Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Verhängnis

D'Artagnan hatte jene Worte kaum ausgesprochen, so ließ sich auch wirklich ein Pfeifen auf der Feluke hören, die sich schon allmählich in Nebel und Dunkelheit verlor. »Das will etwas bedeuten, wie Ihr wohl begreifen werdet,« sagte der Gascogner. In diesem Momente sah man auf dem Verdecke eine Laterne schimmern, und im Hinterdecke dunkle Gestalten erscheinen. Auf einmal hallte ein entsetzlicher Schrei, ein Schrei der Verzweiflung durch den Luftraum, und als hätte dieser Schrei die Wolken verscheucht, so öffnete sich der Schleier, der den Mond umhüllte, und man bemerkte auf dem von einem blassen Lichte versilberten Himmel die grauen Segel und das dunkle Tauwerk der Feluke. Schatten liefen verwirrt auf dem Schiffe hin und her, und Jammergeschrei begleitete dieses sinnlose Herumwandeln. Diese verwirrten Schatten auf dem Schiffe waren Groslow, der zu der von Mordaunt festgesetzten Stunde seine Mannschaft versammelt hatte, indes dieser, als er an der Türe der Kajüte gelauscht, ob die Musketiere noch immer schliefen, durch ihr Schweigen beruhigt, in den Schiffsraum hinabgestiegen war. Wer hätte auch in der Tat vermuten können, was sich eben zugetragen hatte? Mordaunt schloß somit die Türe auf und eilte nach der Lunte, begierig wie ein racheschnaubender Mensch, und seiner Sache gewiß, wie diejenigen, welche Gott verblendet, zündete er den Schwefel an. Mittlerweile versammelte sich Groslow mit seinen Matrosen auf dem Hinterdecke. »Faßt das Tau an,« rief Groslow, »und zieht die Barke heran.« Ein Matrose setzte sich rittlings auf die Schiffswand, ergriff das Tau und zog es an sich; das Tau kam ohne Widerstand zu ihm. »Das Tau ist abgeschnitten,« rief der Matrose, »es ist keine Barke mehr da.« »Wie, keine Barke mehr?« stammelte Groslow, und eilte gleichfalls nach der Brüstung; »das ist nicht möglich!« »Es ist aber doch so,« entgegnete der Matrose, »sehet nur; es ist nichts im Fahrwasser und hier ist das Ende vom Tau.« Hier war es, wo Groslow jenes Gebrüll ausstieß, welches die Musketiere vernommen hatten.

»Was ist es?« rief Mordaunt, der eben aus der Luke hervorkam, und mit der Fackel in der Hand nach dem Hinterdecke eilte. »Unsere Feinde sind uns entwischt, sie schnitten das Tau ab, und entfliehen mit der Barke.« Mordaunt machte nun einen Satz bis zur Kajüte, und stieß deren Türe mit einem Fußtritt ein. »Leer,« rief er, »leer, o die Teufel!« »Laßt sie uns verfolgen,« sagte Groslow, »sie können noch nicht weit sein, wir segeln über sie weg und bohren sie in den Grund.« »Ja, allein das Feuer?« rief Mordaunt, »ich legte das Feuer.« »Woran?« »An die Lunte.« »Tausend Donner!« schrie Groslow und stürzte nach der Luke; »vielleicht ist es noch Zeit?« Mordaunt antwortete nur mit entsetzlichem Lachen, und während er mit Zügen, die mehr durch Haß als durch Schreck entstellt waren, zum Himmel emporstarrte, und ihm mit großen Augen eine letzte Verwünschung zuschleuderte, warf er zuerst seine Fackel ins Meer und stürzte sich dann selber hinab. In dem Momente, wo Groslow den Fuß auf die Treppe der Luke setzte, öffnete sich das Schiff wie der Krater eines Vulkans; ein Flammenstrom brauste mit einem Knall gegen den Himmel, wie der von hundert Kanonen, die zugleich donnern, die Luft entzündete sich, von glühenden Trümmern durchfurcht, darauf erlosch der furchtbare Blitz, die Trümmer stürzten prasselnd in den Abgrund nieder, wo sie erloschen, und ein Beben in der Luft abgerechnet, hätte man ein Weilchen darauf glauben können, es wäre nichts vorgegangen. Nun war die Feluke von der Oberfläche des Wassers verschwunden und Groslow mit seinen drei Matrosen war vernichtet.

Die vier Freunde hatten alles gesehen; es entging ihnen kein Umstand dieses furchtbaren Dramas. In diesem glänzenden Lichte, welches das Meer auf eine Meile weit beleuchtete, hätte man einen Augenblick lang jeden von ihnen in einer verschiedenen Haltung sehen können, wie sich an ihnen das Entsetzen abmalte, welches sie trotz ihrer ehernen Herzen zu empfinden nicht umhin konnten. Bald darauf fiel der Flammenregen rings um sie herum nieder, dann erlosch endlich, wie schon erwähnt, der Vulkan, und alles, die schaukelnde Barke und das hochgehende Meer, kehrten in ihre vorherige Dunkelheit zurück. Sie blieben ein Weilchen lang schweigend und bestürzt. Porthos und Aramis hielten die Ruder, welche sie ergriffen hatten, maschinenartig über dem Wasser, stemmten sich mit dem ganzen Körper darauf und umklammerten sie mit krampfhaften Händen. Aramis unterbrach zuerst die Totenstille und rief: »Meiner Treue, ich glaube, diesmal wird alles abgetan sein.« »Zu Hilfe, Mylords, steht mir bei, o, zu Hilfe!« rief eine klägliche Stimme, deren Töne zu den vier Freunden wie die Stimme eines Seegeistes hallte. Sie blickten alle einander an, und Athos erbebte. »Da ist er,« sprach er, »das ist seine Stimme.« Alle schwiegen, denn alle erkannten die Stimme; sie wandten bloß ihre Augen mit erweiterten Pupillen nach der Richtung hin, wo das Schiff verschwunden war, und gaben sich alle mögliche Mühe, die Dunkelheit zu durchdringen. Eine kurze Weile darauf gewahrte man einen Menschen, der kräftig herbeischwamm.

Athos streckte nach ihm den Arm aus, während er ihn seinen Begleitern mit den Fingern zeigte. »Ja, ja!« rief d'Artagnan, »ich sehe ihn.« »Abermals er,« sprach Porthos, und holte dabei Atem wie ein Schmiedeblasebalg, »ha, er ist wie von Eisen.« »O Gott!« seufzte Athos. Aramis und d'Artagnan flüsterten sich ins Ohr. Mordaunt machte noch einige Stöße, streckte dann eine Hand als Notzeichen aus dem Wasser und rief: »Erbarmen, im Namen des Himmels, Erbarmen, meine Herren! Ich fühle, daß mich meine Kräfte verlassen, daß ich untergehe.« Die hilferufende Stimme wurde so bebend, daß sie auf dem Grunde von Athos' Herzen Mitleid erregte. »Der Unglückliche!« murmelte er. »Gut,« sprach d'Artagnan, »nun geht Euch nur noch ab, daß Ihr ihn bedauert. Fürwahr, ich glaube, er schwimmt zu uns heran. Denkt er etwa, wir werden ihn aufnehmen? Rudert, Porthos, rudert!« Zugleich gab d'Artagnan das Beispiel, senkte das Ruder ins Meer, und nach zwei Ruderschlägen entfernte sich die Barke um zwanzig Klafter. »O, Ihr werdet mich nicht verlassen, daß ich umkomme! Ihr werdet nicht ohne Barmherzigkeit sein!« klagte Mordaunt. »O,« rief Porthos Mordaunt zu, »ich denke, daß wir Euch endlich haben, Wackerer, und daß Ihr da zur Flucht keine andere Pforte mehr habt als die Hölle.« »O Porthos,« murmelte der Graf de la Fère. »Gebt Ruhe. Athos! in der Tat, Ihr macht Euch lächerlich mit Eurer ewigen Großmut. Ich erkläre Euch vor allem, wenn er sich auf zehn Fuß weit der Barke nähert, so zerschmettere ich ihm den Kopf mit einem Ruderschlage.« »O Barmherzigkeit! flieht mich nicht, meine Herren, Barmherzigkeit! . . . fühlt doch Mitleid mit mir,« wehklagte der junge Mann, dessen keuchender Odem bisweilen das Wasser wirbeln ließ, wenn sein Kopf unter den Wellen verschwand. D'Artagnan, der jeder Bewegung Mordaunts mit den Augen folgte, unterbrach seine Unterredung mit Aramis, stand auf und sagte, zu dem Schwimmer gewendet: »Entfernt Euch gefällig, mein Herr, Eure Reue ist zu neu, als daß wir in sie ein großes Vertrauen setzten: bedenkt, daß das Schiff, worin Ihr uns habt braten wollen, noch einige Fuß unter dem Wasser dampft, und daß die Lage, in welcher Ihr seid, ein Bett von Rosen ist im Vergleich mit dem, in welches Ihr uns betten wolltet, und in das Ihr Herrn Groslow und seine Matrosen gebettet habt.« Mordaunt machte neuerliche Anstrengungen, sich zu nähern, und streckte die Hand nach dem Bootsrand aus. Als d'Artagnan das sah, befahl er, zum Erstaunen der übrigen Bootsinsassen, den Schwimmer nicht zu hindern; und als dieser dem Boot bis auf Armeslänge nahe gekommen war, zog d'Artagnan mit einer blitzschnellen Bewegung seinen Dolch und stieß ihn dem Verräter in die Brust. Zwei Sekunden später war der Gerichtete von den Wellen verschlungen. Zwischen den Insassen des Bootes herrschte ein lastendes Schweigen, das d'Artagnan erst nach geraumer Zeit unterbrach, indem er mit fester Stimme sprach: »Endlich hat Gott gesprochen! Nicht ich habe, ihn getötet, sondern die Vorsehung!«

 


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