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Siebentes Kapitel.

Westfrancien: Lupus.

Während also in Deutschland und Lothringen die grammatisch-humanistischen Bestrebungen des Zeitalters Karls des Grossen ihre Fortsetzung finden und als deren Blüthe eine weltliche Poesie erscheint, so tritt dagegen in Westfrancien bald mehr eine theologisch-polemische Richtung in der Literatur in den Vordergrund, indem selbst dogmatische Streitfragen, die in Deutschland sich erhoben hatten, erst dort wahrhaft ausgefochten wurden; zugleich zeigt sich dort aber auch eine freiere geistige Bewegung, eine religiöse Aufklärung, welche theils in einer Polemik gegen den Aberglauben, nicht bloss den im Volke, sondern auch in der Kirche, sich kundgibt, theils productiv in dem Versuche eines neuen philosophischen Systems erscheint. So offenbart sich Frankreich jetzt schon als die für die mittelalterliche Philosophie geweihte Stätte. Doch hat Westfrancien damals auch besondere Vertreter jener grammatisch-humanistischen Richtung: der bedeutendste von ihnen hatte auch seine letzte Ausbildung bei Raban erhalten, wie Walahfrid, und trat auch, wie dieser, in nahe Beziehung zu Judith und Karl dem Kahlen, es ist Servatus Lupus. B. Servati Lupi, presbyteri et abbatis Ferrariensis opera Stephanus Baluzius collegit, epistolas ad fid. vetustissimi cod. emend. notisque illustr. Ed. 2. Antwerpen 1710. – – Nicolas, Etude sur les lettres de Servat-Loup. Thèse prés. à la faculté de Paris. Clermont-Ferrant 1861.

Lupus, von angesehener Familie, in der Diöcese von Sens, wie es scheint, geboren, erhielt seine erste gelehrte Bildung in dem in ihr gelegenen Kloster Ferrières, das früher Alcuin gehörig und von ihm öfter besucht, ein Sitz der Wissenschaft geworden war. Ihm stand damals der gelehrte Abt Aldrich vor, der selbst in diesem Kloster gebildet war; er wurde 829 Erzbischof von Sens und spielte eine bedeutende Rolle an dem Hofe Ludwigs des Frommen. S. über ihn Simson, Jahrb. II, S. 259 f. Er war es, der den früh erwachten wissenschaftlichen Sinn des Lupus begünstigte und ihm einen Lehrer der Grammatik gab. Später sandte er ihn auch zu seiner weiteren, vornehmlich auch theologischen 204 Ausbildung zu Raban nach Fulda. Während seines Aufenthaltes dort machte Lupus die nähere Bekanntschaft bedeutender Männer, namentlich des Einhard, welcher letztere damals ja in dem nicht fernen Seligenstadt wohnte. Diesen verehrte er schon lange hoch, insbesondere wegen seiner klassischen Bildung; der Eindruck, welchen der Stil der Vita Caroli auf ihn gemacht, hatte in ihm zuerst den Wunsch einer persönlichen Bekanntschaft Einhards erweckt. Bei ihm suchte und fand er Unterstützung in seinen gelehrten Bestrebungen, ihn befragte er über die sprachlichen und metrischen Schwierigkeiten, die ihm aufstiessen, schriftlich wie mündlich, von ihm entlieh er Bücher, die ihm fehlten: so nennt er ihn nicht mit Unrecht seinen Lehrer; er trat ihm so nahe, dass Einhard dem viel jüngeren Gelehrten seine uns verlorene Schrift De adoranda cruce widmete. S. Lupi Epp. 1–5.

Nach seiner Rückkehr von Fulda 836, wahrscheinlich im Frühjahr. S. über die Zeitbestimmung Jaffé, Monum. Carol. p. 498, Anm. 6. wurde Lupus 837 am kaiserlichen Hofe vorgestellt, wo er der hochgebildeten Kaiserin so gefiel, dass er von ihr schon im folgenden Jahre wieder dahin dringend eingeladen wurde. So erhielt er leicht 842 von Karl dem Kahlen die durch Absetzung Odo's erledigte Abtei Ferrières. Die Bürgerkriege mit ihren Folgen Namentlich indem eine sehr einträgliche Zelle dem Kloster durch Karl den Kahlen entzogen und einem Grafen verliehen war. Das Königthum wusste so auf Unkosten der Klöster sich der Treue des Adels zu versichern. S. darüber Nicolas a. a. O. S. 28 ff. brachten ihn und sein Kloster in vielfache Noth, so dass es den Mönchen selbst an Lebensmitteln und Kleidern fehlte und Lupus verzweifelnd schon seine Würde niederzulegen dachte; ja er musste selbst Heeresfolge leisten, so wenig er das Schwert zu führen wusste (ep. 78), und gerieth sogar vorübergehend in Kriegsgefangenschaft in dem aquitanischen Feldzuge Karls 844. Nicht bloss als Gelehrter, sondern auch als Geistlicher erfreute er sich grossen Ansehens; er durfte auf den Synoden nicht fehlen (ep. 60), und redigirte selbst die Beschlüsse der wichtigen Synode von Verneuil (844). Mit der Reform der Klöster von Burgund wurde er zugleich mit 205 Prudentius von Troyes, sowie mit einer Sendung an den Papst Leo von König Karl beauftragt. Auch musste er denselben, als diplomatischer Beistand in kirchlichen Angelegenheiten Non ignoratis – schreibt Lupus an Marcward ep. 59 – credo, reges nostros apud Traiectum – – celebraturos colloquium, quo me trahit ecclesiastica necessitas. – Vgl. Dümmler, Gesch. d. ostfr. Reichs I, S. 286., auf den Frankentag von Meersen bei Mastricht begleiten (ep. 50 f. u. 59). Das Jahr seines Todes ist unbekannt, doch scheint er das Jahr 862 nicht lange überlebt zu haben.

Von seinen uns erhaltenen Schriften, die nur einen mässigen Band füllen, ist seine Briefsammlung, wie auch bei manchen der späteren Humanisten, der Renaissance, am anziehendsten und wichtigsten. Es sind 130 Briefe, unter welchen ein paar im Namen andrer von Lupus geschrieben, ein paar auch Antworten seiner Correspondenten, wie des Einhard, sind. Zu den Adressaten gehören aber die bedeutendsten Männer jener Zeit, so ausser dem eben genannten ein Raban, Gottschalk, Hincmar, Radbert, Marcward, Prudentius, Jonas, Karl der Kahle und Lothar. Bald sind es kirchliche oder politische, bald gelehrte oder rein private Angelegenheiten, die einzeln oder vereint den Gegenstand der Episteln des Lupus bilden, welche gewöhnlich den reinen subjectiven Briefcharakter haben, indem die Persönlichkeit des Schreibers Stoff wie Behandlung durchaus bestimmt. Diese Persönlichkeit ist aber hier eine bedeutende und interessante. Sie zeigt namentlich, welche Frucht der Bildung die klassischen Studien in jener Zeit schon tragen konnten, wenn sich ein guter Kopf von Jugend auf mit Begeisterung ihnen hingab, und trotz aller zerstreuenden Geschäfte, aller Noth einer von Bürgerkriegen und kirchlichen Streitigkeiten erfüllten Zeit, unverbrüchlich an ihnen festhielt. Man ist überrascht über den Umfang und Ernst dieser Studien: wie jede Gelegenheit von Lupus ergriffen wird, seine Bibliothek der römischen Klassiker zu erweitern und zu ergänzen; wie er selbst zu letzterem Zwecke keine Mühe scheut, ja wie er sogar bloss in der Absicht der Textverbesserung sich Bücher erbittet Ep. 69: Tullianas epistolas, quas misisti, cum nostris conferri faciam, ut ex utrisque, si possit fieri, veritas exsculpatur.; und diese Bitten gehen 206 auch in weite Ferne, wie nach Rom und nach York, sie richten sich nicht bloss an Bischöfe und Aebte, sondern auch an den Papst selber (ep. 103). Und welcher Vorsorge S. ep. 76., welcher Kosten bedurfte die Versendung solcher literarischen Schätze damals! Die Frucht der Bildung aber zeigt sich in seinem Stil, dies Wort im weitesten Sinne genommen. Nicht als ob das Latein fehlerlos wäre, aber der Ausdruck ist ein individueller, welcher Charakter und Stimmung abspiegelt, daher beweglich, von verschiedenem Kolorit; Witz und Ironie zeigen sich bereits in leichten gefälligen Formen (s. z. B. epp. 35 und 68, vgl. auch ep. 46 Ende). Nirgends etwas phrasenhaftes, studirtes oder gemachtes, noch weniger entlehntes.

Literarisch productiv ist Lupus weniger gewesen, obgleich nicht alles, was er verfasst, sich erhalten hat; so haben wir schon des Stiles wegen allem Anscheine nach den Verlust einer kurzen römischen Kaisergeschichte zu beklagen, die Lupus Karl dem Kahlen zur Warnung wie zum Vorbild widmete. Ep. 93: Imperatorum gesta brevissime comprehensa vestrae maiestati offerenda curavi, ut facile in his inspiciatis quae vobis vel imitanda sint vel cavenda. Maxime antem Traianum et Theodosium suggero contemplandos, quia ex eorum actibus multa utilissime poteritis ad imitandum assumere. Hier hätte sich zeigen mögen, in wie weit der von ihm so hoch verehrte Verfasser der Vita Caroli ihm Muster gewesen. – Die erhaltenen Bücher des Lupus sind zunächst nur im kirchlichen Interesse geschrieben; doch bezeugen sie auch schon in der geschickten Anlage und in dem einfach klaren und doch gewandten Ausdruck die durch die klassischen Studien gewonnene Bildung. Sie offenbart sich aber, wie man sehen wird, in den einzelnen auch noch in andrer als formeller Weise.

Das eine dieser Bücher ist die Vita S. Wigberti, welche Lupus auf den Wunsch des Abts von Hersfeld, Bun 836 verfasst hat. Wigbert war ein Angelsachse von vornehmer Geburt, der von dem heiligen Bonifaz nach Deutschland berufen, zum Abt des von ihm gegründeten und zuerst auch selbst geleiteten Klosters Fritzlar gemacht wurde, welches namentlich zur Ausbildung von Klerikern dienen sollte. S. c. 5, Eingang u. vgl. Rettberg, Kirchengesch. I, S. 595. Später wurde 207 er nach Ordruf versetzt, kehrte aber, als er erkrankte, nach Fritzlar zurück, um dort sein Leben zu beschliessen (747). An die kurze Lebensgeschichte schliesst sich die Translation (c. 13 ff.), die in diesem Falle am wenigsten übergangen werden durfte. Sie ist auch nicht ohne geschichtliches Interesse. Die Gebeine des Heiligen wurden nämlich, wie Lupus ausführlich erzählt, bei einem Einfall der Sachsen in das benachbarte befestigte Buraburg gerettet, welches mit Erfolg von den Hessen vertheidigt ward; von dort aber nach einigen Jahren nach Hersfeld transferirt. C. 24 u. vgl. Rettberg I, S. 597. Ein paar Wunder, die sich am Grabe des Heiligen begaben – die herkömmlichen Heilungen – werden von dem Verfasser noch erwähnt, pflichtschuldig – denn das Material war ihm, wie er am Schlusse sagt, von den Hersfelder Mönchen geliefert. Interessanter sind die Wunder, die von der ersten Translation erzählt werden, welche der Volksmund überliefert hatte. Bemerkenswerth ist, dass unser Autor (c. 12) die von den Reliquien ausgegangenen Wunder für werthvoller erklärt, als die von den Heiligen bei ihren Lebzeiten vollbrachten, da jene selbst über den Verdacht eiteln Ruhmes erhaben wären. – Dass Lupus bei der Abfassung dieser Vita mit Bewusstsein den Standpunkt des Historikers einnimmt, und nicht des erbauenden Panegyristen, zeigt das an das Kloster Hersfeld gerichtete Vorwort, indem er einen Zweifel an der Treue seiner Erzählung aus dem Grunde, weil sie erst 90 Jahre nach den Begebenheiten verfasst sei, unter Berufung auf die Werke eines Sallust und Livius, in zweiter Reihe auch des Hieronymus und Ambrosius Der Vita Pauli und der Passio virginis Agnes, s. darüber Bd. I, S. 192 f. u. S. 149 (vgl. S. 258). zurückweist. Ebendort spricht er es dann auch geradezu aus, Geschichte zu schreiben; er hat nämlich deshalb die deutschen Namen unlatinisirt gegeben, da die Historie nicht gestatte, durch ein abweichendes Kolorit verdunkelt zu werden. – – meminerit (lector) non carmen me scribere – – sed historiam, quae se obscurari colorum obliquitatibus renuit. Vgl. das ganz entgegengesetzte Verfahren Walahfrids oben S. 165. – Auch der Eingang der Vita, der von den Angelsachsen handelt, entspricht diesem Charakter derselben.

208 Beigelegt wird dem Lupus noch eine andere Vita, die des heil. Maximin Rettberg I, S. 131 u. 186 und Wattenbach I, S. 192 nehmen Lupus von Ferrières als Verfasser an, der erstere mit einigem Bedenken, Nicolas p. 124 spricht ihm die Vita lieber ab, wie die Hist. litter. V, p. 267., die allerdings nur, nach eigener Aussage, die Bearbeitung einer älteren ist S. den bevorwortenden Brief des Lupus an Waldo: Flagitasti ut vitam beati Maximini meo stilo elucubrarem et res quae ad nos usque qualibuscunque litteris decurrerunt, accuratiori sermone convenienti restituerem dignitati. Hiernach wurde sogar nur eine stilistische Bearbeitung von Lupus gewünscht, der doch schon durch Ausscheidung mancher Wunder weiter ging. – Das Original war unter Pippin, Karls des Grossen Vater, verfasst.; von einem Lupus ist sie und im Jahre 839 auf Bitten eines Waldo, wohl des späteren Abtes von St. Maximin, verfasst. Zwar in einem unseres Lupus nicht unwürdigen Stile geschrieben, der im Anfange sogar in einzelnen Wendungen an die Vita Wigberti erinnert, unterscheidet sie sich doch in der Behandlung des Stoffes nicht wenig von jener: an der Stelle eines objectiven, concisen historischen Berichts finden wir hier eine weitläufigere, durch manche ausführlichen Betrachtungen und theologischen Erörterungen abschweifende Erzählung unsicheren Ganges, in welcher die Wunder des Heiligen einen breiten Raum einnehmen, trotzdem der Verfasser viele unglaubwürdige weggelassen haben will. Vielleicht erklärt sich der Unterschied beider Vitae aus dem Umstande, dass die des Maximin eine blosse Bearbeitung war und Lupus seine Vorlage nicht zu weit verlassen mochte. Der Heilige aber war der Bischof von Trier, der den von dem arianischen Kaiser Constantius verfolgten Athanasius bei sich aufnahm.

Endlich haben wir noch eine dogmatische Schrift des Lupus in dem von Gottschalk angeregten Streit über die Augustinische Prädestinationslehre zu verzeichnen. Es ist das Buch De tribus quaestionibus , welches wohl auf Veranlassung Karls des Kahlen 850 verfasst worden ist. Denn auf dieses Buch ist wohl der Eingang der Ep. 128 zu beziehen. Die drei Fragen sind die des freien Willens, der doppelten Prädestination – »der Guten und der Bösen« – und »der Werthschätzung des Blutes Christi«, d. h. ob Christus für alle Menschen, oder nur für die Auserwählten gestorben sei. Die drei Fragen bilden, 209 wie leicht zu ersehen, ein Ganzes. Neander Allgemeine Geschichte der christl. Religion und Kirche Bd. IV, S. 435 ff., wo sich eine treffende Charakteristik des Inhalts findet. rühmt von diesem Buche, dass es durch klarere Auffassung und Darstellung der eigentlichen Streitpunkte sich auszeichne und durch die Art, wie Lupus das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden wisse; und er schreibt dies mit Recht der klassischen Bildung desselben zu. Lupus vergisst auch hier seine Klassiker nicht, indem er eines Ausspruchs des Cicero in De senectute und eines des Virgil gedenkt, freilich um sie zu bekämpfen. Opp. 1. p. 221 f. Ihr Einfluss zeigt sich aber nicht minder in dem eleganteren Ausdruck und, worauf Nicolas schon aufmerksam machte, in der Urbanität der Polemik, die freilich hier auch in seiner Humanität wurzelt, – beides so selten gerade auf diesem Felde der mittelalterlichen Literatur. Lupus steht in dieser Schrift auf der Seite Gottschalks und Augustins, nur zeigt sich eben seine Humanität in der Erklärung, er würde, wenn man beweisen könnte, dass das Blut Christi auch den Verdammten etwas nütze, gern sich dieser Ansicht anschliessen. – Da Lupus aber wegen seiner Meinung in diesen Streitfragen, wahrscheinlich, auf Grund der eben betrachteten Schrift, von der Gegenpartei manche Anfechtung erlitt, auch bei seinem Könige selber, so richtete er ein Schreiben (ep. 128) an denselben, worin er seine Meinung noch einmal entwickelt, und zwar in aller Kürze und Klarheit, weil er weiss, dass die Regierungsgeschäfte die Zeit des Königs zu sehr in Anspruch nehmen. – Ausserdem liess er seiner Schrift auch noch eine Sammlung von Belegstellen aus den Kirchenvätern, die er, wo nöthig, mit Erklärung versah, folgen. Hymnen und Homilien sind Lupus ohne triftige Gründe beigelegt. S. Dümmler, N. A. S. 314.

 


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