Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war auch der Streit über die Prädestinationsfrage, in welchem zuerst allgemeineres Aufsehen erregte eine ganz andre gelehrte Persönlichkeit aus dem Kreise Karls des Kahlen, ein halber Laie, denn er hatte keine der kirchlichen Weihen erhalten. Der früher mit Erigena befreundete Prudentius nennt ihn De praedest. c. 3: »nullis ecclesiasticae dignitatis gradibus insignitum, nec unquam a catholicis insigniendum.« Obgleich von Hincmar zu seinem Auftreten auf diesem Kampfplatze veranlasst, erklärte er sich zwar auch gegen dessen Feind, Gottschalk, aber in einer von dem Erzbischof nicht erwarteten, ja durchaus perhorrescirten Weise. Es war 258 dies der bedeutendste Denker dieses Jahrhunderts, dessen philosophische Werke wahrhaft Epoche machen, Johannes Scotus Joannis Scoti opera quae supersunt omnia ad fid. italic., germanic., belgic. codd. partim primus edid., partim recognovit H. J. Floss. Paris 1853. 4° (Bd. 122 der Patrol. lat. von Migne). – – Huber, Joh. Scotus Erigena. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter. München 1861. – Noack, Joh. Scotus Erigena. Sein Leben und seine Schriften. Leipzig 1876. (Kirchmanns philos. Bibliothek Bd. 66.) – Ritter, Geschichte der Philosophie. Bd. 7. Hamburg 1844. – Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande. Bd. 2. Leipzig 1861. S. 20 ff. – Reuter a. a. O. S. 51 ff., später auch Erigena genannt. Die ältesten Handschriften haben nur Joannes Scotus oder Joannes Jerugena; über die Herleitung dieses Namens s. Huber S. 38 ff. Unter Scotia verstand man in jener Zeit bekanntlich nicht bloss Schottland, sondern auch Irland, selbst ganz vorzugsweise, da es ja die ursprüngliche Heimath der Schotten war. Und in der That kann man kaum zweifeln, dass Johannes, worauf auch der andre Beiname deutet Mindestens als Tradition in der umgewandelten Form: Erigena., in Irland geboren und gebildet worden ist Dafür spricht auch die Anrede des Prudentius an Erigena in seiner Streitschrift De praedest. c. 14: Te solum acutissimum Galliae transmisit Hibernia (was Huber bemerkte) und nicht minder die oben S. 118 Anm. 1 citirte Stelle des Heiricus, eines indirecten Schülers des Erigena, in der Praefatio zu seiner Vita S. Germani, dass aus Hibernia eine ganze Schaar Philosophen unter Karl dem Kahlen nach Westfrancien eingewandert sei, endlich auch die Kenntniss der griechischen Sprache., in Irland, aus dem schon seit Jahrhunderten so viele Missionare nicht bloss des Glaubens, sondern auch der Wissenschaft nach dem Continent auswanderten; und die Emigration der letzteren scheint gerade in dieser Zeit eine besonders lebhafte gewesen zu sein. S. oben bei Sedulius ( S. 191) u. die eben erwähnte Stelle des Heiric. Mehr als sein Vaterland ist die Zeit seiner Geburt ungewiss, über die uns jede Nachricht mangelt. Seine Ankunft in Westfrancien aber erfolgte in den vierziger Jahren, und wohl in dem Anfange derselben: dort fand Erigena, zuerst in unsicherer Lage, bald am Hofe des wissbegierigen jungen Königs, eine gastliche Aufnahme. Er wurde Lehrer, ja Vorstand der Hofschule, und erfreute sich der besondern Gunst Karls des Kahlen, welcher, wenn spätere Traditionen die Wahrheit abspiegeln, mit ihm auch einen vertrauteren gesellschaftlichen Umgang pflog.
259 Als Lehrer hat Erigena, wie sich dies auch kaum anders erwarten lässt, bedeutend gewirkt, und zwar nicht bloss durch die Anregung zur Speculation, die er gab, sondern auch durch Verbreitung der Kenntniss des Griechischen, der wir gerade bei seinen Nachfolgern, mag sie auch bei ihnen noch so oberflächlich sein, wie bei ihm selbst begegnen. Erigena's besondere Bildung ruhte ja auch hauptsächlich auf seiner Kenntniss der griechischen Kirchenväter und griechischer Philosophen, obwohl er nicht überall deren Werke im Original, oder ohne Beihülfe lateinischer Bearbeitungen studirt haben mag, denn auch seine Kenntniss des Griechischen war eine unvollkommene, wie er selbst zugibt. Den bedeutendsten Einfluss aber haben auf ihn die Schriften des vermeintlichen Dionysius Areopagita gehabt, in welchen eine Christianisirung des Neuplatonismus erscheint. Dieselben waren schon unter König Pippin als Geschenk des Papstes nach dem Frankenreiche gekommen, dann wieder von dem griechischen Kaiser Michael Balbus Ludwig dem Frommen gesandt worden. Indem man nun, wie dies auch Erigena thut, den in der Apostelgeschichte erwähnten Areopagiten mit dem heil. Dionys von Paris, der unter Decius den Märtyrertod erlitt, identificirte, so schätzte man diese Schriften in Westfrancien doppelt hoch, und hoffte von ihnen, je weniger man sie kannte, um so mehr tiefer religiöser Geheimnisse Enthüllung.
So kam es, dass Karl der Kahle, welcher an der theologischen Speculation ein lebhaftes Interesse nahm, Erigena zu einer Uebersetzung jener Schriften ins Lateinische aufforderte – wohl das erste Werk das derselbe an seinem Hofe ausführte. Er widmet es denn auch dem Könige als Opferspende des » advena Joannes« in einem elegischen Gedichte, dem eine längere Zuschrift in Prosa, die zugleich Vorwort, folgt. Hier gibt er seiner Bewunderung des Königs, der trotz der beständigen Unruhe der Bürgerkriege und der Einfälle der heidnischen Barbaren mit der ganzen Sammlung des Geistes und Andacht des Herzens in die Geheimnisse der heil. Schrift einzudringen suche, und deshalb auch die griechischen Väter zu Rathe ziehen wolle, einen unverhüllten Ausdruck, worauf er dann das Leben des Autors behandelt und den Inhalt der übersetzten Bücher kurz anzeigt. – Danach übertrug auch auf Karls Befehl Erigena eine Erklärung schwieriger Stellen in 260 den Reden des Gregor von Nazianz von Maximus, welches Buch in der Uebersetzung Ambigua betitelt ist. Erigena entschloss sich um so eher zu derselben, trotz aller Schwierigkeiten, die sie darbot, als das Buch auch sehr dunkle Sätze des Dionys erläutere, wovon er Beispiele in der Vorrede gibt. Freilich ist diese Uebertragung eine recht fehlervolle, zum Theil wohl weil der König sie sehr bald verlangte. Der des Dionys aber wurde schon von Zeitgenossen Erigena's Dunkelheit vorgeworfen, und diese nicht mit Unrecht auch auf die allzu wörtliche Wiedergabe geschoben. Uebrigens bemühte sich Erigena die Schwierigkeiten, welche der Autor bietet, auch selbst durch Commentare zu heben, die er zur Erklärung seiner Bücher verfasste, welche Commentare uns aber nur zum Theil erhalten sind.
Während nun also Erigena im Dienste seines königlichen Gönners die Wissenschaft pflegte, und durch diese Studien, namentlich auch des Dionysius, sein philosophisches System ausbildete, das er in einem grossen Orginalwerk darnach niederlegte, wurde er durch Hincmar, wie bemerkt, in den theologischen Kampf, der in jener Zeit Westfrancien so sehr bewegte, hineingezogen (851). Hincmar, von vielen Seiten, namentlich von den Theologen Lyons angegriffen, hoffte von der grossen Gelehrsamkeit Erigena's, den er wohl sicher als einen Gegner der Gottschalkschen Meinung kannte, die kräftigste Unterstützung. Erigena aber, der auf seinem philosophischen Standpunkt über beide Parteien sich erhob, verdarb es mit beiden, zog aber namentlich die Angriffe der Gegner Hincmars auf sich, die den Philosophen in den heftigsten Streitschriften zugleich als Ketzer denuncirten; und seine in dem Buche über die Prädestination ausgesprochenen häretischen Ansichten selbst von verschiedenen Synoden verurtheilen liessen. Diese Angriffe mögen wohl die Veranlassung gewesen sein, dass Erigena die Leitung der Hofschule niederlegte, obwohl er am Hofe selbst blieb, und fortlehrend der Gunst des Königs sich auch fortdauernd erfreute. Alles dies ergibt sich aus dem in der folgenden Anmerkung citirten päpstlichen Schreiben. Vergeblich verlangte selbst der Papst im Anfang der sechziger Jahre von diesem, Erigena, der in dem Geruche ketzerischer Meinungen stehe, nach Rom zur 261 Verantwortung zu senden, weil er ohne seine »Approbation«, die Uebersetzung des Dionysius publicirt habe, oder ihn mindestens von der Hofschule zu entfernen, deren Haupt er früher gewesen sein solle, damit nicht Unkraut unter den Waizen gesäet würde. Der Papst schliesst sein Schreiben: Hinc est quod dilectioni vestrae vehementer rogantes mandamus, quatenus apostolatui nostro praedictum Joannem repraesentari faciatis, aut certe Parisius in studio, cuius capital iam olim fuisse perhibetur, morari non sinatis, ne cum tritico sacri eloquii grana zizaniae et lolii miscere dignoscatur et panem quaerentibus venenum porrigat. Floss, p. 1025. Aber – zur Ehre Karls des Kahlen – der Philosoph blieb weiter unbehelligt. Ueber sein späteres Leben ist uns nichts sicheres mehr bekannt, wahrscheinlich aber hat er noch i. J. 877 ein Gedicht an den König, seinen Gönner, gerichtet S. Huber S. 119 ff., den er wohl nicht lange überlebt haben mag. Fabeln einer späteren Zeit, die ihn nach Karls Tod an den gelehrten Hof Alfreds ziehen lassen, halten vor der Kritik keinen Stand. S. die ausführliche und gründliche Untersuchung von Huber S. 108 ff.
Das Hauptwerk des Philosophen, in welchem er sein System im Zusammenhange entwickelt, führt den Titel: Περὶ φύσεως μερισμοῦ id est De divisione naturae. Dies Werk (wohl erst im Anfang der sechziger Jahre vollendet) Gewiss vor 865, da Wulfad damals Erzbischof von Bourges wurde, und bei der Widmung (l. V, c. 40) nicht als solcher von Erigena bezeichnet wird. Noack S. 22. Vgl. dagegen Huber S. 107 f. und seinem Freunde und Mitarbeiter in den Studien der Weisheit, Wulfad gewidmet, ist von einer grossen historischen Bedeutung, indem es die Philosophie zuerst als eine ebenbürtige Wissenschaft der Theologie zur Seite stellt, und so verschieden auch die Weltanschauung unsers Autors von der der späteren mittelalterlichen Speculation ist, doch die Keime derselben – die einen mehr, die andern weniger entwickelt – nach ihren verschiedensten Richtungen, sowohl der dialektischen Scholastik, und zwar des Realismus wie des Nominalismus, als auch des speculativen Mysticismus, in sich schliesst. Die Elemente, aus denen dies System geschaffen ist, wie die leitenden Grundgedanken sind allerdings zum grössten Theil entlehnt, theils dem christianisirten Neuplatonismus der griechischen 262 Kirchenväter, des Origenes, Gregor von Nazianz und namentlich des Dionysius Areopagita und seiner Erklärer, theils dem Augustin; aber die Systematisirung selbst, die strenge syllogistische Form der Entwicklung gehören unserm Autor an, der darin eine für jene Zeit bewundernswerthe Denkkraft und Freiheit des Geistes, ja auch eine kühne Selbständigkeit des Charakters zeigt. Er versucht zwar ein philosophisches System herzustellen, das mit der kirchlichen Ueberlieferung sich verträgt, welche damals die Schranke des Gedankens war, aber er macht darum nicht die Philosophie zur Magd der Theologie. Vielmehr soll die wahre Philosophie mit der wahren Religion identisch sein – ein Satz, den nicht bloss Augustin, sondern selbst schon Lactanz aufgestellt hatte. S. Bd. I, S. 77. Autorität und Vernunft fliessen aus einer und derselben Quelle, der göttlichen Weisheit. De divis. nat. l. I, c. 66 Ende. (Die Autorität aber sind Erigena die heiligen Schriften, daneben auch, obgleich in eingeschränkter Weise, die sie erklärenden Kirchenväter.) Die Autorität ist nur das der Zeit nach Frühere, die Vernunft das der Natur nach. Bei einer Collision zwischen beiden ist der letzteren der Vorzug zu geben. Denn jede Autorität, welche durch die wahre Vernunft nicht gebilligt wird, erscheint schwach; die wahre Vernunft aber bedarf nicht der Zustimmung der Autorität. Omnis enim auctoritas, quae vera ratione non approbatur, infirma videtur esse. Vera autem ratio, quoniam suis virtutibus rata atque immutabilis munitur, nullius auctoritatis astipulatione roborari indiget. l. I, c. 69. – Dieser Satz genügt allein zu zeigen, wie weit sich Erigena über seine Zeit erhob!
Unter dem Begriff der Physis oder Natura fasst Erigena alles was ist und was nicht ist, zusammen, indem er das Nichtseiende nicht in absolutem Sinne nimmt, sondern in relativem, das Nichterkannte oder das nur erst potentiell Vorhandene oder die menschliche Natur, die durch die Sünde ihr Sein verloren hat, darunter versteht. Mit dieser Unterscheidung beginnt er sein Werk. Die also definirte Natur aber theilt sich – und daher der Titel des Werks – nach vier Unterschieden in vier Species: 1) die Natur welche schafft 263 und nicht geschaffen wird: das ist Gott als die letzte Ursache von allem; 2) die welche geschaffen wird und schafft: die Gesammtheit der Urgründe der Dinge ( primordiales rerum causae ), auch Prototypen, »Ideen d. i. Species oder Formen«, genannt, welche in dem Wort Gottes – dem Logos – gegründet sind; 3) die Natur welche geschaffen wird und nicht schafft: die reale Welt, die unter der Einwirkung des heiligen Geistes aus den Urgründen hervorgeht, gleichsam »hervorgebrütet« wird Spiritus enim sanctus causas primordiales, quas Pater in principio, in Filio videlicet suo fecerat, ut in ea, quorum causae sunt, procederent, fovebat, hoc est divini amoris fotu nutriebat. Ad hoc namque ova ab alitibus, ex quibus haec metaphora assumpta est, foventur, ut intima invisibilisque vis seminum, quae in eis latet, per numeros locorum temporumque in formas visibiles corporalesque pulchritudines igne aereque in humoribus seminum terrenaque materia operantibus erumpat. l. II, c. 19.; 4) die Natur welche weder schafft noch geschaffen wird: d. i. wieder Gott als das letzte Ziel der Dinge, – die letzte Naturform fällt mit der ersten zusammen, wie die zweite mit der dritten – Gott ist die essentia von allem. Die Schöpfung aber ist ein dauernder Process. – Das ganze System ist aber nach dem Schema der Dialektik construirt, wonach einerseits die höchste Einheit – herabsteigend – bis zu den Individuen zertheilt wird ( διαιρετικὴ oder μερισμός), andererseits das Individuelle – hinaufsteigend – zur höchsten Einheit zurückgeführt, in sie aufgelöst wird ( ἀναλυτική). Vgl. Prantl. a. a. O. S. 27. So ist der ontologische Process zugleich der logische. Die Bedeutung, welche hiernach die Logik für die Speculation bei Erigena erhalten hat, ist etwas für seine Zeit ausserordentliches und gehört ihm individuell an, wie sie zugleich für seine geistige Unabhängigkeit der Theologie gegenüber zeugt.
Die Vereinbarung dieses philosophischen Systems mit der Bibel war aber nur durch eine kühne allegorische Auslegung derselben möglich, an welche man allerdings schon lange gewöhnt war, sie war ja zugleich mit der christlichen Speculation erwachsen. Das richtige, vollkommene Verständniss der heil. Schrift verlangt eine innere Erleuchtung, so meinte auch Erigena, um über den Buchstaben hin in den wahren Sinn der Bibel einzudringen. Die allegorische Exegese, die er hier gibt, 264 ist aber theils sein eigenes Werk, theils älteren Kirchenvätern entlehnt. Ein weit ausgeführtes Beispiel bietet die Auslegung des Schöpfungswerks im Beginne des 1. B. Mose: l. III, c. 24 ff.
Das Werk ist in fünf Bücher getheilt, von denen die drei ersten je einer der drei ersten Naturformen gewidmet sind, die beiden letzten zusammen aber der vierten. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Büchern – von den beiden letzten, die gleichsam nur eins bilden, abgesehen – wird durch eine Recapitulation im Eingang allemal streng gewahrt. Der klaren Uebersichtlichkeit der Composition entspricht die Klarheit des Ausdrucks, der durch Präcision und Correctheit über den herkömmlichen Stil jener Zeit in speculativen Werken sich erhebt, und eine fesselnde lebendige Beweglichkeit zeigt. Diese wird dadurch unterstützt, dass das Werk die Form des Zwiegesprächs zwischen einem Lehrer und Schüler hat, eine Form die hier wohl den philosophischen Erstlingswerken des Augustin entlehnt ist. S. Bd. I, S. 231 f. Sie hat hier einen dialektischen, keinen pädagogischen Charakter.
Dass ein Philosoph, und von Erigena's Standpunkt der Lehre Gottschalks von der doppelten Prädestination abhold sein musste, versteht sich. Er bekämpft sie in seinem Buche De divina praedestinatione , dem schon die in seinem Hauptwerke systematisch entwickelten Ideen zu Grunde liegen, in einer dreifachen Beziehung: als unverträglich einmal mit dem Wesen Gottes, der vollkommnen Einheit desselben, dann mit dem des Menschen, der, nach Gottes Bilde geschaffen, den freien Willen dadurch substanziell besitzt, ihn also auch nicht durch den Sündenfall verlieren konnte Non enim aliter debuit fieri rationalis vita, nisi voluntaria, cum ab ea voluntate, quae est causa omnium, creata sit ad imaginem et similitudinem sui. Aut quomodo eam divina voluntas, summa videlicet universitatis ratio, quae nulla necessitate stringitur, quoniam sua liberrima potentia potitur, imaginem sui similem faceret, si non eius substantiam crearet voluntatem liberam rationalem? – Hoc apertissimo probatur argumento, quod sumitur ex primi hominis peccato. Quamvis enim beatam vitam peccando perdidit, substantiam suam non amisit, quae est esse, velle, scire. De div. praed. c. IV, §. 5 u. 6 init., endlich auch mit dem Begriffe des Bösen, das, weil alles auf Gott als die letzte 265 Ursache zurückgeht, substanziell gar nicht existirt, sondern nur die Verderbtheit des Guten ( corruptio boni ) ist C. X, §. 3. Erigena beruft sich hier auf Augustin. Vgl. auch Bd. I, S. 207.: eine Prädestination zu dem Bösen oder auch nur zur Strafe desselben, dem ewigen Tode, durch Gott ist daher unmöglich. Das Böse bestraft sich vielmehr selber. Nullum peccatum est quod non se ipsum puniat, occulte tamen in hac vita, aperte vero in altera, quae est futura. c. XVI, §. 6. Auch das Wesen der Höllenstrafe wird hier nur in die Abwesenheit des seligen Glückes gesetzt. In seinem philosophischen Werke wird die sinnliche Hölle direct geläugnet. De divis. nat. l. V. c. 29, wo sich auch der schöne bezeichnende Satz findet: Ubi Judas Salvatoris nostri proditor torquetur? Nunquid alibi nisi in sua polluta conscientia, qua Dominum tradidit? Wie unendlich weit ging Erigena seiner Zeit voraus. – Dass er bei dieser Behandlung der Prädestinationsfrage von seinem philosophischen Standpunkte auch nicht den Beifall der Gegner Gottschalks, deren Sache er führte, ernten konnte, ist leicht verständlich, schwer dagegen, wie er bei alledem in dem guten Glauben befangen sein konnte, die katholische Kirche zu vertreten, und Gottschalk mit heftigen Worten als Ketzer apostrophiren, wie dies im Beginne seines Buches (c. 2) geschieht.
Von theologischen Werken Erigena's besitzen wir ausser den genannten noch Fragmente eines Commentars zum Evangelium Johannes und eine Homilie über den Eingang desselben Evangeliums, worin zugleich jener Apostel mit begeisterten Worten als Typus der Contemplation und der Wissenschaft gefeiert wird. – Ausserdem hat von gelehrten Arbeiten unser Philosoph noch einen Commentar zum Marcianus Capella verfasst, offenbar eine Frucht seiner Lehrthätigkeit.
Erigena hat aber, nach der Sitte der Zeit, wie bereits angedeutet, auch der gelehrten Muse gehuldigt, und es haben sich auch eine Anzahl Gedichte von ihm erhalten, die durchaus den Stempel seines Geistes tragen, so dass an seiner Autorschaft kein Zweifel sein kann. Doch sind sie wohl alle Gelegenheitsgedichte, theils und vornehmlich in Distichen, theils in Hexametern, die meisten an seinen hohen Gönner, Karl den Kahlen gerichtet. Ihm scheint Erigena alljährlich einen solchen poetischen Tribut zu den höchsten Kirchenfesten
266 dargebracht zu haben, namentlich zu Ostern, denn eine ganze Zahl der Gedichte hat entweder die Kreuzigung, oder die Auferstehung, oder die Höllenfahrt Christi, oder auch das Pascha zum Thema, nach dessen Behandlung der Dichter dann immer seinen Wünschen und Gebeten für den König Ausdruck gibt. Ein Carmen (
De Verbo incarnato
) ist aber zu Weihnachten dargebracht. Diese Gedichte haben, die einen mehr, die andern weniger, das, wie es scheint, noch kaum beachtete Interesse, dass in ihnen das philosophische System des Verfassers, wenn auch nur in einzelnen Zügen, sich abspiegelt
In einzelnen dieser Gedichte finden sich auch Anspielungen auf die Zeitgeschichte, die Kriege Karls mit seinen Brüdern und die Einfälle der Normannen.; am meisten ist dies der Fall in dem zuletzt erwähnten Carmen. Einen poetischen Werth aber hat die Mehrzahl gar nicht; nur in der Schilderung der Höllenfahrt, namentlich in dem Gedichte:
Christi triumphus de morte ac diabolo
erhebt sich die Darstellung stellenweise zu einem wahren, selbst kraftvollen Pathos. Merkwürdig ist, dass in diesem Carmen v. 63 ff. der Teufel als seine letzte Zufluchtsstätte, seinen einzigen Trost »die jüdische Brust, den lastervollen Abgrund« bezeichnet, all sein Gift will er durch den Mund dieses Christus verhassten habgierigen Volkes ergiessen. Hat dieser Judenhass bei Erigena, möchte man fragen, ein persönliches Motiv? Toleranz war ihm jedenfalls trotz seiner Philosophie nicht eigen. – Noch ist besonders erwähnenswerth ein Gedicht, das vornehmlich das Lob der Gemalin Karls, Irmindrud singt: ihre anmuthige gelehrte Rede, ihre Geschicklichkeit in Handarbeiten
Laudes Irmindrudis, v. 7 ff.:
Ingens ingenium, perfecta Palladis arte
Auro subtili serica fila parans.
Actibus eximiis conlucent pepla mariti,
Gemmarum serie detegit indusias.
Miratur fugitans numquamque propinquat
ἀράχνη,
Quamvis palladios aequiperat digitos.
Vgl. hiermit oben
S. 194, Anm. 3., ihr Bücherlesen, ja selbst ihre politische Befähigung
Quid causas regni dicam, quas ipsa perita
Disponit viglii pectore praecipuo? Carm. IV, v. 21 f. werden hier u. a. gepriesen. – In formeller Beziehung ist von
267 Erigena's Poesien der leichte Fluss des Verses und die Enthaltung von allem irischen Schwulste zu rühmen, dagegen liebt er es mitunter, auch seine poetische Diction mit griechischen Worten aufzuputzen, ja auch ganze griechische Verse finden sich in einigen Gedichten ein- oder beigefügt, was seine Schüler ihm nachmachten. Selbst griechische Gedichte, freilich sehr wenig gelungen, von ihm zum Lobe Karls verfasst, haben sich erhalten, manche zwar nur bruchstücksweise, die zum Theil, was recht beachtenswerth, mit einer lateinischen Interlinearübersetzung versehen sind.