sie empfand eine innige Dankbarkeit für Den, der sie ihr gegeben, unter dessen Leitung sie dieselbe ausübte.

»Heute Dienstag und Familiendiner,« sprach Hermann eines Morgens in das Frühstückszimmer tretend. »Hast Du nicht vergessen?«

Sie gestand es ein: »Ja wohl, völlig vergessen. – So wäre seit unserer Ankunft eine Woche vergangen?«

»Eine volle Woche. Mir ist sie entschwunden wie ein glücklicher Augenblick . . . Und Dir, Maria? Nicht allzu langsam?«

»Nein, nein,« sagte sie leise.

Er umfaßte sie mit beiden Armen: »Wenn es so fortgeht, werden wir plötzlich ein paar alte Leute sein. Unvermuthet wird uns einst das Alter überraschen; aber ich fürchte es nicht und auch nicht den Tod. Es ist schön zu sterben nach einem schön erfüllten Leben, in dem man nie irre geworden ist an seinem theuersten und höchsten Menschen, wie ich es an Dir nie werden kann.«

»Was verstehst Du darunter? Was ist der Inbegriff von Allem, was Du von mir verlangst?« fragte sie.

Hermann sah ihr mit einem langen, verständnißsuchenden Blick in die Augen. »Du weißt es ja, vorläufig nur – einen Tausch. Für meine grenzenlose Liebe – Dein grenzenloses Vertrauen. ›Espérant mieux‹, wie das Motto Antoine Latours gelautet.«

Maria senkte den Kopf. »Du bist so gut. Du hast die Geduld mit mir, um die ich Dich gebeten habe,« flüsterte sie nach kurzem Schweigen und verbarg plötzlich ihr Gesicht an seiner Schulter.

»Die Pferde! Deine Pferde aus Wolfsberg,« ließ jetzt die laute Stimme Lisettens sich im Nebenzimmer vernehmen, und sie selbst schlich herein, lächelnd und bissig, unterthänig und grollerfüllt wie immer in Hermann's Gegenwart, welcher in ihren Augen nichts war als der mit einem Privilegium versehene Räuber »des Kindes«. Sie hatte jede trübe Stunde vergessen, die sie in Maria's Geburtsort verlebt, und gab Wolfsberg hier im Hause für das gelobte Land aus. Jeder Brief, jede Sendung, die von dort kam, wurde von ihr empfangen wie ein Gruß aus dem Aufenthalt der Seligen.

»Und der Georg hat sie gebracht, Deine lieben Pferde, der alte Georg, der's nicht erwarten kann, Dir die Hand zu küssen, Frau Gräfin, mein Kind,« setzte sie im schmelzenden Tone hinzu. – Dieselben Pferde, die sie ingrimmig gehaßt als immerwährende Gefahrbringer für das Leben und die geraden Glieder Maria's, derselbe Georg, den sie verabscheut, weil er diese Pferde gesattelt hatte, standen jetzt in Lisetten's höchster Gunst.

Sie sah aus dem Fenster »dem Kinde« nach, das voll Freude über das bevorstehende Wiedersehen seiner vierbeinigen Lieblinge an der Seite Hermann's über den Hof eilte: »Ohne Hut, ohne Handschuhe, freilich, freilich,« brummte Lisette und überließ sich ihrer Gewohnheit, halblaut mit sich selbst zu sprechen, sobald sie allein war: »Wer schaut hier auf Dich, Du Vogerl Du, der verliebte Graf gewiß nicht, der denkt an nichts, sieht nichts, ist dumm und blind vor lauter Verliebtheit.«

Sie begab sich in das Schreibzimmer, schellte und befahl dem Stubenmädchen, der Frau Gräfin das Vergessene nachzutragen. Dann fuhr sie in ihrer eine Weile hindurch unterbrochenen Beschäftigung fort. Diese bestand in dem Ausräumen eines Rococo-Schreibtisches aus Rosenholz mit Bronzeverzierungen und eingelegten vieux-saxe-Platten. Lisette wickelte unzählige sehr werthvolle Sachen und Sächelchen, Bonbonnieren, Dosen, Elfenbeinschnitzereien, Siegel, Flacons aus ihren Papier- und Wattehüllen und legte Alles auf einem Tische in der Nähe des zierlichen Glasschränkchens zurecht, das an der Wand hing und bestimmt war, die kleinen Kostbarkeiten aufzunehmen. Fast jeder dieser Gegenstände weckte in der Alten eine wehmüthige Erinnerung an dessen frühere Besitzerin, an Maria's Mutter. Es waren sämmtlich Geschenke des Grafen. Er hatte sie dereinst aus Paris, wo er kurze Zeit in besonderer diplomatischer Mission in Verwendung gestanden, nach Hause geschickt, als Zeichen treuen täglichen Gedenkens. Und wie beglückten und beseligten sie! mit welchem Eifer suchte die junge Frau vor Allem nach dem flüchtig bekritzelten Zettelchen, das diese Sendungen meist begleitete. Meist – nicht immer . . . und dann, war das sehnlichst Erwartete ausgeblieben, dann fehlte dem Schönen der Reiz, und die Gräfin beugte sich traurig über ihr Kindlein: »Er hat uns heute nicht geschrieben, Maria . . .«

»Sie hat ihn zu lieb gehabt. Freilich, freilich.« – Lisette sann nach, ihre Lippen verzogen sich zu einem tückischen Lächeln: »Das wirst Du ihr nicht nachmachen, mein Vogerl,« murmelte sie, »Du hast eine andere Natur. Wenn in Deiner Eh' Eins von Euch vor lauter Lieb' den Kopf verliert, wird's der Andere sein, nicht Du.«

»Worüber lachst Du?« fragte Maria eintretend.

»Ach was, nur so – – über den spaßigen Heiligen da. Was ist das für ein Heiliger?« Sie reichte der Gebieterin eine Dose, die mit einem Emailbildchen von Petitot, einem jungen weinlaubumkränzten Faun darstellend, geschmückt war.

Maria betrachtete es zum ersten Mal aufmerksam; sie war keine Freundin der Kunst im Kleinen und hatte diesen Bibelots nie ein besonderes Interesse geschenkt. Nun aber bewunderte sie eingehend die feine Arbeit des französischen Meisters, und wie sie dabei das Kästchen hin und her wandte, sprang bei einem Druck ihres Fingers der Deckel auf. Die Dose barg einen goldenen in Seidenläppchen gewickelten Schlüssel; die Zeichnung der Arabesken seines durchbrochenen Griffes schien Maria Ähnlichkeit zu haben mit der Tauschirung der Cassette, die sie am Abend vor ihrer Vermählung von ihrem Vater erhalten, und an welcher der Schlüssel fehlte. – Doch hatte sie nicht Zeit, sich der Zusammengehörigkeit der Beiden gleich zu versichern, denn die Ankunft ihrer Gäste, die Punkt ein Uhr, eine Stunde vor dem Mittagessen, eintreffen sollten, stand bevor.

Sie kamen auch richtig angefahren, auf die Minute, zwei Seelen und vier Seelchen. Im letzten Augenblicke hatte Wilhelm sich erweichen lassen durch die traurigen Gesichter, mit denen die jüngeren Rangen die Vorbereitungen zur Abfahrt der Eltern begleiteten, und sie mitgebracht. Sie waren ja noch so dumm und versäumten noch keine oder so viel wie keine Lernerei. Vater und Mutter baten dringend, sich nicht im Geringsten um sie zu kümmern, sie nur im Garten herumlaufen zu lassen. Alt genug waren sie, um sich selbst vor einem Sturz ins Wasser oder von einem Baume in Acht zu nehmen. Auf irgend welche Berücksichtigung bei der Mahlzeit hatten sie keinen Anspruch; sie waren zu Hause abgefüttert worden, und überdies hatte Jeder sein Stück Brot im Sacke und konnte damit bequem aushalten bis zur Heimkehr.

Eine so ungastliche Behandlung sollten sie jedoch nicht erfahren, vielmehr durften sie ihre Brotration den Pferden bringen; ihre Mutter und je zwei von ihnen wurden von Maria in der Ponyequipage im Parke herumkutschirt, während die zwei anderen dem Wagen nachrannten, um die Wette mit den Hunden. Bei Tische erhielten sie ihre Plätze neben einander, saßen kerzengerade und benahmen sich musterhaft. Trefflich regiert von den kurzen Commandoworten des Vaters und den abmahnenden oder zustimmenden Blicken der Mutter, entfalteten sie bei aller Dressur einen kleiner Rothhäute würdigen Appetit.

Maria hatte sich auf die Freuden des heutigen Familienfestes mit uneingestandenem Grauen gefaßt gemacht, und jetzt erfüllte sie mit Vergnügen ihre Hausfrauenpflichten und unterhielt sich beinahe. Nicht nur mit den Kindern. Der biedere Mann, der, wie sie wußte, den Unterhalt seiner zahlreichen Nachkommenschaft so schwer bestritt und ihrer etwaigen Vermehrung dennoch mit naiver Ergebung entgegensah, die Frau mit ihren abgearbeiteten Händen und dem Typus ihres uralten hochadeligen Stammes in den feinen Zügen, die ihre Haube mit den gefärbten Bändern und ihr verschossenes Foulardkleid so tapfer trug, flößte der neuen Verwandten die herzliche Wertschätzung ein, die bei ihr eine sichere Vorbotin künftiger Freundschaft war.

Bald nach Tische trennte man sich. Hermann und Wilhelm fuhren nach einem zwei Stunden weit entfernten Hofe zur Besichtigung eines Baues, der dort unternommen worden. Gräfin Wilhelmine und ihre Kinder kollerten heim in ihrem kürzlich neu lackirten mit Bauernpferden bespannten grünen Wägelchen.

Maria blieb allein und wollte ihre Einsamkeit zu einer Wanderung durch den Park benützen und einen schönen Aussichtspunkt am Ende desselben erreichen, von dem Hermann ihr gesprochen hatte. Sie nahm seine beiden Jagdhunde als Begleiter mit; semmelfarbige, kurzhaarige, sehr kluge Thiere, die am Tage des Einzugs Maria's begriffen hatten: in Abwesenheit des Herrn gibt es jetzt eine Herrin. Auf den Fersen folgten sie ihr, die Nasen gesenkt, mit tief herabhängenden Ohren, und wenn sich's regte auf der Wiese, im Gebüsch, im dunklen Schatten der Bäume, fuhren sie zusammen, hoben die Nasen in die Höhe, schnupperten, alle ihre Sehnen spannten sich zum Sprunge. – Ein Anruf aber: »Zurück! Lord, Fly, zurück!« und wieder senkten sie traurig die Köpfe und schritten dahin, gehorsam den Befehlen der Menschen, widerstrebend den Gesetzen ihrer eigenen Natur.

Es war ein kühler Nachmittag; Maria ging rasch vorwärts, von einem wohligen Gefühl der Freiheit beseelt. Daheim wäre ihr verwehrt gewesen, einen weiten Spaziergang allein zu unternehmen, und sie empfand einen großen Genuß in der Ausübung ihrer kaum erlangten Selbständigkeit. Alles trug dazu bei, ihre Wanderlust zu erhöhen, der wolkenlose Himmel, der über ihr blaute, die kräftige Luft, die, gewürzt mit Harzdüften, vom Tanne hergestrichen kam, die Frühlingslieder der Vögel in den Zweigen, die Schönheit der Stätte selbst, die Maria durchschritt. – Sie kam sich vor wie in einem Zaubergarten, den menschenfreundliche Geister pflegen. Sie hatten die Wege besandet, die Wiesen geschoren, die Hecken beschnitten, die Brücklein über den Bach gebaut. Sie hatten die bewimpelten Kähne am Ufer des Weihers befestigt, die Scheiben des Fischerhauses blank gescheuert, daß sie im Abendroth glänzten wie Gold, und waren nach vollbrachtem Werke verschwunden, ohne Spur.

Alles, alles um meinetwillen da, sagte sich Maria, und zugleich durchblitzte es sie: – wenn Tessin jetzt dastände und mich sähe in diesem kleinen irdischen Himmelreich . . .

Sie hatte ihn verbannen wollen aus ihren Gedanken, es nicht vermocht und – Frieden mit ihm geschlossen.

Was war denn sein Verbrechen gewesen? – hatte er sie zu täuschen gesucht, je ein Wort von Liebe zu ihr gesprochen? . . . Und doch war sie beneidet worden um seine Aufmerksamkeit und hatte sich beneidenswerth gefühlt und sich nicht Rechenschaft gegeben, worin seine Macht über sie bestand.

Die unbestimmte, unerklärliche Angst, von der sie manchmal ergriffen worden in seiner Nähe, im Banne seiner Augen, durchrieselte sie; eine Ahnung kommenden Leids beklemmte ihr die Brust.

Sie war sich der Zeit nicht bewußt, die verflossen, seit ihre Wanderung begonnen hatte, und staunte, als sie, aus einem Fichtenhain tretend, die Sonne schon tief zum Untergang geneigt sah. Mit verdoppelter Geschwindigkeit eilte sie ihrem Ziele, einer Zirbelkiefer zu, an deren gewaltigem Stamme eine leichte, geschnitzte Wendeltreppe emporführte, bis zu einer runden Altane, über welche der mächtige Baum sein grünes Schirmdach breitete.

Die junge Frau lief die Stufen hinan, um von der hohen Warte aus noch einen letzten Blick des scheidenden Tagesgestirns zu erhaschen. Die Hunde folgten. – Plötzlich schien ihr, als schwanke die Treppe . . . sie blieb stehen, wartete, an das Geländer gelehnt – das Schwanken dauerte fort. Es war nicht durch sie hervorgebracht. Dort oben mußte Jemand auf- und abgehen, langsam und wuchtig. Einen Augenblick dachte sie an Flucht, es war doch gar zu einsam hier. Sogleich jedoch verlachte sie die feige Regung, die sich ihrer hatte bemeistern wollen. Wer konnte es sein? Ein Jäger, im schlimmsten Fall ein Wildschütz. Aber wenn auch, was hatte sie zu fürchten?

Die Hunde knurrten. Die Schritte hielten an, die ihren waren gehört worden.

Wenige Sekunden später betrat sie die Plattform, unter dem wüthenden Gebell Lord's und Fly's, die ihr vorangesprungen waren.

»Hoho, die Hunde! Rufen Sie die Hunde!« kreischte eine erregte Stimme ihr entgegen. – Der Mensch, der diese Worte ausgestoßen, preßte den Rücken an den Stamm des Baumes und führte mit dem Stock einen Schlag gegen seine Angreifer, traf sie aber nicht.

Maria hatte ihn auf den ersten Blick erkannt trotz der Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Nicht in Lumpen, wie in jener Winternacht, sondern gut gekleidet, im lichten Sommeranzug, mit gepflegtem Haar und Bart, wäre seine Erscheinung die eines auffallend hübschen Menschen gewesen ohne den Ausdruck der Verwilderung und der Krankheit in seinem eingefallenen bleichen Gesicht.

Auch Maria war bleich geworden: »Hierher!« befahl sie den Hunden, die sich widerwillig fügten, und sprach in hartem Tone den Fremden an: »Der Eintritt in den Park ist nur den Hausleuten erlaubt. Was wollen Sie hier?«

Er hatte die Sicherheit wiedergewonnen, die ihm durch die Furcht geraubt worden. Spöttisch lüftete er den Hut und erwiderte: »Ich will dasselbe, was Sie wollen – die Aussicht bewundern, die wirklich ganz reizend ist. Erfüllen wir den Zweck unseres Spaziergangs.«

»Frechheit,« murmelte Maria, und die Rechte gebieterisch ausgestreckt, setzte sie laut hinzu: »Fort!«

»Entschuldigen Sie,« versetzte er, »ich bleibe. Ich habe mit Ihnen zu reden und hätte Sie um eine Zusammenkunft ersuchen lassen, wenn nicht der Zufall – oder war es vielleicht ein geheimer Zug des Herzens? – Sie hierher geführt hätte, Frau Schwester.«

Maria stieß einen dumpfen Schrei aus und wich zurück. Wie dieser Mensch sich jetzt leicht verneigt hatte, war es in einer Art geschehen, mit einer Bewegung des Hauptes, ihr so wohl bekannt, so lieb und sympathisch an einem Andern . . .

»Es beleidigt Sie, daß ich mir erlaube, Ihnen diesen Namen zu geben, aber – er gebührt Ihnen und nicht durch meine Schuld . . . Bleiben Sie doch,« bat er, als Maria, entsetzt und gequält, sich plötzlich zum Gehen wandte: »Einmal müssen wir uns aussprechen, warum nicht lieber heute als morgen. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist bald gesagt. – Unser Vater hat meine Mutter betrogen – wie die Ihre, nebenbei bemerkt,« brach er höhnisch aus.

»Lüge!« sprach Maria; er aber fuhr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen.

»Ich mache ihm keinen Vorwurf, ich klage ihn überhaupt nicht an. Unser Vater hat viel Geld auf mich verwendet – schade darum! – mich erziehen, mir Grundsätze beibringen lassen wollen. Ganz vergeblich, denn – ich habe sein Blut in meinen Adern. Daß sein Sohn ihm gar zu gut nachgerathen, empörte den vortrefflichen Mann. Endlich zog er seine Hand von mir ab . . . Der Grund ist eigenthümlich – was?« Er brach in ein Lachen aus, das allmählich in ein heftiges Husten überging. Auf dem Taschentuche, das er an die Lippen drückte, zeigten sich dunkelrothe Flecken. »Da,« sagte er, »ich bin fertig. Zu viel Verschiedenes kennen gelernt im Leben, zu viel Vergnügen und zu viel Elend. Jetzt bin ich fertig, fertig, hörst Du? Die Finte mit der Schneeschaufelei hat mir das letzte Almosen vom Grafen eingebracht, das allerletzte! Laß mich nicht auf dem Stroh sterben, gib mir ein Obdach, Frau Schwester.«

Sie starrte ihn an wie verloren. »Lügen, Lügen! – ich glaube nicht – ich glaube Ihnen nicht . . .«

»Wäre freilich das Bequemste, wird aber nicht durchzuführen sein. Fragen Sie nur den Grafen, meinen Schwager, der weiß von mir, Wolfi Förster, nennen Sie mich ihm nur. Ich will ihn sprechen, das heißt Euch, in der Fischerhütte am Weiher, morgen Vormittag zehn Uhr. Kommt gewiß, ich könnte Euch sonst Unannehmlichkeiten bereiten. – Jetzt jagt der verfluchte Krankheitsteufel mich heim, nach dem Bauern-Hôtel, in dem ich mich vorläufig einlogirt habe.« Er knüpfte seinen Rock zu. Fieberfröste schüttelten ihn. »Auf Wiedersehen.«

Damit reichte er Maria die Hand, sie zog die ihre mit Abscheu zurück: »O Frau Schwester,« rief er, »Du bist noch hochmüthiger, als unser edler Herr Vater!«



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