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Als Mazarin mit Bernouin allein war, blieb er ein Weilchen gedankenvoll; er wußte viel, doch wußte er noch nicht genug. Mazarin täuschte im Spiel, wie uns Brienne berichtet; das nannte er: seinen Vorteil ergreifen. Sonach beschloß er, mit d'Artagnan die Partie nicht eher anzufangen, als bis ihm alle Karten des Gegners bekannt wären.
»Monseigneur befiehlt nichts?« fragte Bernouin. »Doch,« versetzte Mazarin. »leuchte mir, ich gehe zur Königin.«
Bernouin ergriff einen Leuchter und ging voraus. Man gelangte auf einen geheimen Gang von dem Kabinette Mazarins zu den Gemächern der Königin; diesen Weg ging der Kardinal, um sich zu jeder Stunde zur Königin zu verfügen, mit der er, wie schon gesagt, insgeheim verheiratet war.
Als er in das Schlafgemach kam, in das dieser Gang mündete, traf Bernouin Madame Beauvais an. Diese beiden waren die Vertrauten dieser veralteten Liebe, und Madame Beauvais nahm es über sich, den Kardinal bei der Königin Anna zu melden, die sich mit dem jungen König, Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.
Königin Anna saß in einem großen Stuhle, den Ellbogen auf den Tisch, den Kopf auf ihre Hand gestützt, und sah dem königlichen Kinde zu, welches auf dem Teppiche lag und in einem großen Schlachtenbuche blätterte. Jenes Buch war ein Quintus Curtius mit Kupferstichen, welche Alexanders Heldentaten darstellten.
Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Der Knabe erhob sich mit gerunzelter Stirne auf ein Knie und blickte seine Mutter an, dann sprach er: »Weshalb tritt er denn auf diese Art ein, und läßt nicht um eine Audienz bitten?« Anna errötete leicht und entgegnete ihm: »Es ist von Wichtigkeit, daß zu der Zeit, in welcher wir jetzt leben, ein erster Minister zu jeder Stunde der Königin Bericht von dem erstattet, was vorfällt, ohne daß er dabei die Neugierde oder die Bemerkungen des ganzen Hofes zu erregen braucht.« »Allein ich denke,« sprach das unbarmherzige Kind, »Herr von Richelieu ist nicht auf diese Art eingetreten.« »Wie kannst du dich erinnern, was Herr Richelieu tat? Das konntest du nicht wissen, da du noch zu jung warst.« »Ich erinnere mich wohl nicht daran, doch fragte ich danach, und man hat es mir gesagt.« »Und wer hat es dir gesagt?« entgegnete Anna mit schlecht verhehlter Regung des Ärgers. »Ich weiß, daß ich nie die Personen nennen darf, die mir Antwort auf meine Fragen geben,« sagte der Knabe, »sonst würde man mir nichts mehr vertrauen.«
In diesem Momente trat Mazarin ein. Der junge König erhob sich ganz, schlug sein Buch zu und trug es zu dem Tische, wo er stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, daß er gleichfalls stehen bleibe. Mazarin überblickte mit seinem schlauen Auge diesen ganzen Auftritt, woraus er das Vorgegangene zu erklären suchte. Er verneigte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte dem jungen König eine tiefe Verbeugung, der ihm mit einem ungezwungenen Kopfnicken antwortete.
Königin Anna bemühte sich, in Mazarins Zügen die Ursache dieses unerwarteten Besuches zu erraten, da doch der Kardinal gewöhnlich erst dann zu ihr kam, wenn sich alles zurückgezogen hatte. Der Minister gab ihr ein unmerkliches Zeichen und die Königin sagte dann, zu Madame Beauvais gewendet: »Es ist Zeit, daß der junge König zur Ruhe gehe; ruft Laporte.«
Die Königin hatte bereits zwei- oder dreimal den jungen Ludwig gebeten, sich wegzubegeben, aber stets bestand der Knabe auf zärtliche Weise, zu bleiben, doch diesmal tat er keinen Einspruch, nur biß er sich in die Lippen und wurde blaß. Gleich darauf trat Laporte ein. Der Knabe ging gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu liebkosen.
»Nun, Ludwig,« sprach Anna, »warum umarmst du mich nicht?« »Weil ich glaube, daß du mir gram bist, und mich fortjagst.« »Ich jage dich nicht fort; da du aber erst geblattert hast und noch leidend bist, so bin ich bekümmert, das Wachen möchte dir beschwerlich sein.« »Du hattest nicht dieselbe Kümmernis, als ich mich heute nach dem Palast begeben mußte, um die schlimmen Edikte zu erlassen, über welche das Volk so laut gemurrt hat.«
»Sire,« sprach Laporte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, »wolle Ew. Majestät befehlen, wem ich den Leuchter geben soll?« »Wem immer du willst, Laporte,« erwiderte der Knabe, »nur nicht Herrn Mancini,« fügte er mit lauter Stimme hinzu.
Herr Mancini war ein Neffe des Kardinals, welchen Mazarin als Edelknaben beim König untergebracht hatte, und auf den Ludwig XIV. zum Teil den Haß übertrug, welchen er gegen den Minister hegte. Der König entfernte sich, ohne daß er seine Mutter umarmt und den Kardinal begrüßt hatte.
»Ganz wohl,« sprach Mazarin, »ich freue mich, daß Seine Majestät in einem Abscheu von aller Verstellung erzogen wird.« »Weshalb?« fragte die Königin mit einer fast schüchternen Miene. »Nun, ich denke, das Abtreten des Königs bedarf keiner Erklärung. Überdies bemüht sich Seine Majestät nicht, zu verhehlen, welch eine geringe Zuneigung sie zu mir hegt, was mich aber nicht abhält, seinem Dienste ebenso ergeben zu sein wie dem Ihrer Majestät.« »Kardinal, ich bitte Euch für ihn um Vergebung,« sprach die Königin, »er ist ein Kind, das noch nicht die Verbindlichkeiten kennt, die es gegen Euch hat.« Der Kardinal lächelte. »Doch,« fuhr die Königin fort, »zweifelsohne kamet Ihr einer Wichtigkeit wegen. Nun, was ist es?« Mazarin setzte sich, oder warf sich vielmehr in einen breiten Stuhl und sprach mit melancholischer Miene: »Was es ist? – nun, daß wir höchstwahrscheinlich bald genötigt sein werden, uns zu trennen, es wäre denn, daß Sie mir aus Aufopferung nach Italien folgen könnten.« »Und warum das?« fragte die Königin. »Weil, wie die Oper ›Thisbe‹ sagt, versetzte Mazarin. »Le monde entier conspire à diviser nos feux.« »Ihr scherzet, mein Herr,« entgegnete die Königin, welche wieder etwas von ihrer vorigen Würde anzunehmen bemüht war. »Ach nein, Madame,« sprach Mazarin, »ich scherze nicht im geringsten; ich möchte viel lieber weinen, und bitte es zu glauben, da aller Grund vorhanden ist, und wohl darauf zu achten, was ich sagte: ›Le monde entier conspire à diviser nos feux.‹ Damit will ich sagen, Madame, daß Ihr mich aufgebt.« »Kardinal!« »O mein Gott, sah ich nicht neulich, wie freundlich Ihr dem Herzog von Orléans zugelächelt, oder vielmehr über das gelächelt habt, was er Euch sagte?« »Und was sagte er mir?« »Madame, er sagte Euch: »Mazarin ist der Stein des Anstoßes, schickt ihn fort, und alles geht dann gut.« »Nun, was soll ich tun?« »O, Madame, ich denke, daß Ihr die Königin seid.« »Ein schönes Königtum!« »Ihr seid aber doch mächtig genug, um diejenigen, welche Euch mißfallen, zu entfernen.« »Die mir mißfallen?« »Allerdings. Wer hat Frau von Chevreuse weggeschickt, die man unter der vorigen Regierung zwölf Jahre lang verfolgt hat?« »Eine Intrigantin, welche gegen mich alle Ränke fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu gesponnen hat.« »Wer hat Frau von Hautefort weggeschickt, diese so vollkommene Freundin, welche die Gunst des Königs verschmähte, um die meinige zu bewahren?« »Nun?« »Wer ließ Herrn von Beaufort gefangen nehmen?« »Diesen unruhigen Brausekopf, der von nichts geringerem sprach, als mich umzubringen?« »So seht Ihr, Kardinal,« versetzte die Königin, »Eure Feinde sind auch die meinigen.« »Das ist nicht genug, Madame, denn Eure Freunde sollten auch die meinigen sein.« »Meine Freunde – Herr?« – die Königin schüttelte den Kopf und seufzte: »Ich habe leider keine mehr.« »Wie, Ihr habt keine Freunde mehr im Glück, da Ihr sie doch im Unglück gehabt habt?« »Eben weil ich diese Freunde im Glück vergessen habe, mein Herr.« »Nun, sagt an,« sprach Mazarin, »wäre es nicht an der Zeit, das Unrecht wieder gut zu machen? suchet unter Euren Freunden, unter Euren früheren Freunden.« »Mein Herr, was wollt Ihr damit sagen?« »Nichts weiter, als was ich sagte: suchet.« »Ich sehe niemand, auf den ich Einfluß hätte; den Herzog von Orléans leiten seine Günstlinge wie immer. Gestern war es Choisy, heute ist es La Rivière, morgen wird es ein anderer sein. Den Prinzen lenkt Frau von Longueville, die wieder von dem Prinzen von Marrillac geleitet wird. Herr von Conti wird wieder durch den Coadjutor geleitet und dieser läßt sich wieder von Frau von Guémenée leiten.« »Ich sage Euch deshalb nicht, Madame, daß Ihr Euch unter Euren gegenwärtigen Freunden umsehen möget, sondern unter Euren Freunden aus der früheren Zeit.« »Unter meinen Freunden aus der früheren Zeit?« wiederholte die Königin. »Ja, unter Euren Freunden aus der früheren Zeit, unter denen, welche Euch den Herzog von Richelieu zu bekämpfen und selbst zu überwinden geholfen haben. Ja,« fuhr der Kardinal fort, »Ihr habt bei gewissen Veranlassungen mit diesem feinen und kräftigen Verstande, der Ew. Majestät eigen ist, und unter Mitwirkung Eurer Freunde die Angriffe dieses Gegners abzuwehren gewußt.« »Ich,« entgegnete die Königin, »ich habe gelitten, weiter nichts.« »Ja,« versetzte Mazarin, »so wie Frauen leiden, da sie sich rächen. Nun, kommen wir zur Sache – kennen Sie Herrn von Rochefort?« »Rochefort war keiner meiner Freunde,« sprach die Königin, »im Gegenteil einer meiner erbittertsten Feinde, einer der Getreuesten des Herrn Kardinals. Ich glaubte, Ihr wüßtet das.« »Ich weiß es so gut,« antwortete Mazarin, »daß wir ihn in die Bastille versetzten.« »Hat er sie verlassen?« fragte die Königin. »Nein! Seid unbekümmert, er sitzt noch immer dort; ich spreche auch nur von ihm, um auf einen andern überzugehen. Kennt Ihr Herrn d'Artagnan?« fuhr Mazarin fort und faßte die Königin fest ins Auge. Diese ward im Innersten erschüttert und murmelte: »Hat der Gascogner geplaudert?« Dann fügte sie laut hinzu: »Ja, d'Artagnan? Hört! dieser Name ist mir ganz wohl bekannt. D'Artagnan, ein Musketier, der eine meiner Kammerfrauen geliebt hat, ein liebes, armes Wesen, das meinetwegen vergiftet worden ist.« »Ist das alles?« fragte Mazarin.
Die Königin sah den Kardinal betroffen an und sagte: »Doch, mein Herr, mich dünkt, Ihr lasset mich da ein Verhör bestehen.« »Worin Ihr doch nur immer nach Belieben antwortet,« entgegnete Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seiner weichen Stimme. »Sagt mir deutlich, was Ihr verlangt, und ich will Euch eben so darauf antworten,« sprach die Königin mit einem gewissen Unwillen. »Nun gut, Madame,« versetzte Mazarin mit einer Verneigung; »ich wünsche, daß Ihr mir erlaubt, Eure Freunde zu benützen, gleich wie ich Euch an dem bißchen Verstand und Talent, die der Himmel mir verlieh, teilnehmen ließ. Die Umstände sind schwierig, wonach man auf kräftige Weise handeln muß.« »Nun,« sagte die Königin, »ich dachte, wir wären ihrer mit Herrn von Beaufort entledigt.« »Ja, Ihr saht wohl den Strom, der alles umzustürzen drohte, doch habt Ihr das stille Wasser nicht beachtet. Indes gibt es in Frankreich ein Sprichwort über das stille Wasser.« »Endet,« sprach die Königin. »Nun, wir haben Herrn von Beaufort verhaften lassen, das ist wahr; doch war er der mindest Gefährliche von allen; es ist noch der Prinz da.« »Der Sieger von Rocroy? Denkt Ihr daran?« »Ja, Madame, sehr oft; allein Patientia – wie die Lateiner sagen; denn nach Herrn von Condé ist der Herzog von Orléans da.« »Was sagt Ihr? Der erste Prinz von Geblüt – des Königs Oheim?« »Nein, nicht der erste Prinz von Geblüt – nicht des Königs Oheim, sondern der feige Meuterer, der von seinem launenhaften und phantastischen Charakter angespornt, von schmählicher Langweile gequält, von einem leidigen Ehrgeiz verzehrt, eifersüchtig auf alles, was ihn an Rechtlichkeit und Mut übertraf, entrüstet, daß er wegen seiner Nichtigkeit nichts war, sich unter der früheren Regierung zum Echo aller schlimmen Gerüchte, zur Seele aller Ränke gemacht hat; der all diesen wackern Leuten, die so einfältig waren, dem Worte eines Mannes von hohem Geblüte zu trauen, einen Wink gegeben hat, voranzugehen und der sich von ihnen trennte, als sie das Schafott besteigen mußten! Nein, noch einmal sei es gesagt, nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht des Königs Oheim, sondern der Mörder Chalais', Montmorencys und Cinq-Mars', der es heute versucht, dasselbe Spiel zu spielen, und der auch die Partie zu gewinnen hofft, weil er den Gegner gewechselt, und statt eines drohenden, einen lächelnden Mann vor sich hat. Allein er täuscht sich und mir ist nicht darum zu tun, diesen Stoff der Zwietracht in der Nähe der Königin zu lassen, womit der selige Herr Kardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang aufgeregt hat.«
Anna errötete und verbarg ihren Kopf in die beiden Hände. »Ich will Ew. Majestät ganz und gar nicht demütigen,« fuhr Mazarin fort, indem er einen ruhigen, aber zugleich auch einen wirklich festen Ton annahm, »ich will, daß man die Königin und daß man auch ihren Minister achtet, da ich in den Augen aller nichts als das bin. Ew. Majestät weiß es, daß ich nicht ein aus Italien gekommener Mime bin, wie viele sagen; und so wie Ew. Majestät muß es jedermann wissen.« »Nun, was soll ich da tun?« fragte Anna, gebeugt unter dieser gebieterischen Stimme. »Ihr müßt in Eurem Gedächtnisse nach den Namen dieser treuen und ergebenen Männer forschen, welche Herrn von Richelieu zum Trotz daß Meer übersetzt haben, wobei sie die Spuren ihres Blutes auf dem ganzen Wege zurückließen, um Ew. Majestät einen, dem Herrn von Buckingham geschenkten Schmuck zu holen.«
Anna erhob sich majestätisch und entrüstet, als hätte sie eine Feder in die Höhe geschnellt, blickte den Kardinal mit jener Hoheit und jener Würde an, durch die sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig war, und sagte: »Herr, Ihr beleidigt mich!« »Nun,« fuhr Mazarin fort, indem er den Gedanken völlig aussprach, den die Bewegung der Königin abgebrochen hatte, »nun, ich will, daß Ihr jetzt für Euren Gemahl dasselbe tut, was Ihr einst für Euren Günstling getan habt.« »Abermals diese Verleumdung!« rief die Königin aus, »Ich glaubte, sie sei längst erloschen und unterdrückt, denn Ihr hattet mich bis jetzt damit verschont, nun aber tut auch Ihr davon Erwähnung. Doch, desto besser! denn wir werden es diesmal zur Sprache bringen, und dann wird alles ein Ende haben – versteht Ihr mich?« »Aber, Madame,« versetzte Mazarin betroffen über diese wiederkehrende Kraft, »ich begehre nicht, daß Ihr mir alles gesteht.« »Doch will ich, ja, ich will Euch alles sagen,« sprach die Königin. »So hört mich denn. Ich will Euch sagen, mein Herr: es gab damals wirklich vier ergebene Herzen, vier biedere Männer, vier getreue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre gerettet haben.« »Ha, Ihr bekennt es!« rief Mazarin. »Ist denn nur die Ehre der Schuldigen bloßgestellt, mein Herr; kann man niemand sonst, zumal eine Frau, dem Scheine nach an der Ehre gefährden? Ja, der Schein war gegen mich – und dennoch schwöre ich Euch, daß ich schuldlos war. Ich schwöre Euch . . .« Die Königin suchte nach einem Gegenstande, bei dem sie schwören könnte, nahm sodann aus einem in der Tapete verborgenen Wandschrank ein kleines, mit Silber eingelegtes Kistchen von Rosenholz, stellte es auf den Altar und fuhr fort: »Ich schwöre es bei diesen geheiligten Überresten, ich war Herrn von Buckingham geneigt, doch war Herr von Buckingham nicht mein Geliebter!« »Und was sind das für Überreste, Madame, bei denen Ihr diesen Schwur ablegt?« fragte Mazarin lächelnd, »Ich sage es im voraus, daß ich ungläubig bin.«
Die Königin löste einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse und übergab ihn dem Kardinal, indem sie sagte: »Da, mein Herr, schließet auf und sehet selber.« Mazarin nahm betroffen den Schlüssel und öffnete das Kistchen, worin er bloß ein verrostetes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war. »Was ist das?« fragte Mazarin. »Was das ist, mein Herr?« versetzte Anna mit königlicher Miene, und streckte über das Kistchen einen Arm aus, der ungeachtet der Jahre noch vollkommen schön war. – »Ich will es Euch sagen. Das sind die zwei einzigen Briefe, die ich je an ihn geschrieben habe. Das ist das Messer, mit dem ihn Felton durchbohrt hat. Leset die Briefe, Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich unwahr gewesen.«
Statt daß Mazarin nach der ihm erteilten Erlaubnis den Brief gelesen hätte, nahm er aus einem natürlichen Antrieb das Messer, welches der sterbende Buckingham aus seiner Wunde gezogen und durch Laporte der Königin überschickt hatte. Die Klinge war bereits zerfressen, denn das Blut war zu Rost geworden; nach einer Weile des Anblickes, während dessen die Königin ebenso weiß geworden wie die Hülle des Altars, woran sie sich stützte, legte er es mit einem unwillkürlichen Schauder wieder in das Kistchen zurück und sagte: »Madame, es ist gut, ich vertraue auf Euren Schwur.« »Nein, nein, leset,« sprach die Königin mit gerunzelter Stirne, »leset, ich will, ich gebiete es, damit diesmal, wie ich beschlossen, alles beendigt werde, und wir nicht wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen. Glaubt Ihr denn,« fügte sie mit einem verzerrten Lächeln hinzu, »daß ich künftig bei jeder Eurer Beschuldigungen bereit sein werde, dieses Kistchen zu öffnen?«
Beherrscht von dieser Energie, gehorchte Mazarin maschinenartig und las die zwei Briefe. Der eine war jener, womit die Königin die diamantenen Nestelstifte von Buckingham zurückverlangte, nämlich jener, welchen d'Artagnan überbracht hatte, und der zu rechter Zeit noch angekommen war; der andere war der, den Laporte dem Herzog eingehändigt, und worin ihm die Königin anzeigte, daß man ihn umbringen wolle, und der zu spät angelangt war. »Madame, es ist gut,« sprach Mazarin, »darauf läßt sich nichts entgegnen . . .« »Dennoch,« versetzte die Königin, indem sie auf das Kistchen drückte und dasselbe wieder zuschloß, »dennoch läßt sich etwas darauf entgegnen, daß ich nämlich gegen diese Männer stets undankbar war, die mich gerettet, und alles, was sie vermochten, zu meiner Rettung getan haben; daß ich diesen wackern d'Artagnan, dessen Ihr eben gedacht, nichts gab, als die Hand zu küssen und diesen Demantring.« Hier streckte die Königin ihre schöne Hand aus und zeigte dem Kardinal einen wunderbaren Stein, der an ihrem Finger schimmerte. Dann fuhr sie fort: »Wie es scheint, so hat er ihn in einem Augenblicke der Not veräußert; er hat es getan, um mich ein zweites Mal zu retten, denn es geschah, um an den Herzog einen Boten abzuschicken und ihm den Mordversuch zu melden.« »Also wußte d'Artagnan?« »Er wußte alles, doch wie er tätig war, das weiß ich nicht. Zuletzt aber verkaufte er den Stein an Herrn des Essarts, an dessen Finger ich ihn gesehen und zurückgekauft habe. Doch gehört dieser Diamant ihm, mein Herr! Stellt ihm also denselben zurück in meinem Namen, und da Ihr so glücklich seid, solch einen Mann neben Euch zu haben, so sucht, ihn auf ersprießliche Weise zu gebrauchen.« »Madame, ich danke,« sprach Mazarin, »ich werde den Rat befolgen.« »Und habt Ihr noch ein anderes Verlangen?« fragte die Königin, durch diese Gemütsbewegung erschöpft. »Keine, Madame,« entgegnete der Kardinal mit seiner einschmeichelndsten Stimme, »als Euch inständigst zu bitten, mir meinen ungerechten Argwohn zu vergeben; allein ich liebe Euch so, daß man sich nicht verwundern darf, wenn ich selbst auf die Vergangenheit eifersüchtig bin.«