Alexander Dumas
Zwanzig Jahre nachher
Alexander Dumas

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Der Aufstand wird zur Empörung

Das Kabinett, in welches man d'Artagnan und Porthos eintreten ließ, war von dem Salon, worin sich die Königin befand, nur durch Tapetentürvorhänge getrennt. Da nun die Scheidewand so dünn war, konnte man alles hören, was vorging, während man auch durch die Öffnung, die zwischen den zwei Vorhängen war, blicken konnte. Die Königin stand im Salon, ganz blaß vor Zorn, doch wußte sie sich so viel zu beherrschen, daß man glauben konnte, ihr Inneres wäre ganz und gar nicht aufgeregt. Hinter ihr standen Comminges, Villequier und Guitaut, und hinter den Männern die Frauen. Vor ihr berichtete der Kanzler Séguier, daß man seine Kutsche erbrochen und ihm nachgesetzt habe, daß er nach dem Hotel d'O . . . geflohen, und daß dieses Hotel allsogleich erstürmt, ausgeplündert und verwüstet worden sei; zum Glücke habe er noch Zeit gefunden, in ein hinter der Tapete verborgenes Kabinett zu schlüpfen, worin eine alte Frau mit seinem Bruder, dem Bischofe von Meaux, sich befand. Dort sei die Gefahr so bedrohlich gewesen, die Wütenden haben sich diesem Gemache so ungestüm genähert, daß der Kanzler meinte, seine letzte Stunde wäre schon gekommen, und er habe seinem Bruder gebeichtet, um für den Fall der Entdeckung zum Sterben bereit zu sein. Zum Glücke habe man ihn nicht entdeckt; das Volk, welches wähnte, er habe sich durch eine Hintertüre geflüchtet, zerstreute sich und ließ ihm freien Rückzug. Nun steckte er sich in die Kleider des Marquis d'O . . . und verließ das Hotel, indem er über die Leichen einer Stadtwache und zweier Gardisten schritt, die bei der Verteidigung des Straßentores gefallen waren.

Während dieser Erzählung war Mazarin eingetreten, stellte sich, ohne Aufsehen zu erregen, neben die Königin und hörte zu. »Nun,« fragte die Königin, als der Kanzler geendet hatte, »was haltet Ihr von all dem?« »Madame, ich halte die Sache für sehr ernst.« »Und welchen Rat gebt Ihr mir?« »Ich würde Ihrer Majestät wohl raten, allein ich wage es nicht.« »Wagt es immerhin, Herr,« sprach die Königin mit bitterem Lächeln, »Ihr habt wohl anderes schon gewagt.« Der Kanzler wurde rot und stammelte ein paar Worte. »Es handelt sich nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Ihr sagtet, daß Ihr mir einen Rat zu erteilen hättet; worin besteht also derselbe?« »Madame,« erwiderte der Kanzler zaudernd, »er bestände darin, Broussel freizulassen.« Die Königin wurde noch blasser, als sie war, und ihr Gesicht zog sich krampfhaft zusammen.

In diesem Moment vernahm man Tritte im Vorgemach, und der Marschall de la Meilleraie trat, ohne angemeldet zu werden, an die Türschwelle. »Ah, Marschall, Ihr seid hier!« rief die Königin erfreut. »Ihr habt doch das Gesindel zur Vernunft gebracht, wie ich hoffe.« »Madame,« entgegnete der Marschall, »ich verlor drei Mann am Pont Neuf, vier bei den Hallen, sechs an der Ecke der Straße de I'Arbre Ger und zwei am Tore Ihres Palastes, in allem fünfzehn. Verwundete bringe ich zehn bis zwölf zurück. Mein Hut ward von einer Kugel fortgerissen, ich wußte nicht wohin, und wahrscheinlich wäre ich bei meinem Hute geblieben, hätte mich nicht der Herr Koadjutor der Gefahr entrissen.« »Ach, wirklich,« sprach die Königin, »es hätte mich gewundert, diesen krummbeinigen Dachs nicht bei allem beteiligt zu sehen.« »Madame,« sprach la Meilleraie, »reden Ihre Majestät nicht zu viel Schlimmes in meiner Gegenwart über ihn, da der Dienst noch zu frisch ist, den er mir erwiesen hat.« »Gut,« versetzte die Königin, »seid ihm so dankbar, als Ihr wollet, mich aber macht das nicht verbindlich. Ihr seid wohlbehalten, das ist alles, was ich wünsche; seid mir nicht bloß willkommen, sondern auch erwünscht.« »Doch, Madame, bin ich nur unter einer Bedingung glücklich davongekommen, um Ihnen nämlich den Willen des Volkes mitzuteilen.« »Den Willen –« rief die Königin Anna mit gerunzelter Stirne. »O, Herr Marschall, Ihr müßt wohl in einer sehr großen Gefahr geschwebt haben, daß Ihr eine so seltsame Sendung übernahmt.« Sie sprach diese Worte mit einem Ausdruck des Spottes, der dem Marschall nicht entging. »Um Vergebung, Madame,« sprach der Marschall, »ich bin kein Anwalt, darum verstehe ich auch den Wert der Worte nicht recht, ich hätte sagen sollen, den Wunsch und nicht Willen des Volkes. In bezug auf die Antwort, womit Ihre Majestät mich beehrten, glaube ich, Sie wollten sagen, daß ich mich gefürchtet habe.« Die Königin lächelte. »Ja doch, Madame, ich habe mich gefürchtet; das begegnet mir heute zum drittenmal in meinem Leben, und doch habe ich zwölf Hauptschlachten und ich weiß nicht wie vielen Gefechten und Scharmützeln beigewohnt; ja, ich habe mich gefürchtet, und ich stehe lieber Ihrer Majestät gegenüber, wie drohend Ihr Lachen auch sein möge, als jenen höllischen Dämonen, welche mich bisher begleitet haben, und welche, ich weiß nicht woher gekommen sind.« »Nun,« sprach die Königin, indem sie sich in die Lippen biß, während sich die Höflinge betroffen anblickten, »worin besteht dieser Wunsch meines Volkes?« »Madame,« erwiderte der Marschall, »daß ihm Broussel herausgegeben werde.« »Nimmermehr,« rief die Königin, »nimmermehr!« »Ihre Majestät ist Gebieterin,« versetzte la Meilleraie, verneigte sich und trat einen Schritt zurück. »Wohin geht Ihr, Marschall?« fragte die Königin. »Ich gehe, die Antwort Ihrer Majestät zu überbringen, da man darauf wartet.« »Bleibt, Marschall, ich will mir nicht den Anschein geben, als ob ich mit Rebellen unterhandelte.« »Madame,« entgegnete der Marschall, »ich habe mein Wort gegeben.« »Was sagen will? . . .« »Daß, wenn Sie mich nicht verhaften lassen, ich hinabzugehen gezwungen bin.« Die Augen der Königin Anna schleuderten zwei Blitze. »O, das hätte nichts auf sich, mein Herr,« sprach sie, »ich ließ schon Größere verhaften, als Ihr seid – Guitaut! –« Mazarin trat schnell vor und sagte: »Madame, dürfte ich es wagen, einen Rat zu geben? . . .« »Etwa auch denselben, Broussel herauszugeben, mein Herr? Wenn das ist, so mögen Sie sich dessen überheben.« »Nein,« erwiderte Mazarin, »obschon dieser vielleicht ebensoviel wert ist als ein anderer.« »Worin bestände er nun?« »Den Herrn Koadjutor berufen zu lassen.« »Den Herrn Koadjutor!« – rief die Königin, »diesen verwünschten Ruhestörer; er veranlaßte diesen ganzen Tumult.« »Um so mehr,« versetzte Mazarin; »hat er ihn veranlaßt, so kann er ihn auch wieder stillen.« »O, Madame,« sprach Comminges, der an einem Fenster stand, durch das er hinausblickte, »sehen Ihre Majestät, die Gelegenheit ist gut, denn dort ist er eben auf dem Platze des Palais-Royal.« Die Königin eilte ans Fenster und rief: »In der Tat, seht den heuchlerischen Mann!« »Ich sehe,« sprach Mazarin, »daß alle vor ihm knien, wiewohl er nur Koadjutor ist, indes man mich, wäre ich an seiner Stelle, in Stücke hauen würde, wiewohl ich Kardinal bin. Somit beharre ich auf meinem Wunsche, Madame, daß Ihre Majestät den Koadjutor empfangen möge.« »Warum sagt Ihr nicht auch: auf Eurem Willen?« fragte die Königin mit leiser Stimme. Mazarin verneigte sich.

Die Königin versank in Nachdenken; ein Weilchen darauf erhob sie den Kopf wieder und sagte: »Herr Marschall, holet mir den Koadjutor und bringt ihn zu mir.« »Und was soll ich dem Volke sagen?« fragte der Marschall. »Daß es sich gedulde,« versetzte die Königin, »da ich es gleichfalls tue.« Die Türe ging wieder auf, der Marschall erschien mit dem Koadjutor. »Madame,« sprach er, »hier ist Herr von Gondy, der sich beeilt, den Befehlen Ihrer Majestät nachzukommen.« Die Königin trat ihm vier Schritte entgegen, dann blieb sie stehen, kalt, ernst, regungslos und mit verächtlicher Miene. Gondy verneigte sich mit Ehrerbietung. »Nun, mein Herr,« fragte die Königin, »was sagt Ihr zu diesem Tumult?« »Es ist schon kein Tumult mehr, Madame,« entgegnete der Koadjutor, »sondern eine Empörung.« »Die Empörung bei denjenigen, welche glauben, daß sich mein Volk empören könnte!« rief die Königin, unfähig, sich vor dem Koadjutor zu verstellen, welchen sie ganz richtig als den Urheber dieses ganzen Aufstandes ansah. »Empörung, so nennen sie jene, welche wie sie wünschten, den Aufruhr, angezettelt haben. Doch wartet nur, die Autorität des Königs wird sie zur Ordnung bringen.« »Geschah es vielleicht, um mir das zu sagen, Madame,« entgegnete Gondy kalt, »daß mich Ihre Majestät beehrten, rufen zu lassen?« »Nein, lieber Koadjutor,« versetzte Mazarin, »es geschah, um Eure Meinung über den traurigen Zustand zu vernehmen, in dem wir uns befinden.« »Ist das wahr,« fragte Gondy mit geheuchelter Miene des Erstaunens, »daß mich Ihre Majestät berief, um meinen Rat von mir zu hören?« »Ja,« antwortete die Königin, man hat es gewollt.« Der Koadjutor verneigte sich und sagte: »Ihre Majestät wünscht nun? . . .« »Zu sagen, was Ihr an ihrer Stelle tun würdet,« bemerkte Mazarin schnell. Der Koadjutor blickte die Königin an, welche es mit einem Wink bejahte. »An der Stelle Ihrer Majestät würde ich nicht schwanken,« versetzte Gondy kalt, »ich würde Broussel freilassen.« »Und wenn ich ihn nicht freiließe,« sprach die Königin, »was glaubt Ihr dann, daß geschehen könnte?« »Dann glaube ich,« entgegnete der Marschall, »daß morgen in Paris kein Stein mehr auf dem andern wäre.« »Ich fragte nicht Euch,« sprach die Königin in strengem Tone und ohne sich umzuwenden, »ich fragte Herrn von Gondy.« »Wenn Ihre Majestät mich befragte,« erwiderte der Koadjutor mit derselben Ruhe, »so muß ich erklären, daß ich durchaus die Meinung des Herrn Marschalls teile.« Die Röte stieg der Königin ins Gesicht; ihre schönen, blauen Augen schienen aus ihrem Kopfe hervortreten zu wollen; ihre Karminlippen, welche alle damaligen Dichter mit blühenden Granaten verglichen, wurden blaß und bebten vor Ärger, so daß selbst Mazarin darüber erschrak, der doch an so manche Zornesausbrüche einer unglücklichen Ehe gewöhnt war.

»Broussel freilassen!« rief sie endlich mit einem entsetzlichen Lächeln. »Meiner Treue, ein hübscher Rat! Man sieht, daß er von einem Priester kommt.« Gondy blieb standhaft. Die heutigen Beleidigungen schienen an ihm abzugleiten, wie die gestrigen Spöttereien; allein der Haß und das Rachegefühl wuchsen schweigend und tropfenweise an auf dem Grunde seines Herzens. Er starrte die Königin kalt an, welche Mazarin aufforderte, daß er nun gleichfalls etwas sage. Wie gewöhnlich sprach Mazarin wenig und dachte viel. »Ah, ah!« sagte Mazarin, »ein guter Rat; ich würde den guten Herr Broussel freigeben, tot oder lebendig, und die ganze Sache wäre abgetan.« »Würde man ihn tot herausgeben, so wäre wohl alles abgetan, wie Sie sagen, Monseigneur, jedoch auf andere Weise, als Sie meinen.« »Sagte ich: tot oder lebendig?« versetzte Mazarin. »Eine Redensart; Ihr wißt wohl, daß ich schlecht französisch verstehe, welches Ihr, Herr Koadjutor, so gut sprecht und schreibt.«

Der Koadjutor ließ den Sturm vorüberziehen und begann mit demselben Phlegma: »Madame, wenn der Vorschlag, den ich Ihrer Majestät unterbreite, nicht entspricht, so hat daß sicher seinen Grund darin, daß Sie deren bessere haben. Ich kenne zu sehr die Weisheit der Königin und ihrer Räte, um zu glauben, man werde die Hauptstadt lange in der Zerrüttung lassen, welche einen Aufruhr erzeugen kann.« »Nach Eurer Ansicht also,« entgegnete hohnlachend die Spanierin, die sich vor Ingrimm in die Lippen biß, »kann dieser Tumult von gestern, der heute schon eine Empörung ist, morgen zur Revolution werden?« »Ja, Madame,« erwiderte der Koadjutor ernst. »Doch, wenn man Euch anhört, wäre das Volk schon zügellos.« »Dieses Jahr ist schlimm für die Könige,« versetzte Gondy kopfschüttelnd. »Blicken Ihre Majestät auf England hin.« »Ja,« antwortete die Königin, »aber zum Glücke haben wir in Frankreich keinen Oliver Cromwell.« »Wer weiß,« erwiderte Gondy, »solche Männer gleichen dem Blitze; man kennt sie nicht, ehe sie treffen.«

Alle schauderten und es trat ein kurzes Stillschweigen ein. Mittlerweile hatte die Königin ihre beiden Hände auf die Brust gedrückt; man sah, daß sie das heftige Pochen ihres Herzens zurückpreßte. »Ihre Majestät wird sonach die geeigneten Maßregeln ergreifen,« fuhr der Koadjutor unbarmherzig fort; »allein ich sehe voraus, daß sie schreckvoll und der Art sein werden, daß sie die Anstifter noch mehr aufreizen. »Nun,« erwiderte die Königin spöttisch, »so werdet Ihr, Herr Koadjutor, der Ihr so viel Macht über sie habt und unser Freund seid, sie besänftigen.« »Das dürfte vielleicht schon zu spät sein,« antwortete Gondy stets frostig, »und vielleicht habe ich selbst schon allen Einfluß verloren, indes Ihre Majestät, wenn Sie Broussel freiläßt, dem Aufruhr jede Wurzel abschneidet und das Recht erlangt, jeden neuen Versuch zum Aufstand grausam zu bestrafen.« »Besitze ich denn nicht dieses Recht?« fragte die Königin. »Wenn Sie es besitzen, so üben Sie es aus,« entgegnete Gondy.

Die Königin entließ mit einem Wink den Hof mit Ausnahme Mazarins. Gondy verneigte sich und wollte gleich den übrigen fortgehen. »Bleibt, mein Herr,« sprach die Königin. »Wohl,« sagte Gondy bei sich, »sie wird nachgeben.« »Sie wird ihn töten lassen,« sprach d'Artagnan zu Porthos, »doch geschieht das jedenfalls nicht durch mich. Ich schwöre es bei Gott, daß ich mich, wenn man über ihn herfällt, auf die Angreifenden stürzen werde.« »Ich gleichfalls,« versetzte Porthos. »Schön,« murmelte Mazarin, indem er einen Stuhl nahm, »wir werden etwas Neues sehen.«

»Sagt an,« sprach die Königin, indem sie endlich stehen blieb, »da wir nun allein sind, Herr Koadjutor, sagt und wiederholt Euren Rat.« »Nun, Madame tun, als ob Ihre Majestät nachgedacht hätte, öffentlich einen Irrtum anerkennen, was die Stärke kräftiger Regierungen ist, Broussel aus der Haft entlassen und dem Volke wieder zurückgeben!« »O,« rief die Königin Anna, »mich derart zu demütigen! Bin ich Königin, oder bin ich es nicht? Ist all das Gesindel, welches da kreischt, die Mehrzahl meiner Untertanen? Habe ich Freunde, Garden? O, bei unserer Frau, wie die Königin Katharina sprach,« fuhr sie fort, durch ihre eigenen Worte sich anstachelnd, »eher würde ich Broussel mit eigenen Händen erwürgen, als den Schändlichen herausgeben!« Und sie schritt mit geballten Händen auf Gondy zu, den sie in diesem Moment gewiß ebenso haßte wie Broussel. Gondy blieb unbeweglich, und es zuckte nicht eine Sehne seines Gesichtes. »Madame,« rief der Kardinal, indem er die Königin am Arme faßte und zurückzog, »Madame, was tun Sie denn?« Dann fügte er noch auf spanisch hinzu: »Madame, sind Sie außer sich? Anna! Sie, eine Königin, zanken hier wie eine bürgerliche Frau, und sehen Sie nicht, daß Sie in der Person dieses Mannes die ganze Bevölkerung von Paris vor sich haben, den zu beleidigen in diesem Momente gefährlich ist, und daß Sie, wenn er es will, in einer Stunde keine Krone mehr tragen? O, lassen Sie ab, später, bei einer anderen Gelegenheit werden Sie sich fest und kräftig widersetzen, heute aber schmeicheln und liebkosen Sie, oder Sie sind nichts mehr, als eine gewöhnliche Frau.«

D'Artagnan hatte schon bei den ersten Worten dieser Anrede Porthos am Arme gefaßt und stets mehr und mehr gedrückt; als dann Mazarin schwieg, sprach er leise: »Porthos, sagt ja nie in Mazarins Gegenwart, daß ich spanisch verstehe, oder ich bin ein verlorener Mann und Ihr mit mir.« »Wohl,« entgegnete Porthos. Die hart angegangene Königin ward auf einmal besänftigt, sie ließ sozusagen die Glut aus ihren Augen, das Blut von den Wangen, den wortreichen Zorn von den Lippen verschwinden. Sie setzte sich, ließ ihre ermatteten Arme zur Seite niedergleiten und sprach mit einer von Tränen begleiteten Stimme: »Vergebt, Herr Koadjutor, und schreibt diese Heftigkeit nur dem zu, was ich leide. Frau, und somit den Schwachheiten meines Geschlechtes verfallen, schaudere ich vor den Folgen eines Bürgerkrieges; Königin, und gewohnt, daß man mir gehorche, werde ich heftig bei der ersten Widersetzlichkeit.« »Madame,« entgegnete Gondy mit einer Verneigung, »Ihre Majestät ist im Irrtum, wenn Sie meine aufrichtige Meinung für Widersetzlichkeit hält. Ihre Majestät hat nur gehorsame und ehrerbietige Untertanen. Das Volk will nicht an die Königin, es ruft nur Broussel, weiter nichts, und ist unter den Gesetzen Ihrer Majestät glücklich, wenn ihm Broussel zurückgegeben wird,« fügte Gondy lächelnd hinzu.

Mazarin hatte bei den Worten: »Das Volk will nicht an die Königin« – schon die Ohren gespannt, da er besorgte, der Koadjutor möchte des Rufes erwähnen: »Nieder mit Mazarin!« und da wußte er Gondy Dank für diese Auslassung und sprach mit seiner schmeichelhaftesten Stimme und seinem freundlichsten Gesichte: »Madame, glauben Sie dem Koadjutor, er ist einer unserer gewandtesten Staatsmänner; der erste Kardinalshut, der frei wird, scheint wie geschaffen für sein edles Haupt. »Und was wird er uns an dem Tage versprechen,« flüsterte d'Artagnan, »wo man ihm nach dem Leben strebt? Wetter, wenn er die Hüte so vergibt, Porthos, so bereiten wir uns vor und laßt uns morgen schon jeder ein Regiment von ihm fordern. Sapperlot! Der Bürgerkrieg dauere nur ein Jahr lang und ich lasse für mich das Schwert als Konnetabel neu vergolden.« »Und ich?« fragte Porthos. »Du? – dir will ich den Marschallsstab des Herrn de la Meilleraie geben lassen, denn mich dünkt, er steht jetzt nicht gar sehr in Gunst.« »Sonach fürchtet Ihr im Ernst die Volksaufregung, mein Herr?« fragte die Königin. »Im Ernste, Madame,« entgegnete Gondy, betroffen, daß er noch nicht weiter sei; »ich fürchte, wenn der Strom einmal den Damm durchbrochen hat, so wird er große Verwüstungen anrichten.« »Ich denke aber,« versetzte die Königin, »man sollte ihm für diesen Fall nun Dämme entgegensetzen. Geht, ich will darüber nachdenken.« Gondy blickte Mazarin mit erstaunter Miene an. Mazarin näherte sich wieder der Königin, um mit ihr zu sprechen; in diesem Moment vernahm man vom Platze des Palais-Royal ein schreckliches Getöse. Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin erblaßte.

In diesem Augenblicke stürzte Comminges in den Saal und sprach bei seinem Eintritt zu der Königin: »Um Vergebung, Madame, allein das Volk hat die Schildwachen am Gitter niedergemacht und schlägt eben die Tore ein. Was ist Ihr Befehl?« »Hören Sie, Madame?« sagte Gondy. »Das Brausen der Wogen, das Rollen des Donners, das Geräusch eines tosenden Vulkans lassen sich nicht vergleichen mit dem Sturmgeheul, das in diesem Augenblicke zum Himmel erschallte. »Was ich befehle?« fragte die Königin. »Ja, die Zeit drängt.« »Wieviel Mann liegen ungefähr im Palais-Royal?« »Sechshundert Mann.« »Stellet hundert Mann um den König und verjagt mit dem Reste den Pöbel.« »Madame,« rief Mazarin, »was tun Sie?« »Geht!« sprach die Königin, Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam eines Soldaten. In diesem Moment vernahm man ein furchtbares Krachen; eines der Tore fing an nachzugeben. »Madame,« stammelte Mazarin, »Sie stürzen uns alle ins Verderben, den König, Sich und mich!« Auf diesen Schrei, welcher dem Kardinal aus der Seele drang, bekam auch die Königin Furcht; sie rief Comminges zurück. »Es ist zu spät,« ächzte Mazarin, sich die Haare ausraufend, »es ist zu spät!« Die Türe gab nach und man hörte das Freudengeschrei des Pöbels. D'Artagnan griff nach dem Schwerte und winkte Porthos, das gleiche zu tun. »Rettet die Königin!« rief Mazarin, zum Koadjutor gewendet. Gondy eilte ans Fenster, machte es auf und bemerkte Louvières an der Spitze von zwei- bis dreitausend Menschen. »Keinen Schritt mehr weiter!« rief er, »die Königin unterschreibt.« »Was sagt Ihr?« sprach die Königin. »Die Wahrheit, Madame,« entgegnete Mazarin, und reichte ihr Feder und Papier – »es muß geschehen! Unterzeichnen Sie, ich bitte – ich will es.«

Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm eine Feder und unterschrieb. – Das Volk hatte, von Louvières zurückgehalten, wohl keinen Schritt weiter getan, doch wollte das furchtbare Murren nicht enden, womit die Menge ihren Grimm ausdrückt. Die Königin schrieb: »Der Gefängniswächter von Saint-Germain hat den Ratsherrn Broussel in Freiheit zu setzen.« – Und sie unterzeichnete. Der Koadjutor, der die geringste Bewegung mit den Augen verschlang, ergriff das Papier, sobald es unterfertigt war, kehrte damit zum Fenster zurück, schwenkte es in der Hand und rief: »Da ist der Befehl!« Ganz Paris schien ein Jubelgeschrei zu erheben; dann ertönten die Ausrufungen: »Es lebe Broussel! – Es lebe der Koadjutor!« »Es lebe die Königin!« rief der Koadjutor. Man antwortete zwar seinem Rufe, allein schwach und nur einzeln. Vielleicht machte er ihn auch nur, um die Königin ihre Schwäche fühlen zu lassen. »Und nun Ihr das habt, was Ihr wollet,« sprach sie, »so geht, Herr Gondy.« »Wenn die Königin mich brauchen wird,« versetzte der Koadjutor, »so weiß es Ihre Majestät, daß ich zu Befehl stehe.« Die Königin nickte mit dem Kopfe und Gondy ging hinweg. »Ha, verwünschter Mann!« rief die Königin und streckte ihre Hand nach der kaum zugeschlossenen Türe aus, »ich will dir eines Tages den Rest der Galle, die du mir heute eingeschenkt hast, zu trinken geben.« Mazarin wollte sich ihr nähern. »Laßt mich,« sprach sie, »Ihr seid kein Mann –« und sie entfernte sich. »Und Sie – kein Weib,« murmelte Mazarin.

Nachdem er dann ein Weilchen nachgedacht hatte, erinnerte er sich, daß d'Artagnan und Porthos hier seien, und folglich alles gesehen und gehört haben müssen. Er faltete die Stirn und ging geradeswegs auf den Türvorhang zu und hob ihn auf, allein das Kabinett war leer. Bei den letzten Worten der Königin hatte d'Artagnan Porthos an der Hand gefaßt und ihn nach der Galerie gezogen. Mazarin ging nun gleichfalls nach der Galerie und traf dort die zwei Freunde, wie sie eben auf und nieder schritten. »Weshalb seid Ihr vom Kabinett weggegangen, d'Artagnan?« fragte Mazarin. »Weil die Königin befohlen hat, daß sich jedermann zu entfernen habe,« entgegnete d'Artagnan, »weil ich dachte, daß dieser Befehl uns ebenso gut angehe als andere.«»Ihr seid also hier seit – –?« »Etwa seit einer Viertelstunde,« erwiderte d'Artagnan und gab Porthos mit den Augen einen Wink, daß er ihn nicht Lügen strafe. Mazarin sah aber diesen Wink und war überzeugt, daß d'Artagnan alles gesehen und gehört habe, doch wußte er ihm Dank für die Lüge.

 


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