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Allein so oft er wiederkam, so ungestüm er nach ihr fragte – Lotti ließ sich nicht sehen. Er schrieb an sie, er bat sie um eine Unterredung, und sie entgegnete, sie wolle dieselbe gern gewähren, wenn er zuvor verspreche, ihres früheren Verhältnisses mit keinem Worte zu erwähnen. Auf diese Bedingung konnte er nicht eingehen, das erklärte er offen in einem zweiten Briefe, der unbeantwortet blieb.
Damit war zwischen ihnen alles zu Ende.
Als sie einander nach langer Zeit zufällig auf der Straße trafen, senkte Lotti die Augen, und Halwig wandte die seinen ab. Später vermieden sie es nicht mehr, einen raschen Blick zu wechseln. Hast du mir nichts zu sagen? fragte der ihre und wurde durch ein kaltes Lächeln, eine Miene spöttischer Gleichgültigkeit erwidert. Nach solchen flüchtigen Begegnungen kehrte Lotti heim mit fliegenden Pulsen und brennender Stirn, und am nächsten Morgen erzählten ihre müden und geröteten Augen von einer durchweinten Nacht.
Aber auch diese letzte, törichte Schwäche ward überwunden. Lotti gewöhnte sich, an dem einst Geliebten vorbeizugehen wie an einem Fremden; sie errötete nicht mehr, wenn sein Name in ihrer Gegenwart ausgesprochen wurde; sie las auch seine Bücher nicht mehr. Sie wurde von ihnen allzu peinlich berührt. Es gab sich darin ein Haschen nach dem Absonderlichen und Unerhörten kund, ein Streben, gemeine Neugier zu wecken, eine Vorliebe, das Krasse, oft sogar das Widerliche zu schildern, die Lotti entsetzten und ihr wie Lästerungen an dem Gotte erschienen, den Halwig selbst sie verehren gelehrt: am Gotte des Schönen.
Jahre vergingen. Feßler starb – kurze Zeit nachdem ihm angekündigt worden, daß er seine »hohe Warte« verlassen müsse, weil das Haus zum Umbau bestimmt sei. Lotti bezog ihre jetzige Wohnung. Gottfried mietete sich bei dem Uhrmacher ein, für den er seit dem Tode seines Pflegevaters arbeitete. Des erlittenen Verlustes immer eingedenk, führten beide still ihr Leben fort; Lotti war von ihrer ersten und einzigen Liebe so vollkommen geheilt, daß sie die Nachricht von Halwigs Verheiratung, die Gottfried eines Tages brachte, mit unbefangener Heiterkeit aufnahm.
Vor drei Jahren hatte sich's ereignet, und Lotti besann sich heute noch des verstörten Gesichts, mit dem Gottfried damals bei ihr erschienen war, der Verlegenheit, der unnötigen Schonung, mit denen er, nach langem Hin- und Herreden seine Neuigkeit plötzlich hervorgestoßen und dabei so beschämt und elend ausgesehen, als ob er eben eine schändliche Handlung begangen hätte.
»Ich muß es dir sagen«, entschuldigte er sich, »du hättest es vielleicht auf eine unangenehme Art erfahren können... unvorbereitet vielleicht...«
Lotti sah ihn freundlich an und sagte: »Nun – was hätte das gemacht?«
»Wenn du ihnen aber begegnet wärest wie ich – ganz unerwartet – beim Biegen um eine Ecke... Arm in Arm.«
»So hätte es mich gefreut«, sagte Lotti.
»Hätte es?...« Sein Gesicht hatte sich verklärt, er geriet in Begeisterung, und jetzt kam es heraus, daß er schon seit einigen Tagen von der Verheiratung Halwigs unterrichtet war, daß er auch gehört hatte, die junge Frau sei arm, vornehm und schön.
»Das Letztere kann ich bezeugen«, sprach Gottfried mit gedämpfter Stimme, als ob er ein Geheimnis anzuvertrauen hätte, »du und ich, wir haben nie etwas Schöneres gesehen. Sie ist groß – um ein Haar vielleicht größer als du, und so zart, so ätherisch, als wäre sie aus Mondesstrahlen gewoben... aber nein, das Bild paßt nicht; die Strahlen des Mondes sind kalt, und sie sieht aus wie das junge, rosige Leben... Ein Kind, sag ich dir, und hat doch schon etwas in den Augen... Ich war eilig und ging in Gedanken so hin, wäre beinahe an sie angerannt... Er rief: ›Holla!‹ und sie blickte mich mit diesen prächtigen, sonderbaren Augen unaussprechlich verwundert an, als ob sie sagen würde: Geben Sie doch acht! Ich bin es ja!... so, daß ich außerordentlich erschrocken stehenblieb und den Hut rückte. Da bemerkte ich erst, daß er den seinen abgenommen hatte. Gesprochen wurde nichts, wir haben beide nur getrachtet, so bald als möglich fortzukommen.«
Gottfried nahm seinen gewohnten Platz in der Fensterecke, dem Arbeitstisch Lottis gegenüber, ein, und sie begann von anderen Dingen zu sprechen. Sie erzählte mit einer Art Entrüstung, daß der Uhrenliebhaber, der einst für ihre Sammlung jenes hohe Angebot gemacht, das Feßler bereute von der Hand gewiesen zu haben, sich wieder melde. Von Amerika aus, wo er lebte – er war ein Deutscher, der dort Glück gemacht –, erneuerte er seinen Antrag in einem Briefe, den sein Agent Lotti überbrachte. Sie sann jetzt über ihre Antwort nach, konnte nicht Worte finden, scharf und bestimmt genug, um ihren unerschütterlichen Vorsatz, sich nie von ihrer Sammlung zu trennen, auszudrücken. Sie hatte Lust, dem »Amerikaner« mitzuteilen, was bisher niemand außer Gottfried wußte, daß der Hausschatz nämlich im Testamente Lottis dem Museum ihrer Vaterstadt vererbt sei, wo er unter dem Namen »Feßlersche Sammlung« auf die Nachwelt übergehen sollte zum Nutzen und zur Freude künftiger Generationen.
Gottfried gab ihr, etwas zerstreut, in allem recht, sprang aber plötzlich von dem Gegenstand ihres Gespräches ab und sagte: »Findest du es nicht verwegen von ihm, ja sehr verwegen, in seinen doch schon reifen Jahren ein Mädchen zu heiraten, wie gesagt, fast noch ein Kind und so wunderschön?«
»Von – ihm?... du sprichst von Halwig –« erwiderte sie mit einem verweisenden Blick. – Die sanfte Lotti war gegen Gottfried ausnahmsweise immer ein wenig streng. »Das muß man wissen... Reife Jahre ? Ach was! Künstler bleiben immer jung, nur wir altern, wir Arbeitsleute.«
So hatte sie vor drei Jahren die Kunde von Hermanns Verheiratung aufgenommen und seitdem nichts mehr von ihm gehört.
Und jetzt, nachdem sie alles verschmerzt, vieles vergessen, kam ein Bote aus der langentschwundenen Zeit und weckte sie aus ihrer tiefen Ruhe. Sie staunte selbst über die Gewalt des Eindrucks, den sie plötzlich empfangen hatte, über die Pein, welche er verursachte. Doch versuchte sie nicht, sich ihr zu entziehen, dazu kannte sie sich zu gut. Ihre Leiden wollten völlig durchlebt sein, bevor sie sterben konnten. Da half kein Wegschieben, keine Überredungskunst, sie forderten ihr ganzes Recht und wichen erst, nachdem es ihnen geworden.
Sie nahm ihre Arbeit vor. Gleichförmig wie immer spann ihr Tagewerk sich ab. Nachmittags besuchte sie Gottfried in seinem Gewölbe. Allein, was sie auch tat und sprach, unablässig summten ihr die Worte: »Aus Leichtsinn oder Not« im Ohr, und der Gedanke an Halwig verließ sie nicht eine Sekunde. Sie durchwachte eine böse Nacht.
Am nächsten Morgen kam Gottfried und mahnte sie noch einmal, die bei ihr bestellten Arbeiten dem früheren Meister heute selbst zu überbringen.
Sie versprach es, lehnte aber Gottfrieds Antrag, sie zu begleiten, auffallend hastig ab.
»Wie du willst«, sagte er und verabschiedete sich ohne eine Spur von Empfindlichkeit.
Sie blickte ihm eine Weile nach. »Der beste Mensch!« murmelte sie leise vor sich hin und begann ganz gegen ihre Gewohnheit müßig, mit gekreuzten Händen, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Ihre alte Dienerin trat ein und verwunderte sich über die Maßen, ihre Herrin unbeschäftigt zu finden. Aber sie freute sich noch mehr als sie sich verwunderte. Der Himmel selbst, meinte sie, beschere ihr eine Gelegenheit, sich so recht nach Herzenslust über die interessanten Neuigkeiten auszulassen, die sie vom Markte mitgebracht. Leider fand sie nur geringe Teilnahme und wurde plötzlich durch die Worte unterbrochen. »Agnes – ich gehe jetzt aus.«
Das war freilich leichter gesagt als getan. Ausgehen? Jetzt? – die Alte entsetzte sich über »diese Idee«. Vor dem Essen war das Fräulein nie ausgegangen, warum denn heut!
Die Frage und die seltsam forschende Miene, mit der sie gestellt wurde, machten Lotti erröten; sie wandte das Gesicht verlegen ab und sagte: »Warum? – ja – – ich könnte eigentlich auch später – wenn du dich beeilen wolltest...«
Agnes entfernte sich, erschien jedoch bald wieder. Sie überbrachte die Visitenkarte eines fremden Herrn, der das Fräulein dringend zu sprechen wünschte.
Der Agent des »Amerikaners« kam einmal wieder, die Anerbietungen seines Chefs in bezug auf die Uhrensammlung zu erneuern.
Er wurde selbstverständlich abgewiesen. Allein statt sich damit zu bescheiden und sich – zufrieden oder nicht – zu empfehlen, nahm er auf das breiteste Platz in dem Fauteuil und ließ alle fünf Minuten einige wegwerfende Worte über alte Uhren fallen. Nach einer tödlich langen Stunde erhob er sich endlich mit der Versicherung, er wolle vor seiner Abreise noch einmal vorsprechen. Lotti erlaubte sich zu bemerken, das sei ganz überflüssig, worauf er verbindlich erwiderte, er danke und werde sich gewiß einfinden.
Dieser Besuch schien Lotti den Appetit verdorben zu haben, denn sie ließ ihr Mittagsmahl, das von Agnes endlich aufgetragen wurde, unberührt.
Sie kleidete sich rasch und hastig zum Ausgehen an und blieb dann zögernd an der Tür stehen... sie eilte die Treppe hinab und schritt langsam durch die Straßen... immer langsamer, je näher sie ihrem Ziele kam.
Sie wollte sich Gewißheit über die Umstände verschaffen, unter denen ihr einstiges Geschenk verkauft worden war. Sie wollte es. Und doch erhoben sich Einwendungen in ihr gegen den unwiderruflichen Entschluß. – Was soll die Gewißheit, nach der du strebst, dir bringen? fragte sie. – Was hast du zu erwarten? Du wirst von einem Leichtsinn hören, den du nicht heilen kannst, oder von einer Not, der abzuhelfen du nicht vermagst. Laß ab! Was quälst du dich?... Zu wessen Frommen? Du bist längst vergessen – vergiß auch du!
Lotti horchte den leisen abratenden Stimmen und – mit Bewußtsein handelte sie ihnen entgegen.
Jetzt stand sie an der Tür des Uhrmacherladens, jetzt drückte sie die Klinke.
Der Laden war leer, aber aus dem anstoßenden offenen, mit Gaslicht hell erleuchteten Raume schallte ihr ein lauter Wortwechsel entgegen.
»Ich weiß ja, daß ich eine Gefälligkeit von Ihnen verlange! – rief eine Stimme, deren Ton Lotti seit fünfzehn Jahren nicht mehr gehört hatte und die sie dennoch augenblicklich erkannte.
»Ich aber bin nicht in der Lage, Gefälligkeiten zu erweisen. – Entschuldigen Sie, da ist jemand...« sagte der Uhrmacher, der den Eingang zum Gewölbe nicht aus dem Auge gelassen hatte: »Ah – Fräulein! eben recht...« Er eilte auf Lotti zu, indem er fortfuhr zu sprechen: »Vierundzwanzig Stunden bin ich im Wort gestanden; jetzt sind drei Tage vorüber; und mit dem besten Willen – wenn ich noch so gern möchte – ich könnte die Uhr nicht beschaffen, denn sie ist –« er warf Lotti einen Blick des Einverständnisses zu, »bereits in anderen Händen. Diese Dame kann es bestätigen.«
Derjenige, dem diese Rede galt, hatte sie mit Äußerungen des Unglaubens begleitet. Als Lottis Zeugnis angerufen wurde, richtete er plötzlich die Augen auf sie, verstummte und starrte sie so vernichtet, so völlig überwunden und ratlos an wie ein Kind, das auf einer schlimmen Tat ertappt wird.
»Mein Gott – Sie?...« stammelte er, »was werden Sie von mir denken?«
Lotti hatte sich rascher gefaßt als er; sie erwiderte: »Nichts anderes, als daß es schön von Ihnen ist, sich so herzlich nach Ihrer alten Uhr zurückzusehnen.«
Beide schwiegen und sahen einander an. Sie ihn mit leiser, etwas peinlicher Überraschung: er sie halb wehmütig, halb freudig. Seine Verlegenheit war wie durch Zauber verschwunden, und ihm wurde leicht und wohl ums Herz. Ihm schien es, als träte ihm die Erinnerung an die beste Zeit seines Lebens verkörpert entgegen... nicht die glänzendste, oh, bei weitem nicht! Aber die beste gewiß.
»Fräulein Lotti – Fräulein Lotti«, wiederholte er mehrmals, ohne den Blick von ihr zu verwenden.
Er fand in ihrem Gesicht den Ausdruck, den er einst geliebt hatte, wieder. Hübsch war sie nie gewesen, doch konnte sie schön sein, wenn ihre Seele sich in ihren Zügen spiegelte, wenn der Abglanz ihrer reinen Gedanken auf ihrer Stirn sichtbar wurde, wenn eine Gemütsbewegung ihre Wangen rötete – so wie jetzt... Was lag daran, ob leichte Falten diese Stirn furchten, ob diese Wangen schmaler geworden? Die Augen blickten so gütig, wie je; die rosige Farbe der Lippen hatten die Jahre verwischt, den Zug von Sanftmut und stiller Heiterkeit, der sie umspielte, jedoch nur tiefer eingeprägt... Ja, sie war es, war dieselbe noch! und – sie hat sich wenig verändert, dachte er.
Lotti hingegen dachte: Er hat sich sehr verändert. Worin aber? fragte sie sich. Die Zeit ist ja doch schonend an ihm vorübergezogen. Seine Gestalt hatte sich jugendlich schlank erhalten. Die Farbe seiner Haare und seines Gesichtes waren dunkler, sein Bart und seine Brauen waren lichter geworden. Die Augen lagen tiefer, und schon bildeten sich Ringe um dieselben, doch funkelten sie noch feurig wie sonst; er war noch immer ein Bild männlicher Schönheit, sein Wesen noch immer anziehend und gewinnend. Allein der Charakter seiner Erscheinung hatte eine gewaltige Änderung erfahren. Keine Spur des Künstlers war mehr an ihm. Er sah wie ein vollendeter Weltmann, sogar ein wenig stutzerhaft aus. Das Haar war kurz gehalten, der Backenbart nach englischer Mode zugeschnitten, und die nämliche und allerneueste Mode hatte auch die Form des langen lichten Oberrocks, den er trug, bestimmt, hatte bei der Wahl des glänzenden Zylinders, der sportsmäßigen Krawatte, der Handschuhe aus Hundsleder den Ausschlag gegeben. Wenn Kleider Leute machen würden, hätte man ihn für ein Mitglied des Jockeyklubs halten müssen. Er hatte jedoch nur die äußere Hülle eines Engländers, nicht dessen Art und Weise angenommen – vielleicht nicht anzunehmen vermocht. Es war nichts von steifer Gleichgültigkeit in dem Tone, in welchem er sich an Lotti wendete und sie versicherte, er freue sich des Wiedersehens, trotz der ihn beschämenden Umstände, unter denen es stattfand. Er bat sie, ihn anzuhören, bat, ihr seine törichte und leichtsinnige Handlung, die allerdings unverzeihlich sei, wenigstens erklären zu dürfen.
Lotti unterbrach ihn und meinte, daß sich wohl mehr werde tun lassen. Sie wandte sich an den Kaufmann, und ihrer eindringlichen Fürsprache gelang es nach einiger Bemühung, den übereilten Handel rückgängig zu machen. Sodann verabschiedete sie sich von dem alten Geschäftsfreunde und verließ das Gewölbe zu gleicher Zeit mit Halwig.
»Ihre Uhr ist bei mir«, sagte sie zu ihm, »in drei Tagen schicke ich sie hierher, da kann sie abgeholt werden.«
Er wollte in Worte des Dankes ausbrechen, sie aber grüßte so deutlich verabschiedend, daß ihm nichts übrigblieb, als diesem Winke zu gehorchen. Er verneigte sich, trat zurück, und sie schlug den Weg nach ihrer Wohnung ein.
Sie war schon eine ziemlich große Strecke gewandert, als sie durch rasch hinter ihr hereilende Schritte eingeholt wurde und Halwig an ihrer Seite erschien.
»Verzeihen Sie mir«, sagte er, »verzeihen Sie, Fräulein Lotti... eine große Bitte...«
»Nun?«
»Erlauben Sie mir, meine Uhr selbst bei Ihnen abholen zu dürfen?«
»Das steht Ihnen frei!« antwortete sie.
»In drei Tagen also!... Um diese Zeit, nicht wahr? Ich komme, ich danke Ihnen... das ist eine Freude!«
»Die hätten Sie sich längst machen können.«
»Können?...« wiederholte er fragend, »haben Sie mir nicht dereinst gesagt, nur wenn ich ein Leid zu klagen hätte, mög ich kommen? Nun, Fräulein Lotti, ich hatte keines zu klagen außer demjenigen, das Sie selbst mir damals angetan haben... und das ich allein tragen und überwinden mußte... In allem übrigen bin ich glücklich gewesen...«
»Und davon sollte ich nichts wissen?« unterbrach sie ihn.
»Davon wollten Sie nichts wissen...«
»O wie kindisch! Ist es möglich, Halwig, so kindisch sind Sie geblieben?«
Er fiel sogleich in den heitern Ton ein, den Lotti angestimmt hatte. Erst die Frage, die sie an ihn stellte, wie es denn komme, daß sie ihm seit Jahren nicht einmal mehr auf der Straße begegnet sei, stimmte ihn ernster.
»Ach«, sagte er mit einem Seufzer, »ich bin ja wie der Vogel der Minerva. In der Dämmerung beginne ich meinen Flug. Tagsüber schmiedet mich die Arbeit an meine Stube fest... freilich keine unnütze Arbeit – eine lohnende und erfolgreiche...« Er warf den Kopf stolz zurück. »Überdies«, setzte er, als Lotti schwieg, mit veränderter Stimme hinzu, »habe ich diesen Winter und den vorigen in England zugebracht, die Gesundheit meiner kleinen Frau machte einen längeren Aufenthalt in einer kräftigeren Luft notwendig.«
»Sie ist leidend?«
»Nichts von Bedeutung. Gott sei Dank, nichts, das mir den geringsten Grund zu Besorgnissen gäbe.«
»Sie müssen mir von Ihrer Frau erzählen, Halwig.«
»Ich will sie Ihnen bringen!« rief er, hielt aber sogleich inne, wie jemand, der ein übereiltes Wort gesprochen hat, und setzte zögernd hinzu: »Das heißt, wenn meine Frau – ich wollte sagen, wenn Sie es mir erlauben.«
»Erlauben – wie denn? – ich bitte Sie darum.«
Sie waren bei dem Hause Lottis angelangt, und diese blieb stehen. »Hier wohne ich«, sprach sie, »hoch oben im dritten Stock.«
»Hier also – gut – hier suche ich Sie auf, in drei Tagen... Wie glücklich wäre ich, unser kaum begonnenes Gespräch jetzt schon fortsetzen zu können – aber ich bin ein Sklave... ein freiwilliger natürlich – einer, der vernarrt ist in seine Sklaverei... Auf Wiedersehen denn!« Er ergriff ihre Hand und drückte sie mit Wärme: »Fräulein Lotti – so haben wir uns doch endlich wiedergefunden!«
»Und wie mir scheint«, antwortete sie, »als ganz gute Freunde.«