Marie von Ebner-Eschenbach
Lotti, die Uhrmacherin
Marie von Ebner-Eschenbach

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8

Am dritten Tag, zur bestimmten Stunde, fand Halwig sich ein.

»Agnes, kennen Sie mich noch?« sprach er, ins Vorgemach tretend, dessen Tür die Alte ihm geöffnet hatte.

Agnes erwiderte ausweichend: »Das Fräulein hat mir schon gesagt, daß Sie kommen werden.« Der harte Blick, mit dem sie ihn empfangen hatte, wurde allmählich milder. »Aber ich hätte Sie auch so erkannt; Sie sehen ja prächtig aus.«

»Sie noch besser, Agnes, Sie noch viel besser!«

Die Alte schmunzelte und dachte: Jetzt geht es mir wieder mit ihm, wie es mir immer gegangen ist.

Im Grunde ihres Herzens hatte sie von jeher eine tiefe Abneigung gegen ihn gehegt. Sie war eifersüchtig auf die Geltung, die er im Handumdrehen im Hause erlangt, sie verabscheute seine Tätigkeit. »Was tut er?« meinte sie, »er schreibt? Er kritzelt? Saubere Arbeit für einen Mann – nähen wäre ebensogut. Ich möchte einen Schreiber geradesowenig wie einen Schneider.« Da sie niemals Gelegenheit gehabt, diese Behauptung zu beweisen, war es ihr freigestellt, ihren Haß maßlos zu überschätzen. Trotzdem blieben Halwigs Bewerbungen um ihr Wohlwollen nie ohne Erfolg. Wenn er sie freundlich gegrüßt, wenn er fünf Minuten lang mit ihr geplaudert hatte, gestand sie es regelmäßig zu: »Er ist halt doch ein lieber Mensch.«

»Darf ich eintreten«, fragte er, »Oder wollen Sie so gütig sein, mich anzumelden?«

»Nicht notwendig, das Fräulein erwartet Sie, und Herr Feßler auch.«

»Gottfried auch?«

»Ja, ja«, bestätigte Lotti, die auf der Schwelle des Zimmers erschien, »zwei alte Freunde heißen Sie willkommen.«

Gottfried stimmte nicht sehr laut in ihre Worte ein, zeigte sich anfangs ein wenig abweisend, aber das dauerte nicht lange. Bald empfand auch er jenes eigentümlich freudige, Herz und Zunge lösende Gefühl, das in reifen Jahren durch das Wiedersehen mit einem Genossen der Jugendzeit erweckt wird.

»Und wie lebst du jetzt?« fragte er, nachdem sie genugsam in Erinnerungen geschwelgt hatten.

Halwig lehnte sich in den altertümlichen Sessel zurück, der ihm eingeräumt worden war, und kreuzte die ausgestreckten Beine. »Freund«, lautete seine langsam gesprochene Antwort, »ich lebe nicht – ich schreibe.«

Lotti sah ihn befremdet an, und ein tiefes Mißbehagen schien sich seiner unter diesem Blicke zu bemächtigen; die Stimme erhebend fuhr er fort: »Ich schreibe vom Morgen bis zum Abend oder – zur Abwechslung – vom Abend bis zum Morgen.. . Es gibt einmal nichts so Unpoetisches wie das Dasein eines Poeten im neunzehnten Jahrhundert... Aber was ist zu tun, wenn man einen Haushalt mit der Feder bestreiten muß?«

»Das kann dir nicht schwer werden«, meinte Gottfried, »ein gefeierter Dichter wie du...«

»Heuchle nicht, Gottfried! Was weißt du davon, ob ich ein gefeierter Dichter bin?«

»Nun – man nimmt doch auch manchmal eine Zeitung zur Hand.«

»Daher schöpfst du deine Nachrichten? Gehst zum Fasse statt zum Quell... Und Sie, Fräulein Lotti, verschmähen Sie es gleichfalls, sich selbst zu überzeugen, ob ich den Ruf verdiene, den man mir macht?«

»Verschmähen?« wiederholte sie, »nein. Aber, lieber Halwig, ich altmodische Person lese schon seit langer Zeit nichts Neues mehr.«

»Sie tun vielleicht sehr gut daran«, sprach er nicht ohne leisen, etwas ironischen Verdruß.

Er erhob sich, trat an den Bücherschrank und las halblaut die Titel einiger darin aufgestellter Werke. »Da sind noch alle, die alten Bekannten... Ja, ja, Ihre Umgebung hat sich ebensowenig verändert wie Sie selbst. Der Raum ist kleiner geworden«, sprach er und blickte sich in der Stube um, »die Gegenstände sind dieselben geblieben. Aber – wo ist denn die Sammlung, der Schatz des Hauses?«

Lotti deutete nach der Ecke des Zimmers. »Dort steht sie.«

»Unvermindert? In ihrer ganzen Herrlichkeit?«

»Jawohl, in ihrer ganzen unvergleichlichen Herrlichkeit.«

»Wirklich?«

»Wie können Sie daran zweifeln? Ein Geizhals würde sich leichter von Hab und Gut trennen als ich mich von einer meiner Uhren.«

»Nicht einmal eine wäre Ihnen feil? – Um gar keinen Preis? Nicht um Wohlhabenheit, nicht um Reichtum?«

»Welche Fragen!« erwiderte Lotti beinahe verletzt.

Halwig nahm seinen früheren Platz wieder ein; er stützte die Arme auf seine Knie und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Da plötzlich erhob er die Augen zu Lotti: »Idealistin! Sie wohnen in einer Nußschale unter dem Dach, plagen sich ums tägliche Brot, verzichten auf alle Annehmlichkeiten des Lebens, um nichts zu schmälern von einem eingebildeten Wert... Sie haben recht!... Bewahren Sie sich, was Ihnen unschätzbar ist!« schloß er wehmütig, schlug jedoch gleich darauf mit einem der unvermittelten Übergänge, die ihm immer eigen gewesen waren, einen heitern Ton an. Er nannte sich einen glücklichen Menschen und pries sein Schicksal, das ihn endlich wieder mit seinen alten Freunden zusammengeführt. Der Verkehr mit ihnen sei das einzige gewesen, wonach er eine Sehnsucht empfunden, die sich oft bis zum Schmerze gesteigert. Jetzt war auch diese erfüllt. Ihm fehlte nichts mehr. Er begann von seiner Frau zu erzählen, und wie er sie im Sturm gewonnen, trotz des Widerstandes, den ihre Eltern, ihre Geschwister, »die ganze hochadelige Sippe« gegen ihre Verbindung mit ihm aufgeboten habe. Anfänglich wurde sein Haus von den Verwandten seiner Frau gemieden – nur anfänglich...

»Seitdem sie sich überzeugt haben, daß meine Kunst keine brotlose ist«, sprach er lachend, »bin ich merkwürdig in ihrer Achtung gestiegen, und das freut mich, obwohl ich keinen Grund habe, viel Gewicht auf ihre Meinung zu legen. Es sind sehr ehrenwerte Leute, aber durchaus keine überlegenen Geister. Ein wirkliches Band besteht nicht zwischen uns...«

»Einfluß nehmen sie aber doch auf dich«, versetzte Gottfried. »Dein Äußeres hat sich völlig dem der Weltmenschen anbequemt. Der Tausend! was bist du nobel geworden... ich bewundere dich schon die ganze Zeit im stillen.«

»Spotte nur«, sagte Halwig. »Übrigens, lieber Alter, die Zeiten sind vorbei, in welchen man den Dichter am wallenden Lockenhaar und am abgeschabten Flausrock erkannte. Den Wunsch, genial auszusehen, habe ich allerdings aufgegeben. Aber nicht infolge äußerer Einflüsse, sondern dank meinem verbesserten Geschmack.«

Gottfried blinzelte ihn freundlich an. »Sehr gescheit«, sprach er; »deine Leute können mit deiner stattlichen Erscheinung zufrieden sein. Und deine Bücher, sage mir, finden die bei ihnen gehörige Anerkennung? Gefallen sie ihnen, wie du selbst ihnen gefallen mußt?«

»Meinen Leuten – Bücher?... meinen Leuten? – Freund, ich frage mich manchmal, ob sie lesen können«, entgegnete Halwig und fuhr nach einem Blick voll Verwunderung, den Lotti auf ihn geworfen, rasch fort: »Das gilt nur von den Männern! Die Frauen lesen, die – ja. Und zwar die alten französische, und die jungen englische Romane. Welche Früchte diese Lektüre den ersten trägt, weiß ich nicht; die zweiten holen sich aus der ihrigen Begeisterung für englische Sitten und Gebräuche und für alle Arten von Sport. Sie verstehen sich auf Pferde trotz eines Maquignons, reden wie die Jockeys und – sind reizend. – Ja, ich muß gestehen, daß ich sie reizend finde, obwohl ich mich nicht im geringsten täusche über ihre stupende Oberflächlichkeit... Aber – was geht die mich an? Mich unterhalten, mir gefallen diese Amazonen in Schleppkleidern; meinetwegen dürfen sie bleiben, wie sie sind... Die Klagen über die Fehler der Aristokraten, über ihre Frivolität, Genußsucht und Unwissenheit hört man bis zum Ekel wiederholen; allein, wer hat jemals freundschaftlich mit ihnen verkehrt und sich dabei nicht wohlgefühlt? – Man hat überhaupt keinen Sinn für das Anmutige und Schöne, wenn man keinen hat für die Anmut und Schönheit ihrer Umgangsformen... freilich, eine Ahnung von Talent zu dergleichen Dingen muß man mitbringen, um sie als Vorzüge gelten lassen zu können... diese Ahnung fehlt – nicht dem großen Publikum, das unsere ist vortrefflich, keine Nation der Welt vermag ein besseres zu bilden – es fehlt den Wortführern des Publikums, meinen Herren Kollegen und lieben getreuen, immer dienstbeflissenen Feinden.«

»Deine Kollegen und Feinde?« fragte Gottfried ganz verwundert über diesen plötzlichen Ausfall.

»Nun ja! – Ich habe zuviel Glück und habe stets zuviel Glück gehabt, um ohne Neider zu sein. Sie tun, was sie können, um mir meine Erfolge zu verkümmern, allein die Mühe ist verloren. Noch befinde ich mich im Vollbesitze meiner Kraft und hoffe, nicht so bald zu erlahmen – geschähe das – erwachte ich eines Tages und wäre kein Dichter mehr – wie man behauptet, daß es geschehen könne, anderen schon geschehen sei – versiegte plötzlich der Quell, aus dem ich gewöhnt bin, ohne Maß zu schöpfen – ja dann...« er griff sich mit beiden Händen an den Kopf, »dann wäre ich verloren... denn alles, was ich bin und habe, steht und fällt mit meinem Talent. Mein Haus ist darauf gegründet, die Zukunft meiner Frau... geistige Verarmung hätte für mich so viel zu bedeuten wie materielle Not – und das hieße sie betrogen haben, die mir in unbegrenztem Vertrauen gefolgt ist... Närrische Gedanken –« unterbrach er sich mit einem gequälten Lachen, »ich kenne mich und fürchte nichts. Aber die Phantasie, die uns beseligt, will auch peinigen. Nur zu!... In der Einbildung müssen wir das Furchtbare durchmachen, das uns die Wirklichkeit erspart – das ist der Tribut, den der Glückliche dem allgemeinen Menschenelend bezahlt... Und, daß er reichlich bezahle, dafür sorgen die eigenen, in dem Geschäft, das ich betreibe, bis zum Zerreißen gespannten Nerven, und die Bemerkungen der süßen Neider, oder die Ratschläge der weisen Freunde. Auf dem Wege hierher bin ich dem weisesten von allen begegnet... Was der nicht alles wußte, nicht alles kommen sah! Wie der so eindringlich bat, als hänge sein eigenes Heil davon ab: Gönne dir Ruhe! Sündige nicht auf dein Talent – du brauchst Sammlung, Erholung... Wohl brauch ich sie, aber sie mir gönnen heißt abtreten, anderen Platz machen... O nein, ich weiche nicht, ich bleibe und fühle Nerv und Stärke genug in mir, der ganzen heranwachsenden Epigonengeneration standzuhalten... Ich traue mir's zu, sie alle zu überdauern, diese altklugen Kinder mit ihrem riesigen Wollen und ihrem zwerghaften Können... Aber ich ermüde Sie mit diesen literarischen Miseren... Lassen Sie uns von angenehmeren Dingen reden...«

Er gab dem Gespräch eine andere Wendung, er bemühte sich, die frühere Heiterkeit wiederzugewinnen. Allein es war vergeblich. Endlich erhob er sich und nahm Abschied. Sehr bald, so bald, als es ihm nur irgend möglich sei, wollte er mit seiner Frau wiederkehren, die er im voraus der Freundschaft und Güte Lottis empfahl.

»Wie kommt er dir vor?« sprach Gottfried zu Lotti, als sie wieder allein waren.

Sie sah an ihm vorüber durch das Fenster und antwortete zögernd: »Wie dir.«

»Schad um ihn.«

»Ja, traurig.«

Wenige Tage darauf schrieb Frau von Halwig an Lotti einen zierlichen kleinen Brief. Sie war im höchsten Grade ungeduldig, Fräulein Feßler kennenzulernen. Sie forderte ihren Anteil an der Freude, die ihrem Manne durch das Wiederfinden seiner Jugendfreundin beschert worden war. Es machte sie wirklich trostlos, dem Zug ihres Herzens nicht folgen und statt dieser in Eile hingeworfener und schlecht geschriebener Zeilen selbst bei Fräulein Feßler erscheinen zu können; aber ein Unwohlsein und die Unerbittlichkeit des Arztes machten das unmöglich. Ja, wenn Fräulein Feßler großmütig sein und eine arme, an das Zimmer gefesselte Kranke mit ihrem Besuche beehren wollte, wie glücklich würde diese sein... Auf ein solches unverdientes Entgegenkommen wagte freilich diejenige nicht zu hoffen, die sich mit herzlichster und wärmster Verehrung Lottis ergebenste Agathe Halwig nannte.

Die Empfängerin dieses Schreibens las und las es wieder, und ein Gefühl von entzückter Beschämung bemächtigte sich ihrer. Es stieg ihr heiß in die Wangen, sie meinte plötzlich tief in der Schuld der jungen Frau zu stehen, deren sie bisher entweder gar nicht, oder wenn – ohne das geringste Wohlwollen gedacht und die ihr jetzt so liebenswürdig nahte, mit solcher Bescheidenheit, ja man konnte sagen, mit kindlicher Ehrfurcht... Sie wollte sofort schriftlich antworten, besann sich aber eines andern. Nein, mit ihrer schwerfälligen und altmodischen Schrift dürfte sie nicht ausrücken, der Besitzerin der schönsten »grande anglaise« gegenüber, die Lotti jemals gesehen hatte. So beschloß sie denn, eine mündliche Antwort zu geben, und trat in das Vorzimmer, um dieselbe dem wartenden Boten aufzutragen.

An der offenen Tür der Küche lehnte nachlässig, mit gekreuzten Armen und Beinen, ein Mittelding zwischen Groom und Lakai, ein untersetztes, glotzäugiges Bürschchen im grünen Leibrock mit gelben Wappenknöpfen, eine blanke, goldbetreßte Tellerkappe zwischen den Fingern. Von der Höhe seines herrlichen Selbstbewußtseins herab beobachtete er das Walten Agnesens in ihrem kleinen Bereiche. Er veränderte seine lümmelhafte Haltung nur wenig, als Lotti rasch und in großer, freudiger Aufregung auf ihn zukam und ihn bat, seiner Gebieterin zu melden, sie gedenke heute noch bei derselben vorzusprechen.

»Heute nicht«, versetzte das Bürschchen und lächelte mit dem ganzen impertinenten Gesicht. »Morgen lassen die Frau Baronin bitten, morgen um ein Uhr.«

»Morgen? – Gut denn, morgen.«

Es schien Lotti ein wenig befremdlich, daß die junge Frau, die nicht den Mut gehabt, sie um ihren Besuch zu bitten, doch mit Sicherheit auf ihn gerechnet haben sollte; aber sie machte sich nicht lange darüber Gedanken. Sie kehrte wieder zu ihrem lieben, Auge und Herz gewinnenden Brief zurück. Da lag er, sorgfältig gefaltet in seinem schimmernden Kuvert, und duftete köstlich nach Ylang-Ylang. Von neuem erquickte sich Lotti an seinem Anblick. Nein, es gab nichts Gutes und Schönes, das man ihr nicht zutrauen müßte, die ihn geschrieben. Lotti drückte ihn an ihre Wange, hielt ihn zärtlich in ihren flachen Händen und legte ihn endlich in das Kästlein, in welchem sie ihre teuersten Erinnerungen bewahrte: das Miniaturbild ihrer Mutter, Andenken an den Vater, Briefe, die Gottfried aus der Fremde gesandt, die Eheringe ihrer Eltern, ihren eigenen Verlobungsring.

Aber aus diesem Reliquienschreine zog sie ihn am nächsten Morgen wieder hervor, um ihn Gottfried mitzuteilen.

»Lies!« rief sie, als er erschien, und hielt ihm das Blatt entgegen. Er gehorchte, nachdem er zuerst nach der Unterschrift gesehen und ein verwundertes »Oho!« ausgestoßen hatte. Seine Miene blieb ganz gleichgültig.

»Hast geantwortet?« fragte er, nachdem er zu Ende gekommen.

»Natürlich! Ich gehe zu ihr.«

»Das ist beschlossen?« Gottfrieds Ton klang mißbilligend, und er warf das Schreiben mit einer Gebärde voll Geringschätzung auf den Tisch.

»Es ist beschlossen«, entgegnete Lotti ärgerlich.

Er murmelte einige unverständliche Worte.

»Was sagst du?«

»Nichts. – Wenn es schon beschlossen ist, nichts.«

»Und der Brief gefällt dir nicht? Freut dich nicht?«

»Mich freut nur die Freiherrnkrone auf dem Papier. Seit wann ist der Halwig baronisiert worden?«

»Gottfried!« rief Lotti, »es ist deiner ganz unwürdig, so kleinlich zu sein.«

»Ist das kleinlich?« sagte er, nicht ohne einige Beschämung.

»Ungeheuer! So ungeheuer, als etwas Kleines nur irgend sein kann.«

Er lachte und war wieder der gute, liebe Gottfried, der »beste Mensch«. Er konnte übrigens nur einige Augenblicke verweilen, es gab sehr viel zu tun. Das neuerrichtete Geschäft ließ sich vortrefflich an, und doch wollte er nicht so ganz Kaufmann werden, daß er am Ende seine Uhrmacherei darüber vernachlässigte. Fortschritte meinte er freilich unter den jetzigen Umständen nicht mehr machen zu können, aber verlernen wollte er nichts, und schon das forderte ein ganz knappes Wirtschaften mit der Zeit.

Lotti hatte seiner raschen Auseinandersetzung herzlich zugestimmt. »Du bist recht zufrieden?« fragte sie plötzlich.

»Recht zufrieden«, wiederholte er, vermied aber dabei, dem freundlich forschenden Blick zu begegnen, den sie auf ihn heftete.

Gottfried hatte das Zimmer kaum verlassen, als Agnes mit der Meldung erschien, Herr von Halwig sei da und wünsche das Fräulein zu sprechen.

»Es muß ihm etwas sein«, flüsterte die Alte, und ihr vertrocknetes Gesicht geriet in das blitzende Zucken, das bis zum Äußersten gespannte Neugier auf demselben hervorzurufen pflegte. »Was ihm wohl sein mag?«

»Laß ihn doch kommen!« rief Lotti, und schon, nach einem leichten Pochen an der Tür, trat Halwig so eilig ein, wie die alte Agnes sich langsam und zögernd entfernte.

»Entschuldigen Sie die frühe Stunde, ich werde Sie nicht lange stören«, sprach er, »ich bin nur da, um Ihnen für Ihre Güte gegen meine Frau zu danken und um Ihnen zu sagen, wie sehr leid es mir tut, bei Ihrer ersten Begegnung mit Agathe nicht gegenwärtig sein zu können... Nein, nein!« fügte er ablehnend hinzu, da ihm Lotti einen Sessel anwies, »ich setze mich nicht, ich bleibe, mit Ihrer Erlaubnis, hier an dem Platze Gottfrieds stehen, Ihnen gegenüber, Fräulein Lotti...«

Er sprach hastig und abgebrochen, mit sichtbarer Mühe, die raschen Atemzüge zu verbergen, die seine Brust ängstlich beklemmend hoben.

»Was fehlt Ihnen, Halwig?« fragte Lotti und trat an seine Seite, »Sie sehen schrecklich aufgeregt und übermüdet aus.«

»Die natürliche und völlig unschädliche Folge einiger am Schreibtisch durchwachten Nächte... das geht vorüber... Sehen Sie mich nur recht an – nur recht tief, nur recht lang, mit Ihren milden, frommen, friedlichen Augen – es tut mir wohl und beruhigt mich, und ich brauche Ruhe zu dem schweren Gang, den ich heute zu machen habe...« Er hielt inne, und Lotti sagte nach kurzem Schweigen sanft und eindringlich: »Fahren Sie fort, schenken Sie mir Ihr ganzes Vertrauen... Sie wissen, Sie müssen sich noch erinnern, wie großen Wert ich auf Ihr Vertrauen lege. Darin, lieber Freund, habe ich mich nicht verändert.«

»Ja, ja! fordern Sie Vertrauen von mir, lehren Sie mich wieder Vertrauen haben«, rief er, »ich habe das inmitten der Mißgunst, die mich umgibt, verlernt.«

»Halwig, diese Mißgunst – besteht sie nicht vielleicht einzig und allein in Ihren selbstquälerischen Einbildungen?... Ich frage nur –« beeilte sie sich entschuldigend einzuwerfen, als er im Begriffe schien, heftig aufzufahren. »Weisen Sie mich zurecht, wenn ich irre... Halwig – Sie haben neulich von jemand gesprochen, der Ihnen riet, sich Ruhe zu gönnen – dem stimm ich bei, sein Rat war gut.«

»Es wäre gut, wenn sich ein Zeichen des Überreizes, des Verfalls in meinen letzten Arbeiten finden ließe... Das läßt sich darin nicht finden!... Mit jedem Werke, welches ich in die Welt sende, wächst meine Popularität, es gibt keine Zeitschrift, kein Journal, das nicht um meine Mitarbeiterschaft buhlt; wenig Autoren dürfen sich rühmen, soviel gelesen zu werden wie ich. – In faden Harmlosigkeiten freilich darf ich mich dabei nicht ergehen, auf einige Verblüffung läuft es immer hinaus – dem Geschmack der Zeit muß man Konzessionen machen... man muß... Welcher Künstler ist groß geworden und hat das nicht getan?... Lesen Sie, lesen Sie doch einmal eines meiner Bücher und sagen Sie dann, ob ich mich, wie der schöne Ausdruck lautet, ›ausgeschrieben‹ habe? Ob ich verwässere und verflache?«

Er stieß ein kurzes Gelächter aus und versank in Gedanken, aus denen ihn Lotti mit den Worten weckte: »Sie sprachen von einem unangenehmen Gang, den Sie zu machen haben...«

»Unangenehm ist ein milder Ausdruck. Abscheulich, gräßlich soll es heißen... Ich will Ihnen sagen, was ich zu tun habe: einem Menschen gute Worte geben, dem ich am liebsten einen Fußtritt gäbe... aber ich stehe in seiner Schuld, und mir bleibt nichts übrig, als –« die Augen funkelten ihm vor Zorn, und er warf die Lippen verächtlich auf –, »als mich vor ihm zu demütigen.«

»Eine – eine Geldschuld?« fragte Lotti zaghaft.

»Nein – ja – wie man will... Ich habe mich herbeigelassen, eine Vorauszahlung von ihm anzunehmen auf einen Roman, der im Feuilleton seiner Zeitschrift erscheinen soll... und kann dieser Verpflichtung nicht nachkommen... es ist mir unmöglich, trotz all meiner Arbeitskraft, all meines Fleißes. Heute sollte ich meinen ersten Band abliefern, und heute muß ich das Geständnis ablegen, daß, er noch nicht begonnen ist – muß um Zeit bitten, um Geduld – –«

»Wär's nicht besser, den peinlichen Vertrag ganz zu lösen, Halwig?« sprach Lotti.

»Das kann ich nicht –«

»Wenn Sie ihm die erhaltene Summe zurückerstatten würden...«

»Das kann ich nicht!« wiederholte er übereilt und verbesserte sich sogleich. »Darauf ginge er nicht ein – der Seelenverkäufer läßt mich gewiß nicht los... Aber – darf ich's denn verantworten, daß ich Sie zu langweilen komme mit dem Berichte dieser Jämmerlichkeiten, die Ihrem Gesichtskreise so fern liegen, so tief unter Ihnen stehen?«

»Diese Frage, Halwig, die können Sie allerdings nicht verantworten«, sprach Lotti. »Mir liegt nichts fern, was Ihnen Unruhe und Pein zu verschaffen vermag. Vergessen Sie das nie und nimmermehr.«

Er fuhr mit der Hand über seine Stirn. »Ich habe es nicht vergessen... Sie sehen ja... Von jeher waren Sie bestimmt, mir Trost und Segen zu sein... von jeher war ich bestimmt, Sie zu quälen... Das Schicksal erfüllt sich... Leben Sie wohl!...« rief er, wandte sich plötzlich und schritt dem Ausgange zu. Mit einem Male blieb er jedoch stehen. Seine Augen hatten sich fest und starr auf ein kleines Bild gerichtet, das an der Wand über dem Arbeitstische hing. Das wohlgetroffene Bild Meister Feßlers.

»Ihr Vater... Ihr Vater, das war ein Mann! Er hatte alles vom Künstler, nur nicht die Selbstsucht, nur nicht den Ehrgeiz. Er kannte die Affenliebe für seine Produkte nicht, und nicht die blinde Freude an dem Geschaffenen, sondern nur die große Freude an seinem Schaffen... Er trieb sein Handwerk wie eine Kunst. Wir – treiben unsere Kunst wie ein Handwerk«, sprach er dumpf und schmerzlich und verließ das Zimmer.


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