Alexander Dumas
Das Halsband der Königin - 2
Alexander Dumas

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L.

Aegri Somnia.

Die Königin wartete auf die Antwort der Frau von Misery; sie erwartete den Doctor nicht.

Dieser trat mit seiner gewöhnlichen Vertraulichkeit ein.

»Madame,« sprach er laut, »bei dem Kranken, für den sich der König und Eure Majestät interessiren, geht es so gut, als es gehen kann, wenn man das Fieber hat.«

Die Königin kannte den Doctor; sie wußte, wie er die Leute haßte, die, wie er sagte, volle Schreie ausstießen, wenn sie halbe Leiden empfinden.

Sie bildete sich ein, Herr von Charny habe seine Lage ein wenig übertrieben. Die starken Frauen sind geneigt, die starken Männer schwach zu finden.

»Der Verwundete,« sagte sie, »ist ein Verwundeter zum Lachen?«

»He! he!« machte der Doctor.

»Eine Schramme ...«

»Nein, nein, Madame; aber Schramme oder Wunde, ich weiß nur, daß er das Fieber hat.«

»Armer Junge! Ein ziemlich starkes Fieber?«

»Ein furchtbares Fieber.«

»Bah!« versetzte die Königin erschrocken; »ich dachte nicht, daß so ... auf der Stelle ... das Fieber ...«

Der Doctor schaute einen Augenblick die Königin an.

»Es gibt Fieber und Fieber,« sagte er.

»Mein lieber Louis, Sie erschrecken mich. Sie, der Sie gewöhnlich so beruhigend sind ... ich weiß nicht, was Sie heute Abend haben.«

»Nichts Außerordentliches.«

»Ah! ah! Sie drehen sich um, Sie schauen nach rechts und nach links, Sie sehen aus wie ein Mensch, der mir gern ein großes Geheimniß anvertrauen möchte.«

»Ei! wer sagt nein?«

»Ah! nicht wahr? Ein Geheimnis, das Fieber betreffend?«

»Ja.«

»Das Fieber des Herrn von Charny?«

»Ja wohl.«

»Und Sie kommen dieses Geheimnisses wegen zu mir?«

»Ja wohl.«

»Geschwind zur Sache! Sie wissen, daß ich neugierig bin. Fangen wir beim Anfang an.«

»Nicht wahr, wie Petit-Jean?«

»Ja, mein lieber Doctor.«

»Wohl! Madame ...«

»Ich warte, Doctor.«

»Nein, ich warte.«

»Worauf?«

»Daß Sie mich befragen, Madame. Ich erzähle nicht gut; wenn man jedoch Fragen an mich richtet, so antworte ich wie ein Buch.«

»Gut! ich habe Sie gefragt, wie es mit dem Fieber des Herrn von Charny gehe.«

»Nein, das ist schlecht begonnen. Fragen Sie mich zuerst, wie es komme, daß Herr von Charny sich bei mir in einem meiner zwei kleinen Cabinete befinde, statt in der Gallerie oder auf dem Posten des Officiers der Leibwachen zu sein.«

»Wohl! ich frage Sie das wirklich. Das ist zum Erstaunen.«

»Madame, ich wollte Herrn von Charny nicht in dieser Gallerie, auf diesem Posten lassen, weil Herr von Charny kein gewöhnlicher Fieberkranker ist.«

Die Königin machte eine Geberde der Verwunderung.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Herr von Charny delirirt sogleich, wenn er das Fieber hat.«

»Oh!« machte die Königin, die Hände faltend.

»Und,« fuhr Louis fort, indem er sich der Königin näherte, »und wenn er delirirt, der arme Junge, sagt er eine Menge Sachen von zu delicater Natur, als daß die Herren Garden des Königs oder irgend Jemand sie anhören dürften.«

»Doctor!«

»Ah! Sie mußten mich nicht befragen, wenn ich Ihnen nicht antworten sollte.«

»Sprechen Sie immerhin, mein lieber Doctor.«

Hiebei nahm die Königin die Hand des guten Gelehrten.

»Dieser junge Mensch ist vielleicht ein Gottesleugner, und in seinem Fieberwahnwitz blasphemirt er?«

»Nein, nein, er hat im Gegentheil eine sehr tiefe Religion.«

»Sollte es vielleicht eine Ueberspannung in seinen Ideen sein?«

»Ueberspannung, das ist das richtige Wort.«

Die Königin gab ihrem Gesicht eine den Umständen angemessene Haltung, nahm die stolze Kaltblütigkeit an, welche immer die Handlungen der an die Ehrfurcht der Anderen und an die Selbstschätzung gewöhnten Fürsten begleitet, eine Fähigkeit, welche unerläßlich ist für die Großen der Erde, um zu herrschen und sich nicht zu verrathen; dann sprach sie:

»Herr von Charny ist mir empfohlen. Er ist der Neffe des Herrn von Suffren, unseres Helden. Er hat mir Dienste geleistet; ich will ihm eine Verwandte, eine Freundin sein. Sagen Sie mir also die Wahrheit, ich muß und will sie wissen.«

»Ich kann sie Ihnen nicht sagen,« erwiderte Louis, »und da Eurer Majestät so viel daran liegt, sie kennen zu lernen, so weiß ich nur ein Mittel: Eure Majestät höre selbst. Wenn dann der junge Mann etwas mit Unrecht sagt, so wird er auf diese Art weder dem Indiscreten, der dieses Geheimniß verlauten ließ, noch dem Unklugen, der es unterdrückt, böse sein.«

»Ich liebe Ihre Freundschaft!« rief die Königin, »und sobald Herr von Charny in seinem Delirium seltsame Dinge sagt ...«

»Dinge, die Eure Majestät nothwendig hören muß, um sie zu würdigen,« versetzte der gute Doctor.

Und er nahm sachte die bewegte Hand der Königin.

»Doch vor Allem, nehmen Sie sich in Acht!« rief die Königin, »ich thue hier keinen Schritt, ohne zu wissen, welcher liebreiche Spion hinter mir sein wird.«

»Sie werden heute Abend nur mich haben. Es handelt sich einzig und allein darum, meinen Gang zu durchschreiten, der eine Thüre an jedem Ende hat. Ich schließe die, durch welche wir hineingehen, und Niemand wird bei uns sein, Madame.«

»Ich überlasse mich Ihnen, mein lieber Doctor,« sagte die Königin.

Und sie nahm den Arm von Louis und schlüpfte, ganz bebend vor Neugierde, aus ihren Gemächern.

Der Doctor hielt sein Versprechen. Nie wurde ein König, der in den Kampf zog oder eine Recognoscirung in der belagerten Stadt vornahm, nie eine bei einem Abenteuer geleitete Königin auf eine geeignetere Weise von einem Capitän der Leibwachen, oder von einem Oberofficier des Palastes geführt.

Der Doctor schloß die erste Thüre, näherte sich der zweiten und hielt sein Ohr daran.

»Nun,« fragte die Königin, »ist hier Ihr Kranker?«

»Nein, Madame, er ist im zweiten Zimmer. Oh! wenn er in diesem wäre, hätten Sie ihn vom Ende des Ganges gehört. Horchen Sie nur an diesem.«

Man vernahm wirklich das unartikulirte Gemurmel einiger Klagen.

»Er seufzt, er leidet, Doctor.«

»Nein, nein, er seufzt nicht. Er spricht ganz einfach ... Ich will diese Thüre öffnen.«

»Ich will aber nicht bei ihm eintreten!« rief die Königin, rasch zurückweichend.

»Das ist es auch nicht, was ich Ihnen vorschlage. Ich spreche nur davon, Sie mögen in das erste Zimmer eintreten, und von da werden Sie, ohne Furcht gesehen zu werden oder zu sehen, Alles hören, was der Kranke zu sich sagt.«

»Alle diese Vorbereitungen, alle diese Geheimnisse machen mir bange,« murmelte die Königin.

»Wie wird es sein, wenn Sie gehört haben!« erwiderte der Doctor.

Und er trat allein bei Charny ein.

Mit seiner Uniformshose bekleidet, woran der gute Doctor die Schnallen losgemacht hatte, sein nerviges, feines Bein in einem seidenen Strumpfe mit Schneckenlinien von Opal und Perlmutter, die Arme wie die eines Leichnams ausgestreckt und ganz steif in den Aermeln von zerknittertem Batist, suchte Herr von Charny auf sein Kissen seinen Kopf zu erheben, der schwerer als Blei war.

Ein siedender Schweiß rieselte in Perlen von seiner Stirne und klebte die aufgelösten Locken seiner Haare an seine Schläfe.

Niedergeschlagen, gelähmt, träge, hatte er nur noch einen Gedanken, ein Gefühl, eine Betrachtung; sein Körper lebte nur noch bei dieser Flamme, die sich immer in seinem Gehirn selbst wieder anfachte, wie das Lichtstümpchen in der alabasternen Nachtlampe.

Wir haben nicht ohne Absicht diese Vergleichung gewählt, denn diese Flamme, das einzige Dasein Charny's, beleuchtete phantastisch und auf eine gemilderte Weise gewisse einzelne Umstände, die das Gedächtniß allein nicht in lange Gedichte verwandelt hätte.

Charny erzählte sich eben sein Zusammentreffen im Fiaker mit der deutschen Dame auf dem Wege von Paris nach Versailles.

»Eine Deutsche! eine Deutsche!« wiederholte er beständig.

»Ja, eine Deutsche, wir wissen das, auf dem Wege nach Versailles,« sagte Louis.

»Königin von Frankreich!« rief er plötzlich.

»He!« machte der Doctor, in das Zimmer der Königin schauend. »Weiter Nichts? Was sagen Sie dazu, Madame?«

»Oh! das ist gräßlich,« murmelte Charny; »einen Engel lieben, eine Frau wahnsinnig lieben, sein Leben für sie geben, und, wenn man sich ihr nähert, nichts Anderes mehr vor sich haben, als eine Königin von Sammet und Gold, ein Metall oder einen Stoff, kein Herz!«

»Oh!« rief der Doctor mit einem gezwungenen Gelächter.

Charny achtete nicht auf die Unterbrechung.

»Ich würde eine verheirathete Frau lieben,« sagte er. »Ich würde sie mit der heftigen Liebe lieben, welche macht, daß man Alles vergißt. Ich würde zu dieser Frau sagen: Es bleiben uns einige schöne Tage auf dieser Erde; werden diejenigen, welche uns außerhalb der Liebe erwarten, so viel werth sein als diese Tage? Komm, meine Heißgeliebte, so lange Du mich liebst und ich Dich liebe, wird es das Leben der Auserwählten sein. Hernach, nun! hernach wird es der Tod sein, das heißt das Leben, das wir in diesem Augenblick haben. Gewinnen wir also die Vortheile der Liebe.«

»Nicht schlecht geurtheilt für einen Fieberkranken,« murmelte der Doctor, »obgleich die Moral nicht ganz stichhaltig ist.«

»Aber ihre Kinder!« rief plötzlich Charny voll Wuth; »sie wird ihre zwei Kinder nicht zurücklassen!«

»Das ist das Hinderniß, hic nodus,« sagte, während er den Schweiß auf Charny's Stirne trocknete, der Doctor Louis mit einer Mischung von Spott und Gutherzigkeit.

»Oh!« fuhr der junge Mann, unempfindlich gegen Alles, fort, »Kinder würde man im Flügel eines Reisemantels mitnehmen.«

»Sage, Charny, da Du die Mutter, sie, die leichter ist, als eine Grasmückenfeder, in Deinen Armen fortträgst, da Du sie aufhebst, ohne etwas Anderes zu fühlen, als einen Liebesschauer statt einer Last, würdest Du nicht auch die Kinder von Marie forttragen? ... Ah!«

Er stieß einen furchtbaren Schrei aus.

»Die Kinder eines Königs, das ist so schwer, daß man die Leere in der Hälfte der Welt fühlen würde.«

Louis verließ seinen Kranken und näherte sich der Königin.

Sie stand kalt und zitternd da; er ergriff ihre Hand, sie schauerte auch.

»Sie hatten Recht,« sagte Marie Antoinette. »Das ist mehr als Delirium. Der junge Mann würde wirklich Gefahr laufen, wenn man ihn hörte.«

»Hören Sie! hören Sie!« fuhr der Doctor fort.

»Nein, kein Wort mehr.«

»Er besänftigt sich. Hören Sie, nun betet er.«

Charny hatte sich wirklich erhoben und faltete die Hände: er heftete die Augen weit aufgesperrt und erstaunt auf das unbestimmte, chimärische Unendliche.

»Marie,« sagte er mit vibrirender, sanfter Stimme, »Marie, ich habe wohl gefühlt, daß Sie mich liebten. Oh! ich werde nichts davon sagen. Ihr Fuß hat sich im Fiaker dem meinigen genähert, und es war mir, als müßte ich sterben, Ihre Hand ist auf die meinige herabgesunken ... stille ... stille ... ich werde nichts davon sagen, das ist das Geheimniß meines Lebens. Marie, das Blut mag immerhin aus meiner Wunde fließen, das Geheimniß wird nicht mit ihm hinausgehen ...

»Mein Feind hat seinen Degen in mein Blut getaucht; hat er aber ein wenig von meinem Geheimniß, so hat er doch nichts von dem Ihrigen. Seien Sie also unbesorgt, Marie; sagen Sie mir nicht einmal, daß Sie mich lieben: das ist unnöthig; da Sie erröthen, so haben Sie mir nichts mitzutheilen.«

»Ho! ho!« sagte der Doctor, »das ist nicht mehr allein Fieber, sehen Sie, wie ruhig er ist ... es ist ...«

»Es ist? ...« fragte die Königin ängstlich.

»Es ist eine Entzückung, Madame; die Entzückung gleicht der Erinnerung. Das ist in der That das Gedächtniß einer Seele, wenn sie sich des Himmels erinnert.«

»Ich habe genug gehört,« murmelte die Königin, so beunruhigt, daß sie zu entfliehen versuchte.

Der Doctor hielt sie mit Gewalt bei der Hand zurück und sagte:

»Madame, Madame, was wollen Sie?«

»Nichts, Doctor, nichts.«

»Doch wenn der König seinen Schützling sehen will?«

»Ah! ja. Oh! das wäre ein Unglück.«

»Was werde ich sagen?«

»Doctor, ich habe keinen Gedanken, ich habe kein Wort mehr, dieses gräßliche Schauspiel hat mir das Herz zermartert.«

»Und Sie haben ihm sein Fieber genommen, diesem Entzückten,« sagte leise der Doctor; »es sind hundert Pulsschläge weniger.«

Die Königin antwortete nicht, sie machte ihre Hand los und verschwand.


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