Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Arm und Kopf

Das Mahl ging schweigsam, doch nicht traurig vorüber. »Nun?« sprach d'Artagnan nach einem kurzen Weilchen. »Nun?« wiederholte Porthos. »Ihr habt also gesagt, lieber Freund . . .« »Ich? ich habe nichts gesagt.« »Doch, Ihr sagtet ja, daß Ihr Lust hättet, von hier wegzugehen.« »O ja! in dieser Hinsicht fehlt es mir nicht an Lust.« »Ihr habt auch noch beigefügt, daß es sich, um hier wegzukommen, nur darum handelt, eine Eisenstange wegzureißen oder eine Tür einzubrechen.« »Das ist wahr, ich sagte das, und wiederhole es sogar.« »Und ich, Porthos, ich gab Euch zur Antwort: ›Das wäre ein schlechtes Mittel, und wir würden nicht hundert Schritte weit kommen, ohne wieder gefangen und niedergehauen zu werden, ausgenommen wir hätten Kleider, um uns zu vermummen, und Waffen, um uns zu verteidigen‹.« »Das ist wahr, wir hätten Kleider und Waffen nötig.« »Nun, wir haben sie, Freund Porthos, und sogar noch etwas besseres,« entgegnete d'Artagnan und stand auf. »Bah,« versetzte Porthos und blickte um sich. »Sucht nicht, es ist umsonst, das alles wird zu rechter Zeit zu uns kommen. Um welche Stunde sahen wir gestern die zwei Schweizergarden auf- und abschreiten?« »Ich glaube eine Stunde vor Anfang der Nacht.« »Wenn sie heute aufziehen wie gestern, brauchen wir also keine Viertelstunde mehr auf sie zu warten.« »Wir werden wirklich noch eine Viertelstunde zu warten haben.« »Nicht wahr, Porthos, Ihr habt noch immer einen wackeren Arm? So zwar, daß Ihr ohne allzugroße Anstrengung einen Reif aus dieser Zange und einen Pfropfzieher aus dieser Glutschaufel machen könntet?« »Allerdings.« antwortete Porthos. »Laßt sehen.« sprach d'Artagnan. Der Riese ergriff die zwei erwähnten Gegenstände und bewerkstelligte mit aller Leichtigkeit ohne alle ersichtliche Anstrengung die beiden Verwandlungen, welche sein Freund gewünscht hatte. »Hier.« sagte er. »Herrlich.« rief d'Artagnan; »in der Tat. Porthos, Ihr seid tüchtig.« »Nun denn, Freund, geht an das Fenster, und gebraucht Eure Kraft, um eine Stange wegzubrechen. Halt, bis ich die Lampe verlösche.«

Porthos näherte sich dem Fenster, faßte eine Stange mit beiden Händen an, klammerte sich daran, und krümmte sie bogenförmig, wonach die zwei Enden aus den Fugen des Gesteins hervortraten, worin sie seit dreißig Jahren eingekittet waren. »Ha doch mein Freund!« rief d'Artagnan, »wie sehr auch der Kardinal ein Mann von Geist ist, so hätte er das doch nie zu tun vermocht.« »Soll ich noch einige wegreißen?« fragte Porthos. »Nicht doch, diese wird genügen, da jetzt ein Mann hindurch kann.« Porthos versuchte es, und streckte seinen Leib hinaus. »Ha,« sprach er. »Das ist wirklich eine recht hübsche Oeffnung. Nun streckt Euren Arm hinaus.« »Wo?« »Durch die Oeffnung.« »Warum?« »Das werdet Ihr sogleich erfahren, steckt ihn nur hinaus.« »Ich möchte aber nur begreifen,« sprach Porthos. »Hört, lieber Freund, Ihr werdet mit zwei Worten vollkommen unterwiesen sein. Die Türe des Postens geht auf, wie Ihr seht.« »Ja, das sehe ich.« »Man wird die zwei Garden, welche Herrn von Mazarin begleiten, in unsern Hof schicken, über welchen derselbe nach seiner Orangerie geht.« »Sie kommen dort heraus.« »Wenn sie nur die Türe des Postens wieder verschließen; wohl, sie tun es.« »Nun?« »Still, sie könnten uns hören.« »So werde ich nichts erfahren.« »Doch, denn nach Maßgabe, als Ihr handelt, werdet Ihr auch begreifen.« »Mir wäre indes lieber gewesen . . .« »Ihr werdet die Freude der Ueberraschung haben.« »Halt, das ist wahr!« rief Porthos. »Stille!« Porthos blieb stumm und unbeweglich.

Die zwei Soldaten näherten sich wirklich der Seite des Fensters. In diesem Momente ging die Türe der Wachtstube wieder auf, und man rief einen der Soldaten zurück. Der Soldat verließ seinen Kameraden und ging wieder in die Wachstube. »Es geht also immer noch?« fragte Porthos. »Besser als je,« entgegnete d'Artagnan. »Nun hört: Ich will diesen Soldaten herbeirufen, und mit ihm plaudern, so wie ich es gestern mit einem seiner Kameraden getan. Erinnert Ihr Euch noch?« »Ja, doch verstand ich kein Wort von dem, was er sagte.« »Er hatte wirklich einen scharfen Akzent. Verliert aber kein Wort von dem, was ich Euch sagen werde, Porthos, denn alles kommt auf die Ausführung an.« »Gut, die Ausführung ist meine starke Seite.« »Das weiß ich, bei Gott! recht gut, darum zähle ich auch auf Euch.« »Redet.« »Ich will also den Soldaten herbeirufen und mit ihm plaudern.« »Das habt Ihr schon gesagt.« »Ich werde mich links wenden, so daß er Euch in dem Augenblicke, wo er auf die Bank steigt, zur Rechten kommen wird.« »Wenn er aber nicht hinaufsteigt?« »Er wird hinaufsteigen, da seid ruhig. In dem Momente nun, wo er auf die Bank steigt, streckt Ihr Euren furchtbaren Arm aus und packt ihn am Kragen. Während Ihr ihn dann aufhebt, wie Tobias den Fisch bei den Kiefern emporhob, zieht Ihr ihn herein in unser Zimmer und sorgt dafür, ihn ja fest genug zu drücken, um ihm das Schreien zu verleiden.« »Ja,« versetzte Porthos. »wenn ich ihn aber erwürge?« »So wäre das fürs Erste nur ein Schweizer weniger; allein ich hoffe, Ihr werdet ihn nicht erwürgen, sondern ganz sanft hier niederstellen, wo wir ihn knebeln und irgendwo anbinden wollen. Dann werden wir zu seiner Uniform und zu seinem Schwerte kommen.« »Vortrefflich!« rief Porthos, indem er d'Artagnan mit der größten Bewunderung anstarrte »Hm,« sagte der Gascogner. »Ja,« fuhr Porthos fort, da er sich eines bessern besann, »doch Eine Uniform und Ein Schwert sind für Zwei nicht genug.« »Nun, hat er denn nicht seinen Kameraden?« »Richtig,« erwiderte Porthos. »Wenn ich also husten werde, so ist es Zeit, daß Ihr den Arm ausstreckt.« »Gut.«

Die zwei Freunde stellten sich jeder auf den bezeichneten Posten, und wie sie standen, war Porthos ganz in der Ecke des Fensters verborgen. »Guten Abend, Kamerad!« rief d'Artagnan mit seiner sanftesten Stimme und im freundlichsten Tone. »Guten Abend, mein Herr,« erwiderte der Soldat. »Es ist eben nicht warm zum Spazierengehen,« bemerkte d'Artagnan. »Brrrrroun,« machte der Soldat. »Ich denke, ein Glas Wein wäre Euch eben nicht unangenehm?« »Ein Glas Wein, o, das wäre mir willkommen.« »Der Fisch beißt an, der Fisch beißt an,« flüsterte d'Artagnan Porthos zu. »Ich begreife,« entgegnete Porthos. »Ich habe hier eine Flasche,« sagte d'Artagnan. »Eine Flasche?« »Ja.« »Eine volle Flasche?« »Ganz voll, und sie ist Euer, wenn Ihr sie auf meine Gesundheit leeren wollt.« »O, mit Vergnügen!« entgegnete der Soldat und trat näher. »Kommt und holt sie also, mein Freund,« sprach der Gascogner. »Recht gern; ich glaube, es ist eine Bank hier.« »Mein Gott, ja man sollte meinen, sie sei eigens dazu angebracht worden. Steigt hinauf . . . da, gut, so ists recht, mein Freund.« D'Artagnan hustete. In diesem Momente sank Porthos Arm nieder, seine stählerne Faust packte rasch wie der Blitz und fest wie eine Zange den Soldaten am Kragen, hob ihn mit der Gefahr, ihn zu schinden, durch die Öffnung an sich und legte ihn auf den Boden, wo ihm d'Artagnan nur so viel Zeit ließ, um wieder Atem zu holen, ihn sodann mit der Schärpe knebelte und hierauf mit der Schnelligkeit und Gewandtheit eines Mannes auszukleiden anfing, der sein Handwerk auf dem Schlachtfelde erlernt hat. Sonach trug man den geknebelten und gefesselten Soldaten an den Kamin, worin unsere Freunde das Feuer im voraus ausgelöscht hatten. »Da haben wir nun ein Schwert und einen Rock,« sprach Porthos. »Diese nehme ich,« versetzte d'Artagnan; »wollt Ihr einen andern Rock und ein anderes Schwert, so müsset Ihr Euer Kunststück wiederholen. Habt acht, ich sehe eben den zweiten Soldaten aus der Wachstube treten und sich nach unserer Seite wenden.« »Ich halte es für unklug,« äußerte Porthos, »dasselbe Manöver wieder anzufangen, denn dasselbe Mittel, sagt man, gelingt nicht zweimal. Wenn ich ihn verfehle, wäre alles verloren. Ich will hinaussteigen, und ihn in dem Momente packen, wo er es gar nicht ahnt, und ihn Euch ganz geknebelt heraufschieben.« »Das ist besser,« entgegnete der Gascogner. »Macht Euch also bereit,« sprach Porthos und ließ sich durch die Öffnung gleiten. Die Sache wurde so bewerkstelligt, wie es Porthos angegeben hatte. Der Riese verbarg sich auf seinem Wege, und als der Soldat an ihm vorüberkam, packte er ihn am Kragen, knebelte und schob ihn wie eine Mumie durch die ausgebrochenen Fensterstangen, durch die er hinter ihm einstieg. Man entkleidete den zweiten Soldaten, wie man es mit dem ersten getan, legte ihn auf ein Bett, befestigte ihn mit den Gurten, und da das Bettgestell von dickem Eichenholz und die Gurte doppelt waren, so war man über diesen ebenso wie über den andern beruhigt. »Nun,« sprach d'Artagnan, »das geht ja vortrefflich. Versucht jetzt den Rock dieses Schlingels da, Porthos. Ich zweifle, daß er Euch passen wird; ist er Euch aber zu eng, so beängstigt Euch nicht. Das Wehrgehäng wird Euch genügen und vornehmlich der Hut mit den roten Federn.« Der zweite Soldat war zufällig ein riesenhafter Schweizer, so daß mit Ausnahme einiger Stiche, welche in den Nähten krachten, alles aufs beste an den Leib paßte. Ein Weilchen hindurch hörte man nichts als das Rauschen von Tuch, da Porthos und d'Artagnan sich eilfertig anzogen. »Das ist nun geschehen,« sprachen beide zugleich. »Was Euch betrifft, Kameraden,« fuhren sie fort, indem sie sich zu den zwei Soldaten wandten, »so wird Euch kein Leid geschehen, wenn Ihr hübsch ruhig seid; doch wenn Ihr Euch rührt, so seid Ihr des Todes!« Die Soldaten verhielten sich ganz stille. Sie erkannten es an Porthos Faust, daß die Sache mehr als ernstlich sei und es sich hier ganz und gar nicht um einen Scherz handle. »Nun, Porthos,« sagte d'Artagnan, »nun wäre es Euch nicht unangenehm, zu verstehen?« »Ja wohl.« »Nun, wir steigen hinaus in den Hofraum.« »Ja.« »Wir vertreten die Stelle dieser zwei Schlingel.« »Gut.« »Wir schreiten auf und nieder.« »Das wird uns behagen, weil es nicht warm ist.« »In kurzem wird der Kammerdiener die Diensttuenden rufen wie gestern und vorgestern.« »Werden wir dann antworten?« »Nein, im Gegenteil, wir werden nicht antworten.« »Wie es Euch gefällt; mir ist nicht darum zu tun, Antwort zu geben.« »Somit antworten wir nicht, sondern drücken nur unsern Hut in das Gesicht und begleiten Seine Eminenz.« »Wohin denn?« »Wohin er gehen wird, zu Athos. Glaubt Ihr denn, es wird ihm nicht lieb sein, wenn er uns sieht?« »O,« rief Porthos. »oh, ich verstehe.« »Wartet noch mit dem Verwundern, Porthos; denn wahrlich, Ihr habt das Ende noch nicht,« erwiderte der Gascogner scherzend. »Was wird denn geschehen?« fragte Porthos. »Folgt mir,« entgegnete d'Artagnan; »wer lebt, wird sehen.« Er schlüpfte durch die Öffnung und ließ sich sachte in den Hof gleiten. Porthos folgte ihm auf demselben Wege, wiewohl etwas mühevoller und weniger behend. Man hörte, wie die zwei gebundenen Soldaten im Zimmer vor Furcht zitterten. D'Artagnan und Porthos hatten den Boden kaum berührt, so ging eine Türe auf, und der Kammerdiener rief: »Zum Dienste!« Zugleich ging die Türe der Wachstube auf und eine Stimme rief: »La Brugère und du Barthois, geht!« »Mich dünkt, daß ich la Brugère heiße,« sagte d'Artagnan.« »Und ich du Barthois,« murmelte Porthos. »Wo seid Ihr denn?« fragte der Kammerdiener, den das Licht der Augen dergestalt blendete, daß er ohne Zweifel unsere zwei Helden in der Finsternis nicht erkennen konnte. »Da sind wir,« entgegnete d'Artagnan, während er das Elsässer Französisch nachahmte. Dann fügte er zu Porthos umgewendet bei: »Herr du Vallon, was sagt denn Ihr dazu?« »Meiner Treue, ich sage, es ist recht schön, angenommen, daß das so fortgeht.

 


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