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Vierzehntes Kapitel.

Milo. Heiric.

Noch zwei Poeten haben sich in Westfrancien ausgezeichnet, da sie bei den Zeitgenossen, zum Theil selbst in der Folgezeit viel Anerkennung fanden; beide waren zugleich als Lehrer, Gelehrte, ja Philosophen angesehen. Der ältere ist Milo Acta Sanctor. Bolland. ed. Henschen 6. Febr. T. I. (die Vita Amandi). – Desplanque, Etude sur un poème inédit de Milon, moine de St. Amand d'Elnon. (Extrait des mém. de la société des sciences etc. de Lille.) Lille 1872. (Enthält zugleich das Gedicht De sobrietate selbst.) – Histoire littéraire de la France. Tom. V, p. 409 ff. – Dümmler, N. A. S. 521., Mönch des Klosters Elnon oder St. Amand bei Tournai, das durch die handschriftlichen Schätze, die es uns aufbewahrte, noch heute einen Namen hat. Er war Schüler eines gelehrten Mönches von St. Vaast bei Arras, Haimin, welcher selbst ein Schüler des Alcuin gewesen war, und auch als geistlicher Schriftsteller sich versucht hat, indem er die Wunder des Gründers seines Klosters erzählte. – Milo hatte schon in jugendlichem Alter die Kutte genommen; später wurde er Presbyter. Dies erfahren wir aus seinem Gedicht De sobrietate l. II, v. 916: Post etiam sumptam iuvenili aetate cucullam – – und v. 921: Jusque ministerii sacris altaribus apti – indignus sumpsi. Er war ein Mann von sehr umfassender Bildung So wird er wiederholt in den Quellen als philosophus oder sophus bezeichnet, wie in den Annal. Elnonens. maior. und in seinem Epitaphium. und vielseitigem Talent, denn auch den Künsten scheint er gehuldigt zu haben Für eine musikalische Kenntniss spricht wohl dass er der Lehrer Hucbalds war, vielleicht auch etwas die Aufzählung der verschiedenen Instrumente in seinem Carm. de sobriet. (s. weiter unten die Stelle). Was die bildende Kunst betrifft, so führt man die Ausschmückung von ein paar Mss. seiner Vita S. Amandi auf ihn zurück; auch hat er zwei sehr künstliche Bildergedichte Karl dem Kahlen gewidmet.: so wurde ihm die Erziehung von zwei Söhnen Karls des Kahlen, Pippin und Drogo, in seinem Kloster anvertraut; für die früh verstorbenen hat er ein gefühlvolles Epitaphium verfasst; so war er es auch, welchem Hucbald, sein Neffe, der später durch seine Gelehrsamkeit, und 278 namentlich auch durch seine musikalische Kenntniss, berühmt ward, seine erste Ausbildung verdankte. Er starb 872. Nach dem Necrolog. Elnon., während die Annal. Elnon. 871 geben.

Milo hat zwei grössere poetische Werke verfasst, das eine in jungen Jahren So sagt der Dichter selbst, Vita S. Amandi l. I, c. 3, §. 15: Aptum opus ut iuvenis iuvenem laudare mererer. um die Mitte des Jahrhunderts S. Dümmler S. 523., das andre nicht lange vor seinem Tode. Das erstere ist die Vita S. Amandi , des Gründers des Klosters Elnon, in 1800 Hexametern, welche in der Hauptsache durchaus der Bd. I, S. 579 erwähnten ältesten prosaischen des Baudemund folgt, die übrigens auch durch Milo eine Ergänzung in Prosa erhielt. So heisst es in seinem Epitaph: – et sanctum pulchre depinxit Amandum, Floribus exornans, metro prosaque venustans etc. Die Dichtung ist, wie ein hübsches Proömium in Distichen zeigt, auf Anregung der Klosterbrüder geschrieben und zum Festtag des Heiligen von Milo als seine Gabe demselben dargebracht. Sie ist seinem Lehrer Haimin S. über diesen Histoire littér. de la France T. IV, p. 515 ff. gewidmet, der in der Antwort auf Milo's Zuschrift sie bestens empfiehlt, da sie weder gegen den Glauben, noch gegen die Gesetze der Metrik verstosse, und den Autor über die von ihm besorgte neidische Kritik beruhigt.

Der Gegenstand der Dichtung ist durchaus nicht uninteressant, denn der h. Amandus war ja, wie wir früher schon bemerkten, in der That ein bedeutender Missionar des siebenten Jahrhunderts, und wirkte in sehr verschiedenen, weit entfernten Ländern, was einer poetischen Darstellung wohl zu gute kommen musste. Und wenn auch Milo dies Moment nicht wahrhaft auszubeuten verstand, so zieht doch diese metrische Vita noch immer mehr als viele andre an. Sie ist in vier Bücher getheilt, von denen das erste, nachdem einleitend der Heilige als ein Nachfolger der Apostel charakterisirt worden, seine Herkunft, sein jugendliches anachoretisches Leben auf einer Insel, seinen Eintritt in den geistlichen Stand, und seine erste Romfahrt, auf welcher sein Missionarberuf ihm zum Bewusstsein kam, schildert; das zweite erzählt, wie er zum Missionsbischof geweiht, zunächst in seiner Heimath Gallien wirkt, zum zweiten Male nach Rom zieht, und darauf 279 im Gau von Gent erfolgreich predigt, wobei denn auch (c. 11) seines Freundes und Nachfolgers dort, des h. Bavo mit hohem Lobe gedacht wird; das dritte Buch enthält seinen Zug zu den Slaven der Donau, seine Verbannung durch König Dagobert und die ehrenvolle Rückberufung nach Gallien, dann noch sein kurzes Mastrichter Episcopat, das er in Folge des Widerstands des Klerus aufgibt, um auf eine Insel der Schelde sich zurückzuziehen; das vierte Buch endlich berichtet, wie Amandus den Basken das Evangelium verkündet, dann nach Gallien zurückgekehrt, Klöster gründet und manche Heilungen vollbringt, und in Elnon, das jetzt sein Hauptsitz war, seinen Tod und sein Grab findet. Einzelne Wundererzählungen finden sich auch in den andern Büchern zerstreut, zum Theil als längere Episoden.

Die Eintheilung des Stoffes in die vier Bücher (welche wieder in Kapitel zerfallen) ist zunächst nur zur Erleichterung der Mühe des Schreibers wie des Lesers gemacht, wie der Verfasser selbst im Eingang des zweiten Buches sagt; im Anfang des vierten macht er freilich nachträglich einen tieferen Grund geltend, die Bücher sollen den vier Evangelien entsprechen. Eine gewisse Gliederung des Stoffes aber hat er in der That damit erreicht, zumal er jedem Buch eine einleitende Betrachtung voraussendet. Die Rücksicht, die Milo bei der Eintheilung auf ein grösseres Publikum nahm, sollte auch in seinem Stile massgebend sein: nicht für die Gelehrten, die »Magister« will er hier schreiben, sondern allen Mönchen verständlich sein, deshalb hat er, wie er in der Widmung sagt Vgl. auch im Eingang des 2. Buchs: Non opus hoc orbis recitandum mitto magistris etc., schwierigere Constructionen, die er wohl auch hätte machen können, vermieden. Dies gereicht nun in der That seiner Dichtung zum entschiedenen Vortheil im Gegensatz zu andern solchen Heiligenleben jener Tage, von welchen wir sogleich eins vorführen werden. Die Diction ist im allgemeinen einfach, natürlich, leicht verständlich, ungezwungen und frei von Schwulst, auch im Ganzen wie auch der Vers correct, so dass von der »Rusticität«, die der Verfasser in der Widmung entschuldigt, vom Standpunkte jener Zeit nichts zu bemerken ist. Milo weiss auch die Darstellung durch Mittel der Kunst zu 280 beleben, nicht bloss durch Apostrophen – womit er oft nur allzu verschwenderisch verfährt, wie namentlich im zweiten Buche, und durch Vergleiche, die desto seltener sind, sondern auch durch ausführlichere Schilderungen, wie die Begegnung mit der Schlange (l. I, c. 2), der Sturm auf dem Meere (l. II, c. 8) und das Lob Elnons Elnon hiess das Kloster, welches später nach seinem Schutzheiligen St. Amand vorzugsweise genannt wurde, nach einem Flüsschen, an dem es lag, wie hier auch gesagt wird §. 12: Locus est de flumine dictus., das ebenso reich an materiellen, wie an sittlichen Gütern erscheint (l. IV, c. 4). In solchen Schilderungen ist, wie auch sonst, leicht der gelehrige Schüler des Virgil zu erkennen. Doch kann auch Milo nicht unterlassen, auf die unnütze Eitelkeit der antiken Poesie hinzuweisen und den Stoff seines Werks über den der Aeneis zu erheben. S. das Prooem. v. 21 ff. und l. II, c. 1, §. 1. Dieser Ansicht pflichtet auch ganz bei eine der Dichtung Milo's beigefügte poetische Empfehlung eines seiner Mitschüler bei Haimin, Wulfaius, welche zugleich zeigt, welchen Beifall das Werk bei den angesehensten Geistlichen zu seiner Zeit fand. – In formeller Beziehung ist noch bemerkenswerth, dass Milo mitunter die Alliteration als poetischen Schmuck verwendet, und selbst in einer ganz übertreibenden Weise. Die aber recht zeigt, dass auch an den andern Stellen die Alliteration kein Werk des Zufalls ist. Beispiele der Uebertreibung finden sich namentlich l. I, c. 1, so v. 14 ff.:
        Pastores pecorum primi pressique pavore
        Conspicuos cives carmen caeleste canentes
        Audivere astris arrectis auribus: auctor
        Ad terras
etc.
Hier findet sich also auch die vocalische Alliteration; beachtenswerth ist dass der Vers, der auf den letzten der alliterirten folgt, im Eingang allemal noch die Alliteration anschlägt. Gewöhnlich beschränkt sich aber die Alliteration an einer Stelle nur auf einen Vers, und zeigt sich nicht wie oben bei mehreren hinter einander, z. B. l. II, c. 1, v. 20:
        Petrus piscator populos piscando poetis
        Praefertur cunctis
etc.
Wie diese metrische Spielerei bei Milo's Schüler, Hucbald eine Nachahmung bis zur lächerlichsten Extravaganz fand, wird man im folgenden Bande sehen.

Die andre Dichtung Milo's, die er, nachdem er schon 281 länger der poetischen Production entsagt So heisst es l. II, v. 964 f.:
        Hinc me desuetis repetentem carmina rithmis
        Musa sagax olim, iam nunc ignava tepescens,
        Ammonuit
etc.
, verfasst hat, ist ein weit selbständigeres Werk didactischer Natur: De sobrietate So sagt der Dichter selbst l. II, v. 1086: Qui scripsi geminos de sobrietate libellos; während die Ueberschrift in der ältesten Handschrift, vom neunten Jahrhundert, den wunderlichen Staatstitel, so zu sagen, bietet: Utilia tela sacrae parcitatis Adversus coquum Babylonis De divinae scripturae pharetris Educta, studio Milonis Coenobitae Amandi almi Ac beati Christi praesulis. Dieser Titel wird sich aus unsrer Inhaltsanalyse erklären., welches zwei Bücher umfasst, von denen das erste 982, das zweite 1096 Hexameter zählt; ein jedes ist zugleich in eine grössere Zahl Kapitel getheilt. Dem Werke gehen zwei Widmungen an Karl den Kahlen voraus, die eine in 38 Hexametern von dem Dichter selbst, worin er von dem erlauchtesten »Könige« nach dem Beispiele der Poeten des Alterthums Lohn für seine Dichtung erhofft; die andre Widmung in 30 Distichen ist an den »Kaiser« gerichtet – also nach 875 verfasst –, und zwar von Hucbald, der den ihm von seinem sterbenden Oheim gewordenen Auftrag vollziehend, Karl das Gedicht übergibt.

Der Dichter beginnt sein Werk damit, dass er die äussere Veranlassung desselben erzählt. Tief ergriff ihn eines Tags beim Gottesdienst der Vesper der Gesang des 136. Psalms: » Super flumina Babylonis«, indem er, denselben bei sich allegorisch auslegend, in den aus dem gelobten Lande exilirten Juden die aus dem Paradiese verbannte Menschheit sieht, die ihr Schicksal, wie jene, beweinen müsse. Ein solches Klagelied beschloss er zu dichten, das aber ihn und andre bessern soll (v. 32 ff.). Nach Schilderung des Tempels Salomo's, nach dem die Sehnsucht der Juden sich richtet, führt der Dichter die allegorische Erklärung weiter: ihm ist Nebucadnezar Satan selbst und sein grausamer Feldherr Nebuzardan – der »Koch«, da er die heiligen Gefässe des Tempels als Kochtöpfe verwandte, – die Gastrimargia, durch die schon das Erzelternpaar verführt ward. Babylon aber bezeichnet unser Sündenwirrsal Quod Babylon signat, scelerum confusio nostra est l. I, v. 81. Auf Grund von Genes. c. 11, v. 9.. Der Dichter will dann (v. 126) die »Ehre« der 282 Sobrietas und wie verdammlich das gegentheilige Laster ist, vom Anfange der Welt an aus der alttestamentlichen Geschichte zeigen. Er gedenkt zunächst des Sündenfalls; noch während der Sündfluth erscheint die Gastrimargia wieder in dem Raben, der von Noah ausgesandt nicht zurückkehrt, durch den Frass des Aases aufgehalten. Der Patriarch selbst huldigt der Sobrietas nur so lange, als er in der Arche verweilt. Auch Loth fällt durch seine Trunkenheit; die Gefrässigkeit lässt Esau sein Erstgeburtrecht verkaufen. Das jüdische Volk, durch die Wachteln in der Wüste wohl genährt, betet das goldene Kalb an. Als Vorbilder der Sobrietas erscheinen dagegen Samson, der dem Löwenrachen den Honig entnimmt, Elias, Elisaeus, Daniel, Judith – deren Geschichte ausführlich erzählt wird (v. 331 ff.) – Esther, die sieben Maccabäer.

Tugend und Laster haben immer von Anfang an neben einander bestanden (v. 431), und ihre Vertreter mit einander gekämpft, wie dies der Dichter auch durch Beispiele des Alten Testaments beweist. Die soll sich der Leser einprägen, und gegen die Angriffe der Schlange sich rüsten durch die »Schuhe der Väter«, die Schilde von dem Thurme Davids, den Harnisch der Gerechtigkeit, den Helm des Heiles. – Der Thurm aber, der zum Himmel führt, dessen Fundament Christus ist (nach Epist. I ad Corinth. c. 3, v. 10 ff.) muss mit den drei theologischen Tugenden erbaut werden (v. 551 ff.); dagegen sind die drei Hauptlaster Invidia, Superbia, Avaritia zu fliehen, die auch wieder durch biblische Beispiele illustrirt werden. Ihre Gegenmittel sind: die Nächstenliebe, die Demuth, das Almosengeben. Bei der Avaritia, welche die meisten verdirbt, Könige wie Kleriker, und die grösste Nachkommenschaft andrer Laster hat, verweilt der Dichter länger (746 ff.). Um uns gegen sie und die ihrigen zu schützen, sollen wir nichts über das, was die Nothdurft verlangt, suchen, alles andre den Armen geben und so einen Schatz im Himmel sammeln. Denn die jüngste Zeit ist nicht mehr fern. Und doch wird die Predigt wenig gepflegt und auch wenig begehrt (v. 880 ff.). Der Dichter kehrt dann am Ende des ersten Buchs zur Sobrietas zurück; sie vermag den Teufel zu besiegen, wie der Speichel eines Nüchternen das Schlangengift zerstört.

Während nun der Autor in dem eben betrachteten Buche die Vorbilder der von ihm verherrlichten Tugend dem Alten 283 Testament entnahm, so in dem zweiten dem Neuen. Es beginnt mit dem Lobe der Jungfrau Maria, zumal die Sobrietas auch die Pudicitia in sich schliesst (s. v. 86); Maria, der hier schon die verschiedensten Prädicate aus dem Pflanzen- und Steinreiche gegeben werden         Cedrus, cypressus, platanus, nux, myrtus, oliva,
        Myrra, storax, calamus, thus, balsama, cassia, nardus,
        Onyx, cristallus, prasius, berillus, iaspis.
v. 9 ff.
Später, v. 44, heisst sie noch:
        Margarita micans, praecellens unio gemmas.
, übertraf an Glauben Abraham, an Muth Daniel. Es folgt die wie die Turteltaube keusche Wittwe Anna, die eben deshalb die Gabe der Weissagung besass; dann Johannes der Täufer: der Dichter widmet ein ganzes langes Kapitel (v. 117 ff.) seiner Passion, in deren Schilderung er seine glänzendsten Farben verwendet. In der Beschreibung des üppigen Mahles des Herodes wird denn auch der verschiedenen Musikinstrumente gedacht, v. 161:
        Ebrietas, luxus, petulantia, lusus inanis,
        Harpa, lirae, citharae, psalteria, fistula, musae,
        Cimbala, sambucae, simphonia, timpana, sistra.
        Organicumque melos aptabat filia mortis,
        Vipera vipereo saltatrix germine creta.
        Sibilat ut serpens, ut regulus ore volucrem
        Sorbeat, ad caput haec tendit fera bestia vatis
etc.
(Hieran schliesst sich eine heftige Diatribe gegen die Weiberliebe.) – Christus selbst zeigt den rechten Weg, indem er den Versucher überwand; durch seine Hülfe können wir ihn auch besiegen. Der Dichter warnt dann vor der Gefrässigkeit und besonders vor der Trunkenheit, von deren Folgen er ein lebendiges, bis zum Widerwärtigen abschreckendes Bild entwirft (v. 315 ff.). Die Sobrietas dagegen geleitet uns zum Paradies; sie müssen wir zur Lehrerin nehmen, die unter den vier Cardinaltugenden selbst die Meisterin ist, indem sie die drei andern vor jedem Zuviel bewahrt, so dass die Klugheit nicht zur Sectirerei, die Gerechtigkeit nicht zur Strenge, die Tapferkeit nicht zur Grausamkeit verführt wird (v. 441 ff.). Christus gab selbst das Beispiel der Mässigkeit, als er seine Menschennatur bewies; mit dem Vater uns versöhnend, ist er unser »Friede«. Pax dessen drei Buchstaben die Dreieinigkeit bezeichnen: » P patrem«, » A genitum, quod Graecus nominat Alfa«, »X duplex, ab utroque venit quia spiritus almus.« v. 514 ff. Nur um Brod, Fisch und Ei sollen wir bitten, das erstere bedeutet die Caritas, das zweite den Glauben, das dritte die Hoffnung.

Der Dichter wendet sich dann zu den Gefallenen und ermahnt sie durch Reue und Schuldbekenntniss sich wieder zu erheben (v. 552 ff.), indem er auf des Petrus Beispiel verweist und ausführlich auf die Parabel von dem verlorenen Sohne eingeht. Es folgt – unvermittelt – ein Lob der Schamhaftigkeit oder vielmehr der Jungfräulichkeit, von der Maria das Vorbild ist. Leider ist die Jungfräulichkeit zum Himmel entflohen, und »liess nur seltene Spuren ihres Kultus auf der Erde zurück.« Das Laster nennt man Natur, eine That des schimpflichen Ehebruchs belobt man mit beifälligem Gelächter! Und die Schuld trifft auch Wittwen und Nonnen; und selbst Priester beflecken ihre Stola.         Vixque sacerdotes iam sorde carere secundos
        Flere decet, sed scire pudet qui crimine stolas
        Non vitant maculare suas; reverentia celsi
        Digna ministerii tenet hos non ulla, nec ipsa
        Pollutis manibus sacranda offerre recusant.
  v. 770 ff.
Wer ein Demant sein will, muss sich vor dem Bocksblut der Wollust hüten, das ihn zerbricht (v. 788 f.). Die Priester müssen rein sein, wie ihre Gewandung, sonst sind sie durch Heuchelei noch schuldiger. Dich nicht alle trifft der Tadel oder Verdacht: die guten belobt und ermahnt der Dichter. Dann aber kehrt er zu sich selbst zurück (v. 906 ff.), um seine eigene Sündhaftigkeit, offenbar übertreibend, zu beklagen; wer lehrt, muss auch dem entsprechend handeln. Diese Klagen zu ergiessen hat ihn seine Muse aufgefordert, um so den ewigen zuvorzukommen – durch seine Reue. Wer wird ihn vor der Hölle schützen? Nur im Vertrauen auf seinen Glauben hofft er durch Gottes Gnade gerettet zu werden. – In einem Epilog dankt der Dichter schliesslich Gott, seine Herrlichkeit feiernd, für die Vollendung des Werks.

Diese umfangreiche Dichtung, die durch einzelne kulturgeschichtlich interessante Züge anzieht, legt zugleich recht ein Zeugniss von der für jene Zeit nicht geringen theologischen Gelehrsamkeit Milo's ab, namentlich von seiner grossen Bibelkenntniss; die Sprache wie der Vers – so wenig auch der 285 Dichter die Quantität geachtet haben will Indem er im Epilog v. 1034 ff. sagt:
        Posthabui leges ferulas et munia metri:
        Non puto grande scelus si syllaba longa brevisque
        Altera in alterius dubia statione locetur;
        Quodsi, ut credo, nequit carmen iam iure vocari,
        Sit satis huic saltem censeri nomine rithmi.

Auch der Schluss der Stelle ist bemerkenswerth. – Dass es auch in diesem Gedicht an der Spielerei der Alliteration nicht fehlt, lässt sich leicht denken, obgleich sie sich seltener in übertriebener Weise findet: ein Beispiel, in dem sie dem Gedächtniss zu dienen scheint ist l. I v. 979:
        Virtus viva valet vitiorum vincere virus.
– bekunden den gelehrigen Schüler der Alten, der auch seine Kenntniss der antiken Mythologie gelegentlich zu zeigen versteht. S. z. B. l. I v. 831 ff., wo u. a. die Harpyien und Furien genannt werden.

 

Ein interessantes Gegenstück zu dem von Milo verfassten poetischen Heiligenleben ist das eines jüngeren Zeitgenossen und Landsmanns, welches nicht minder besondern Beifall erntete. Auch gehörte sein Verfasser zu den bedeutendsten Gelehrten jener Zeit. Es ist das Leben des h. Germanus von Heiric von Auxerre Acta Sanctorum, Julii Tom. VII, p. 221 ff. – – Kaulich, Geschichte der scholast. Philosophie Bd. I, Prag 1863. – Prantl, Geschichte der Logik, Bd. II, S. 41 ff. – Sickel, Lettre sur un msc. de Melk venu de S. Germain d'Auxerre in: Biblioth. de l'Ecole des Chart. Sér. V, Bd. 3. – Dümmler, N. A. S. 528 ff., der Mönch des dort dem Germanus geweihten Klosters war, welcher Heilige selbst aus dieser Stadt stammte. Heiric war unweit derselben zu Hery 841 geboren, schon im achten Jahre zum Mönch tonsirt und 859 als Subdiaconus ordinirt. S. Sickel a. a. O. S. 35. Offenbar ein frühreifes Ingenium, gleich Walahfrid, hatte er seine Ausbildung aber nicht bloss dem Kloster zu danken, vielmehr nennt er selbst als Lehrer seiner Jugend in einem Gedicht an den Bischof von Auxerre Hildebold S. das Gedicht bei Mabillon, Vet. Analecta, Paris 1723, p. 423. Lupus und Haimo, den ersteren in den humanen Wissenschaften, den andern in der Theologie – jeder von beiden, wie er sagt, in seinem Fache berühmt. Der erstere ist gewiss der bekannte, oben erwähnte Abt von Ferrières, wer der andre war, dagegen nicht zu sagen; er mag wohl 286 auch dem Kloster Ferrières, was am wahrscheinlichsten, oder Auxerre selbst angehört haben. An Haimo von Halberstadt ist nicht zu denken, wie man mit Unrecht gethan hat; er war schon seit 840 Bischof jener deutschen Stadt, das Gedicht an Hildebold ist vor 857 verfasst, da der letztere nur so lange lebte; wie sollte Heiric vor dem 16. Jahre nicht bloss in Ferrières, sondern auch noch in Deutschland und zwar dem fernen Halberstadt studirt haben, während er in Auxerre Mönch war! Manche, wie Kaulich und Prantl, lassen ihn sogar in Fulda bei Haimo Unterricht geniessen – das wäre also noch vor Heirics Geburt – und machen Haimo, wie der sonst so verdienstvolle Prantl, zu einem Schüler Rabans, während er sein Mitschüler bei Alcuin war. Mit jenem Gedichte überreichte er seinem Bischof eine Frucht seines Fleisses, Collectaneen aus Valerius Maximus, Sueton, Solin, Julian von Toledo und den Kirchenvätern Hieronymus, Augustin, Beda u. a., Stellen, welche jene Lehrer in wissenschaftlicher Unterhaltung mitgetheilt hatten. Nach einer, allerdings nicht ganz sichern Ueberlieferung des zehnten Jahrhundert In Pertz, Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde Bd. X, S. 333 f. soll Heiric auch ein Schüler des Schotten Elias, Bischofs von Angoulème, dessen eigener Lehrer ihr zu Folge Erigena war, gewesen sein. Unwahrscheinlich ist es nicht insofern als Heiric in der That mit der Philosophie des Johannes Scotus sich sehr vertraut zeigt, ja in uns erhaltenen commentirenden Glossen zu älteren philosophischen Werken, namentlich zu den pseudo-augustinischen Categoriae und dem Martianus Capella, sich an ihn anschliesst, doch keineswegs unbedingt, vielmehr beweist er eine gewisse philosophische Selbständigkeit, indem er einer entschieden nominalistischen Richtung huldigt. Heirics Gelehrsamkeit erstreckte sich aber auch noch auf andre Gebiete, wie auf das der Chronologie und Astronomie: so hat er ein Werkchen über die Position und den Lauf der Planeten verfasst, so auch erklärende Glossen, zum Theil in tironischen Noten, zu Beda's Liber de temporibus . Dass diese Glossen von Heiric herrühren, dafür spricht auch der Umstand dass sie zum Theil in tironischen Noten geschrieben sind: was man nämlich bisher nicht beachtet zu haben scheint, er bezeichnet sich selbst als einen Kenner dieser Stenographie in dem Widmungsgedicht der Collectanea, die er ebenso aufgezeichnet; es heisst da v. 15 f.:
        Haec ego tum notulas doctus tractare furaces (?),
        Stringebam digitis arte favente citis.
Ferner hat er sich an einer Geschichte 287 der Bischöfe von Auxerre betheiligt. Gesta episcoporum Autisiodorensium , s. Wattenbach, Deutschl. Geschichtsq. I, S. 245. Was endlich seine philologischen Kenntnisse betrifft, so bezeugt namentlich seine Dichtung die der griechischen Sprache – was wieder auf Erigena's und seiner Schüler Einfluss zurückweist – und eine ungewöhnliche Kenntniss der Metrik. Ein Gelehrter von solcher Bedeutung musste auch als Lehrer keine geringe Wirksamkeit haben: er wurde später als einer der Fortpflanzer der wissenschaftlichen Tradition im eminenten Sinne bezeichnet, als der Lehrer des Remigius, des Wiederherstellers der danach so berühmten Schule von Reims. S. oben S. 286 Anm. 2. Auch Hucbald wird sein Schüler genannt. Er scheint schon 876 oder 877 gestorben zu sein. Sickel a. a. O. S. 37.

Die Vita S. Germani hat Heiric schon in früher Jugend begonnen, als er eben die Schule verlassen, wie er selbst sagt, und zwar auf den Wunsch des jugendlichen Abtes seines Klosters, des Sohnes Karls des Kahlen, Lothar, der, damals noch ein Knabe, in dem Kloster erst erzogen wurde; aber kaum war die Arbeit begonnen, als Lothar starb (865), Heiric liess sie dann eine Zeitlang liegen, und auch als sie vollendet, i. J. 873, zögerte er noch lange mit der Herausgabe. Diese erfolgte nicht vor dem Jahre 876, denn in dem Widmungsschreiben an Karl den Kahlen – dem wir die obigen Angaben entlehnen Mit Ausnahme des Jahrs der Vollendung, dies zeigt Heiric im Epilog der Dichtung an, wo er sein Alter mit 32 Jahren angibt. – titulirt er denselben Caesar. Das Widmungsschreiben hat noch dadurch ein besonderes Interesse, dass Heiric, wenn auch in panegyrischer Weise, über die ausserordentliche Begünstigung der humanen Studien und namentlich der Philosophie durch seinen König manche Angaben von Bedeutung macht, die wir auch am geeigneten Orte bereits benutzt haben. Vgl. oben S. 118. Wenn unser Autor dabei aber insbesondere auf die Einwanderung irischer Philosophen nach Westfrancien hinzeigt, so erweist dies von neuem seine nahe Beziehung zu ihnen.

Die stoffliche Grundlage der Dichtung bildet die im Ganzen 288 gut abgefasste Prosa-Vita des Heiligen, welche der Presbyter von Lyon, Constantius, ein Freund des Apollinaris Sidonius in den achtziger Jahren des fünften Jahrhunderts verfasste. Dessen Autorschaft aber Schöll, De eccles. Briton. Scotorumque histor. fontibus p. 25 bezweifelt. Der Heilige selbst lebte bis 448, so dass Constantius noch sein Zeitgenosse war. Die Vita ist wie die des heil. Amandus von grösserem und selbst historischem Interesse; obgleich dieser Heilige kein Missionar war, so hat er doch ein bewegtes Leben geführt. Germanus stammte aus Auxerre, wovon er auch zum Unterschied von andern Heiligen dieses Namens, zubenannt wird, und war von vornehmer Abkunft; so schlug er zunächst die politische Laufbahn ein, auf der er es zu hohen Würden brachte: da wurde er, was damals nicht auffallend, zum Bischof gewählt. Vgl. z. B. die Wahl des Sidonius, Bd. I, S. 402. Nachdem Germanus die Wahl angenommen, änderte er sein Leben vollständig und ward Asket, so dass sich der Ruf seiner Frömmigkeit bald weit verbreitete, und auch die obligaten Wunder nicht fehlten. Er machte verschiedene weite Reisen, so ging er zweimal nach Britannien, um auf den Wunsch der Katholiken die Pelagianer zu bekämpfen: bei einer dieser Fahrten führte er die Britten auch im Kampfe mit den Picten zum Siege, den einzigen, den sie über diese erfochten (429), daher denn dieser Heilige bei ihnen eine besondere Popularität stets genoss. So zog er nach Italien, um den aufgestandenen Armoricanern vom Kaiser in Ravenna Amnestie zu erwirken, nachdem er das gegen sie von Aëtius gesandte Executionsheer der Alanen durch seine muthige Beredsamkeit zur Umkehr bewogen. In Ravenna aber, wo er die ehrenvollste Aufnahme fand, ereilte ihn der Tod. Seine Leiche wurde nach Auxerre übergeführt. Auf allen diesen Zügen aber gab er von seiner Wunderkraft, namentlich durch Heilungen, Zeugniss.

Auf Grund dieser Vita hat Heiric seine Dichtung, die er in sechs Bücher getheilt, verfasst, wenn auch mit einzelnen Abweichungen Z. B. l. I, c. 2, §. 32 wo der Vorgänger des Germanus, Amator Märtyrer zu werden wünscht, während in der Vorlage §. 3 das Gegentheil gesagt wird.: das erste Buch geht bis zur Bischofswahl, 289 das zweite ist dieser und einer Charakteristik des Heiligen gewidmet, im dritten und vierten bilden den Hauptinhalt seine beiden Reisen nach Britannien, das fünfte erzählt, wie er sich der Armoricaner annahm und deshalb nach Italien zieht, das sechste endlich berichtet seine Aufnahme in Ravenna, den Tod und die Translation, und schliesst mit einem langen Gebet an Christus als Epilog. Jedem Buche geht aber eine Praefatio in Versen, dem ersten sogar zwei, eine Invocatio und eine Allocutio ad librum , voraus, sämmtlich in den verschiedensten Versmassen, die zum Theil ganz eigenthümliche metrische Combinationen sind. Hier zeigt sich denn die seltene Kenntniss der lateinischen und selbst griechischen Metrik, auf die wir oben schon hindeuteten: ist doch sogar die Angabe der Gliederung der Strophe mit dem griechischen Kunstausdrucke gegeben. So z. B. bei der Allocutio: » Δικώλῳ διστρόφῳ discursa In der Hinzufügung solcher Praefationes ist unser Autor offenbar dem Beispiele des Prudentius gefolgt, wie denn eine derselben auch direct an eine des Prudentius erinnert Es ist die Praef. l. IV, worin nach Matth. c. 14 erzählt wird, wie Christus die Jünger und namentlich Petrus bei dem Sturm auf dem Meere, über die Wogen schreitend rettet: Christus soll dem Dichter ebenso beistehen. Dies Gedicht erinnert an die Praef. l. I Contra Symmachum , worin eine andre Seefahrt des Petrus nach Apostelgeschichte c. 27 erzählt wird. Vgl. Bd. I, S. 267.; ebenso bekundet sich auch der Einfluss desselben in der Mannichfaltigkeit der Metra. Aber nur eins der von Prudentius gebrauchten kehrt hier wieder. Die Invocatio nämlich ist in den phaläcischen Hendecasyllaben geschrieben, wie sie Cathemerin. IV. und Peristeph. VI. bei Prudentius sich finden, allerdings da zu dreizeiligen Strophen verbunden; aber beachtenswerth ist, dass die Invocatio ein Preis der Dreieinigkeit ist, und das erst erwähnte Gedicht des Prudenz auch mit einem solchen anhebt, das andre desselben wenigstens eine Beziehung zur Dreizahl hat. S. Bd. I, S. 256. Im Ganzen zeigt sich hier Heiric in der Wahl der Metra, namentlich der Systeme, seinen christlichen Vorgängern, auch dem Boëtius gegenüber, ja zum Theil selbst überhaupt sehr originell. Die übrigen Metra Heirics sind die folgenden. Die Allocutio: phaläc. Hendecasyll. mit dactyl. Tetram. heroicus; Praef. libri II: Asclepiadeum IV des Horaz; Praef. l. III: Vers. asclepiad. maiores; Praef. l. IV: vierzeilige Strophen also gebildet:
        1. – ᴗ ᴗ – ᴗ
        2. – ᴗ ᴗ – ᴗ ᴗ –
        3. – – – ᴗ ᴗ – ᴗ
        4. – – – ᴗ ᴗ – ᴗ –;
Praef. l. V: dactyl. Pentapodie u. Tripodie; Praef. l. VI: Hexam. und dactyl. Penthem.
Und es fehlt ihm auch nicht das 290 Bewusstsein der ästhetischen Bedeutung der Metra, wenn er die Verbindung der »leichten« Dactylen mit den »morosen« Spondäen für anmuthiger erklärt. Praef. l. II, v. 26 f.

Auch in ihrem Inhalte bilden diese die Bücher einleitenden Gedichte die originellste Partie des ganzen Werkes, welche die Gelehrsamkeit und die klassische Bildung Heirics in den verschiedensten Beziehungen zeigt. So gibt sich in einzelnen rein christlichen Inhalts der Schüler des Erigena leicht zu erkennen, zumal wenn man die hier von Heiric selbst, allem Anscheine nach, hinzugefügten Anmerkungen in Betracht zieht. Dies gilt namentlich von der Invocatio und der Praefatio des sechsten Buches. In jener gab dazu die Anrufung der Dreieinigkeit die beste Veranlassung, in dieser wird das Lob der Sechszahl gesungen und die mystische Bedeutung derselben dargelegt, was dann wieder auf die Trinität führt. In beiden Gedichten finden sich öfters griechische Wörter, ja in dem ersteren sogar ganze griechische Verse eingefügt. Ein paar andre dieser Gedichte bezeugen eine für jene Zeit nicht gewöhnliche Kenntniss der antiken Mythologie: so wird in Praefatio V das Schicksal des Icarus erzählt Heiric behandelt den Stoff frei, an die Darstellung des Ovid, Metam. VIII, v. 183 ff., erinnert nichts., indem es dem Dichter selbst, der sich mit ihm in seinem erhabenen Unternehmen vergleicht, zur Warnung dienen soll; so wird in der Allocutio der Fabel von der Danae gedacht. Diese Anrede des Autors an sein Buch ist auch sonst interessant. Er besorgt, dass es noch nicht genug gefeilt, wie es die Werke des Maro waren, in die Oeffentlichkeit trete, und die verschiedenen Kritiken, die es dabei erfahren kann – Beifall scheint er nur von profanen Händen zu erwarten Hic plausum manibus dabit profanis. – endlich werde es nach all der Unbill in den Laden des Gewürzkrämers wandern!         Tandem ludibrio subactus omni
            Μυροκοπου trudere taberna,
        Aut nardi modicum feres piperve
            Et si quid chartis amicitur
        Ignavis.
Vor solchem Unheile möge es der heil. Germanus bewahren.

291 In der Vita selbst hat Heiric das Interesse, welches sie in seiner Vorlage schon darbot, durch ausgeführtere Beschreibung und Schilderung poetisch zu erhöhen gestrebt, so in der Darstellung des asketischen Lebens des Helden – ein in jener Zeit so dankbarer Stoff – die tief in das einzelne geht, und der als Gegenbild die seiner frühern üppigen weltlichen Lebensweise folgt (l. II, c. 1); andre hervorragende Beispiele sind die Beschreibung der Fama (l. I, c. 2, §. 31), die manche originelle Züge zeigt, und die daran sich schliessende, mit grosser Lebhaftigkeit ausgeführte Darstellung des Zorns des Germanus, ferner die den Schüler Virgils offen verrathende und doch zum Theil eigenthümliche Schilderung des Meeressturmes (l. III, c. 3), die Zeichnung des Charakters der Armoricaner         Torva (sc. gens), ferox, ventosa, procax, incauta, rebellis,
        Inconstans, disparque sibi novitatis amore,
        Prodiga verborum, sed non et prodiga facti,
        Dicere plus, fecisse minus taxatur honestum.
und die Beschreibung ihrer Angst         Non conferre manum, non fines hoste tueri,
        Non saltem tentare fugam sententia surgit:
        Fingit quisque sibi varii discrimina leti
        Solaque suspectae torquet dilatio mortis.
(l. V, c. 1). – Auch in der Vita selbst zeigt der Autor hier und da seine Kenntniss des klassischen Alterthums. S. z. B. l. I, c. 1, §. 25. In Bezug auf die Diction aber bildet die Dichtung des Heiric einen bemerkenswerthen Gegensatz zu der des Milo, der Ausdruck ist oft gesucht und geschraubt, die Construction verwickelt, so dass das Werk weit schwerer zu verstehen ist als das des Milo. Und eben dieser gelehrten Schwerverständlichkeit verdankte das Buch die Ehre, als Lesebuch für den höheren grammatischen Unterricht in den Klosterschulen eingeführt zu werden. So zeigt sich also hier auch in den versificirten Heiligenleben der Gegensatz der gelehrten und der populären Behandlung der Legende, wie schon viel früher in den prosaischen. S. Bd. I, namentlich S. 429; vereinzelt auch schon früher in der Dichtung s. a. a. O. S. 513. 292 Rücksichtlich des Verses ist noch erwähnenswerth, dass auch Heiric nicht selten den Schmuck der Alliteration anwendet, aber nur ganz vereinzelt in so geschmacklos übertriebener Weise als Milo. Z. B. l. I, c. 3, §. 38: Discite, doctores, decretorumque datores.

Nach dieser Dichtung verfasste Heiric noch zwei Bücher Miracula S. Germani in Prosa, die er zugleich mit jener Karl dem Kahlen widmete. Vgl. Hist. littér. de la France T. V, p. 540. In dem ersten Buche hat er die von Constantius übergangenen Wunder, im zweiten die zu Lebzeiten des Verfassers selbst bei besonderen Gelegenheiten, wie bei einem Neubau der Klosterkirche, von den Reliquien des Heiligen ausgegangenen erzählt. Namentlich im ersten Buche finden sich die unglaublichsten Geschichten erzählt, die der Vorgänger mit gutem Grunde weggelassen. – Auch der Stil dieser Prosa bewegt sich mitunter in schwierigeren Perioden, im allgemeinen aber zeugt er auch für die höhere Bildung des Autors. Dies gilt nicht minder von einer dem Festtage des Heiligen gewidmeten Predigt. Doch findet sich einmal darin eine wohl erwähnenswerthe Reimspielerei: dicam hunc esse beatissimi Germani diem non fu nebrem, sed ce lebrem, non lu gubrem, sed sa lubrem. – Noch sei bemerkt, dass auch ein Hymnus, von Barth in zwei Mss. nach der Vita S. Germani gefunden, und in dessen Adversaria l. XXXIV, c. 20 publicirt, Heiric beigelegt wird.

 


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