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Der grosse Fortschritt, den auch die
Prosa im Zeitalter Karls und im Frankenreiche selber machte, zeigt sich auf keinem Gebiete der Literatur so auffallend wie auf dem der
Geschichtschreibung, als deren bedeutendster Vertreter der Ostfranke
Einhard
Oeuvres complètes d'Eginard, réunies pour la première fois et traduites en français, par A. Teulet. Paris 1840–43. 2 Vol. –
Einharti Epistolae und
Vita Caroli in: *
Monumenta Carolina ed. Jaffé. – – Jaffé's Einleitung zu der V. C. – Wattenbach, Deutschl. Geschichtsquellen I, S. 147 ff. erscheint, welcher Autor allerdings gleich Theodulf, und noch weiter als dieser, in die Zeit Ludwig des Frommen hineinreicht. Einhard, von edlem Geschlechte, war um d. J. 770 im Maingau geboren. Seine erste Ausbildung erhielt er in dem Kloster des h. Bonifatius in Fulda, welches schon damals eine angesehene Schule besass. Die grosse wissenschaftliche Begabung, welche Einhard zeigte, veranlasste den Abt Baugulf, den Nachfolger Sturms, des Gefährten des Bonifatius, ihn an Karls Hof zu senden (in der ersten Hälfte der neunziger Jahre), nicht bloss in seinem, sondern auch in des Königs Interesse, der ja alle bedeutenden Talente dort zu versammeln suchte. Einhard empfahl sich dort leicht schon durch die Mannichfaltigkeit seiner Anlagen, da er ebenso sehr technisch-künstlerische Geschicklichkeit als Sinn und Neigung für die humanen Wissenschaften besass, wie er denn auch der Dichtkunst huldigte
S. das Zeugniss Alcuins c. 228:
Quid faciet Beleel Hiliacis doctus in odis,
und des Naso, das wir oben
S. 66 Anm. 3 erwähnten. Auch eine Stelle, in Theodulfs Gedichten, l. III, c. 3 (v. 331 ff.), zeigt uns jedenfalls Einhard (»Beselel«) unter den Dichtern des Hofes, wie sie auch ihrem Zusammenhange nach aufgefasst werden mag.; dazu kam aber noch sein liebenswürdiger Charakter, sein gefälliges und bescheidenes Wesen
So schreibt Lupus, Ep. 1:
– – Ita vehementer aestuanti (sc. mihi)
facilis et modesta et quae sane philosophiam decet, animi vestri natura tantae rei obtinendae spem tribuit.: so wurde der junge Franke trotz seiner zwerghaften Gestalt bald
93 allgemein beliebt; man schätzte den grossen Geist in dem kleinen Körper nur um so mehr, wie uns Gedichte von Alcuin, Theodulf
S. oben
S. 80 Anm. 2. und Walahfrid zeigen. Mit den Söhnen Karls wurde er eng befreundet, dem Kaiser selbst aber trat er mit der Zeit so nahe, dass er sein vertrautester Rath in den wichtigsten Staatsgeschäften wurde; so war er es der die Bestätigung des Testaments Karls über die Reichstheilung 806 vom Papste einholte, und die Annahme Ludwigs zum Mitregenten 813 bewirkt haben soll. Insbesondere verwerthete er auch seine technischen, namentlich architektonischen Kenntnisse, die ihm den akademischen Namen Beseleel – wie wir schon oben (Seite 6) bemerkten – eintrugen, im Dienste des Kaisers, der ihm die oberste Leitung seiner Bauten übertrug. Einhard, zunächst durchaus Laie, wie er denn auch die weltliche Literatur mit besonderem Eifer studirte und eine schöne Bibliothek der Klassiker besass
Lupus, Ep. 1:
taceo quidem saecularium litterarum de amicitia sententias, ne, quoniam eis adprime incubuistis, etc., vermählte sich mit einem Mädchen von edler Familie, Imma, mit der er in der glücklichsten Ehe lebte; ihre selbst die Mehrzahl der Männer beschämende Klugheit sowie ihr Charakter werden von Zeitgenossen hoch gerühmt.
S. Lupus Ep. 4.
Nach Karls Tode stand Einhard auch bei Ludwig dem Frommen im höchsten Ansehn, und wurde selbst, wie es scheint, von ihm seinem Sohne Lothar, als dieser Mitregent ward, zum Mentor gegeben. Wenn der Brief an Lothar bei Jaffé, l. l. Nr. 7, p. 445 von Einhard ist, woran aber meines Erachtens kaum zu zweifeln; da heisst es: postquam (pater vester) vos in societatem nominis et regni – – adsumsit meaeque parvitati praecepit, ut vestri curam gererem ac vos de moribus corrigendis et honestis atque utilibus sectandis sedulo commonerem. Er suchte denn auch zwischen Vater und Sohn immer versöhnend zu vermitteln, und selbst beim Ausbruch der Empörung 830 nahm er eine so unparteiische Stellung mit solcher Klugheit ein, dass er weder die Gunst des Vaters noch der Söhne verscherzte. Indessen hatte er sich damals schon längere Zeit von den Staatsgeschäften, soweit ihm dies möglich war, zurückgezogen, wenn er auch immer noch den Winter am Hofe zu Achen zuzubringen pflegte: er war ja offenbar überhaupt keine thatkräftige Natur. Durch 94 die Gnade des Kaisers Ludwig schon seit 815 in den Besitz mehrerer Klöster gekommen – es gab ja damals auch weltliche Aebte – schlug er allmählich immer mehr eine geistliche Richtung ein, indem er sich gern aus der Welt in die Einsamkeit, namentlich seines abgelegenen, und deshalb gerade von ihm geliebten Michelstadt im Odenwalde zurückzog, wo er Häuser und eine Kirche baute, für welche die Reliquien der heil. Marcellin und Petrus, die sein Notar Ratleik aus Rom ihm brachte (828), zunächst bestimmt waren. Aber ein Jahr später führte Einhard dieselben nach seiner nicht weit davon nördlich gelegenen Besitzung Mulinheim, später Seligenstadt genannt, wo er eine prächtige Kirche baute und ein Kloster stiftete, welche durch die von den Reliquien ausgehenden Wunder rasch berühmt wurden. Dort nahm er dann selbst seit d. J. 830 seinen ständigen Aufenthalt. Sechs Jahre später starb Imma, mit der er jetzt nur in einem geschwisterlichen Verhältniss gelebt Lupus Epp. 3: Einhards Antwort an Lupus: Omnia mihi studia omnesque curas tam ad meas quam amicorum causas pertinentes exemit et excussit dolor quem ex morte olim fidissimae coniugis, iam nunc carissimae sororis ac sociae gravissimum cepi., ein Tod der ihn um so mehr erschütterte, je sicherer er auf die Hülfe seiner Heiligen gebaut hatte. Weder der Trost seiner Freunde, der oft allerdings recht ungeschickt war S. Einhards eigene Klage darüber in seinem eben citirten Brief an Lupus., noch des Kaisers Ludwig, der selbst zu ihm eilte, vermochte seinen Schmerz zu lindern. Nur vier Jahre überlebte er sein Weib. Er starb den 14. März 840.
Das bedeutendste Werk Einhards, das auch ganz unbestritten sein eigen ist, ist allerdings erst nach dem Tode Karls des Grossen verfasst worden, wenn auch alsbald danach; aber es gehört um so mehr in diesen Abschnitt unserer Geschichte, als dasselbe so recht als die reifste Frucht dieser ersten Renaissance erscheint, der Wiedergeburt humaner weltlicher Bildung, welche Karl hervorgerufen, dass es gleichsam sein Gebäude krönt. Dieses Werk ist – es konnte für solchen Zweck keinen besseren Inhalt haben – das Leben Karls selbst, in seiner formellen Vollendung das schönste Denkmal seiner Verdienste um die wissenschaftliche Bildung. Es bezeichnet, 95 insbesondere in der Prosa, durch seinen sprachlichen Ausdruck den Höhepunkt der klassischen Studien jener Zeit. Ranke hat die Arbeit durchaus treffend charakterisirt, indem er sagt: »Einhard hat gleichsam die Masse und Verhältnisse nach dem Muster der Antike eingerichtet, wie in seinen Bauwerken (bei welchen Vitruv sein Lehrer war, fügen wir hinzu); aber damit noch nicht zufrieden, wendet er wie in diesen auch sogar antike Werkstücke an.« Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten (s. weiter unten) S. 416. Karl wird hier nämlich als der neue Augustus, als welchen ihn ja der Kreis seiner Gelehrten und Poeten schon lange gefeiert hatte, abgeschildert und so sein Lebensbild in der Form der Vita des Augustus von Sueton entworfen, dergestalt dass dieser die Composition der Vita Caroli zum grössten Theil nicht bloss in den äusseren Umrissen, sondern, soweit dies bei der Verschiedenheit der Zeiten und der Helden möglich war, auch im Detail entlehnt ist, während zugleich aber oft auch die Formen des Ausdrucks, Worte und Wendungen, dem römischen Vorbild entnommen sind. So wird zuerst hier wie dort von den Vorfahren und der Jugend des Helden und darauf von seinen Kriegszügen gehandelt; während dann aber Sueton (c. 26) der Aemter gedenkt, die Augustus bekleidet, führt Einhard (c. 16) die Freundschaftsbündnisse Karls mit andern Königen und Völkern, wodurch er den Ruhm seiner Regierung vermehrte, auf. Dann begegnen sich beide Autoren wieder, indem Sueton (c. 28 ff.) den prächtigen Umbau Roms durch Augustus, Einhard (c. 17) die Werke, die Karl zum Schmuck und Nutzen des Reiches, wie zu seinem Schutze ausführen liess, berichtet. Hierauf geht Einhard (c. 18 ff.) sogleich zur Schilderung des »inneren und häuslichen Lebens« und des Charakters, sowie der ganzen Persönlichkeit Karls über, indem er sich über seine Familie, seine Erziehung der Kinder, sein Benehmen gegen Fremde, sein Aeusseres, Kleidung, Lebensweise, Studien, Religion und Verhältniss zur Kirche, sowie gesetzgeberische Thätigkeit Hier (c. 29) wird denn auch der Sorge Karls für die Nationaldichtung und Sprache gedacht. – letzteres in aller Kürze – verbreitet; Sueton dagegen bringt erst einen langen Abschnitt über die Verwaltung des Augustus, 96 wie er bei Einhard sich nicht findet, ehe er (c. 61) zur vita interior ac familiaris desselben übergeht, wo dann aber fast dieselben Punkte in ziemlich derselben Reihenfolge in Betracht gezogen sind. Den Schlussabschnitt bildet bei beiden Autoren das »Ende« der Helden (Sueton c. 97 ff., Einhard c. 30 ff), ihr Tod, die Vorzeichen desselben, die Bestattung und das Testament: nur ist bei Einhard noch vorher (c. 30) der Krönung des Nachfolgers durch den von Krankheit und Alter hinsiechenden Kaiser gedacht.
Ranke hat zwar vollkommen Recht, wenn er behauptet, dass bei einer solchen Nachahmung die ganze Originalität der Erscheinung Karls nicht wiedergegeben werden konnte; ich möchte sagen, die Unmittelbarkeit der Wiedergabe fehlt, das Bild erscheint in einer reflectirten Beleuchtung: andrerseits aber hat Jaffé nicht minder Recht, wenn er geltend macht, dass gerade durch den genannten Hinblick auf sein Vorbild Einhard veranlasst ward, manche feine Züge mitzutheilen, die wir sonst entbehren würden Z. B. Sueton c. 78: Post cibum meridianum ita ut vestitus calciatusque erat, retectis pedibus paulisper conquiescebat. Einhard c. 24: Aestate post cibum meridianum – – depositis vestibus et calciamentis, velut noctu solitus erat, duabus aut tribus horis quiescebat., denn bei seinem Streben ein vollkommen wahres Bild von seinem Helden zu zeichnen, hat er die geringsten Abweichungen von seinem Vorbild sorgfältig im Ausdruck wiedergegeben, deren Bedeutung gerade durch eine Vergleichung mit Sueton recht ins Licht tritt. Z. B. Sueton c. 66: Amicitias neque facile admisit et constantissime retinuit – – Einhard c. 19: Erat enim in amicitiis optime temperatus, ut eas et facile admitteret et constantissime retineret – – Kein andres Werk jener Zeit trägt so sehr das volle Gepräge der Renaissance. Hier zeigt sich auch die Wechselbeziehung der Wiederherstellung der klassischen Studien und der des römischen Weltreichs am innigsten und am auffallendsten. Es ist nach so vielen Heiligenleben die erste weltliche Biographie wieder, das Lebensbild des grössten Laien seiner Zeit und so vieler folgenden, der kein Heiliger war noch es sein wollte, entworfen von einem Laien nach dem Muster einer heidnisch antiken Vita. Hier ist denn auch nicht mehr der panegyrische Ton, 97 der jenen so eigenthümlich, wenn auch der Autor seinen Helden im besten Lichte zeigt, jedoch so wie er ihm selbst erschien, der durch dieses Buch auch, wie er in dem Vorwort sagt, seinem dominus und nutritor den Tribut der Dankbarkeit darbrachte. Aber nicht bloss das Gefühl dieser Verpflichtung liess ihn das Werk unternehmen, vielmehr auch das Bewusstsein, wie er ebendort sagt, dass niemand getreuer als er darstellen könnte, wovon er selbst Augenzeuge gewesen. Und in der That stand dem Kaiser in den späteren Jahren keiner aus seiner Umgebung näher als Einhard.
Das Buch Einhards fand, wie schon die grosse Zahl der erhaltenen Abschriften zeigt, einen ausserordentlichen Beifall, der nicht nur dem Inhalt, sondern ebenso sehr der Form galt So schreibt Lupus ep. 1 an Einhard: – – cum deinde auctorum voluminibus spatiari aliquantulum coepissem, et dictatus nostra aetate confecti displicerent propterea quod ab illa Tulliana ceterorumque gravitate, quam insignes quoque Christianae religionis viri aemulati sunt, aberrarent, venit in manus meas opus vestrum, quo memorati imperatoris clarissima gesta (liceat mihi absque suspicione adulationis dicere) clarissime litteris allegastis. Ibi elegantiam sensuum, ibi raritatem coniunctionum, quam in auctoribus notaveram, ibidemque non longissimis periodis impeditas et implicitas ac modiis absolutas spatiis sententias inveniens, amplexus sum., und so vermochte es, wie kein andres jener Zeit, zu den klassischen Studien anzuregen: fürwahr also ein würdiges Denkmal des grossen Kaisers.
Ist die Autorschaft Einhards bei diesem Buche nicht zu bezweifeln, so ist sie um so mehr bestritten in Betreff seines Antheils an einem grössern historischen Werke, das einer andern Gattung der Geschichtschreibung angehört, welche auch in dem Zeitalter Karls erst zu einer höheren Entwickelung gelangte. Ich meine die Annalistik. S. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen I, S. 114 ff. u. 156 ff. – Ranke, Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalen in den Abhandl. der Berliner Akad. aus d. J. 1854. – Giesebrecht, die fränkischen Königsannalen und ihr Ursprung im Münchner histor. Jahrbuch für 1865. – Ebrard, Reichsannalen 741–829 und ihre Umarbeitung in: Forschungen zur Deutschen Geschichte Bd. XIII. – Dünzelmann, Beiträge zur Kritik der karolingischen Annalen im Neuen Archiv Bd. II. – v. Sybel, Die karoling. Annalen in der Histor. Zeitschrift N. F. Bd. VI. – Simson, Zur Frage nach der Entstehung der sog. Annales Laurissenses maiores in Forschungen zur d. Gesch. Bd. XX. Hierauf Replik Sybels a. a. O. Bd. VII. Sie hat sehr bescheidene Anfänge gehabt. Die Annalen gingen aus den 98 spärlichen Notizen der Mönche am Rande der Ostertafel hervor; solche Notizen stellte man dann in den Klöstern den Jahren folgend zusammen, und führte darauf dieses Grundwerk, nun Jahr für Jahr die wichtigsten Ereignisse aufzeichnend, weiter; auch schloss sich eine solche Aufzeichnung wohl an bekannte chronistische Werke, die sich in der Klosterbibliothek befanden, wie an die des Beda an. Unter diesen Klosterannalen finden sich aber solche, welche durchaus frei von localer Beschränkung, nur das allgemeine Interesse des Reiches im Auge haben, indem ja nicht selten an der Spitze der Klöster Männer standen, die am öffentlichen Leben einen bedeutenden Antheil hatten. Solche Klosterannalen können als Vorläufer von Reichsannalen officiellen Charakters betrachtet werden, wie man sie schon unter Karls des Grossen Regierung in den sogen. Annales Laurissenses maiores zu finden glaubt. Diese Ansieht bestreitet Sybel, dem Simson entgegentritt. (Man hat ihnen diesen Namen gegeben, weil die älteste und vollständigste Handschrift in dem Kloster Lorsch sich gefunden.) Diese Lorscher Annalen In: Monum. Germ. histor. Scriptores T. I, ed. Pertz. erstrecken sich vom Jahr 741, dem Beginne der Regierung des Vaters Karls des Grossen, Pippin, bis zum Jahr 829: auf Grund der Art der Abfassung wie des Stils lassen sich aber 3 Hauptabschnitte in ihnen unterscheiden, von denen der erste nach der gewöhnlichen Annahme bis zum Jahr 788 reicht, und um dieses Jahr im Zusammenhang abgefasst, also nicht wie die folgenden Abschnitte gleichzeitig mit den Ereignissen aufgeschrieben ist; der zweite aber geht bis zum Jahr 796, von wo an die meisten einen neuen Verfasser annehmen, dem also der letzte Hauptabschnitt beigelegt wird, und in ihm wollen sie Einhard erkennen. Diese Jahrbücher erhielten aber eine nicht bloss stilistische, sondern auch redactionelle Ueberarbeitung, die bis zum J. 801, bald mehr, bald weniger bedeutend, sich erstreckt; auch diese Ueberarbeitung wird von manchen Historikern Einhard zugeschrieben, und auch von solchen, die seinen Antheil an der Abfassung selbst sehr beschränken, während andere, die in dieser Beziehung grosse Zugeständnisse machen, jene ihm absprechen. So schreibt Dünzelmann Einhard die Abfassung (von 797 an) nur bis Mitte 801, dagegen die Ueberarbeitung zu, während Ebrard letztere Einhard abspricht, aber seine Verfasserschaft bis zum Jahr 829 erstreckt. Auf diese Streitfragen genauer einzugehen liegt der Aufgabe dieses Buches zu fern.
99 Was Darstellung und sprachlichen Ausdruck anbetrifft, so erscheint die Ueberarbeitung dieser Annalen, die man früher keinen Anstand nahm als Annales Einhardi zu bezeichnen, wie der letzte Hauptabschnitt überhaupt des Verfassers der Vita Caroli im allgemeinen wohl würdig. In diesen Lorscher Jahrbüchern tritt die Annalistik zuerst im Mittelalter in den Kreis der literarischen Production ein, während die älteren Annalen in ihren von Jahr zu Jahr aufgezeichneten kurzen Notizen als literarische Erzeugnisse nicht betrachtet werden und deshalb in einer Geschichte der Literatur auch keine Stelle beanspruchen können. Also hat in dem Zeitalter Karls des Grossen auch ein bedeutender Fortschritt der Historiographie stattgefunden, und gewiss auch unter dem Einfluss des grossen Fürsten, der nach Einhards Bericht auch sonst so viel geschichtlichen Sinn zeigte.
Ebenso sicher als die Lebensgeschichte Karls gehört Einhard noch ein Buch an: die ausführliche Erzählung von der oben erwähnten Uebertragung der Gebeine des Petrus und Marcellinus (zweier Priester, die unter Diocletian in Rom Märtyrer geworden) nach Seligenstadt, und der Wunder, die von ihnen ausgingen. Translatio SS. Petri et Marcellini ed. Henschen in: Acta SS. Iun. Tom. I, p. 181 ff. Wie solche »Translationen« aufkamen, und wie sie im Anschluss, dann im Gefolge der »Passionen« zu erzählen Sitte wurde, haben wir früher angedeutet. S. Bd. I, S. 293 u. 577. Der Schwerpunkt des Interesses des Autors wie des Lesers lag hier wie bei den Heiligenleben überhaupt zunächst in den Wundern, die bei den Translationen aber nur von den Reliquien ausgehen. Die Verehrung der Reliquien und der Glaube an ihre Wunderkräfte war aber kaum zu irgend einer Zeit grösser, als zu der Einhards, wie auch recht dieses Buch zeigt, zumal sein Verfasser einer der gebildetsten Männer damals und ein Historiker war. Auch er hat, wie er selbst im Vorwort erklärt, in frommer Absicht das Buch geschrieben, es soll – nämlich durch den Bericht von den Wundern seiner Reliquien – »den 100 Sinn des Lesers zum Lobe seines Schöpfers erheben«, der Allmacht Gottes, welcher ja der eigentliche Wunderthäter ist. Die besondere Versicherung dieser Absicht möchte aber den Glauben erwecken, dass sie nicht allein Einhard bestimmt hat; es scheint auch etwas Eitelkeit im Spiele gewesen zu sein, die auch allein seine Urtheilskraft so verdunkeln konnte, dass er selbst die unglaublichsten Dinge, welche von der Heilkraft seiner Reliquien ihm berichtet wurden, ohne Anstand weiter erzählt. So heisst es von einem Geheilten c. 68: ita sanus ab oratione surrexit, ut nec tumor in facie, nec dolor in dentibus, nec gibbus, quo premebatur, remaneret in dorso. Mit dem Besitze solcher wunderthätigen Kostbarkeiten, die den Kirchen, wo sie aufbewahrt wurden, den höchsten Ruf verliehen, machte man sozusagen Staat. Daher erklärt sich denn auch der persönliche subjective Charakter der Erzählung Einhards, in welcher der Autor von Anfang an in den Vordergrund tritt, so dass sie im Stile von Memoiren verfasst erscheint; und hierdurch hat schon diese Erzählung ein ganz anderes, grösseres Interesse als die gewöhnlichen Translationen; dies wird aber noch durch manche kulturgeschichtlich merkwürdigen Züge vermehrt, wie die folgende Skizze des Inhalts zeigen wird.
Einhard erzählt im Eingang, wie er nach dem Bau seiner Kirche in Michelstadt im Zweifel gewesen sei, welchem Heiligen er sie widmen sollte – und zu solcher Widmung gehörten wo möglich Reliquien des Heiligen –: da sei er am Hofe zu Achen mit einem römischen Diacon Deusdona zusammengetroffen, und die Rede auf die vielen in Rom befindlichen und vernachlässigten Gräber der Märtyrer gekommen. Da gedenkt denn Einhard seiner neuen Basilika und frägt, wie er wohl »etwas von den ächten Reliquien« dieser Heiligen erlangen könnte. Der schlaue Römer theilt ihm nun nach einigem Bedenken mit, dass er selbst solche in grosser Zahl besitze, und, wenn er ihm zur Rückkehr nach Rom behülflich wäre, sie ihm senden wolle. Einhard geht gern auf den Antrag ein, er gibt ihm ein Maulthier und ein Viaticum, und sendet seinen Notar Ratleik sammt einem Diener mit. Sie reisen über Soissons, und dort verspricht Deusdona auch dem Abt Hilduin den Leib des heil. Tiburtius, worauf ihm dieser auch einen 101 Begleiter Namens Hun mitgibt. Als sie nun aber in Rom angelangt sind, macht der Diacon alle möglichen Ausflüchte, und die Begleiter merken gar bald, dass sie von ihm betrogen sind – dem Diener Ratleiks war es selbst schon unterwegs, während er fieberkrank war, durch eine Vision eröffnet worden: sie beschliessen darauf durch Diebstahl sich in den Besitz von Reliquien zu setzen, bei welchem Unternehmen der Diacon schliesslich doch noch Beihülfe leistet. Freilich der feste Sarkophag des Tiburtius spottet ihrer Anstrengungen, wohl aber gelingt es ihnen das benachbarte Grab der heil. Marcellin und Petrus zu öffnen, worauf zunächst die Reste des ersteren, und dann, damit die, welche zusammen die Passion erlitten, auch ferner in ihren Reliquien zusammenblieben, auch die des Petrus von Ratleik entwandt werden. Hun erhielt zu seinem Troste auch von dem Petrus einigen Aschenstaub, von dem man, weil er abgesondert lag, sich überredete, dass er dem Tiburtius hätte angehören können! Dieser fromme Raub wird indessen, wie billig, erst nach dreitägigem Fasten und nach Anrufung Gottes, Jesu und der Märtyrer selbst ausgeführt.
Unter Vorkehrung der grössten Vorsichtsmassregeln, eine Entdeckung zu verhüten, wird dann der kostbare Schatz heimlich bis nach St. Moriz gebracht. Dort erst werden die Reliquien in einen Sarg gelegt und, nun offen »transferirt«, indem überall Schaaren des Volkes Hymnen singend sie geleiten. So gelangen sie nach Michelstadt, wohin nun auch Einhard, der gerade auf einer Reise war, eilends sich begibt. – Aber schon im Anfang des folgenden Jahres (828) wurden die Reliquien nach Mulinheim, das danach Seligenstadt genannt wurde, übertragen, da in Träumen und Visionen, die verschiedene Personen gehabt haben wollten, die Märtyrer erklärten, in Michelstadt nicht bleiben zu wollen. Der wahre Grund der weitern Translation war vermuthlich, dass jener Ort in seiner Abgelegenheit zu wenig geeignet war, die Verehrung der Reliquien in Zug zu bringen. S. Jaffé, l. l. p. 496, Anm. 7.
Indessen hatte sich der Presbyter Hun mit dem Bisschen ihm geschenkter Asche nicht begnügen mögen, und durch Bestechung des Dieners Ratleiks noch in Rom in den Besitz 102 eines ganzen Kruges von dem Staube des heil. Marcellin gesetzt. Einhard erfährt dies in Achen von Hilduin selbst und reclamirt mit Erfolg das Entwandte. Dies wird in allem Detail erzählt, ebenso die neue Translation dieser entwandten Reliquien nach Mulinheim. Hierauf folgt dann eine ausführliche Erzählung von den Wundern, die von den Reliquien ausgingen, welche zwei Drittheile des Buches einnimmt. Es sind dies im allgemeinen die gewöhnlichen Krankenheilungen der Reliquien, die Einhard zum Theil selbst mit angesehen haben will. Namentlich Heilung von Stummen, Tauben, Gelähmten, Epileptischen und Besessenen. Besonders erwähnenswerth ist aber eins dieser Mirakel, welches sich in seiner Abwesenheit zutrug, so dass ihm ein schriftlicher Bericht darüber erstattet wurde (c. 49 ff.) Darin wird die Heilung eines von einem Dämon besessenen Mädchens erzählt. Merkwürdig sind nämlich die Aussagen, welche derselbe durch den Mund des Mädchens gemacht haben soll, da sie eine schneidende Kritik der sittlichen Zustände jener Zeit enthalten. Der Dämon, lange schon Thürhüter der Hölle, hat, wie er sagt, mit elf Genossen das Frankenreich verwüstet, indem er die Früchte vernichtete und über Menschen und Vieh Krankheiten brachte. Auf die Frage des beschwörenden Presbyter warum er das gethan, entwirft er nun ein Bild von der Unsittlichkeit jener Zeit – die sei das Motiv gewesen – in welchem er die Grossen noch weniger als das Volk verschont. Einhard aber fügt dem Berichte die Worte hinzu: wie weit ist es mit dem Elend unsrer Zeit gekommen, wenn statt guter Menschen böse Dämonen ihre Lehrer sind, an unsere Besserung uns mahnen müssen! Zu derselben Zeit (828) empfing Einhard (c. 47 f.) eine andre Schrift von Mulinheim, welche eine Offenbarung, die einem Blinden dort vom Engel Gabriel geworden, und von Ratleik aufgezeichnet war, enthielt. Sie war ausdrücklich für den Kaiser Ludwig bestimmt, und wurde ihm auch von Einhard übergeben. Man sieht aus alle dem, wie von dem nahe herandrohenden Unheil der schwachen Regierung schon eine Ahnung durch das Volk ging.
Wir besitzen aus derselben Zeit etwa eine Passio der beiden Märtyrer in 353 rythmischen trochäischen Tetrametern, welche allein durch die Anwendung dieses Versmasses – 103 worauf ich weiter unten zurückkomme – merkwürdig ist S. Acta SS. Iun. Tom. I. p. 174 ff.; sie ist in einer Handschrift dem Einhard beigelegt Des 10. Jahrh., während in andern, und darunter einer des 9. Jahrh., kein Verfasser genannt wird. S. darüber Dümmler, N. A. S. 262 f.. Einhard hat sich nun allerdings auch als Dichter bekannt gemacht, wie wir oben sahen S. Seite 92., obgleich kein Werk seiner Muse sonst uns erhalten ist: aber in Betreff dieser Dichtung ist seine Autorschaft doch zu wenig beglaubigt; dazu kommt, dass obschon trotz der klassischen Bildung Einhards die Annahme wohl zulässig erscheint, er habe in einem solchen volksmässigen rythmischen Versmass seine Heiligen besungen, es dagegen im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, dass er in dem Gedicht gar nicht der Translation gedacht haben sollte, durch welche ja erst die Heiligen sein wurden.
Noch sind uns eine Anzahl Briefe Einhards erhalten, namentlich in einer Mustersammlung des Briefstils, wie sie die Mönche für Lehr- und Lernzwecke anzulegen pflegten, welche aus dem Einhard angehörigen Kloster St. Bavo in Gent stammt. Ausserdem besitzen wir noch den schönen Brief Einhards an Lupus, dessen wir schon gedachten. Diese Briefe, die fast nur Geschäftsbriefe sind, obgleich auch an die Kaiser Ludwig und Lothar einzelne sich finden, liefern zwar nur wenige, aber doch recht schätzbare Beiträge zur Lebensgeschichte und Charakteristik des Verfassers. Namentlich bezeugen sie auch die grosse Gutmüthigkeit Einhards, der gern bereit ist auf Bitten andrer zu vermitteln oder Fürsprache einzulegen, andrerseits freilich im Alter auch so dem Kultus seiner Heiligen ergeben war, dass er jedem, der bei ihnen Schutz suchte, ohne alle weitere Rücksicht, seinen Beistand gewährte. S. z. B. Epp. 37, 43 u. 44. In stilistischer Beziehung aber zeigen die Briefe wie die Translatio einen grossen Unterschied von der Vita Caroli; an der Stelle einer eleganten klassisch gefärbten Diction finden wir hier gewöhnlich eine incorrecte nachlässig bequeme Ausdrucksweise, in den Briefen noch mehr als in der Translatio: dieser Unterschied ist aber keineswegs besonders 104 schwierig zu erklären. Wie Dünzelmann a. a. O. S. 499 glaubt. Die Diction der Briefe wie der im Memoirenstil geschriebenen Translatio entspricht offenbar der damals üblichen lateinischen Umgangs- und Verkehrssprache, die gleich den sich entwickelnden modernen Sprachen auch in der Satzbildung einen mehr analytischen Charakter liebte; war dies doch im Alterthume selbst wenigstens bei den weniger Gebildeten der Fall.
Endlich sei noch erwähnt, dass Einhard in den letzten Lebensjahren um 836 auch eine geistliche Schrift: De adoranda cruce verfasst hat, welche er Lupus widmete S. Lupus Ep. 4.; sie ist aber verloren. Die Nachricht beweist jedoch von neuem, wie Einhard jetzt ganz der geistlichen Richtung sich hingegeben.