Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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LV.

Ein Finanzminister.

Wir haben gesehen, daß die Königin, ehe sie Andrée empfing, ein Billet von Frau von La Mothe gelesen und gelächelt hatte.

Dieses Billet enthielt nur, mit allen möglichen Formeln des Respects, die Worte:

»... Und Eure Majestät kann versichert sein, daß ihr Credit gegeben, und die Waare im Vertrauen abgeliefert wird.«

Die Königin hatte also gelächelt und das Billet von Jeanne verbrannt.

Nachdem sie sich in der Gesellschaft des Fräuleins von Taverney ein wenig verdüstert, kam Frau von Misery und meldete, Herr von Calonne warte auf die Ehre, bei ihr zugelassen zu werden.

Es kann nicht ungeeignet erscheinen, wenn wir diese Person dem Leser ein wenig erklären. Die Geschichte hat ihm dieselbe so ziemlich bekannt gemacht, aber der Roman, der die Perspectiven und die großen Züge minder genau zeichnet, gibt vielleicht der Einbildungskraft ein befriedigenderes Detail.

Herr von Calonne war ein Mann von Geist, sogar von unendlich viel Geist, welcher, aus der nicht sehr an Thränen gewöhnten, obwohl vernünftig urtheilenden Generation der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hervorgehend, in Beziehung auf das über Frankreich schwebende Unglück mit sich im Klaren war, sein Interesse mit dem gemeinschaftlichen Interesse vermischte, wie Ludwig XV. sagte: Nach uns das Ende der Welt! und überall Blumen suchte, um seinen letzten Tag zu schmücken.

Er war vertraut mit den Geschäften und zugleich Hofmann. Alle Frauen, die sich durch ihren Geist, durch ihren Reichthum und ihre Schönheit auszeichneten, hatte er durch seine Huldigungen cultivirt, wie etwa die Biene den mit Aromen und Säften erfüllten Pflanzen ihre Huldigungen darbringt.

Die Conversation von sieben bis acht Männern und zehn bis zwölf Frauen war damals der Inbegriff aller Kenntnisse. Herr von Calonne hatte mit d'Alembert rechnen, mit Diderot Vernunftschlüsse machen, mit Voltaire spotten, mit Rousseau trauern können. Er war endlich stark genug gewesen, der Volksthümlichkeit Neckers in's Gesicht zu lachen.

Herrn Necker, den Weisen und Tiefen, dessen Rechenschaftsbericht ganz Frankreich zu erhellen geschienen hatte, machte Calonne, nachdem er ihn von allen Seiten beobachtet, am Ende lächerlich, selbst in den Augen derjenigen, welche ihn am meisten fürchteten, und der König und die Königin, welche dieser Name beben machte, hatten sich nur zitternd daran gewöhnt, ihn durch einen eleganten Staatsmann von gutem Humor schmähen zu hören, der, um auf so viele schöne Ziffern zu antworten, sich auf die Bemerkung beschränkte: »Wozu nützt es, zu beweisen, daß man nichts beweisen kann?«

Necker hatte in der That nur Eines bewiesen, die Unmöglichkeit, worin er sich befand, noch ferner die Finanzen zu verwalten. Herr von Calonne übernahm sie wie eine für seine Schultern zu leichte Last.

Was wollte Herr Necker? Reformen. Diese theilweisen Reformen erschreckten alle Geister. Wenige Menschen gewannen dabei, und diejenigen, welche dabei gewannen, gewannen wenig; viele dagegen verloren dabei, und sie verloren zu viel. Wenn Necker eine gerechte Vertheilung der Steuer in's Werk setzen wollte, wenn er die Güter des Adels und die Einkünfte der Geistlichkeit mit Abgaben zu belasten beabsichtigte, bezeichnete er brutaler Weise eine unmögliche Revolution. Er spaltete die Nation und schwächte sie zum Voraus, während er alle Kräfte hätte concentriren müssen, um sie zu einem allgemeinen Resultat der Regeneration zu führen.

Dieses Ziel bezeichnete Necker, aber seine Erreichung machte er schon dadurch unmöglich, daß er es bezeichnete. Wer von einer Reform von Mißbräuchen mit denjenigen spricht, welche nicht wollen, daß diese Mißbräuche reformirt werden, setzt sich der nicht dem Widerstande der Betheiligten aus? Darf man den Feind von der Stunde in Kenntniß setzen, zu der man einen Platz stürmen wird?

Das hatte Calonne begriffen, und in dieser Hinsicht war er wirklich mehr Freund der Nation, als der Genfer Necker, mehr Freund, sagen wir, in Betreff der vollendeten Thatsachen, denn, statt einem unvermeidlichen Uebel zuvorzukommen, beschleunigte Calonne den Einbruch der Geißel.

Sein Plan war kühn, riesenhaft, sicher; es handelte sich darum, in zwei Jahren zum Bankerott den König und den Adel fortzureißen, die ihn um zehn Jahre verzögert hätten; aber wenn der Bankerott gemacht war, zu sagen: »Nun, ihr Reichen, bezahlt für die Armen, denn sie haben Hunger und werden diejenigen verschlingen, welche sie nicht nähren.«

Warum sah der König nicht von Anfang an die Folgen dieses Planes oder diesen Plan selbst? Er, der bei Durchlesung des Rechenschaftsberichts vor Wuth gezittert hatte, warum schauerte er nicht, indem er seinen Minister errieth? Warum wählte er nicht zwischen diesen Systemen, und zog es vor, sich dem Zufall zu überlassen? Das ist die einzige wirkliche Rechnung, welche Ludwig XVI. als Politiker mit der Nachwelt zu ordnen hat. Es war das bekannte Princip, dem sich stets Jeder widersetzt, der nicht Macht genug hat, um das Uebel abzuschneiden, wenn es eingewurzelt ist.

Aber um zu erklären, warum sich die Binde dergestalt vor den Augen des Königs verdichtete, warum die in ihren Wahrnehmungen so scharfsichtige und klare Königin sich in Beziehung auf das Benehmen des Ministers so blind als ihr Gemahl zeigte, wird die Geschichte, man müßte vielmehr sagen der Roman, hier ist er willkommen, ewige unerläßliche Details geben.

Herr von Calonne trat bei der Königin ein.

Er war schön, groß von Wuchs und edel von Manieren. Er wußte die Königin lachen und seine Geliebten weinen zu machen. Obschon fest überzeugt, Marie Antoinette habe in einem dringenden Bedürfnisse nach ihm verlangt, kam er mit einem Lächeln auf den Lippen. Viele Andere wären mit einer verdrießlichen Miene gekommen, um hernach das Verdienst ihrer Einwilligung zu verdoppeln.

Die Königin war auch sehr freundlich, sie hieß den Minister sitzen und sprach zuerst von tausend bedeutungslosen Dingen.

»Haben wir Geld, mein lieber Herr von Calonne?« sagte sie sodann.

»Geld!« rief Herr von Calonne, »gewiß haben wir, wir haben immer.«

»Das ist herrlich!« rief die Königin, »ich habe nie einen Mann gekannt, der so wie Sie bei Geldfragen antwortete; als Finanzmann sind Sie unvergleichlich.«

»Welche Summe braucht Eure Majestät?«

»Ich bitte, erklären Sie mir zuerst, wie haben Sie es gemacht, um Geld da zu finden, wo Herr Necker sagte, es gebe keines?«

»Herr Necker hatte Recht, es war kein Geld mehr in den Cassen, und das ist so wahr, daß ich am Tag, wo ich das Ministerium übernahm, am 3. November 1783, man vergißt dergleichen Dinge nicht, Madame, als ich den öffentlichen Schatz suchte, in der Casse nicht mehr als mehr als zwei Säcke mit zwölf hundert Livres fand.«

Die Königin lachte.

»Nun?« sagte sie.

»Nun! Madame, wenn Necker, statt zu sagen: Es ist kein Geld mehr vorhanden, so wie ich hundert Millionen im ersten Jahre und hundert und fünf und zwanzig im zweiten entlehnt und die Ueberzeugung von einem weiteren Anlehen von achtzig Millionen für das dritte gehabt hätte, so wäre Necker ein wahrer Finanzmann gewesen; Jedermann kann sagen: Es ist kein Geld mehr in der Casse; aber nicht Jeder weiß zu antworten: Es ist vorhanden.«

»Das sagte ich Ihnen, hierüber beglückwünschte ich Sie. Wie wird man bezahlen? das ist die Schwierigkeit.«

»Oh! Madame,« erwiderte Calonne mit einem Lächeln, dessen tiefe, erschreckliche Bedeutung kein menschliches Auge ermessen konnte, »ich stehe Ihnen dafür, daß man bezahlen wird.«

»Ich verlasse mich auf Sie,« sagte die Königin, »doch sprechen wir immerhin von den Finanzen; bei Ihnen ist es eine Wissenschaft voll Interesse; ein Strauch bei den Andern, ist es bei Ihnen ein Baum mit Früchten!«

Calonne verbeugte sich.

»Haben Sie einige neue Gedanken?« fragte die Königin; »ich bitte, geben Sie mir den ersten davon.«

»Ich habe einen Gedanken, der zwanzig Millionen in die Taschen der Franzosen und sieben bis acht in die Ihrige bringen wird; verzeihen Sie, in die Casse Seiner Majestät.«

»Diese Millionen werden hier willkommen sein. Woher werden sie fließen?«

»Es ist Eurer Majestät nicht unbekannt, daß die Goldmünze nicht denselben Werth in allen Staaten Europa's hat!«

»Ich weiß es. In Spanien ist das Gold theurer, als in Frankreich.«

»Eure Majestät hat vollkommen Recht, und es ist ein Vergnügen, mit Eurer Majestät über Finanzangelegenheiten zu plaudern. Das Gold gilt in Spanien seit fünf bis sechs Jahren achtzehn Unzen mehr der Mark nach, als in Frankreich. Daraus geht hervor, daß die Exportanten mit einer Mark Gold, die sie von Frankreich nach Spanien ausführen, den Werth von ungefähr vierzehn Unzen Silber gewinnen.«

»Das ist unbedeutend!«

»So daß in einem Jahre,« fuhr der Minister fort, »wenn die Capitalisten wüßten, was ich weiß, kein einziger Louisd'or mehr in unserem Land wäre.«

»Sie werden das verhindern?«

»Unmittelbar, Madame; ich will den Werth des Goldes auf fünfzehn Mark vier Unzen erhöhen, ein Fünfzehntel Nutzen. Eure Majestät begreift, daß kein Louisd'or in den Cassen bleiben wird, so bald man erfährt, daß in der Münze denjenigen, welche Gold bringen, dieser Nutzen gegeben wird. Es wird die Umschmelzung dieser Münze vorgenommen werden, und in der Mark Gold, welche heute dreißig Louisd'or enthalt, finden wir zwei und dreißig.«

»Ein gegenwärtiger Nutzen, ein zukünftiger Nutzen!« rief die Königin; »das ist eine herrliche Idee, welche Furore machen wird.«

»Ich glaube es, Madame, und bin sehr glücklich, daß sie so vollkommen Ihre Billigung erhalten hat.«

»Haben Sie immer solche, und ich bin sicher, daß Sie alle unsere Schulden bezahlen werden.«

»Erlauben Sie mir, Madame, daß ich auf das, was Sie von mir wünschen zurückkomme.«

»Wäre es möglich, mein Herr, hätten Sie in diesem Augenblick ...«

»Welche Summe?«

»Oh! sie ist vielleicht viel zu stark.«

Calonne lächelte auf eine Weise, welche die Königin ermuthigte.

»Fünfmal hunderttausend Livres,« sagte sie.

»Ah! Madame!« rief Calonne, »welche Angst hat mir Eure Majestät gemacht! ich glaubte, es handle sich um eine wahre Summe.«

»Sie können also?«

»Sicherlich.«

»Ohne daß der König ...«

»Ah! Madame, das ist unmöglich; alle meine Rechnungen werden jeden Monat dem König vorgelegt; aber es gibt kein Beispiel, daß der König sie gelesen hat, und ich schätze es mir zur Ehre!«

»Wann kann ich auf diese Summe zählen?«

»An welchem Tage braucht Eure Majestät das Geld?«

»Erst am fünften des nächsten Monats.«

»Die Zahlungen sollen für den zweiten befohlen werden; Sie werden Ihr Geld am dritten haben, Madame.«

»Herr von Calonne, ich danke.«

»Mein höchstes Glück ist, Eurer Majestät zu gefallen. Ich flehe Sie an, sich bei meiner Casse nie Zwang anzuthun. Das wird ein Vergnügen voll Eigenliebe für Ihren Generalcontroleur der Finanzen sein.«

Er stand auf und verbeugte sich demüthig; die Königin reichte ihm ihre Hand zum Kuß.

»Noch ein Wort,« sagte sie.

»Ich höre, Madame.«

»Dieses Geld kostet mich einen Gewissensbiß.«

»Einen Gewissensbiß ...«

»Ja. Es dient zur Befriedigung einer Laune.«

»Desto besser, desto besser. Es wird bei der Summe wenigstens die Hälfte Nutzen für unsere Industrie, für unsern Handel und unsere Vergnügungen sein.«

»Das ist in der That wahr,« murmelte die Königin, »und Sie haben eine reizende Art mich zu trösten, mein Herr!«

»Gott sei gelobt, Madame; mögen wir nie andere Gewissensbisse haben, als die Eurer Majestät, und wir werden geraden Weges in's Paradies eingehen.«

»Sehen Sie, Herr von Calonne, es wäre zu grausam für mich, wenn ich das arme Volk meine Launen bezahlen ließe.«

»Wohl!« erwiderte der Minister, indem er auf jedes seiner Worte einen Nachdruck mit seinem unheimlichen Lächeln legte, »haben Sie keine Bedenklichkeiten mehr, Madame, denn ich schwöre Ihnen, es wird nie das arme Volk sein, das bezahlt.«

»Warum nicht?« fragte die Königin erstaunt.

»Weil das arme Volk nichts mehr hat,« antwortete unstörbar der Minister, »und weil da, wo nichts ist, der Kaiser sein Recht verliert.«

Er verbeugte sich und ging ab.


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