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An der Spitze der Autoren dieser neuen Periode der Weltliteratur, welche der schöpferische Genius Karls ins Leben rief, indem er den Boden bereitete und bestellte, auf dem sie erwuchs, steht mit Recht der Mann, dem er selbst hauptsächlich seine wissenschaftliche Bildung verdankte, und der das Hauptwerkzeug für die Ausführung seiner Absichten war – Alcuin. B. Flacci Albini seu Alcuini opera cura et stud. Frobenii. 2 Tom. in 4 Voll. Regensburg 1777. – * Monumenta Alcuiniana a Ph. Jaffé praeparata edid. Wattenbach et Duemmler (Bd. VI der Bibl. rer. german. Jaffé's), Berlin 1873. (Darin: Vita Willibrordi, De patr. reg. et sanctis Euboricae und Epistolae). – * Disputatio de rhetorica et de virtutibus sap. reg. Karli et Albini magistri, in: Rhetores latini minores ed. Halm. Leipzig 1863. – * Disputatio Pippini cum Albino scholastico herausgeg. von W. Wilmanns in Zeitschr. f. deutsch. Alterthum. N. F. Bd. II. (1869). S. 530 ff. – – Lorentz, Alcuins Leben, ein Beitrag zur Staats-, Kirchen- und Culturgeschichte der karolingischen Zeit. Halle 1829. – Monnier, Alcuin et Charlemagne avec des fragments d'un commentaire inédit d'Alcuin etc. 2 e éd. Paris 1863. – Dümmler, Alkuin, in der Allgemeinen Deutschen Biographie. Bd. I. Leipzig 1875. – Zeissberg, Alcuin und Arno, in: Zeitschrift f. österr. Gymnas. 13. Jahrg. 1862. – Sickel, Alcuinstudien in: Sitzungsber. der phil.-hist. Cl. der Wiener Akad. Bd. LXXIX, 1875. – Dümmler, N. A. S. 118 ff. Niemand konnte dazu mehr berufen sein, als dieser Vertreter des in der literarischen Kultur damals am meisten fortgeschrittenen rein germanischen Stammes. Die nationale Verwandtschaft machte Alcuin erst zum wahren Organ Karls, sie machte erst jene vollkommene geistige Wechselwirkung zwischen beiden möglich, sie liess zugleich mit der politischen Weltherrschaft jetzt auch die literarische für die karolingische Zeit auf die Germanen übergehn, denn die bedeutendsten Autoren 13 derselben sind fast alle, wie schon ihre Namen zeigen, germanischer Abkunft.
Alcuin, der als Schriftsteller auch Albinus
Den Namen mehr latinisirend. Derselbe erscheint auch in Verbindung mit Flaccus: Flaccus Albinus, z. B. Ep. 4 u. 78. – Vgl. auch Ep. 155 (p. 582). gern sich nannte, war, von edlem Geschlecht, um d. J. 735 in York geboren. Wie sein Verwandter, der berühmte Missionarbischof Willibrord und wie einst Beda, war er schon als kleines Kind dem dortigen Kloster übergeben. In der Domschule, deren Vorstand der Erzbischof Egbert war, erhielt er seine Bildung. Mehr noch als Egbert war sein Lehrer ein Verwandter desselben, Aelbert, der eigentliche Magister der Schule. Ihn zeichnete eine seltene Universalität des Wissens und ein ebenso grosser Lehreifer aus, die bald die Schule weithin berühmt machten, so dass selbst Ausländer sie bezogen. Alcuin, der schon als Kind das grösste Interesse an den Studien zeigte und namentlich von Virgil entzückt war, gehörte bald zu den besten Schülern und so begleitete er denn auch seinen Lehrer Aelbert auf einer der wissenschaftlichen Reisen, die dieser unternahm, um, wie Alcuin selbst sagt, »etwas Neues von Büchern oder Studien zu finden.«
Non semel externas peregrino tramite terras
Iam peragravit ovans,
sophiae deductus amore:
Si quid forte novi librorum seu studiorum,
Quod secum ferret, terris reperiret in illis.
De sanctis Euboricae urbis v. 1454 ff. Es erinnert dies ganz an die Entdeckungsreisen der Humanisten der späteren Zeit. Diese Fahrt ging nach Rom, dem Hauptziel solcher Reisen. Alcuin wurde dann aus dem Schüler der Gehülfe Aelberts, namentlich als dieser nach Egberts Tod 766 Erzbischof wurde. Als Aelbert aber 12 Jahre später resignirte, theilte er seine Aemter unter seine zwei Lieblingsschüler: Eanbald erhielt das Erzbisthum, Alcuin dagegen, der zum Diacon geweiht war, die Schule und die reiche Bibliothek zur Verwaltung. Nach Aelberts Tod 780 begab sich Alcuin, um für Eanbald das Pallium zu holen, nach Rom. Auf der Rückkehr von dort im folgenden Jahre war es, wo er in Parma mit Karl dem Grossen zusammentraf – den er bereits früher bei Gelegenheit einer Sendung von seinem Lehrer kennen gelernt – und die Berufung empfing.
14 Von Karl mit den Abteien von Ferrières und Troyes ausgestattet, verweilte Alcuin an dessen Hofe zunächst acht Jahre, indem in diesen Zeitraum seine Hauptthätigkeit an der Hofschule und für die Ausbildung Karls selbst fällt. Alcuin wirkte aber dort nicht bloss als vortrefflicher Lehrer – welche Wirksamkeit die Betrachtung seiner Werke genauer darlegen wird – sondern auch durch seinen geistig anregenden Umgang. Alcuin war kein Pedant, er zechte fröhlich mit beim heitern Königsmahle, er gerade amüsirte die Gesellschaft in echt angelsächsischer Weise mit Räthselaufgaben, die niemand besser als Karl selbst zu lösen verstand, er neckte gern durch scherzhafte Epigramme die jungen Freunde, wennschon mit der Absicht ihre Fehler zu bessern, aber er lenkte auch das Gespräch auf die ernstesten Gegenstände des Glaubens und des Wissens. Zugleich war Alcuin offenbar auch damals schon der Rathgeber Karls bei seinen den Kultus und den Unterricht betreffenden Verordnungen.
Gegen 790 aber ging er, wie es scheint von Heimweh getrieben, zumal er nur zeitweilig von seinem Erzbischof und König beurlaubt war, nach England zurück, jedoch nur auf ein paar Jahre, denn 793 finden wir ihn bereits im Frankenreich wieder. Zur Rückkunft nach diesem bewogen ihn ebensowohl die traurigen öffentlichen Verhältnisse seines Vaterlandes als der dringende Wunsch Karls, der seiner Gelehrsamkeit damals bei der Bekämpfung der von Spanien eingewanderten Häresie des Adoptianismus wie der durch das zweite Nicäische Concil beschlossenen Bilderverehrung besonders bedurfte. Alcuin aber glaubte gerade vor allem berufen zu sein, für die Reinheit des Glaubens in die Schranken zu treten, wozu schon sein Lehrer Aelbert ihn ausersehen hatte. So nahm er in der Eigenschaft eines Vertreters der englischen Kirche an dem Concil zu Frankfurt 794 Theil, wo unter seinem massgebenden Einfluss im Sinne Karls in jenen beiden kirchlichen Fragen die Entscheidung getroffen wurde. In beiden trat er auch als polemischer Schriftsteller auf. Im J. 796, wo in Folge der Ermordung seines ihm so theuern Königs Ethelred Alcuin jeden Gedanken an eine Heimkehr aufgab, wurde ihm auch sein, jetzt durch das Alter doppelt gerechtfertigter Wunsch, aus der unmittelbaren Zerstreuung des Hof- und Staatslebens sich zurückziehen zu dürfen, von Karl erfüllt, indem er die gerade damals erledigte 15 Abtei von Tours erhielt. Das berühmte Kloster und seine Schule waren sehr herabgekommen, Alcuin stellte sie wieder her, ja er schuf hier, wie dies Karl gewünscht Alc. Ep. 78 (p. 345): Ego vero – schreibt Alcuin an Karl – Flaccus vester secundum exhortationem et bonam voluntatem vestram aliis per tecta sancti Martini sanctarum mella scripturarum ministrare satago, alios vetere antiquarum disciplinarum mero inebriare studeo, alios grammaticae subtilitatis enutrire pomis incipiam, quosdam stellarum ordine – ceu pictor cuilibet magnificare domus culmina – inluminare gestio, plurima plurimis factus, ut plurimos ad profectum sanctae Dei ecclesiae et ad decorem imperialis regni vestri erudiam., eine Musterunterrichtsanstalt, ein zweites York, wo die oft aus weiter Ferne hingekommenen Schüler zu Lehrern des Frankenreichs ausgebildet wurden. Die literarischen Hülfsmittel liess er sich aus England holen. – Zugleich setzte Alcuin aber auch dort seine Thätigkeit als Kultusminister Karls, wenn man so sagen darf, fort, er gab ihm nicht bloss brieflich seinen Rath, sondern er war auch unermüdlich, Häresien, namentlich den Adoptianismus, durch Sendschreiben wie durch ganze Werke zu bekämpfen. Ja er nahm auch von dort, auf Karls Wunsch, an der Synode von Achen den bedeutendsten Antheil. Durch den ausgedehntesten Briefwechsel blieb er mit der gelehrten Welt im Frankenreiche, namentlich auch am Hofe, wie mit seinen Freunden in England in steter Verbindung. So hat dieser bedeutende Mann eine höchst mannichfache und lebhafte geistige Thätigkeit bis zu seinem Tode 804 bewahrt, indem er, wie er einmal sagt Ep. l. (p. 347)., den Samen des Wissens am Abend des Lebens ebenso in Francien ausstreute, als am Morgen in Britannien.
Alcuins Werke sind theils in Prosa, theils in Versen verfasst. Die einen wie die andern sind von nicht geringem Einfluss gewesen. Die ersteren aber haben am nachhaltigsten gewirkt: sind sie auch zu einem guten Theil für die allgemeine Literatur nur von indirecter Bedeutung, so ist diese doch eine grosse gewesen. Dies gilt namentlich von den Lehrbüchern Alcuins, welche für den wissenschaftlichen Unterricht im Frankenreiche nicht bloss in ihrer Zeit, sondern auch noch lange nachher massgebend gewesen sind. Wie Alcuin zunächst und vor allem ein vortrefflicher Schullehrer war, so verdienen sie auch 16 vor allen seinen andern Schriften hier den Vortritt, zumal sie uns zugleich ein Bild von seinem Unterricht in der Hofschule geben. Es sind einmal drei Compendien, der Grammatik, der Rhetorik und der Dialektik. Dem Inhalt nach sind sie zwar noch weniger originell, als sich von Büchern dieser Art schon von vornherein erwarten lässt, wohl aber sind sie ihrer Form nach eigenthümlich, wenn auch diese Eigenthümlichkeit keine Erfindung des Alcuin ist, vielmehr auf angelsächsischer Ueberlieferung beruht. Sie sind nämlich in dialogischer Form verfasst, katechismusartig, indess so, dass in der Regel der Lernende frägt, der Lehrende antwortet. Aldhelm, der erste bedeutende nationale Lehrer der Angelsachsen, hat bei diesen davon auch das erste Beispiel in seiner an Alfred von Northumbrien gerichteten Metrik gegeben. S. Bd. I, S. 591. Die Bezugnahme auf Augustin und Isidor zeigt, dass er bei den Angelsachsen hierin keine Vorgänger hatte. Aldh. opp. ed. Giles p. 233. Er motivirt dort die Anwendung dieser Form damit, dass sie die Klarheit der Auseinandersetzung fördere, Alcuin gibt dagegen einmal in seiner Grammatik als Grund Erleichterung des Gedächtnisses an Fuerunt in schola Albini Magistri duo pueri, unus Franco, alter Saxo, qui nuperrime spineta grammaticae densitatis irruperunt. Quapropter placuit illis paucis literulis [Froben emend.: paucas literalis] scientiae regulas memoriae causa per interrogationes et responsiones excerpere. Opp. T. II, p. 268. ; beide Motive werden wohl zugleich gewirkt haben. In der Art aber, wie Alcuin diese Form anzuwenden, dem Unterricht am Hofe geschickt anzupassen versteht, indem er ihr einen Zug dramatischer Lebendigkeit verleiht, zeigt er eine gewisse Originalität.
Wie mit der Grammatik der Unterricht begonnen wurde, so schickt ihrem Compendium Alcuin eine kurze Einleitung in das wissenschaftliche Studium überhaupt voraus, deren Hauptgedanken ihn und seine Zeit charakterisiren. Das Licht der Weisheit, heisst es hier, ist dem menschlichen Geiste angeboren, aber es ruht in ihm verborgen, wie der Funke im Feuerstein, es muss durch wiederholten Unterricht geweckt werden. Die Weisheit ist nur um Gottes, der Tugend oder ihrer selbst willen, nicht wegen irdischer Vortheile zu lieben; die Zierde, die sie verleiht, ist unvergänglich, wie die Seele, der sie angehört. So wird der Werth der Wissenschaft gegenüber den äusseren 17 vergänglichen Gütern von Alcuin gezeigt. Der Gipfel der Wissenschaft aber ist die Theologie, das Verständniss der heiligen Schrift; sieben Stufen führen zu ihm empor, es sind die 7 freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astrologie, welche den 7 Säulen des Hauses der Weisheit bei Salomo Proverb. c. IX, v. 1. gleichen; wie sie die Philosophen, ja Consuln und Könige berühmt gemacht, so haben auch die Gelehrten des Christenthums durch sie den Sieg über die Ketzer davon getragen. So wird die religiöse Weihe den Studien gegeben, die auch hier zunächst für den Klerus bestimmt erscheinen.
Schon diese Einleitung ist in ein Zwiegespräch von »Schülern« und dem »Magister« gekleidet, ebenso die folgende Grammatik, nur werden hier die Schüler genauer bezeichnet und spielen hier auch eine andere Rolle. Es sind ihrer zwei, ein fünfzehnjähriger Sachse, versteht sich ein Angelsachse, und ein vierzehnjähriger Franke. Dieser, der jüngere, weniger gebildete, frägt, der ältere, der Sachse antwortet: die Vertheilung der Rollen ist bezeichnend. Der Magister redet nur ausnahmsweise, er hilft nur in schwierigeren Fällen aus, namentlich wo die Grammatik in das Gebiet der Dialektik hinüberstreift, bei Begriffsbestimmungen, wie er z. B. im Eingang res, intellectus und vox definirt, mit welchen dreien jede Disputation ausgeführt werde. Der an sich so trockenen wissenschaftlichen Conversation wird aber ein gewisser dramatischer Reiz verliehn, der sicherlich nach dem Leben copirt die freiere Bewegung der Hofschule abspiegelt, indem Scherze der Schüler eingeflochten werden, durch welche selbst die Unterrichtsmethode ironisirt wird. So z. B. S. Ecce, France, de appellativis speciebus habes abunde, ut reor, licet nullus tuae aviditati possit satisfacere. Fr. Non sum tam avidus, quam tu invidus, qui nulla vis aperire, nisi interrogatione coactus. l. l. p. 273. – Was den Inhalt angeht, so werden nach den Buchstaben und Silben die einzelnen Redetheile behandelt. Bei den Silben werden Accent und Quantität nur kurz, und zwar vom Magister selber berührt, weil sie zur Metrik gehörten und dort erst zu lernen wären. l. l. p. 270. Die Metrik erscheint also als besondere Disciplin und als besonderer Unterrichtsgegenstand für 18 gereiftere Schüler. So nennt sie auch Raban unter den Disciplinen, die er bei Alcuin in Tours studirte. S. weiter unten Rabans Biographie. Uebrigens ist der Inhalt des Compendium aus älteren Grammatiken, von denen auch die des Donat und Priscian citirt werden, und was die Definitionen angeht, aus Isidors Etymologien entlehnt.
Wurde diese Grammatik, wie die Einkleidung zeigt, direct für die Hofschule von Alcuin verfasst, so sind dagegen seine Rhetorik und Dialektik zunächst für Karl den Grossen selbst geschrieben, wie denn auch in ihnen der Dialog von »König Karl« und seinem »Magister Albinus« geführt wird. Und zwar wurden sie, wie ich aus dem Eingang der Rhetorik schliesse, zum Zweck der Repetition des vorausgegangenen mündlichen Unterrichts, auf welchen auch dort hingewiesen wird Verum ex quo mihi paucis tuis responsionibus ianuas rhetoricae artis vel dialecticae subtilitatis claustra partim aperuisti, valde mihi in eas rationes fecisti intentum, maxime quia me in cellaria arithmeticae disciplinae pridie sagaciter induxisti vel astrologiae splendore inluminasti. So sagt Karl im Eingang der Rhetorik l. l. p. 525. Man sieht hieraus zugleich, dass der systematische Unterricht in den mathematischen Disciplinen vorausgegangen war. – Auch die dem Buch vorausgeschickten Distichen, in welchen dasselbe als das gemeinsame Werk Karls und Alcuins bezeichnet wird, sprechen für meine Ansicht, die auch in der Natur der Sache begründet erscheint., und zugleich wohl zu einer weiteren systematischen Ausführung desselben verfasst. Auch scheint die Rhetorik wenigstens erst nach der Wiederkehr Alcuins aus England, und zwar bald danach, verfasst worden zu sein. Sie beginnt mit den Worten Karls: Quia te, venerande magister Albine, Deus adduxit et reduxit, quaeso ut liceat mihi te de rhetoricae rationis praeceptis parumper interrogare; nam te olim memini dixisse, totam eius artis vim in civilibus versari quaestionibus. A. a. O. Mit dem letzten Satz scheint auch auf den früheren vor der Reise stattgehabten mündlichen Unterricht hingewiesen zu werden. Vielleicht hatte gerade die längere Abwesenheit Alcuins Karl das Bedürfniss eines solchen Lehrbuchs empfinden lassen. Auch in diesem Lehrbuch zeigt der Dialog einen gewissen individuellen Charakter. Alcuin beobachtet in seinen Antworten dieselben höfischen Formen als in seinen Briefen an Karl. Er gibt sich sogar den Anschein, als könne er dem König eigentlich nichts sagen, was dieser nicht schon selbst wisse, als antworte er nur aus Gehorsam. Karl will aber die Rhetorik lernen wegen ihrer Bedeutung für die » civiles quaestiones« – also die Bedeutung, die sie 19 im Alterthum hatte. Und in der That wird hier auch nur die aus dem Alterthum überlieferte Rhetorik geboten, bloss etwas christlich zugestutzt. Die stoffliche Grundlage bildet Cicero's Werk De inventione , auf das auch direct hingewiesen wird, nur werden neben den dort entlehnten Beispielen aus der alten Geschichte auch Beispiele aus der Bibel gegeben, ähnlich wie dies Ambrosius in seiner Bearbeitung der Officien that. S. Bd. I, S. 152. Neben Cicero ist hauptsächlich Julius Victor benutzt, und zwar sind aus beiden lange Stellen wörtlich aufgenommen.
Diesem Compendium ist noch ein kleiner Anhang über die Tugenden angefügt, weshalb auch das ganze Werk Disputatio de rhetorica et de virtutibus in den Handschriften betitelt ist. Dieser Anhang ist mit der Rhetorik nur äusserlich verknüpft, indem er als Uebung in derselben betrachtet wird. Dass er aber von Alcuin selbst hinzugefügt wurde, zeigt nicht bloss sein Eingang und Schluss, sondern auch die Rückbeziehung bei der Temperantia auf das Ende der Rhetorik: Ne quid nimis. Nach der Definition von virtus werden als deren vier Theile die Cardinaltugenden bezeichnet, darauf von diesen wieder die partes gegeben (wie z. B. die drei der Prudentia: Memoria, Intelligentia, Providentia ) und alle definirt. Zu einem schönen Schwung erhebt sich die Rede Alcuins als er gegen das Ende den Reiz der Tugend, ihren hohen Werth schildert.
Auch die Dialektik, in welcher die Form des Dialogs von unbedeutenderer Ausführung ist, ist bloss eine möglichst wörtliche Compilation, namentlich aus Isidors oben genanntem Werk, wie auch aus der pseudoaugustinischen Schrift über die 10 Kategorien und aus Boëtius' De differentiis topicis .
Als eine Ergänzung der Grammatik lässt sich ein Schriftchen Alcuins De orthographia betrachten, in welchem, nach dem Vorbild, und unter Benutzung einer gleichnamigen Schrift Beda's, nach dem Anfangsbuchstaben geordnet eine Reihe von Wörtern aufgeführt werden, welche zu orthographischen Fehlern leicht Veranlassung boten, um vor diesen hier zu warnen. Dies Schriftchen ist nicht uninteressant für die Kenntniss der Aussprache des Lateinischen damals und nicht ohne Werth für die Kritik der Texte jener Zeit.
Noch ein merkwürdiges kleines Lehrbuch Alcuins ist zu erwähnen, das recht als eine Frucht seiner Thätigkeit an der 20 Hofschule erscheint, wie es denn auch zunächst für Karls Sohn Pippin verfasst ist. Ich meine die Disputatio Pippini cum Albino scholastico . Es ist dies ein Handbüchlein für »Denkübung«, zur Schulung des Scharfsinnes und Witzes, auch in dialogischer Form. Es lassen sich zwei Abschnitte darin unterscheiden: im ersten frägt der Schüler, im zweiten der Magister. In jenem wird in der Regel von verschiedenen dem Menschen sehr nahe liegenden Objecten und Begriffen eine Definition verlangt und in witziger Weise durch ein Bild oder eine Metapher gegeben, so von dem Körper und seinen Gliedmassen, dem Leben und Tod, den Elementen, den Gestirnen, den Jahreszeiten u. s. w. Z. B. »Was ist die Zunge? Eine Geissel der Luft.« »Was ist der Nebel? Die Nacht am Tage, die Mühe der Augen.« Oder: »Was ist der Tag? Die Anregung zur Arbeit.« Wie nun manche dieser Antworten, als Frage gegeben, Räthseln gleichen würden, so werden denn in dem zweiten Abschnitt solche in der That von dem Lehrer dem Schüler aufgegeben, welcher durch die Antworten des ersten Abschnittes in das Wesen des Räthsels eingeführt, gleichsam zur Lösung geschult, diese selbst jetzt, und zwar oft wieder in einer räthselhaften Form gibt. Z. B. No. 94: A. Quis est quem videre non potes nisi clausis oculis? P. Qui stertit, tibi ostendit illum. Es ist eben somnus gemeint, und es ist die Frage dem Vers 3 des Räthsels Somnus des Symphosius (No. 99 bei Riese, Anthol. lat. I, p. 207) entlehnt: Sed me nemo uidet, nisi qui sua lumina claudit. Dieser letztere Zug, der ganz originell ist, zeigt recht in welchem Grade das Räthsel bei den Angelsachsen gepflegt ward. Und wenn auch bei der Abfassung des Büchleins eine aus dem Alterthum stammende Schrift Alcuin den Weg gewiesen und er ihr und andern das Material zu einem guten Theile verdankte S. darüber Wilmanns a. a. O., so ist doch diese Art der Verwerthung zum Schulunterricht ächt angelsächsisch-national. Bei keinem Volke ist das Räthsel je beliebter gewesen. S. meinen Aufsatz über die Räthselpoesie der Angelsachsen, insbesondere die Aenigmata des Tatwine und Eusebius in den Berichten über die Verhandl. der k. sächs. Ges. d. Wissensch. Bd. XXIX, 1877. S. 20 ff. Und Alcuin theilte diese Vorliebe in hohem Grade.
Endlich schliessen sich an die Lehrthätigkeit Alcuins, und insbesondere in der Pfalz, seine von Tours aus an Karl 21 gerichteten astronomischen Abhandlungen De saltu lunae und De bissexto , sowie ein paar Kalenderfragen betreffende Briefe.
Von den übrigen wissenschaftlichen Arbeiten unseres Autors treten durch ihre Zahl wie durch das Ansehen, das sie in ihrem Zeitalter hatten, die theologischen in den Vordergrund; aber wir haben hier um so weniger genauer auf sie einzugehen, als sie inhaltlich von keiner Originalität sind. Die meisten sind Erklärungen der Bibel, von welchen das umfangreichste und geschätzteste Werk der auf den Wunsch der Gisela und Rotrud verfasste Commentar zum Evangelium Johannis ist. Auch er ist, gleich den andern, nur eine Compilation aus älteren berühmten Werken, welche theils wörtlich, theils nur dem Sinne nach excerpirt sind; dies bemerkt Alcuin selbst in der Widmung, wo er zugleich als seine Hauptquellen Augustins Erklärung, des Ambrosius Schriften, sowie Gregors und Beda's Homilien nennt. Diese Art der Erklärung durch eine »Blüthenlese« von Citaten aus den Kirchenvätern wurde aber ein Muster für die Folgezeit, die durch die directen und indirecten Schüler Alcuins, wie wir sehen werden, darin noch Grösseres leistete. Bemerkenswerth ist noch die mit seinen mathematischen Studien wohl zusammenhängende Vorliebe Alcuins für Zahlenmystik, die hier, wie auch sonst bei ihm, sich in recht auffallender Weise zeigt. – Ein gewisses historisches Interesse haben diese Commentare in ihrer Beziehung zu den Personen, denen sie gewidmet sind; dies gilt namentlich auch von dem Commentar zu dem Prediger, welchen Alcuin zunächst für seine Schüler Onias, Candidus und Fredegisus geschrieben hat, um ihnen, »nachdem sie aus dem Neste väterlicher fürsorgender Liebe in die freien Lüfte weltlicher Geschäfte entflogen«, als Handbuch christlicher Moral zu dienen, welches vor der Eitelkeit der Welt sie warnen soll. – Sein bedeutendstes theologisches Werk aber, das diesem Zeitalter auch am meisten imponirte, waren die Karl dem Grossen als Kaiser gewidmeten drei Bücher De fide Trinitatis , womit Alcuin auch von dem Nutzen des Unterrichts, den er Karl in der Dialektik gegeben, die welche daran zweifelten, überzeugen wollte. S. die Widmung, Monum. Alcuin. p. 673: ut convincerem eos, qui minus utile aestimabant, vestram nobilissimam intentionem dialecticae discere velle rationes, quas beatus Augustinus in libris de sancta Trinitate adprime necessarias esse putavit. Die kulturgeschichtliche Bedeutung des 22 Werkes liegt in der That darin, dass dies neue System der Dogmatik, so unvollkommen es war und so wenig originell, da es durchaus auf Augustinischer Grundlage ruhte, zu speculativem Nachdenken wieder aufforderte und die Nothwendigkeit einer philosophischen Vorbildung zeigte.
Unmittelbarer interessiren uns hier zwei philosophisch-moralische Schriften Alcuins, welche auch in den ersten Jahren des neunten Jahrhunderts verfasst sind, und auch auf den Wunsch von Laien. Die eine, De virtutibus et vitiis betitelt, ist für den Grafen der Bretagne, Wido geschrieben, ein Laienbrevier, mit besonderer Rücksicht auf das Amt des Grafen. Nach den Worten der Widmung soll dies Buch Wido überall begleiten, auch auf seinen Kriegszügen, »damit er sich darin betrachte«, alle Zeit »was er zu thun und wovor er sich zu hüten« wisse, um so zum Gipfel der Vollkommenheit zu gelangen, der – was sehr zu beachten – wie Alcuin sagt, auch dem Laien erreichbar sei, da vor Gott kein Unterschied zwischen dem Laien und Kleriker bestehe, vielmehr von ihm ein Jeder nur nach seinem Verdienst belohnt werde. Als Handbuch ist es absichtlich kurz gefasst, und des leichteren Studiums wegen jeder Tugend und jedem Laster ein besonderes Kapitel gewidmet. Trotzdem vermisst man eine vollkommene Ordnung in dem Buche, das uns aber offenbar auch in einem schlechten Zustand überliefert ist. Wie in der Behandlung der Tugenden einzelnes an Lactanz' Institutionen erinnert, so in der der Laster an Prudenz, obgleich im Allgemeinen Alcuin hier Cassian, beziehungsweise Aldhelm S. Bd. I, p. 334 und 539. folgt. Ganz eigenthümlich ist ihm aber die besondere Berücksichtigung des Richterstandes, da ja gerade durch Karl den Grossen die Gerichtsbarkeit vorzugsweise in die Hände der Grafen gelegt war. So werden von dem Richter insbesondere Gerechtigkeit, Mitleiden und Unbestechlichkeit gefordert; auch der Pflichten der Zeugen wird speciell gedacht.
Gleichen praktischen Sinn und Geschick in der Verwerthung der Studien zeigt Alcuin in der andern, kleineren Schrift De ratione animae . Sie ist auf den Wunsch der Gundrad, welcher durch Gespräche, die sie mit Alcuin das Jahr zuvor gehabt, veranlasst war, geschrieben und zwar in der Form eines Briefes. Ep. 243 bei Jaffé. Wie die 23 Wahl dieser Form hier eine passende ist, so zeigt Alcuin auch in dem Inhalt, dass er Frauen für philosophische Betrachtung zu interessiren versteht. Das moralische Moment lässt er die Darstellung beherrschen, in welcher das Verhältniss der Seele zu Gott durchaus den Schwerpunkt bildet. Erst indem er dieses schildert, geht er auf ihr Wesen ein. Zwei Gedichte schliessen sich an die Erörterung an, von welchen das erste in Distichen das Lob der menschlichen Seele singt und dabei die Gedanken der Abhandlung recapitulirt; das zweite fordert die Gundrad zum Preise Gottes in adonischen Versen auf, die zu 6 sechszeiligen Strophen verbunden sind. Die Bedeutung der Sechszahl, die in ihren Theilen vollkommen sei, fügt Alcuin hinzu, möge ihr der Kaiser selbst erklären, der unter so vielen Sorgen des Palastes und der Regierungsgeschäfte die Geheimnisse der Philosophen vollständig zu wissen sich bemühe, wie kaum ein Anderer, der nichts von der Welt zu thun habe. Ruht auch dieses Schriftchen nur auf überlieferten Ansichten, so ist doch die dem Zweck entsprechende Anlage und die leichtverständliche Ausdrucksweise zu rühmen, und beweist wieder recht, wie Alcuin der Mann war, wissenschaftliche Bildung in weiteren Kreisen zu verbreiten.
Von historischen Prosaschriften hat Alcuin nur ein paar Heiligenleben aufzuweisen, von welchen aber zwei blosse stilistische Bearbeitungen sind, das eine von der Vita des h. Richarius, das andere von der des h. Vedastus, jene auf den Wunsch des Angilbert, diese auf den des Rado unternommen, welche beide Aebte von Klöstern waren, die diesen Heiligen gewidmet. Solche Renovationen älterer Vitae werden nun immer mehr Mode, ein Zeugniss fortschreitender ästhetischer Bildung, so wenig geschmackvoll auch noch ihre Ausführung in der Regel ist. – Ein drittes Heiligenleben Alcuins ist Originalwerk: es ist die Vita des h. Willibrord, des Apostels der Friesen und Vorläufers des Bonifatius, welcher der erste Bischof von Utrecht war. Er war ein Northumbrier, aber in Irland gebildet, wohin er sich zu dem Zweck nach dem Beispiel anderer bedeutender Kleriker Englands begeben. – – peregrinationis amore instigatus. Et quia in Hibernia scolasticam eruditionem viguisse audivit etc. c. 4. Zwölf Jahre verweilte er dort. Dann ging er als Missionar nach Friesland 24 (690); da er dort aber damals keine Erfolge erzielte, so begab er sich nach dem Frankenreich. Von Pippin begünstigt, wurde er im J. 695 von Papst Sergius zum Missionsbischof ordinirt, und predigte dann wieder bei den Friesen, den Dänen und selbst auf Helgoland. Nach der Eroberung Frieslands durch Karl Martell erhielt er das Utrechter Bisthum.
Willibrord hatte auch das Kloster Epternach gegründet. Von dem Abte dieses Klosters, Beonrad war Alcuin gebeten worden die Vita, Mores und Miracula des Heiligen zu schreiben, und obgleich der vielbeschäftigte die Zeit dazu Nachts sich abstehlen musste, entsprach er doch der Bitte und im vollsten Masse – wohl um so mehr, als Willibrord sein Verwandter war. Alcuin verfasste nämlich das Heiligenleben in doppelter Gestalt, zuerst in Prosa, dann in Versen, indem das erstere zur öffentlichen Vorlesung in der Kirche vor den Mönchen bestimmt sein sollte, das andere dagegen zur Privatlectüre der Gelehrten unter denselben, und er fügte dem ersteren obendrein noch eine kurze Homilie für das Volk zur Predigt an den Natalitien des Heiligen hinzu. Alcuin gibt selbst diese Bestimmung der drei Arbeiten in der Zuschrift an den Abt Beonrad, der zugleich Erzbischof von Sens war, an. Was nun zunächst die prosaische Vita betrifft, so hat sie natürlich gemäss der ihr gestellten Aufgabe eine erbauliche Tendenz, Alcuin schreibt hier nicht als Historiker; trotzdem kann man mit Recht ihm vorwerfen, mit den geschichtlichen Vorstudien es sich zu bequem gemacht zu haben, zumal bei einem Helden, der kein Heiliger gewöhnlichen Schlags, sondern ein kulturgeschichtlich bedeutender Missionar war. Auch die Anordnung des Stoffes ist keine strenge; zu loben bleibt nur, dass im Gegensatz zu anderen Vitae jener Zeit, namentlich auch der von Alcuin selbst bearbeiteten Vita Richarii , der Stil von Schwulst sich frei hält, wenn er auch einer bildlichen Ausdrucksweise darum nicht ganz entsagt. Dies gilt auch von der metrischen Vita (in Hexametern), die übrigens nichts weiter als eine Versification der prosaischen, selbst unter Beibehaltung von Worten und Redewendungen, ist, aber mit manchen nicht unwesentlichen Auslassungen, wie denn auch darin auf die Prosa zur Ergänzung verwiesen wird. S. Absatz 13, Monum. Alcuin. p. 69. Wie dieser metrischen Vita eine Praefatio 25 in Distichen vorausgeht, so folgt ihr in demselben Versmass ein offenbar viel später hinzugefügter Epilog über den Vater des Heiligen, in welchem zugleich nachträglich die Geburt und Erziehung des Willibrord, auf Grund der ersten Kapitel der Prosa erzählt werden. Die metrische Vita hebt nämlich sogleich mit dem Erscheinen des Heiligen in Francien an, was vom ästhetischen Gesichtspunkt anzuerkennen ist. Dass die Schlussdistichen (was Jaffé und Wattenbach nicht bemerkten) viel später hinzugefügt sind, trotzdem ihrer in dem Widmungsschreiben gedacht wird, zeigen sie selbst, s. v. 3: ut dudum cecini, und v. 49: cuius vita etc, camenis olim fuit praetitulata meis. Die Erwähnung in der Dedication muss also ein späterer Zusatz sein.
Mit diesem Werk sind wir schon auf das Feld der Dichtungen Alcuins übergetreten. Die grösste, bedeutendste und auch wohl die älteste der uns erhaltenen, die wohl noch in York, sicher in jüngeren Jahren von ihm verfasst ist, führte den Titel: De patribus, regibus et sanctis Euboricae , wie ihr Schluss mit Sicherheit zeigt. Haec idcirco cui(sc. Euboricae) propriis de patribus atque Regibus et sanctis ruralia carmina scripsi. v. 1653 f. Daher sind die bisher dem Gedicht gegebenen Titel: De pontificibus et sanctis , oder bloss De sanctis ecclesiae Eboracensis unrichtig. In diesem Falle ist aber der Titel, wie man oben sieht, von besonderer Bedeutung. Mit diesem Titel wird zugleich der Inhalt genauer bezeichnet, sowie der Charakter der Dichtung angedeutet. Er ist kein bloss geistlicher wie in dem versificirten Heiligenleben, das sonst in mancher Beziehung an diese Dichtung erinnert. Wenn auch in ihr Alcuin die Geschichte des Erzbisthums York gibt, so beschränkt er sich doch keineswegs darauf. Nicht ein kirchliches, sondern ein nationales Interesse hat ihn zunächst zu dem Werke getrieben: wie er selbst im Eingang sagt (v. 16 ff.), will er den Ruhm des Vaterlandes und der Vaterstadt verherrlichen. Nun kann ihm freilich dieser Ruhm nur ein christlicher sein. Und so beginnt er denn nach kurzen historischen Vorbemerkungen mit der Christianisirung Northumbriens unter König Edwin, dem ersten Oberherrscher der Angelsachsen, 627 seine Geschichte, und führt sie dann an der Hand der Nachfolger desselben bis auf Aldfrid fort, mit dessen Tod 705, wie Lappenberg sagt Geschichte von England Bd. I, S. 205., der Lichtpunkt der Geschichte Northumbriens zu verbleichen beginnt: erst von hier ab liefert die Reihe der Erzbischöfe, an der Stelle der Könige, 26 den leitenden Faden der Erzählung Dies wird geradezu von dem Dichter gesagt v. 1078: seriemque relinquere regum., die auch nun erst von weltlichen Dingen absieht. In dem vorausgehenden Theile dagegen werden zwar auch vorzugsweise die für die christliche Kirche wichtigen Ereignisse erzählt, aber der Dichter beschränkt sich doch nicht darauf, so wenig wie Beda in seiner Kirchengeschichte, die ihm hier durchaus den Stoff liefert; und selbst unter jenen Ereignissen treten die Kriege mit den heidnischen Königen des Landes ganz in den Vordergrund, und sie gerade bieten Alcuin die Gelegenheit zu den ausführlichsten und lebendigsten poetischen Schilderungen. Alcuin führt aber seine Erzählung bis zum Tode seines Lehrers, des Erzbischofs Aelbert, dem er einen rührenden Nachruf widmet: nur erzählt er noch, und zwar, wie er anzeigt (v. 1596 f.), anhangsweise, ein später erfolgtes Mirakel, die Vision eines seiner eigenen Schüler, die er nicht gern der Nachwelt vorenthalten wollte. In diesem zweiten Theile seiner Dichtung konnte Alcuin nur im Anfang noch Beda's Werk benutzen, das ja mit dem Jahre 731 abschliesst, und so erzählt er denn hier hauptsächlich auf Grund mündlicher Tradition und namentlich eigener Erfahrung. So wird in diesem Theile sein Werk zu einer vornehmlich in kulturgeschichtlicher Beziehung wichtigen Quelle. Hier lernen wir den Stand der Schule von York sowie selbst den Umfang ihrer Bibliothek (v. 1535 ff.) kennen, hier wird uns die in der Lebensskizze von uns verwerthete Auskunft über die Ausbildung Alcuins und über seine Lehrer gegeben.
Aber die in 1657 Hexametern verfasste Dichtung zieht auch formell an: sie ist mit einer gewissen jugendlichen Frische und Lebendigkeit geschrieben und hält sich von unnützer Weitschweifigkeit im Ganzen frei; der Schüler Virgils gibt sich in manchen Reminiscenzen kund, aber auch in dem trotz einzelner prosodischer Fehler wohl gebauten Verse, sowie nicht minder in einigen kräftig gezeichneten historischen Porträts und in den mit Lust und Liebe ausgemalten Kampfbildern. Die Freude an diesen ist ein ächt nationaler Charakterzug der Angelsachsen und ihrer Dichtung, wie wir später sehen werden. – Von christlich-lateinischen Dichtern aber ist der begabteste, Prudentius nicht ohne Einfluss gewesen. S. z. B. v. 158 ff.
27 Die bisher verkannte literaturgeschichtliche Bedeutung dieses Gedichtes »von den Königen und den Bischöfen von York« liegt eben darin, dass es bereits die Dichtung auf das weltliche Gebiet hinüberführt, dass es wie der erste Vorläufer jener dem Epos so nahe verwandten Reimchronik des späteren Mittelalters erscheint, die ja auch zuweilen die kirchlichen Verhältnisse in den Vordergrund treten lässt.
Noch ein grösseres Gedicht hat Alcuin verfasst, eine Elegie von 120 Distichen: De clade Lindisfarnensis monasterii . Der herkömmliche weitläufige Titel: De rerum humanarum vicissitudine et clade Lindisf. monasterii stammt von Froben. In den Handschr. ist das Gedicht ohne Ueberschrift. Vgl. Dümmler, N. Arch. S. 121. Es ist ein Gelegenheitsgedicht, zum Troste der Mönche des berühmten Klosters von Northumbrien verfasst, mit welchen Alcuin schon länger bekannt war und mit deren Abt und Bischof, Higbald er auch in Frankreich in Correspondenz blieb. Dies Kloster sammt der Kirche des h. Cuthbert wurde im Juni 793 von den Dänen verwüstet, wobei auch Mönche getödtet wurden. Da der Ort, wie Alcuin sagt Ep. 22 (p. 181)., ehrwürdiger als irgend einer in Britannien, so machte das Ereigniss das grösste Aufsehen, es erschien als ein Gericht Gottes, wenigstens unserm Autor, der davon Anlass nahm, an den König von Northumbrien und die Grossen seines Reichs zwei Sendschreiben (ep. 22 u. 23) zu richten, worin er sie zur Frömmigkeit und guten Regierung ermahnt. Aus demselben Grunde schrieb er auch an Higbald und seine Mönche zwei mit Ermahnungen verbundene Trostbriefe (ep. 24 u. 25). Diesen liess er hernach die Elegie folgen, in welcher sich einzelne in den beiden Episteln ausgesprochene Gedanken und angeführte Beispiele wiederfinden. Der Dichter führt in ihr zunächst aus, wie seit dem Sündenfall auf der Welt nichts beständiges sei, und also kein beständiges Glück, vielmehr ein steter Wechsel, wie in der Natur, so im Menschenleben, und wie namentlich das Grosse nicht selten von plötzlichem Unfall betroffen werde: nachdem hier der Dichter des Untergangs grosser Reiche in der Vergangenheit gedacht, verweist er für die Gegenwart auf die Herrschaft der Ungläubigen im Morgenland und in Spanien. Daher ist statt der irdischen die himmlische Heimath zu lieben, die Christus den geprüften 28 Gerechten aufbewahrt. Der Dichter ruft dann noch den Mönchen die Kraft des Gebets in Erinnerung, die sich nicht bloss den jüdischen Patriarchen, sondern auch ihren eigenen Bischöfen, wie durch Beispiele gelehrt wird, bewährte. Der Schluss ist an Higbald selbst gerichtet. – Bis auf wenige Stellen entbehrt diese Elegie des Schwungs und poetischen Reizes, wohl um so eher, als Alcuin auf eine Schilderung der Zerstörung des Klosters in einem an die Augenzeugen selbst gerichteten Gedicht verzichten musste.
Wie dies Gedicht durch einen äussern Anlass hervorgerufen ist, so sind auch die meisten übrigen Gedichte des Alcuin mehr oder weniger reine Gelegenheitspoesie, theils Epigramme, theils Episteln, in Distichen oder Hexametern. Alcuin schliesst sich hierin ganz an Fortunat an, der auch vorzüglich diese Dichtungsarten kultivirte.
Die Epigramme sind einmal und vornehmlich wirkliche Inschriften, Inscriptiones , so auf Codices, namentlich die Bibel, wie er ja auch solche den eigenen Werken vorausgehen oder folgen lässt (wie der Grammatik, Rhetorik u. s. w.), sie können sich selbst zu längeren Inhaltsangaben erweitern S. Opp. T. II, p. 203 ff. Von einzelnen dieser Inscriptiones erscheint allerdings Alcuins Autorschaft nicht genügend beglaubigt.; ferner auf Kirchen, Oratorien, Altäre, Kirchthüren, Gräber So auch eine ungedruckte Grabschrift auf Aelbert. S. Dümmler, N. Arch. S. 120., also auch Epitaphien. Solche Inschriften hat Alcuin namentlich auf Bitten Anderer gemacht (wie uns auch seine Briefe zeigen, so ep. 224), z. B. für die durch den ihm befreundeten Abt Rado restaurirte Klosterkirche des h. Vedastus, oder für die von St. Amand, von welchem Kloster sein innigster Freund Arno Abt war und in dessen Nähe Alcuin selbst ein Gut besass; so im Namen Karls des Grossen das noch als Inschrift erhaltene Epitaphium Papst Hadrians. Auch finden sich unter seinen Gedichten Inschriften für verschiedene Klosterlocalitäten – von welchen freilich keineswegs überall die Authentie gesichert erscheint – so für das Schulzimmer, die Bibliothek, in welcher auch die Bücherabschreiber arbeiteten, denen das Epigramm (c. 67) Sorgfalt, namentlich auch in Betreff der Interpunction einschärft, die ja erst durch Alcuins Bemühung damals wieder 29 eingeführt wurde. S. oben S. 9, Anm. 1. Einige dieser Inscriptiones sind nicht ohne Esprit und von leichter ansprechender Darstellung, die meisten dagegen blosse Fabrikarbeit.
Der andern Epigramme sind wenige, von welchen ein witziges auf die kleine Hausthür des kleinen Einhard hervorzuheben ist S. Jaffé, Monum. Carolina p. 492.; von ihnen bilden einzelne den Uebergang zu der Epistelpoesie, die nicht allein durch längere Gedichte, sondern auch durch kurze, Billets in Versen gleichsam, vertreten ist (z. B. c. 227 von 5 Distichen), ähnlich wie bei Fortunat S. Bd. I, S. 503., ja Alcuin pflegte nicht selten mit einem oder mehreren Distichen auch seine prosaischen Briefe zu schliessen, indem er in Versen Lebewohl sagt. Aber es finden sich jenen auch ganze Gedichte angehängt, so dass der prosaischen eine poetische Epistel angeschlossen ist, oder jene in diese ausläuft (s. z. B. ep. 248). Und dies wird auch von manchen in der Sammlung der Carmina enthaltenen zu gelten haben, bei denen die Prosabriefe, als deren Annex sie verfasst oder wenigstens abgesandt waren, verloren gegangen sind. Diese poetischen Episteln sind zum Theil von nicht geringem historischen Werth, schon durch die Bedeutung der Adressaten. So sind vor allem eine ganze Anzahl und darunter die interessantesten an den »süssen geliebten David, die Liebe des Flaccus« gerichtet. In der einen (c. 228) erkundigt sich Alcuin bei Karl nach der Hofschule, indem er scherzend das gelehrte Treiben in der Pfalz überhaupt schildert, so wird hier auch der Schüler des Hippokrates wie der Ausbildung der Priester gedacht, über den kleinen Schreiblehrer Zachaeus gespottet, und der astronomischen Studien einer Schülerin (wohl Gisela) Diese möchte man im Hinblick auf das Epigramm c. 256 (v. 5) vermuthen. erwähnt, aber auch des eifrigen Dienstes des Oberküchenmeisters wie des Mundschenks nicht vergessen. In einer andern Epistel (c. 230) bittet der Dichter den König ihn gegen unliebsame Kritiken in Schutz zu nehmen. Die wichtigste aber ist zugleich die längste, von 43 Distichen (c. 232), welche, an Karl bei seinem Römerzuge im J. 800 gerichtet, wie in der Vorahnung des grossen Ereignisses der Wiederherstellung des 30 abendländischen Kaiserthums durch Karl, geschrieben ist. Wird er hier auch noch König betitelt, so ist doch von seiner Herrschaft bereits als wie von einer Weltherrschaft die Rede. Auch den Worten nach: Talia compescat tua, Rex! veneranda potestas; Rectorem regni te Deus instituit. – Hier kann regni nur im Sinne von Weltreich genommen werden. Siehe auch die zunächst folgenden Verse. Alcuin fordert ihn auf, Rom, dem Haupte der Welt, den inneren Frieden zu geben, und die Schäden der ›Welt‹ zu verbessern. Als Rector ecclesiae soll er namentlich die Simonie abstellen. – Weit unbedeutender sind dagegen die an Papst Leo gerichteten Episteln, die nur Glückwünsche sagen oder Trost spenden. Auch an Mitglieder der Familie Karls wie an Freunde und Schüler, als Angilbert, Arno, Candidus (gelegentlich seiner Abreise nach Rom), Paulin von Aquileja, Benedict von Aniane, und selbst an ferner Stehende sind solche Gedichte geschrieben – darunter auch ein scherzhaftes, in räthselhaftem Ausdruck spielendes an Beonrad, den Alcuin vertraulich Samuel nennt. S. bei Hagen, Carmina medii aevi. Bern 1877, No. 77, p. 128.
Hervorzuheben sind noch zwei Episteln. Die eine ist von England aus, als Alcuin dorthin 790 zurückgekehrt war, an seine Freunde auf dem Continent, namentlich in der Rheingegend und an dem Hof, der sich damals ebendort befand, gerichtet, indem dem Brief der Weg, den er zu nehmen hat, vorgezeichnet und die Grüsse und Aufträge, die er an die Freunde einzeln ausrichten soll, mitgetheilt werden – ein anmuthiges mit Humor und gutmüthiger Satire ausgestattetes Gedicht. Opp. H, p. 449. Auch kulturgeschichtlich ist das Gedicht mehrfach interessant. Die andere Epistel (c. 260) ist an die Yorkischen ›Brüder‹, seine alten Schüler gesandt. Mit einer Schilderung des Frühjahrs beginnend fordert sie dieselben auf, ›das Plectrum des Maro‹ zu ergreifen, aber geistliche Lieder zu singen, und damit den alten Lehrer zu beschenken, der jetzt den König Karl unterrichte. Eine Ermahnung an die Jugend, durch die Studien vor dem Bacchus und dem cretensischen Knaben sich zu schützen, schliesst sich daran.
An die zuletzt erwähnte Epistel erinnert etwas eine Elegie von halb bukolischem Charakter, die offenbar im Anschluss 31 an einen prosaischen Brief abgesandt wurde Es ist der an Dodo gerichtete Brief Alcuins (ep. 286); dieser Brief erklärt nämlich erst Einzelheiten des Gedichts, die ohne das unverständlich sind; so im zweiten Vers: Quem subito rapuit saeva noverca suis; diese noverca wird allein durch den folgenden Satz des Briefes, im Eingang desselben, verständlich: Inmitiorque noverca tam tenerum de paterno gremio per libidinum vortices caro rapuit. Der Brief ist übrigens ein ernsthaftes Vermahnungsschreiben Alcuins.: es ist c. 277 De Cuculo . In diesem Gedicht fordert Alcuin in scherzender Weise einen seiner Schüler, Daphnis (an den ep. 259 gerichtet), sowie Menalcas – den ästhetisirenden Oberküchenmeister der Pfalz – auf, zugleich mit ihm selbst den Kuckuk zu beklagen, einen jungen Sänger, der nur kurze Zeit ein Schüler Alcuins gewesen, jetzt von ihm entfernt, in den Wellen des Bacchus unterzugehen drohe. Der Frühling sei da, der Kuckuk solle aus seinem Schlafe erwachen und zurückkehren, um mit ihnen selbst seine Unfälle zu beklagen! Dieser junge, allzu lebensfrohe Poet des Alcuinschen Kreises hiess Dodo. S. über ihn Sickel, Alcuinstudien I, a. a. O. S. 525 f., und vgl. weiter unten die Anm. zu dem Gedicht › Conflictus veris et hiemis.‹ Von ähnlicher Tendenz und bukolischer Färbung ist eine andere Elegie (c. 263), auch an einen Schüler gerichtet, der ein tüchtiger Gelehrter und vortrefflicher Dichter geworden war, dessen Zunge jetzt aber schläft, wie er selbst vom Bacchus eingeschläfert. Er hat sich in dem guten Leben der Pfalz verloren, und des Albinus wie seiner selbst vergessen. Alcuin nennt ihn in dem Gedicht Corydon: es ist wahrscheinlich der weiter unten betrachtete Eklogendichter Naso. S. meinen Aufsatz: Naso, Angilbert etc. in der Zeitschr. für deutsch. Alterth. N. F. X, S. 329.
Noch findet sich unter den Poesien Alcuins im elegischen Versmass ein Gedicht auf die Nachtigall (c. 276), welche den Schöpfer mit ihrem süssen Lied besingend, den Menschen ein Vorbild sein soll.
Auch in andern Dichtungsarten und Formen hat sich Alcuin versucht, wenn uns auch davon nur wenige Gedichte erhalten sind. Dies gilt namentlich von der Lyrik, welche er sogar, möchte man annehmen, mit besonderer Vorliebe gepflegt haben muss, denn dieser verdankt er doch wohl seinen akademischen Namen; auch wissen wir, dass unter musikalischer 32 Begleitung seine Carmina bei Hofe gesungen wurden. Theodulf, Carmina l. III, c. 3. Wir haben indess nur eine geistliche sapphische Ode (c. 1) – ein Abendgebet – und ein zierliches Gedicht in adonischen Versen (c. 264) unter seinem Namen. – Ferner sind zu erwähnen ein paar Acrosticha, die zugleich Bildergedichte sind, indem auch hierin wieder Alcuin an Fortunat erinnert S. Bd. I. S. 511.; das eine auf das Kreuz Christi – was im Hinblick auf Alcuins Schüler, Raban, wie wir sehen werden, besonders bemerkenswerth ist – das andere auf Karl den Grossen als Kaiser, wie er denn hier Flavius Anicius Carlus genannt wird. Beide Acrosticha zuerst publicirt von Hagen a. a. O. S. 115 u. 123, und vgl. S. 215 u. 220.
Auch einige Räthsel in Hexametern, namentlich Logogriphen, haben sich erhalten (c. 273 ff.), sowie eine Fabel vom Hahn und Wolf mit christlicher Anwendung (c. 278).
Noch eines besonderen, und zwar ebenso wichtigen als anziehenden Theils der Werke Alcuins ist zu gedenken, der von Haus aus, der Tendenz der Abfassung nach, nicht als literarisches Product zu betrachten ist und daher hier erst, anhangsweise, behandelt wird: ich meine seine Briefe, von denen die meisten doch einen rein privaten Charakter haben, andere allerdings schon sogleich mehr oder weniger für weitere Kreise bestimmt waren. (Die bloss in Briefform edirten Abhandlungen rechne ich gar nicht hierher). Indem aber schon frühe Sammlungen von ihnen veranstaltet wurden, und zwar auch, obschon keineswegs ausschliesslich, zu dem Zweck als Muster des Briefstils zu dienen, so treten diese Briefe damit auch schon im Ganzen sehr bald in den Kreis der Literatur ein. Alcuin führte, wie früher bemerkt, eine ausgedehnte Correspondenz, auch darin den späteren Humanisten gleichend: und obwohl eine grosse Anzahl seiner Briefe verloren gegangen ist S. Sickel, Alcuinstudien I, a. a. O. S. 466., so haben sich doch gegen 300 erhalten, die fast alle aus der Zeit seines Aufenthaltes im Frankenreiche stammen; die meisten sind aber in Tours geschrieben. Die grosse Bedeutung dieses Mannes, wie er die fortschreitende Bewegung der Kultur überall anregt, oder beeinflusst, tritt uns aus dieser Briefsammlung am 33 lebhaftesten entgegen, und man sieht wie dieser Einfluss auf das ganze Abendland sich erstreckt, wie denn seine Correspondenz nicht bloss bis an die äussersten Grenzen des Frankenreiches, sondern noch darüber hinaus geht. Seine Rathschläge und Ermahnungen sind an Könige wie an den Papst, an Bischöfe und Mönche wie an Hof- und Staatsbeamte, an Freunde wie an Fremde gerichtet. Sie betreffen bald kirchliche und geistliche, bald selbst politische Angelegenheiten, bald wissenschaftliche Fragen der verschiedensten Art, wie auch das Schulwesen; oder es sind die Briefe an die nächsten Freunde gerichtet, rein vertraulicher Natur, um den mündlichen Verkehr zu ersetzen, oder es spricht auch in ihnen zu den Schülern der sittlich bessernde Mentor.
In der Menge dieser Briefe, die kulturgeschichtlich fast alle, wenn auch die einen mehr, die andern weniger, von Werth sind, lassen sich schon bei flüchtigem Ueberblick drei Hauptgruppen leicht unterscheiden. Eine solche bildet einmal die nicht geringe Zahl der in die Heimath England gesandten, sie gehören vorzugsweise zu den älteren der Sammlung, indem sie meist aus der Zeit stammen, wo Alcuin noch am Hofe Karls weilte. Sie haben angelsächsische Interessen zum Gegenstand, und zeigen die warme Heimaths- und Vaterlandsliebe, die Alcuin sich bewahrte, sowie andrerseits das hohe Ansehen, das er bei seinen Landsleuten hatte. Er spielt in diesen Briefen mitunter die Rolle des Gildas, den er selbst auch ein paar Mal citirt S. Ep. 28 (p. 206), und Ep. 86 (p. 371) wo er schreibt: Discite Gyldum Brittonem sapientissimum; et videte, ex quibus causis parentes Brittonum perdiderunt regnum et patriam; et considerate vosmet ipsos, et in vobis pene similia invenietis., indem er die Fürsten und Grossen zur Eintracht den feindlichen Dänen gegenüber, und sie sowohl als den Klerus zu einem tugendhaften Leben und sittlicher Erziehung des Volks ermahnt, um ein Strafgericht Gottes abzuwenden, wie dies der Kelte Gildas einst bei seinen von den Angelsachsen bedrängten Landsleuten, freilich erfolglos, gethan. Namentlich eifert Alcuin wiederholt in diesen Briefen gegen das angestammte Laster der Trunksucht, aber auch gegen andere Fehler, wie den Kleiderluxus des angelsächsischen Klerus S. z. B. Ep. 34 (p. 251)., ein Fehler, 34 von dem er sich selbst, wie es scheint, auch nicht ganz frei zu erhalten wusste. Ep. 189 (p. 668). Hervorgehoben werde hier noch ein Glückwunschschreiben (Ep. 72) an den eben inthronisirten Erzbischof von York Eanbald II., einen Schüler Alcuins, worin er demselben ein ganzes Programm seiner neuen Amtspflichten entwirft und dabei auch die Pflege der Schule besonders ans Herz legt, ihm den Beistand seines Rathes zusichernd. Einzelne dieser Briefe zeigen uns Alcuin auch als diplomatischen Vermitteler zwischen seiner alten und seiner neuen Heimath.
Eine andre, noch wichtigere Briefgruppe bildet die Correspondenz mit Karl dem Grossen, aus welcher wir am besten das innige vertrauliche Verhältniss beider Männer kennen 1ernen, wie namentlich Alcuin mit wahrer Liebe an seinem grossen Schüler hängt, dessen Wissenseifer, dessen umfassende Bildung er immer von neuem bewundert, ohne zum Schmeichler zu werden, wenn er sich auch in höfischen Formen ausdrückt. Er hat nicht Unrecht, wenn er Karl rühmt, dass er durch Belohnungen und Ehren zur Pflege der Wissenschaft anfeuere und zu diesem Zweck ihre Freunde aus den verschiedensten Theilen der Welt um sich versammele (Ep. 170), wenn er ihn wegen seines Strebens, das Volk zu bessern und zu heben und das Christenthum auszubreiten, preist (Ep. 78), oder ihm das Lob des Satzes zollt: sapienter interrogare docere est (Ep. 241). Vornehmlich ist die Correspondenz mit Karl wissenschaftlicher Natur, sie setzt gewissermassen den mündlichen Unterricht Alcuins fort, nachdem er den Hof verlassen. Karl richtet Fragen aus den verschiedensten Wissenschaften, namentlich aber aus der Astronomie, an Alcuin und zwar über solche Punkte hauptsächlich, worüber seine gelehrte Umgebung ihm nicht befriedigende Auskunft gab oder anderer Ansicht als sein alter Lehrer war. Dieser bildet gleichsam die höchste gelehrte Instanz für Karl, auch wenn Andere an ihn oder seine Hofschule gelehrte Fragen stellten (s. z. B. Ep. 239). Aber Alcuin behandelt auch wichtige kirchlich-politische Angelegenheiten in seinen Briefen an den König, wie die Art der Bekehrung der überwundenen Avaren, die Lage des Papstes Leo, das neue Kaiserthum.
Eine dritte Hauptgruppe bilden die Briefe an den Erzbischof Arno von Salzburg, den innigsten Freund Alcuins, einst 35 seinen Schüler. Es sind zwischen 30 und 40 uns erhalten, alle bis auf einen aus der letzten Lebenszeit Alcuins vom Jahre 796–804. Diese Briefe sind die vertraulichsten. Hier gibt öfters Alcuin seiner Zärtlichkeit für diesen Busenfreund einen biblisch schwungvollen, selbst schwülstigen Ausdruck, der recht zeigt, wie viel seinem Herzen eine solche brüderliche Freundschaft war (s. namentlich Ep. 134) Dieser Brief beginnt: Aquilae inter omnes Alpine celsitudinis aves carissimo Albinus salutem. O si mihi translatio Abacuc esset concessa ad te: quam tenacibus tua colla strinxissem, o dulcissime fili, amplexibus; nec me longitudo aestivi diei fessum efficeret, quin minus premerem pectus pectore, os ori adiungerem, donec singulos corporis artus dulcissimis oscularer salutationibus.. Er steht in diesen Briefen Arno als treuer Berather bei allen wichtigen Angelegenheiten zur Seite, so bei seinem bischöflichen Missionarberuf, so als Vorstand des Klosters, wie bei dogmatischen und liturgischen Fragen, auf welche Alcuins Antworten selbst zu kleinen Abhandlungen anwachsen; er unterstützt ihn mit Büchern, er wechselt mit ihm Geschenke, trotz der grossen Entfernung. Arno war zugleich der Vermittler des freundschaftlichen Verkehrs Alcuins mit dem noch entfernteren Paulin von Aquileja. – Neben diesen drei Hauptgruppen der Briefe finden sich noch kleinere, sowie einzelne Briefe, denn die Zahl der Adressaten ist keine geringe. Im allgemeinen sind die Briefe Alcuins gut geschrieben, insofern der Ausdruck klar und natürlich ist, von Schwulst und Prätension sich freihält, am besten stilisirt sind wie bei den poetischen Episteln die an Karl gerichteten. Man sieht da, wie Alcuin schreiben konnte, wenn er sich Mühe gab.
Hat auch Alcuin durch seinen persönlichen Einfluss, welchen gerade seine Briefe vor allem bezeugen, zu dem neuen Aufschwung, welchen die Weltliteratur nahm, noch mehr beigetragen als durch seine literarischen Leistungen, so haben doch auch diese denselben nicht wenig gefördert oder in seiner ferneren Entwickelung bestimmt. Alcuin hat nicht bloss, wie bemerkt, durch seine philosophischen und dogmatischen Arbeiten angeregt und in seinen Bibelcommentaren ein Muster für die Folgezeit geliefert, das seine Einflüsse selbst auf die Nationalliteraturen erstreckt, sondern er hat auch durch seine Dichtung, und hier noch bedeutender eingewirkt, trotzdem er kein 36 poetischer Genius war, denn er hat in seiner epistolographischen und epigrammatischen Gelegenheitspoesie, wie in seinen bukolischen Elegien, und zum Theil auch in seinem vaterländischen epischen Gedichte Beispiele einer rein weltlichen Dichtung gegeben, welche auf die lateinischen Klassiker, namentlich Virgil und daneben Ovid, als ihre Vorbilder unmittelbar hinwies.