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Herr von Beaufort, dem das Innere des Palais-Royal und die Verhältnisse der Königin und des Kardinals so gut bekannt waren, malte sich in seinem Gefängnisse den ganzen dramatischen Auftritt aus, welcher stattfinden würde, wenn von dem Kabinett des Ministers aus bis zu den Zimmern der Königin der Ruf erschallte: »Herr von Beaufort hat sich befreit!« Während sich nun Herr von Beaufort alles das selber sagte, lächelte er sich freundlich zu, und im Wahne, daß er bereits außen die freie Luft der Ebene und Wälder einatme, ein flinkes Roß zwischen seinen Schenkeln tummle, rief er mit lauter Stimme: »Ich bin frei!« Er befand sich freilich, wenn er zu sich kam, wieder zwischen seinen vier Wänden, und erblickte nur zehn Schritte vor sich la Ramée, der seine Daumen umeinander herumschnellte, und im Vorgemach seine acht Wächter, welche lachten oder zechten. Das einzige Labsal bei diesem so verhaßten Gemälde war ihm das finstere Gesicht Grimauds, dieses Gesicht, gegen welches er anfangs eine Abscheu gefaßt hatte, und welches dann seine ganze Hoffnung geworden war. Grimaud schien ihm ein Antinous.
Wir brauchen es nicht anzuführen, daß das alles nur ein Spiel der fieberhaft aufgeregten Einbildungskraft des Gefangenen war. Grimaud war stets derselbe: somit erwarb er sich auch das volle Vertrauen seines Vorgesetzten la Ramée, der sich jetzt auf ihn noch mehr als auf sich selbst verlassen hätte; denn la Ramée fühlte, wie schon gesagt, eine große Schwäche gegen Herrn von Beaufort. Demzufolge hatte sich denn der gute la Ramée aus dem kleinen Schmaus unter vier Augen mit dem Gefangenen ein Fest gemacht. Herr la Ramée hatte nur diesen Fehler, daß er ein Gourmand war, er hatte die Pasteten gut, den Wein ausgezeichnet gefunden. Allein der Nachfolger des Vaters Marteau hat ihm eine Fasanpastete statt einer Hühnerpastete, und Wein von Chambertin statt Wein von Macon versprochen. Das alles wurde erhöht durch die Gegenwart dieses so gütigen und vortrefflichen Prinzen, der so lustige Streiche gegen Herrn von Chavigny und so gute Scherze auf Mazarin ersann, und so war dieses schöne Pfingstfest la Ramée eines der vier großen Feste des Jahres geworden.
La Ramée erwartete also die sechste Abendstunde eben so ungeduldig als der Herzog. Er beschäftigte sich vom frühen Morgen an mit allen Umständlichkeiten, verließ sich dabei nur auf sich selbst, und machte auch einen Besuch bei dem Nachfolger des Vaters Marteau. Dieser hatte sich selbst übertroffen; er zeigte ihm eine wirklich ungeheure Pastete, die auf dem Deckel mit dem Wappen des Herrn von Beaufort verziert war; diese Pastete war noch leer, doch lagen daneben ein Fasan und zwei Rebhühner so fein gespickt, daß jedes wie ein Nadelkissen aussah. La Ramée trat das Wasser in den Mund, er rieb sich die Hände und kehrte in das Zimmer des Herzogs zurück.
Herr von Chavigny, der sich, wie schon gesagt, auf la Ramée verließ, hatte, um das Glück vollständig zu machen, selbst eine kleine Reise gemacht, und sich an demselben Morgen auf den Weg begeben, wodurch la Ramée der Untergouverneur des Schlosses wurde. Was Grimaud betrifft, so schien er mürrischer als je.
Am Morgen spielte Herr von Beaufort eine Ballpartie mit la Ramée; ein Wink Grimauds bedeutete ihm, auf alles acht zu haben. Grimaud ging voraus und gab den Weg an, den man abends einzuschlagen hätte. Der Ballspielplatz befand sich in dem sogenannten Kreuzgang des kleinen Schloßhofes. Dieser Raum war ziemlich öde, und man stellte daselbst nur dann Schildwachen auf, wenn Herr von Beaufort seine Partie machte, und selbst diese Maßregel schien überflüssig, da die Mauern so hoch waren. Man mußte, ehe man in diesen Raum gelangte, drei Türen aufschließen. Jede öffnete sich mit einem besonderen Schlüssel. La Ramée war der Träger dieser drei Schlüssel. Als man in diesem Vorschloß ankam, setzte sich Grimaud maschinenartig neben eine Schießscharte, und ließ die Beine außerhalb der Mauer hinabhängen. Man wollte offenbar an dieser Stelle die Strickleiter befestigen. Dieses ganze Manöver, das der Herzog von Beaufort recht wohl verstand, war, wie sich begreifen läßt, für la Ramée unverständlich.
Die Partie fing an. Diesmal war Herr von Beaufort im Glück, und man hätte sagen mögen, er schnelle die Bälle eben dahin, wohin er sie geschnellt haben wollte. La Ramée war ganz geschlagen. Vier Wächter begleiteten Herrn von Beaufort und sammelten die Bälle ein; nach beendigtem Spiele neckte Herr von Beaufort la Ramée ob seiner Ungeschicklichkeit, und reichte den Wächtern zwei Louisdors, daß sie mit ihren vier anderen Gefährten auf seine Gesundheit trinken möchten.
Die Wächter erbaten sich von la Ramée die Erlaubnis und er gestand sie ihnen zu, jedoch nur für den Abend. Bis dahin hatte sich la Ramée mit wichtigen Dingen zu befassen; und da er ausgehen mußte, so wollte er nicht, daß man während seiner Abwesenheit den Gefangenen aus den Augen verliere. Hätte Herr von Beaufort das alles selbst angeordnet, so würde er es wahrscheinlich nicht so geschickt eingerichtet haben als es sein Aufseher tat.
Endlich schlug es sechs Uhr; und obwohl man sich erst um sieben Uhr zu Tische setzen sollte, so waren die Speisen doch schon bereit und aufgetragen. Auf einem Büfett stand die kolossale Pastete mit dem Wappen des Herzogs, und so viel sich nach der goldfarbigen Kruste schließen ließ, schien sie vortrefflich gebacken. Das übrige des Nachtmahls war anlockend.
Alles war schon ungeduldig: die Wächter, um zum Trinken zu gehen, la Ramée, sich an den Tisch zu setzen, und Herr von Beaufort, zu entwischen. Nur Grimaud blieb gleichgültig. Man hätte sagen können, Athos habe ihn in der Voraussicht dieses wichtigen Umstandes dazu erzogen. Wenn ihn der Herzog von Beaufort manchmal anblickte, so fragte er sich, ob er denn nicht träume? und ob dieses Marmorgesicht wirklich in seinem Dienste stehe und sich belebe, wenn der Augenblick gekommen sein würde.
La Ramée entließ die Wächter und empfahl ihnen, auf die Gesundheit des Prinzen zu trinken; als sie sich entfernt hatten, verschloß er die Türen, schob die Schlüssel in seine Tasche und zeigte dem Prinzen den Tisch mit einer Miene, welche ausdrücken wollte: Wenn es dem gnädigen Herrn gefällig ist. Der Prinz blickte auf Grimaud, Grimaud blickte auf die Pendeluhr; es war kaum ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war für sieben Uhr festgesetzt, wonach man noch drei Viertelstunden warten mußte. Der Prinz nahm, um eine Viertelstunde zu gewinnen, eine Lektüre zum Vorwand und wünschte sein Kapitel zu beendigen. La Ramée näherte sich, blickte über seine Schulter weg, was es für ein Buch sei, das so anziehend wäre, den Prinzen vom Tisch abzuhalten, wo das Essen schon aufgetragen stand.
Es waren die Kommentare Cäsars, die er ihm selbst gegen die Vorschrift des Herrn von Chavigny drei Tage vorher gebracht hatte.
La Ramée nahm sich aber fest vor, er wolle nichts mehr tun, was gegen die Vorschriften des Schloßturmes wäre. Mittlerweile entpfropfte er die Bouteillen und erquickte sich an dem Dufte der Pastete. Dreiviertel vor sieben Uhr stand der Herzog auf und setzte sich zu Tische, während er la Ramée zuwinkte, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Der Offizier ließ sich das nicht zweimal wiederholen.
Es gibt kein ausdrucksvolleres Gesicht, als das eines Gourmands, der vor einer wohlbesetzten Tafel ist; als nun la Ramée aus Grimauds Hand seinen Teller Suppe empfing, malte sich auch in seinem Antlitz das Gefühl einer vollkommenen Glückseligkeit ab.
Der Herzog sah ihn mit Lächeln an, dann rief er: »Potz Element! la Ramée, wißt Ihr, wenn man mir sagte, es gäbe in diesem Augenblick einen glücklicheren Menschen als Euch, so würde ich es gar nicht glauben.« »Und Sie hätten meiner Seele recht, gnädigster Herr,« entgegnete la Ramée. »Was mich anbelangt, so muß ich bekennen, daß ich, wenn ich hungrig bin, keine angenehmere Aussicht weiß, als einen wohlbesetzten Tisch, und wenn Sie hinzufügen,« fuhr er fort, »daß derjenige, welcher den Wirt dieser Tafel macht, der Enkel Heinrichs des Großen ist, so werden Sie begreifen, gnädigster Herr, daß diese Ehre das genossene Vergnügen noch verdoppelt.« Der Prinz verneigte sich, und auf Grimauds Antlitz, der hinter la Ramée stand, zeigte sich ein leises Lächeln. »In der Tat, lieber la Ramée,« sprach der Herzog, »nur Ihr wißt ein Kompliment zu machen.« »Nein, gnädigster Herr, ich spreche, was ich denke, und in dem, was ich sage, glaube ich, liegt wirklich kein Kompliment.« »So seid Ihr mir zugetan?« fragte der Prinz. »Das heißt,« entgegnete la Ramée. »ich wäre trostlos, wenn Ew. Hoheit von Vincennes weggingen.« »Ihr bezeigt mir auf seltsame Weise Eure Affliktion« (Bestürzung). – Der Prinz wollte sagen: Affektion (Neigung). »Was würden Sie auch außen tun, gnädigster Herr?« fragte la Ramée, »irgendeinen Streich, der Sie mit dem Hofe verfeinden und anstatt zurück nach Vincennes, in die Bastille bringen würde. Ich gestehe wohl ein, Herr von Chavigny ist nicht liebenswürdig –« fuhr er fort und schlürfte ein Glas Madeira, »doch Herr von Tremblay ist noch schlimmer.« »Wirklich?« versetzte der Herzog, den die Wendung ergötzte, welche das Gespräch nahm, und der von Zeit zu Zeit nach der Uhr sah, auf der die Zeiger verzweifelt langsam vorrückten. »O, gnädigster Herr, glauben Sie mir, es ist ein großes Glück, daß Sie die Königin hierher gegeben hat, wo es einen Spaziergang, ein Ballspiel, guten Tisch und gesunde Luft gibt.« »Wahrhaftig,« sprach der Herzog, »war ich nach Eurer Meinung höchst undankbar, la Ramée, weil ich einen Augenblick lang den Gedanken nährte, von hier wegzugehen?« »O, gnädigster Herr, das ist der größte Undank – indes hat Ew. Hoheit niemals ernstlich daran gedacht.« »Ei doch,« entgegnete der Herzog, »ich leugne es nicht, es ist vielleicht töricht, allein ich gestehe, daß ich jetzt noch bisweilen daran denke.«
In diesem Augenblick schlug es sieben. Grimaud sprang auf la Ramée zu, drückte dem, keines Lautes fähig, den Knebel in den Mund, den er wie alle andern Utensilien mit einem raschen Griff aus der Pastete geholt hatte, fesselte ihn sodann mit den Streifen einer zerrissenen Serviette und machte sich sofort daran, dem Gefesselten alle Schlüssel aus den Taschen zu nehmen.
Nachdem der Herzog dem verzweifelt vor sich hinstarrenden la Ramée sein aufrichtigstes Bedauern ausgedrückt, daß er gezwungen sei, seinen freundschaftlichen Gefühlen für ihn scheinbar so sehr entgegenzuhandeln, begaben sich die beiden mit Hilfe der Schlüssel schleunigst aus dem Haus, erreichten unbemerkt den Wall und fanden, mit einiger Mühe, aber ohne Unfall auf die andere Seite gelangt, ihre Retter, die sie mit zwei Reservepferden erwarteten.
»Meine Herren,« sprach der Prinz, »ich werde ihnen später danken, doch jetzt ist keine Sekunde zu verlieren. Also auf und vorwärts, wer mir gerne folgt.« Er schwang sich auf sein Pferd und sprengte im schnellsten Galopp von hinnen, wobei er aus voller Brust Atem holte und mit unaussprechlichem Entzücken rief: »Frei! – Frei! – Frei! –«